Luftschiffahrt

Das Holzgerippe des Schütte-Lanz-Luftschiffes während der Fertigstellung (siehe auch die Abbildungen auf der nächsten Seite). Phot. Hans Graßmück

Der Abbruch des Siemens-Schuckert-Ballons. – Der Erstaufstieg des Schütte-Lanz-Luftschiffs. Ballonhavarien. – Das englische Riesen-Militärluftschiff und der neueste französische Luftkreuzer. – Die deutschen Passagier- und Militärluftschiffe.

Das überraschendste Ereignis der letzten Zeit war wohl der in aller Stille vollzogene Abbruch des großen Siemens-Schuckert-Ballons, nach dessen ersten wohlgelungenen Probefahrten man sich in weiteren Kreisen viel von diesem neuen Typ versprochen hatte. Anscheinend hat die Hülle des Unstarren gegen die Winddrücke, die bei rascher Fahrt entstehen, doch nicht standgehalten, es haben sich Eindrücke und alsdann größere Deformationen gebildet, die eine gewisse Versteifung so großer Ballonkörper notwendig machen. Der Siemens Ballon dürfte denn auch in abgeänderter Konstruktion bald wieder erscheinen. Die sonstigen konstruktiven und mechanischen Neuerungen, die er verkörperte, haben sich ja anscheinend trefflich bewährt und den Versuch dennoch lohnend gemacht. Die neue Anordnung und Aufhängung der Gondeln, die Steuerung, die Betätigung aller Ventile durch Luftdruck anstatt mit Seilzügen, die elektrische Befehlsübermittlung zwischen den Gondeln, die Anwendung von sechs Schrauben, die nahezu unzerreißbare Hülle, die Ausnutzung der Benzinbehälter als Unterlage für den Laufsteg zwischen den drei Gondeln, und viele andere Neuerungen machten diesen mächtigen Kreuzer zu einer der interessantesten Neubauten der deutschen Luftflotte. –

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Der Schutte-Lanz–Ballon hat nun seinen Erstaufstieg erlebt, und die Probefahrt ist ohne Gefahr verlaufen. Die verzögerte Lieferung der Motoren hatte die Fertigstellung und den Probeflug dieses großen Versuchskreuzers verzögert. Inzwischen ließen sich die Erbauer Zeit, alle Neuerungen, die die Technik hervorbringt, an ihrem Luftschiff auszuprobieren, um nur mit den besten Konstruktionen den ersten Aufstieg zu wagen.

Der Schweizer Flieger Hans Schmid
Der Schweizer Flieger Hans Schmid, der bei dem Berner Preisfliegen aus einer Hohe von 25 m abstürzte; der Flugapparat fing Feuer, und der Flieger wurde als schrecklich zugerichtete, verkohlte Leiche unter den Trümmern hervorgezogen. Hans Schmid stammte aus Ebnat, Kanton St. Gallen, er stand im Alter von 32 Jahren und war Vater mehrerer Kinder. Als Flieger war er ziemlich vom Unglück verfolgt; bei seiner Todesfahrt fuhr er elnen Sommer-Zweidecker. Er war der erste schweizerische Flieger, der einen Todessturz erlitt.

Ein paar schwere Schlappen haben auch in diesem Sommer leider den Fortschritt der Luftschiffahrt unterbrochen. Der kleine Sportballon Parseval 5 ist nach zahlreichen Flügen im Juni durch eine Explosion vernichtet worden, wobei auch schwere Verletzungen von Personen sich ereigneten. Der große Militärballon M 3 wurde sodann während der Kaisermanöver das Opfer einer verunglückten Landung mit nachfolgender Explosion. Die deutsche Luftflotte ist durch diese und frühere Katastrophen recht stark zusammengeschrumpft. Ebenso haben die Engländer, die auf diesem Gebiete durchaus auf keinen grünen Zweig kommen können, von neuem Pech gehabt. Im Juni wurde ein neues riesiges Luftschiff, von den Vickers Werken für die englische Marine erbaut, getauft, und am 25. September wurde es wenige Minuten nach seinem ersten Aufstieg ein Wrack. Hier scheint aber ausschließlich fehlerhafte Konstruktion die Ursache der Zerstörung gewesen zu sein. Das Luftschiff war ein Experiment; dem Zeppelin-Typ sich nähernd, hatte es 17 Gaszellen in einer Hülle, die auf einen Rahmen aus Hartaluminium gespannt war. Wann wird man von diesem unglücklichen Material, dem Aluminium, endgültig zugunsten der modernen Spezialstähle zurückkommen? Die Admiralität beging noch, wie es scheint, den Fehler, den riesigen Kreuzer für einen sehr hohen Preis ohne vorhergehende Probefahrt abzunehmen. Bei der ersten Ausfahrt aus der Halle unter mißlichen Windverhältnissen scheint die Stärke des Rahmens überansprucht worden zu sein. Es traten Deformationen ein, mehrere Gaszellen kamen zum Bersten, und endlich brach der Rumpf, ein bei den großen starren Kreuzern mit Aluminiumrahmen gewöhnlicher Fall, haltlos zusammen. Ausbesserungen werden vielleicht möglich sein, aber an dem Grundfehler werden sie nichts andern. –

