Unter den Schlössern und Herrensitzen, mit denen das Schlesierland so reich gesegnet ist, ragt besonders ein Edelsitz in der Oberlausitz hervor, der durch historische Erinnerungen und landschaftliche Reize nur wenige seinesgleichen im Land findet. Ueber die altersgrauen Turme und Mauern rauschte so manches Jahrhundert im Wechsel der Zeiten dahin, und eine Reihe längstvergangener glänzender Geschlechter bewegte sich einst in den weiten Hallen des stolzen Baus.
Die Zugbrücke des Schlosses erdröhnte gar oft unter den erzgepanzerten Rossen und Reitern, schmucke Edelfräulein zogen darüber, hinaus zur fröhlichen Falkenbeize, und das Horn des Burgwarts schmetterte dann vom Turm herab seine weithin hallenden Weidmannsgrüße.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Nur wenig ist über die älteste Geschichte dieses Edelsitzes bekannt. Wenden waren es wohl, die als Begründer und erste Bewohner bis weit ins Dunkel der Vorzeit zurückreichen. Der Name Muskau, den man von dem wendischen Muzak – ein Mann, ein Held – ableiten will, spricht dafür. Eine alte Urkunde des Herzogs Boleslaus II. von Schlesien nennt zwar einen Ditericus von Muskowe aus dem Jahr 1258, doch stellt dieses alte Dokument nicht fest, ob dieser Ditericus auch Besitzer von Muskau war. Der erste geschichtlich nachzuweisende Herr des stolzen Besitzes war Botho von Ileburg um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Muskau war damals kaiserliches Lehn – Burgwardiat – und heute noch führt das alte Schloß mit den Wohnungen der Beamten die Bezeichnung „Burglehn“. Nach Botho von Ileburg zieht eine wechselnde Reihe von Geschlechtern in Muskau ein. Dem Ileburger folgen die Herren von Kittlitz und von Penzig, auf diese die Ritter derer von Bieberstein. Letztere waren es auch, die das alte Schloß, das von dem neuen durch einen malerischen kleinen See getrennt ist, erbauten.
Als das Geschlecht der Bieberstein erlosch, nahm Kaiser Ferdinand I. Muskau als erledigtes Lehn in Besitz und verpfändete – es an den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Nach diesem erlangte Fabian von Schöneich die Herrschaft über Muskau; doch nicht lange konnte sich dieses Geschlecht des schönen Besitztums erfreuen, denn über dem Gruftdeckel Fabians wurde das alte Wappen der Schöneichs zerschlagen, und Schloß und Herrschaft fielen wieder zurück an den Kaiser, diesmal Rudolf II., den Grübler und Alchymisten auf dem Thron. Nun erwarb der Burggraf Wilhelm zu Dohna Muskau als freie Standesherrschaft. Sein Wappen krönt noch heute im Verein mit dem der Callenberger eins der Seitenportale. Er war es auch, der den Grundstein zur deutschen Kirche legte, die unter seinem Sohn und Nachfolger vollendet wurde.
Den Dohnas folgten die Callenberger im Besitz von Muskau; unter ihnen wurde das Dohnasche Schloß, das während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges ein Raub der Flammen geworden, von neuem restauriert. Als das Haus der Callenberger ausstarb, gelangte Graf Pückler durch Heirat mit der Erbtochter in den Besitz der Herrschaft. Dessen Sohn Graf Ludwig Hermann, der spätere Fürst von Pückler, ist der geniale Schöpfer des weltberühmten, heute mehrere tausend Morgen großen Parkes und der Begründer des nach ihm benannten „Hermannbades“, dessen heilkräftige Stahlquelle und Moorbäder schon so manchem Leidenden die ersehnte Genesung brachten. Nach dem Fürsten Pückler ging die Herrschaft Muskau in rascher Reihenfolge noch durch die Hände der Grafen von Hatzfeldt-Weißweiler, Hatzfeldt-Schönstein und von Nostitz, bis sie von letzteren durch den Schwager Kaiser Wilhelms I., den Prinzen Friedrich der Niederlande, erworben wurde. Von den Erben des niederländischen Prinzen hat endlich der gegenwärtige Besitzer, der Reichstagsabgeordnete Graf Hermann Arnim, Schloß und Herrschaft erworben.
