Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München

Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München

Architekt: Prof. Emanuel Seidl in München. Vor Jahresfrist etwa ist zu den Ausschankstätten der grossen Münchener Brauereien von Weltruf, welche die südliche Seite der Neuhauser Strasse dort einsäumen, nach den Entwürfen des Hrn. Prof. Emanuel Seidl in München ein neuer Ausschank von charakteristischem künstlerischem Gepräge getreten.

Der Aufwand, mit welchem die Münchener Grossbrauereien ihre Ausschankstätten wieder oder neu errichten – in letzter Beziehung wird für das Augustinerbräu und für unsere Zeitung später auch der Berliner Ausschank zu würdigen sein, welcher, nach den Entwürfen der Architekten und kgl. Bauräthe Kayser und v. Groszheim errichtet, zur Jahreswende in der Friedrichstrasse dem Betrieb geöffnet wurde – spiegelt deutlich die schnell aufsteigende Entwicklung wieder, welche dieser vorwiegend süddeutsche Gewerbebetrieb im Laufe von nur wenigen Jahrzehnten durchgemacht hat. Insbesondere die Augustiner-Brauerei, welche 1803 gegründet wurde, lasst durch ihre prächtigen Bauwerke das Aufsteigen zu der heutigen Bedeutung in dem Zeitraume von nicht ganz einem Jahrhundert erkennen und es verdient volle Anerkennung, dass wie ihr Besitzer so auch die Besitzer der Grossbrauereien im allgemeinen bereit sind, von ihrem grossen Gewinne auch der wirklichen Kunst einen ansehnlichen Bruchtheil zukommen zu lassen. Es geschieht das infolge der klugen Erwägung, dass auch der materielle Genuss sich gern in Gemeinschaft mit einem nicht alltäglichen künstlerischen Genuss befindet und dass diese Gemeinschaft sowohl auf den Mann aus dem Volke wie auch auf den sogenannten gebildeten Mann seine Wirkung ausübt, in den meisten Fällen vielleicht unbewusst, da beide sich kaum Rechenschaft über die Gründe dieses Einflusses ablegen können oder wollen, in nicht wenigen Fällen aber auch bewusst. Dieser unwägbare aber gleichwohl festzustellende Einfluss und nicht in erster Linie das gegenseitige Ueberbieten an äusserem Ausdruck der wirthschaftlichen Machtfülle ist es somit, welcher der Kunst ihren Antheil an dem Aufblühen des Brauereigewerbes in München und in Süddeutschland in weiterem Sinne verschafft hat und welcher dieses in einen so erfreulichen Gegensatz zu unseren nordischen Brauereibetrieben bringt.

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Der neue Ausschank des Münchener Augustiner ist, wie die Grundrisse zeigen, auf einer sehr unregelmässigen Baustelle errichtet worden und zerfällt in zwei grundsätzlich getrennte Theile, in das „Restaurant“ für die Bevölkerungskreise, welche sich für die besseren halten, und in die sogenannte „Schwemme“ für die Schichten der Durstigen, welche für ihre Person diesen Anspruch nicht erheben. Diese Theilung ist eine in Süddeutschland häufig wiederkehrende und wie man weiss, ist sie sogar in dem bis dahin demokratischesten aller Bierhäuser, im Hofbräuhaus zu München, zur Anwendung gekommen.

Der Wintergarten
Der Wintergarten

Die Zweitheilung kommt auch im Aufbau zur Wirkung und wenn es auch wohl möglich, sogar wahrscheinlich ist, dass hierbei gegebenenfalles noch andere, z. B. Gründe einer getheilten Grundstücksverwerthung mitspielen, so: ist gleichwohl das soziale Moment das bestimmende für die Trennung. Daraus ergaben sich für die Lage der Wirthschaftsräume, welche zugleich auch dem „Hof“ der Schwemme und dem „Methgarten“ des Restaurants zu dienen haben, eine Reihe nicht leicht zu erfüllender Bedingungen. Wie sie in ihrer Lage in geschickter Weise dem Betriebe angepasst sind, darüber legen die Grundrisse Rechenschaft ab.

Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München - Grundriss
Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München – Grundriss

Die sehr geräumige Küche liegt, zusammen mit der Spülküche und mit dem Schlachthaus, im Kellergeschoss, welches in seinen vorderen Räumen die Wirthschaftskeller für den Ausschank und die Wohnungskeller für die oberen Stockwerke, in seinen hinteren Räumen die Maschinenanlage mit Kesselraum enthält. Auf den geschickt und mit der Absicht der Erzielung malerischer Raumgestaltungen getheilten Erdgeschoss-Grundriss einzugehen, erübrigt bei der klaren und übersichtlichen Raumbezeichnung und es darf daher nur noch erwähnt werden, dass das erste Obergeschoss in seinen hinteren Theilen zwei grössere Säle und Kneipräume für den Wirthschaftsbetrieb enthält, während der vordere Theil des Grundrisses in je 2 Wohnungen getheilt ist, und dass diese Theilung sich durch die übrigen drei Geschosse fortsetzt. Bemerkenswerth sind dabei die geräumigen Vorräume der einzelnen Wohnungen und die stattliche, durch ein grosses Oberlicht beleuchtete und durch einen besonderen Hauseingang zugängliche kreisrunde Haupttreppe, deren Lage im Mittelpunkte der vorderen Raumgruppe eine gute und wohlerwogene ist und die Gruppirung nicht unwesentlich beeinflusst hat. Im übrigen liegt der Schwerpunkt des schönen Baues in seiner künstlerischen Durchbildung, auf welche wir in unserem Schlussaufsatze etwas näher eingehen werden. (Schluss folgt)

Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München – Schluss.

Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München
Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München

Die künstlerische Gestaltung des Münchener Augustiner bietet keine neuen Offenbarungen im Sinne derjenigen, welche der künstlerischen Thätigkeit die Möglichkeit und Macht zutrauen, ohne Rücksicht auf die Einflüsse, welche aus Ueberlieferung und Umgebung hervorgehen, Werke zu schaffen, die den Stempel unbedingter Neuheit an sich tragen. Es steht ausser Zweifel, dass solche Erwartungen in fast allen Fällen auf Selbsttäuschung beruhen, dass es bei den meisten dieser Erwartung scheinbar entsprechenden Werken möglich ist, die einflussreichen Vorstufen und die bestimmenden Einwirkungen der Umgebung festzustellen und dass es da, wo dieses nicht gelingt, gleichwohl nicht zutreffend ist, jene Einwirkungen deshalb schlechtweg zu leugnen, weil sie zufällig nicht nachweisbar sind. Es wird daher vielfach möglich sein, in der Bewegung, welche sich nicht ohne ein stattliches Maass von Selbstgefühl die moderne nennt und jeden Zusammenhang mit der Vergangenheit oder mit dem sonst Bestehenden in Abrede stellt, Beziehungen hier und Beziehungen da nachzuweisen. Wir befinden uns somit einer Kunstbewegung gegenüber, welche die Fahne der Unabhängigkeit mit Unrecht führt, weil ein solches Loslösen von aller Gemeinschaft unmöglich ist, welche sich aber trotzdem in einen scharfen Gegensatz gestellt hat zu jener Kunstbewegung, welche freimüthig bekennt, der Ueberlieferung ihre zweifellosen Rechte nicht schmälern zu wollen und die lediglich darauf aus ist, dem natürlichen Fortschritt der Dinge soweit gerecht zu werden, als sie nach Vertiefung und nach Verinnerlichung des künstlerischen Eindruckes trachtet.

Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München
Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München

Dieser Bewegung huldigt in München eine einflussreiche und weithin beachtete Künstlergruppe, innerhalb deren Emanuel Seidl eine selbstständige Stellung einnimmt. Seit Jahrzehnten ist es das tief gefühlte Bedürfniss dieser Gruppe gewesen, die Vorarbeiten früherer Zeiten zu achten, aber sie mit anderen Augen anzusehen, den Dingen in die Tiefe und auf den Grund zu blicken, anstelle empfindungsloser Flachheiten und äusserlicher Feinheiten den Ausdruck eines tieferen Seelenlebens treten zu lassen und die handwerksmässige Routine mit ihrer schablonenhaften Manier mit frischer Ursprünglichkeit zu vertauschen und sie durch lebenswarme Auffassung zu ersetzen. Man trachtet danach, auch der anscheinend starren Baukunst einen wirklichen, einen seelenvollen Inhalt zu geben, ihr die Heimath zurückzubringen, die sie oft verloren hatte und an die Stelle eines kunstvoll aber verstandesmässig aufgebauten Gerüstes von abstrakten Regeln und Gesetzen jenes Gemisch deutscher Aufrichtigkeit, deutscher Laune und eines eingestandenen Hanges zur Träumerei im besten Sinne des Wortes zu setzen, welches das deutsche Kunstwerk von jeher ausgezeichnet hat. Alles das geschieht ohne viel Aufsehen, ohne viel Erregung, in jener gleichmässigen Gemüthsbewegung, welche ein Theil des Charakterbildes des deutschen Künstlers ist, der nicht in der Fremde sein Heimathsgefühl eingebüsst hat und in ihr verbildet wurde.

