Das neue Münchener Schauspielhaus

Das neue Münchener Schauspielhaus

Architekten: Heilmann & Littmann in München.
Im Kunstleben Münchens spielt das Münchener Schauspielhaus, eine Stätte zur Pflege der dramatischen Hervorbringungen, welchen die Hofbühnen aus diesen oder jenen Gründen ihre Pforten verschliessen müssen, nach wechselvollen Schicksalen heute eine einflussreiche Rolle.

Nachdem dasselbe mehrere Jahre hindurch auf Theatersäle angewiesen war, welche seinem vornehmsten Zwecke, der Pflege des das Pathos verschmähenden intimen Drama’s, nur wenig entsprachen, ergab sich, nachdem zugleich die materiellen Lebensbedingungen des Theaters eine Festigung erfahren hatten, die Möglichkeit, diesem eine seinen Zwecken wohl entsprechende, und wenn zunächst auch nicht eigene, so doch dauernde Stätte zu bereiten, als die Besitzer der „Riemerschmidhäuser“, einer an der Maximilianstrasse gelegenen und von der Hildegard-, der Kanal- und der Herrnstrasse umschlossenen Baugruppe, sich bereit erklärten, auf dem fast 2 Tagwerk oder rd. 6800 qm grossen Hinterland dieser Häusergruppe ein Theater zu erbauen und dasselbe auf eine Reihe von Jahren dem Schauspielhause pachtweise zu überlassen, Mit dem Entwurf und der Ausführung des Gebäudes wurde das Baugeschäft Heilmann & Littmann, G.m.b.H., in München betraut und auf Wunsch der Besitzer des Geländes dem Maler Richard Riemerschmid die dekoratiye Ausgestaltung des Hauses übertragen. Für den Entwurf war eine Besucherzahl des Theaters von nur 800 Personen zugrunde gelegt, weil die in dem Hause gepflegte Richtung des Drama’s eine grössere Zuschauermenge und grössere Räume ausschliesst. Theater mit dieser nur geringen Besucherzahl können in München schon in Strassen von nur 15 m Breite errichtet werden, umsomehr auf einem geräumigen Hinterlande, welches rings um das Haus noch einen freien Raum von durchschnittlich 25 m Breite übrig liess und welches mit den die Häusergruppe umziehenden Strassen durch insgesammt 13 Durchfahrten in Verbindung steht. Für das Haus selbst konnten alle die baupolizeilichen Erleichterungen gewährt werden, welche die in Bayern in Uebung befindliche, aber offiziell nicht anerkannte preussische Polizeiverordnung für die bauliche Anlage von Theatern, Zirkusgebäuden und öffentlichen Versammlungsräumen vom Jahre 1889 bez. 1891 gewährt.

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Was das Gebäude im Einzelnen anbelangt, so sei auf die diesem Aufsatze beigegebenen Abbildungen verwiesen. Die Eingänge zum Theater liegen in der Hauptstrasse, der Maximilianstrasse. Auf einen grossen, monumentalen Eingang verzichtete man als unvereinbar mit dem nur kleinen und einfach geschmückten Theater. Eine Kassenvorhalle mit zwei seitlichen Ausgängen, in der Höhe über dem Erdgeschoss liegen gelassen, verbindet das alte Vorderhaus mit dem Theater. Hinter ihr folgt das Foyer mit den Treppen zu dem einzigen Rang und den Umgängen mit Garderoben. Das Parkett steigt im Verhältniss von 1:14,7, ihm folgen, jedoch mit etwas geringerem Gefälle, die Garderobenräume. Die noch bestehenden Höhenunterschiede sind möglichst nicht durch Stufen, sondern durch schiefe Ebenen ausgeglichen. Stehplätze sind im Hause nicht vorhanden, Logenplätze nur am Proscenium und an der der Bühne gegenüber liegenden Seite des Ranges. Zu bemerken ist, dass Decke und Wandungen des Zuschauerraumes möglichst nieder und kurz gehalten sind, um den Raum klein und intim erscheinen zu lassen. Aus dem Längsschnitt ist ersichtlich, dass die Anlage der Ranglogen dazu benutzt wurde, den Saal künstlich zu verkürzen. So glaubten die Architekten den Forderungen des modernen Drama, „das nicht mehr auf ein jeden Raum erschütterndes Pathos, sondern auf die feinste und natürlichste Nüance des Dialoges ausgeht“, entgegenzukommen.

Grundrisse in Höhe des Erdgeschosses und des Ranges
Grundrisse in Höhe des Erdgeschosses und des Ranges
Längsschnitt
Längsschnitt

Das Haus fasst genau 727 Sitze, davon im Parkett 511 im Rang 152 Klappsitze und in den Logen 64 Stühle. Die Garderoben konnten so reichlich ausgebildet werden, dass für nur 13 Personen 1 lfd. m Garderobetisch zur Verfügung steht und auf 1 qm Bodenfläche vor den Garderoben nur 3,2 Besucher kommen. Das Bühnenhaus ist klein angelegt, es ist dabei aber doch auch mit der Möglichkeit gerechnet, dass die Wandlungen in der dramatischen Kunst wieder ein Repertoir hervorbringen könnten, welches grössere Anforderungen an die Bühne stellt. Deshalb wurde dem Proscenium auch ein versenktes Orchester vorgelegt, das einstweilen noch mit Sitzen bestellt ist.