Schloß Muskau teilte so mit seinen wechselnden Herren das Schicksal der ganzen Oberlausitz, die einst Friedrich der Große einen „Mehlsack“ genannt hatte, „der noch immer stäubt, wenn man auch zehnmal darauf schlägt“. Und doch hatten alle diese Besitzer, von den Kittliz und Penzig angefangen, unter denen das Schloß als kleines, kastellartiges Viereck bestanden haben dürfte – die erstaunlich starken Grundmauern berechtigen zu dieser Annahme – bis zu den Pückler und dem Prinzen Friedrich rastlos geschafft und gebaut, bis sich das Schloß in seiner heutigen imponierenden Gestalt erhob. Mit Schinkels, des berühmten Baumeisters, Hilfe hatte der Prinz die alten Mauern mit Firsten, Giebeln und Mansarden versehen, die beiden ungleich großen Rundtürme, die aus der Westfront des Gebäude- nach Süd und Nord hervorspringen, harmonischer auszugestalten versucht und die zierliche Kuppel des südlichen, höheren Turms mit einer gigantischen Minerva gekrönt, die der jetzige Besitzer in richtigem patriotischem Gefühl demnächst durch die schwertumgürtete Germania zu ersetzen gedenkt. Die Grundmauern und Flügel des viereckigen Hofes bekleidete Fürst Pückler mit grünen Schlinggewächsen, die sich heute bis hoch hinauf ans Dach emporranken, den ganzen Bau geheimnisvoll umspinnen und ihm das Ansehen eines zauberhaften Märchenschlosses verleihen, das wie aus dunklem Grün entsprießend, sich aus dem Mittelpunkt der Hauptschöpfung, dem Park, erhebt und seine altersgrauen Mauern unter grünendem Schleier verbirgt. Doch sein Meisterstück erzielte der Fürst mit dem Park. Auf seinen Reisen in England lernte er die natürlichen Schönheiten englischer Parkanlagen kennen und beschloß, sie daheim anzuwenden. Sein angeborenes Genie übertraf die englischen Lehrmeister, die er drüben belauscht, und wenn es ihm auch nicht gelingen sollte, seine Ideen vollständig zur Ausführung zu bringen, so erreichte er doch das eine: eine Parkschöpfung ins Leben gerufen zu haben, wie sie sich schöner und mächtiger kaum ein zweites Mal auf Erden wiederfindet, und die für Jahrhunderte hinaus berechnet, die Herzen aller Künstler, aller Kunst- und Naturfreunde begeistern sollte.
Wie ein geheimnisvoller Schauer mutet es einen an, wenn sich die Nacht herabsenkt auf die uralten Eichen und Ulmen, ein Raunen und Flüstern dann durch die Wipfel zieht, gleich Stimmen einer längstverrauschten Zeit, die dem bange Lauschenden von lang verblichenen Geschlechtern, die einst hier wandelten, erzählt. Hoch oben auf der Höhe umfließt das Mondlicht die alte wendische Thingstätte unter der riesigen Eiche, dem heiligen Baum der heidnischen Slawen, und weiter zittert sein bleicher Schein hinüber zu dem Grab des „Unbekannten“, eines russischen Stabsoffiziers aus den Freiheitskriegen, der hier im Dunkel der Nacht nach einem sagenhaften Schatz grub und dabei von wendischen Bauern überfallen und erschlagen wurde.
Doch zu gewaltig war der Plan, den Fürst Pückler auszuführen gedachte; er hatte dem Traum seines Lebens sein ganzes Vermögen hingeopfert, ohne das Werk vollenden zu können. Sein Nachfolger im Besitz von Muskau, der Prinz der Niederlande, hatte auf Grund seiner immensen Einkünfte vermocht, durch neuerlichen Umbau des Schlosses und Erweiterung des Parks den Plan seines Vorgängers noch weiter zu verfolgen; der gegenwärtige Besitzer, Graf Arnim, hat in zwanzigjähriger unermüdlicher Arbeit die geniale Schöpfung Pücklers weiter ausgestaltet und den Besitz als solchen auch rentabel zu machen gewußt. Unter Ausnutzung der vorhandenen Wasserkräfte aus der Spree mit ihren Zuflüssen und der leider noch immer der Regulierung harrenden Neiße errichtete Graf Arnim außer mehreren Holzschleifereien eine große Braunholzpapierfabrik. Elektrische Kräfte wurden gewonnen, Schneidemühlen und Braunkohlengruben angelegt, eine Holzwollfabrik, Ziegelei und Glashütte eingerichtet und zwischen diesen Werken eine etwa 40 Kilometer lange Kleinbahn gebaut. Der früher sehr armen, größtenteils wendischen Bevölkerung, die auf dürftigem Boden ein kärgliches Dasein fristete, ist durch diese industriellen Unternehmungen eine bessere Erwerbsquelle eröffnet worden, und Graf Arnim hat sich durch die wohlwollende und zielbewußte Verwaltung seines schönen Besitzes und durch die warme Fürsorge für alle Hilfsbedürftigen und Notleidenden das Vertrauen und die Dankbarkeit der gesamten Umgebung zu erwerben gewußt.
Der Graf, der seit 1886 dem Reichstag als Mitglied der Reichspartei angehört, widmet sich trotzdem der so großen Verwaltung mit regem Eifer. Wer immer auch das Glück hatte, in den mit wahrhaft künstlerischem Geschmack ausgestatteten Räumen des Schlosses im Kreis der gräflichen Familie weilen zu dürfen, bewundert neben der gediegenen Ausschmückung des inneren Schlosses, die nicht zum geringsten Teil ein Verdienst der kunstsinnigen Gemahlin des Grafen, einer geborenen Gräfin Bismarck-Bohlen, ist, auch die natürliche und ungesuchte Liebenswürdigkeit seiner gastfreundlichen Bewohner.
Der innere Schmuck der Räume gipfelt in der schönen prunkvollen Empfangshalle, die besonders des Abends zur vollen Geltung gelangt, wenn die vielen halb versteckten elektrischen Glühlampen – Schloß und Park sind durchweg elektrisch beleuchtet ihre Reflexe auf die ganze Fülle der Kunstgegenstände werfen, die diesen Raum zieren. Mit ihrem hellen Licht beleuchten sie die künstlerisch wertvolle Stuckdecke, auf der in schöner Freskomalerei die Wappen sämtlicher Besitzer von Muskau, vom sagenhaften Ditericus von Muskowe an, bis zu dem jetzigen Herrn auf Muskau, dem Grafen Arnim, verewigt sind.
Dieser Artikel von Chlodwig Graf zu Sayn-Wittgenstein erschien zuerst in Die Woche 52/1902.