Der Haushalt der Zukunft

Ein Kapitel für unsere Frauen. Von Wilh. Wetekamp, Leiter des Werner-Siemens Realgymnasiums.

(Schöneberg b. Berlin.) Unsere Zeit ist in technischer Hinsicht weit vorgeschritten, und überall werden die technischen Fortschritte eifrig dazu benutzt, neue Erwerbsquellen aufzufinden und die alten ergiebiger zu gestalten. Aber es scheint fast, als ob dadurch das Interesse für ein anderes Gebiet, das der täglichen Haushaltsführung, ganz abhanden gekommen wäre; diese ist im Grunde genommen auf demselben Standpunkt stehen geblieben wie zu Großmutters Zeiten. Die wunderliche Tatsache, daß dieser Zustand so wenigen zum Bewußtsein kommt, läßt sich nur so erklären, daß wir alle uns von Kindheit an vertrauten Erscheinungen und Vorgänge als selbstverständlich und unwandelbar betrachten.

Die jetzige Haushaltsführung beginnt mit der Wohnungssuche. – Tage-, wochen-, ja monatelang laufen wir treppauf, treppab, um eine uns zusagende Wohnung zu finden, und sind wir endlich am Ziel, so entdecken wir binnen kurzem an ihr einen Fehler nach dem andern, die uns die Wohnung wieder verleiden. Das Spiel der Wohnungssuche beginnt von neuem, und so geht es das ganze Leben hindurch. Vielleicht hätte man besser getan, die Kosten für die Umzüge der Miete zuzulegen und eine bessere Wohnung auf längere Dauer zu nehmen. Schlimmer aber noch als mit der Wohnung steht es mit der eigentlichen Haushaltsführung – viel schlimmer, da es sich um größere Summen handelt, um Verhältnisse, die wichtiger sind als die Wohnung an und für sich.

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Da ist zunächst die leidige Dienstbotenfrage!

Wie viele Angehörige der Mittelklassen machen es sich klar, daß das Halten von Dienstboten ein Luxus ist, der 1/4 bis 1/5 des Einkommens verschlingt. Dabei wird es immer schwerer, überhaupt Dienstboten zu bekommen, da das gebundene Leben der Dienstboten in zu großem Kontrast zum herrschenden Freiheitsdrang sieht. Die Folge hiervon sind höhere Lohnforderungen bei geringeren Leistungen. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß auch die Tüchtigkeit der Hausfrauen in der äußeren Haushaltsführung bei den außerordentlich viel größeren Anforderungen, die heute an ihre sonstige Ausbildung gestellt werden müssen, naturnotwendig abnehmen muß.

Und nun die volkswirtschaftliche Seite der Frage! Gehen wir einmal in die Markthalle. Dutzende von Hausfrauen und Dienstmädchen vergeuden ihre Zeit damit, den Markt abzulaufen, um ohne besondere Sachkunde ihre Waren einzukaufen. Einige wenige Sachkundige würden in kürzerer Zeit dieselben Einkäufe machen können und zu billigeren Preisen. Es ist unglaublich, wie viel Zeit und Arbeit hier nutzlos vergeudet wird.

Dieselbe unwirtschaftliche Zersplitterung finden wir in den Haushaltungen selbst.

Man werfe nur einmal den Blick auf den Betrieb in einem Haus von etwa zehn Familien. Man denke nur an alle die vielen gleichartigen Verrichtungen, die gleichzeitig ausgeübt werden, und man wird zugestehen müssen, daß zehn Küchen mit zehn Kochöfen und zehn Mädchen usw. etwas unpraktisch sind, und daß vier bis fünf Mädchen bequem die gleiche Arbeit leisten würden, wenn diese praktisch verteilt wäre.

Die zehn Mädchen haben im Winter – vielleicht noch unter Beihilfe der Hausfrauen – die mehrfache Zahl der Oefen zu versorgen. Ein einziger Arbeiter im Keller kann sie alle ersetzen, wenn eine Zentralheizung vorhanden ist. Damit wäre auch die Hauptquelle für den Staub, über den ja so viel geklagt wird, beseitigt. Und wie steht es mit der Entfernung des Staubs? Er wird an einer Stelle aufgewirbelt, um sich anderswo niederzusetzen. Auch hier läßt sich bei gemeinsamem Betrieb wirkliche Abhilfe schaffen. Freilich gibt es auch jetzt schon Häuser mit Zentralheizung und Staubabsaugung, aber doch nur für sehr begüterte Leute.