Die Bühne besteht aus einer 19 m breiten und 8 m tiefen Vorder- und einer 13 m breiten und 6 m tiefen Hinterbühne. Die Maasse der Proceniums-Oeffnung sind 9,1:5,7 m. Die Raumvertheilung ist aus den Grundrissen ersichtlich; die im Gebäude fehlenden Verwaltungsräume sind im Erdgeschoss eines Hauses der Hildegardstrasse untergebracht, durch welches auch der Verkehr zum Bühnenhause stattfindet. Der westliche Theil des das Theater umgebenden Gartenlandes ist den Zwecken des Theaters vorbehalten.

Das neue Münchener Schauspielhaus. Ansicht des Foyers. - Architekt Rich. Riemerschmid in München
Das neue Münchener Schauspielhaus. Ansicht des Foyers. – Architekt Rich. Riemerschmid in München

Die Bauausführung schliesst sich den Münchener Verhältnissen an. Die Fundamente und das Kellermauerwerk wurden in Beton, das übrige Mauerwerk in Backstein hergestellt. Alle Zwischendecken sind Betondecken zwischen Eisenträgern, die Dachstühle sind aus Holz, erhielten aber im Zuschauerraum und auf der Bühne einen Schutz durch Rabitz- bezw. Monierdecken. Die Konstruktion des Balkons des I Ranges erfolgte nach den Berechnungen der Ingenieure Kerstan und Holtze (Firma F. S. Küstermann). Die Fussböden sind unten mit Linoleum, im Rang mit Eichenriemen bedeckt. Der innere Ausbau ist in dekorativer Beziehung das Werk Riemerschmids; unsere Abbildungen deuten ihn an, bei ihm ist indess die Mitwirkung der Farbe ein so wesentliches Element, dass die Ziele des eine künstlerische Sonderstellung beanspruchenden Urhebers aus den Abbildungen allein nicht voll gewürdigt werden können.

Bei den geringen Anforderungen, welche das moderne Drama an die Bühnentechnik stellt, konnte die Bühneneinrichtung sehr einfach gehalten werden. Sie wurde vom Eisenwerke München A.-G., vorm. Kiessling-Moradelli erstellt. Sämmtliche Konstruktionstheile sind aus Eisen, der Belag des Rollenbodens und der Gallerie aus Holz. Die Erwärmung des Hauses erfolgt durch eine Niederdruck-Dampfheizung von Rud. Otto Meyer in München. Die elektrische Beleuchtungsanlage, von der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft München ausgeführt, umfasst für das Zuschauerhaus 502 Glüh- und 6 Bogenlampen, für das Bühnenhaus 609 Glüh- und 2 Effektlampen. Die Elektrizität wird den städtischen Werken entnommen. Ein Stehle’scher Regenapparat schützt Schnürboden und Bühne gegen Feuersgefahr, welcher im übrigen sowohl in der Anlage des Gebäudes, wie in seiner konstruktiven Durchführung in weitgehendstem Maasse Rechnung getragen ist. Für die Errichtung des am 20. April eröffneten Theaters wurde eine Bauzeit von nur 10 Monaten und eine gesammte Bausumme von 380 000 M. beansprucht. Von letzterer entfallen bei 16 055 cbm Rauminhalt auf 1 cbm 23,67 M. und auf den Zuschauer 522,70 M.

Das neue Münchener Schauspielhaus
Das neue Münchener Schauspielhaus

An den Entwurfsarbeiten waren die Hrn. Arch. Franz Habich und F. Menz wesentlich betheiligt, Die Erd-, Maurer-, Betonirungs-, Rabitz-, Zimmer- und ein Theil der Schreiner-Arbeiten wurden von der Firma Heilmann & Littmann selbst ausgeführt, die Steinmetzarbeiten von Zwisler & Baumeister in Ulm, die übrigen Schreinerarbeiten durch eine Reihe Münchener Meister, darunter die „Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk“ und durch Billing & Zoller in Karlsruhe. An mehrere Münchener Firmen waren auch die Schlosser- und Kunstschmiede-Arbeiten übertragen; die Spängler-, Dachdecker- und Kupfer-Arbeiten an Joh. Schneider, die Glaserarbeiten und Spiegel an Lutz, Weiss & Engelhardt und Gebr. Seligmann. Die Stuckarbeiten hatten Maile & Blersch, die Parkettarbeiten J. Hartmann, die Beläge in Holz und mit Wandplatten Kaffel, Hofmann und Odorico. Die Malerarbeiten besorgte Eschle, die Beleuchtungskörper lieferten C. Kramme in Berlin, die Allg. Elektr.-Ges. in München, Steinicken & Lohr und Schwarz & Weigl, das Linoleum Fischer & Sohn, die Stoffe Bernheimer, die Stühle Gebr. Thonet. Die Wasseranlage erstellte Joh. Schneider, die elektr. Anlagen für den Nachrichtendienst Böttcher & Quark –

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.05.1901 in der Deutsche Bauzeitung.