Man betrachte zum Beispiel den Aufriss der Vorderansicht des Augustiners. Keine auffallende Theilung, keine ungewöhnliche Zusammenziehung der Massen und der Oeffnungen, kein grosses Gerüst architektonischer Kunstformen, nichts Vorgeblendetes und nichts Eingebildetes, sondern der treue Ausdruck des inneren Bedürfnisses, welcher zu einer so bescheidenen Wirkung kommt, dass der gewiss nicht ungewöhnliche Erker, welcher die Gleichmässigkeit der rechten Fassadenhälfte unterbricht, eine Bedeutung erlangt, die ihm kaum zukommen würde, befände er sich in einer anderen Umgebung. Es verbindet sich mit dem Schaffen von innen nach aussen auch eine weise Sparsamkeit in den architektonischen Ausdrucksmitteln, welche vielleicht dazu geführt hätte der Fassade jenes Gepräge alltäglichen Wohnhauscharakters zu geben, wenn nicht der Künstler Seidl mit seiner lebensvollen Kleinarbeit den Stift geführt hätte. Diese ist es, welche das Werk heraushebt und zu einem so eigenartigen macht, dass es sich an der Neuhauser Strasse mit Ehren behauptet.

Auch da, wo ein festlicher Ton angeschlagen ist, wie in dem zumtheil auf italienischen Erinnerungen fussenden „Methgarten“, ist es die künstlerische Kleinarbeit, welche der architektonischen Gestaltung lebensvolle Elemente zugeführt hat. Das kommt auch in dem prächtigen Wintergarten zur Geltung, welcher im Erdgeschoss die vorderen Wirthschaftsräume von den hinteren trennt. Gleich wie im Aeusseren, so befindet sich auch hier kein Motiv, welches als unbedingt neu angesprochen werden könnte, und doch wirken die Bildungen eigenartig und frisch, weil sie mit einem warmen Strom persönlichen Lebens durchtränkt sind. Die übrigen Innenräume, die Wirthschaftsräume des Erdgeschosses und die Säle des Obergeschosses zeigen in der architektonischen Durchbildung den sympathischen Wechsel satter, tiefer Holzvertäfelung und Holzdecken mit weissen, bisweilen durch aufgetragene Reliefs belebten Wandflächen.

Der Methgarten
Der Methgarten

Der Farbe im eigentlichen Sinne ist bei dem Ganzen eine nur beschränkte Mitwirkung eingeräumt, z. B. bei dem oberen Saal, bei dem Methgarten, im Wintergarten und als sparsame Vergoldung an der Fassade. Was Seidl wollte und erreicht hat, das ist eine leidenschaftslose und gemüthvolle Einwirkung auf den, der aus dem Geräusch der Werkstatt, aus der Enge der Studirstube, aus den idealen Höhen der Kunst oder aus dem lauten Getriebe der Strasse sich in eine stille Ecke flüchten will, um hier des irdischen Leibes Nothdurft Genüge zu thun. Es durchweht das Werk ein treuherziger Volkston, eine sorglose Heiterkeit, eine künstlerische Ehrlichkeit, ein starkes Heimathsgefühl, ein Humor ohne Schärfe und eine unverdorbene Phantasie; und in dieser Vereinigung entspricht es seinem materiellen Zweck in einem, wenn der Ausdruck gestattet ist, höheren Maasse, als das Bierhaus gemeinhin.

Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München
Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München
Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München
Der Augustiner-Bräu-Ausschank in München

Es sind keineswegs verlorene wirthschaftliche Werthe, welche da festgelegt sind, wo die reale Seite der Lebensführung in ihre Rechte tritt. Diese künstlerischen Werthe sind aber nur dann nicht verloren, wenn sie von Urhebern ausgehen, deren Seelentiefe und Gemüthsbildung eine so starke ist, dass sie die nackte Verstandesthätigkeit in die richtigen Grenzen zurückzudrängen weiss. Denn zu keiner Zeit ist die wahre Kunst dem Gehirn oder der Spekulation entsprungen, das zeigt uns täglich der Kreis Münchener Künstler, welchem Emanuel Seidl als ein hervorragendes Mitglied angehört, und auch Pallas Athene entsprang dem gespaltenen Haupte des Zeus mit der kunstfeindlichen Lanze und war erst im übertragenen Wirkungskreise die Beschützerin der Künste.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Deutsche Bauzeitung vom 18. & 25.02.1899, er war gekennzeichnet mit „H.“.