Aber, sagt man, eine eigene Küche ist doch so etwas Gemũtliches! Das klingt sehr schön, ist es aber in Wirklichkeit auch so? Ist es gemütlich, daß gleich neben unsern Wohnräumen eine Werkstatt oder ein Laboratorium für Speisenbereitung liegt? Ist der Geruch der Kohlarten angenehm? Ist der Bratengeruch vom Nachbar gemütlich? Ist es uns angenehm, in einem Restaurant zu sitzen, wo es nach Speisen riecht? Trägt der beim Aufwaschen entstehende Geruch, der des Gases usw. zur Gemütlichkeit bei? Ja, dann ist auch wohl Ofen- und Petroleumgeruch gemütlich?

Kommen heute Gäste, so sehen wir die Hausfrau beständig zwischen Zimmer und Küche einherpendeln, nur damit die Gäste etwas zu essen bekommen. Ist das gemütlich?

Nein! Unser Heim sollte eine Stätte sein, wo wir alle Familie und Gäste – nach des Tages Arbeit in Gedankenaustausch usw. uns ausruhen und erholen können, und nicht eine – Speisebereitungsanstalt.

Aber was soll die Frau mit ihrer Zeit anfangen, wenn sie nichts mehr mit der Speisebereitung zu tun hat? Nun, einmal gibt es genug Frauen, die selbst durch ihre Arbeit für den Lebensunterhalt sorgen müssen und nicht Zeit haben, sich um die Küche zu kümmern, und ferner gibt es auch solche, die krank oder zu schwächlich sind, um es zu tun.

Aber selbst wenn die eine oder die andere Frau nicht genügend Beschäftigung im Hause fände, so hätte sie Gelegenheit genug, an den sozialen Bestrebungen mitzuarbeiten, wo es leider noch sehr an Kräften fehlt. Und es gibt doch auch noch genug andere Betätigungen im Haushalt als gerade das Kochen, durch die die Hausfrau segensreich wirken kann, und wenn sie dabei Zeit behält, sich geistig weiter zu entwickeln und sich in die Interessensphäre des Mannes ein zuarbeiten, so kann das für das Glück der Ehe nur förderlich sein.

Vor allem aber sollte für die Frau doch Zeit geschaffen werden, damit sie sich, der Erziehung der Kinder im Hauptamt und nicht so nebenher widmen könnte. Sie ist doch wahrhaftig mehr zur Mutter als zur Köchin von der Natur bestimmt, und jeder vernünftig denkende Mensch muß es für ratsamer halten, lieber die Bereitung der Speisen als die Pflege und Erziehung des Wertvollsten, das wir haben, in fremde Hände zu legen.

Sollen sich also die Familien in das Restaurant begeben, um zu essen? Das käme teuer zu stehen und wäre außerdem, besonders wenn Kinder vorhanden sind, sehr unbequem und ungemütlich.

Eine Besserung der Verhältnisse kann nur eintreten, wenn die Haushaltsführung mit der Angliederung der Wohnungen an eine Zentralküche rechnen kann. Daß dieser Weg praktisch gangbar ist, beweist das von Direktor Fick in Kopenhagen ins Leben gerufene “Centralbygning”, das seit einiger Zeit funktioniert und im besonderen dartut, daß bei vollständiger Wahrung des eigenen “Heims” die ganze Lebensführung sich verbilligt und die Frau die nötige Zeit erübrigen kann, um an der eigenen Fortbildung zu arbeiten und sich in genügender Weise der Erziehung der Kinder zu widmen.

Bei der Schilderung obiger Verhältnisse und Beantwortung der Frage: wie läßt sich nun eine solche Einrichtung ins Leben rufen? folge ich den Mitteilungen, die der genannte dänische Vorkämpfer für den gemeinsamen Haushaltsbetrieb in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt hat.

Der einfachste Weg wäre der, daß sich eine Anzahl Familien zusammentun, um auf gemeinsame Kosten ein Gebäude zu errichten, Hilfskräfte zu engagieren usw. Da würde aber wohl bald ein Chaos herauskommen, denn “eine Anzahl Familien” kann nicht verwalten. Soll aus der Sache etwas werden, so muß sie in die Hände einer Person oder einer Gesellschaft gelegt werden, die sich mit voller Hingebung der Sache widmen kann. Ist die nötige Zahl der Interessenten gefunden, so hat nach Fertigstellung des Hauses jeder Beitragszeichner das Recht auf eine Wohnung zum berechneten Mietpreis; er kann aber auch seine Rechte und Pflichten an andere abtreten. Die Bewohner sind Interessenten, aber nicht Mitbesitzer.

