Auguste Rodin

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Der Titan der französischen Bildhauerkunst, der Genialste unter den Meistern Europas hat in der großen, frostigen Halle, die ihm in Paris als Atelier dient, ein neues Werk vollendet: „Der Denker“.

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Auguste Rodin und seine neue Schöpfung, die Statue Der Denker

Wohl mit keiner Schöpfung ist Rodin dem Ideal nach dem er ringt, näher gekommen, als mit diesem. Die innere Bewegung des Menschen, die der Körper im Spiel der Sehnen, im Zucken der Muskeln wiederspiegelt, will er darstellen. – Ungefähr erst seit einem Dutzend Jahren ist der jetzt Vierundsechzigjährige, der schon so manches wahrhaft klassische Kunstwerk der Menschheit geschenkt, berühmt; bis seinem fünfzigsten Jahr war er kaum allgemein bekannt, aber die am heißesten umstrittene künstlerische Persönlichkeit ist er bis heute geblieben. Jede seiner Arbeiten erregt einen Kampf der Meinungen, der immer wieder und wieder zu entbrennen beginnt und nie endgültig entschieden werden wird, weil er ein Kampf der Prinzipien ist. Auf der einen Seite steht die Tradition, die als Ein und Alles für die Bildhauerkunst die Ruhe predigt, auf der andern Rodin, der Neuerer, der die Bewegung in der Plastik und die Lebenswahrheit verkündet, und dem man vorwirft, daß er, um charakteristisch zu wirken, selbst vor dem „Unschönen“ nicht zurückschreckt. Vom Standpunkt der guten, alten Aesthetik betrachtet, mag ja die Stellung des „Denkers“ nicht gerade bezaubernd schön sein – aber hat schon jemand vor Rodin das tiefe Insichversenken, die absolute Konzentration auf einen Gedanken treffender und sicherer zu bilden vermocht? Welches eminente Naturstudium, welches fast dramatisch bewegte Leben steckt in dieser Menschengestalt.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 51/1903.