Das Holzgerippe des Schütte-Lanz-Luftschiffes während der Fertigstellung (siehe auch die Abbildungen auf der nächsten Seite). Phot. Hans Graßmück
Das Holzgerippe des Schütte-Lanz-Luftschiffes während der Fertigstellung (siehe auch die Abbildungen auf der nächsten Seite). Phot. Hans Graßmück

Einen anscheinend guten Griff hat dagegen Frankreich mit seinem neuesten Militärkreuzer „Adjutant Réau“ getan. Das schöne, schlanke Luftschiff, mit 9300 cbm der größte französische Ballon, hat seine Fahrten am 8. September angetreten und soll 55 km Geschwindigkeit entwickelt haben. Eine 16stündige Dauerfahrt bewies die Zuverlässigkeit aller arbeitenden Teile, und am 19. September hat der Kreuzer, der von Paris zu einer Rekognoszierungsfahrt über die sämtlichen Festungen der Ostgrenze ausgeschickt wurde, diese Aufgabe in einer ununterbrochenen Fahrt von 21 Stunden glänzend gelöst. Der „Adjutant Réau“ hat zwei Motoren von je 120 PS., die aber bei der schlanken Form des Kreuzers für eine flotte Fahrt ausreichen.

Der Erstaufstieg des Schütte-Lanz-Luftschiffs
Der Erstaufstieg des Schütte-Lanz-Luftschiffs. Nach langen Erprobungen hat am 17. Oktober von der Luftschiffhalle in Mannheim-Rheinau aus die erste Probefahrt des Schütte-Lanz-Luftschiffs stattgefunden; sie nahm, abgesehen von einer Notlandung, die wegen eines kleinen Steuerdefekts vorgenommen werden mußte, einen guten Verlauf. Der SL I ist ein riesiger Ballon von 130 m Länge, dessen Eigenart das Gerippe des Tragkörpers darstellt, das aus leichtem furnierten, diagonal übereinandergelegten und hochkant verwendeten Holz besteht. Zur Erhöhung der Festigkeit ziehen sich von Stützpunkt zu Stützpunkt starke Drähte hin. Die Vernietungen und die Benzinbehälter für die Motoren sind aus Aluminium (siehe die Abb. S. 504). Das Gerippe wiegt 4500, das gesamte Luftschiff 7800 Kilogramm. Es hat bis jetzt zwei Motorgondeln, zwischen denen noch eine 16-18 Personen fassende Passagiergondel eingefügt wird. Ganz vorn ist außerdem ein für vier Personen Platz bietender Raum als Führergondel abgeteilt. In diesem Raum befinden sich die feinmechanischen Instrumente für Messungszwecke, auf Rollen drehbare Lustschifferkarten und die Apparate zur Übermittlung der Signale an die Bedienungsmannschaften (siehe die Abbildung). Die Gondeln selbst sind mit dem Luftschiffkörper nicht starr verbunden. Zur Erzeugung der erforderlichen Kraft dienen zwei 8-Zylinder-Motoren, die rund 550 PS. zu erzeugen vermögen. Die Höhensteuer und die dreischaufeligen Schrauben sind aus Elektrostahl hergestellt. Fur den Bau des neuen Luftschiffs sind bereits meht als 1 1/2 Millionen Mark ausgegeben worden. Es hat einen Inhalt von 2000 Kubikmeter, ist also wesentlich größer als die „Schwaben“. Erfinder und Erbauer des Luftschiffs sind der Danziger Hochschulprofessor Schütte (s. die Abb. rechts unten) und der bekannte Mannheimer Großindustrielle Dr. Lanz. Phot. Hans Graßmück.

Die deutschen Städte, die sich durch Unterstützungen und Anlage von Hallen die Anhänglichkeit der Lenkballons erworben haben, wurden in der letzten Zeit abwechselnd von dem Parsevalschen Passagierluftschiff P 6 und von dem neuen prächtigen Zeppelin-Kreuzer „Schwaben“ besucht. Letzterer hat durch eine Folge von kühnen, bisher durch leinen Zwischenfall gestörten Fernfahrten den Ruf seines Erbauers wieder glänzend gerechtfertigt und sich als ein glückhaftes Schiff erwiesen, möchte dem auf ihn folgenden neuen Militärluftschiff, das jetzt seine 20stündige Übernahmefahrt trefflich bestanden hat, dasselbe freundliche Geschick lächeln. Das Luftschiff, „Schwaben“, das in den wenigen Wochen seit seiner Vollendung den größten Teil des westlichen Deutschland kreuz und quer überflogen und bereits eine Menge von Passagieren getragen hat, ist mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 19 Sekundenmetern wohl ohne Übertreibung als das schnellste aller bisherigen Luftschiffe anzusehen, was zum Teil den leichten und doch außerordentlich ausdauernden Motoren mit je 6 Zylindern und 160 PS., zum Teil der abgeänderten Form mit abgerundeter Spitze und länger auslaufendem Hinterteil und der Verlegung des Steuers zuzuschreiben ist. Der neue für Köln bestimmte Militärkreuzer ist ein wenig kürzer, aber sonst genau in der Form und mit den Einrichtungen der „Schwaben“ gebaut.

Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau vom 16.-22.10.1911, er war gekennzeichnet mit „Ikarus“.