Nun einiges über die Einrichtung des Hauses und das Leben in ihm: Die Küche befindet sich im Keller oder vielleicht besser im obersten Stock und ist mit den einzelnen Speisezimmern durch Aufzüge für die Speisen und durch Hörrohre oder Telephone verbunden. Da hierdurch der Raum für die Küche und außerdem ein besonderer Dienstbotenraum erübrigt werden, so ergibt sich daraus besonders für Mittelwohnungen eine große Ersparnis. Die Küche wird von einem Küchenchef verwaltet, der bei Stellung einer Kaution die Verantwortung hat für Einkäufe, Speisebereitung, Reinigung des Porzellans usw.

Jede Familie gibt der Küche die Zahl der täglich speisenden Personen, die Zeit und die Gerichte an, die sie nicht aufgetischt haben will. Der Preis ist so berechnet, daß für eine Person verhältnismäßig mehr bezahlt wird als für zwei, für zwei mehr als für drei usw. Außergewöhnliche Lieferungen müssen schriftlich – der Rechnungslegung wegen gestellt werden; der Mieter behält einen Kontrollzettel. Die Verrechnung geschieht monatlich.

Hat der Mieter Gäste, so können diese an der regelmäßigen Mahlzeit teilnehmen, oder der Mieter gibt in der Küche an, welche Gerichte, Weine usw. er besonders wünscht.

Das Service liefert der Eigentümer, nicht aber das Tischzeug.

Der Eigentümer muß alle beschwerlicheren Hausarbeiten besorgen lassen, wie Reinhalten der Treppen, Fensterputzen, Staubabsaugen aus Möbeln und Teppichen, Schuhputzen usw., so daß also für die Bewohner nur die Reinhaltung der Wohnung zu besorgen bleibt. In jeder Wohnung befindet sich ein Bad mit warmem und kaltem Wasser. Beleuchtung wird nach Verbrauch bezahlt.

Wenn am Schluß des Jahres alle Ausgaben gedeckt sind, wird der Ueberschuß nach Abzug der Gewinnquote für den Eigentümer (die Gesellschaft) und der Tantieme für das Personal pro Rata an die Mieter verteilt. Die Mieter haben das Recht, jederzeit durch einen Vertrauensmann die Rechnungslegung prüfen zu lassen, wie sie auch selbstverständlich am Ende des Jahres einen Rechnungsauszug erhalten. Beglich eines Eigentumswechsels sind den Mietern genügende Rechte gesichert.

Als praktisch dürfte es sich erweisen, daß man versucht, für jedes “Zentralgebäude” möglichst gleichartige Mieter zu bekommen, also entweder Familien mit oder ohne Kinder, ältere, einzelstehende Herren und Damen usw. Dabei ist darauf zu halten, daß stets Wohnungen in verschiedener Größe: 1, 2, 3 usw. Zimmer vorhanden sind.

Wenn man nun einmal davon absehen will, daß es sich hier um eine neue Art zu leben handelt, so wird man mir doch sicher zugestehen müssen, daß eine Wohnung in einen solchen Hause viel mehr Aussicht auf Behaglichkeit bietet al die sonst übliche. Hier gibt es keine Dienstboten- und Küchensorgen, und was am schwersten wiegt: man weiß bestimmt daß man für Wohnung und Haushalt nicht das geringste mehr bezahlt, als es wirklich wert ist, und daß es weniger kostet, als jetzt gang und gäbe ist, da einerseits alles im großen eingekauft und anderseits an Personal und Raum gespart wird, Anlage und Betrieb sich also billiger stellen.

Dabei hat man Ruhe und Frieden im Hause, die Hausfrau gewinnt Zeit, ihre Kräfte nach ihren Neigungen zu verwenden, und ist nicht in Gefahr, Nörgeleien über die Mahlzeiten hören zu müssen, und der Mann kann viel besser als bisher seine Ausgaben im voraus berechnen.

Wenn man nun außerdem bedenkt, daß alles das mit den alltäglichsten Mitteln erreicht werden kann, so wird man mir wohl recht geben, wenn ich die neue Haushaltsführung als billiger und besser bezeichne.

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche. Der Originalartikel war ohne Bild, das hier gezeigte Bild ist ein Beispielbild ohne direkten Bezug zum Artikel.