Die Blumenuhr

Eine wenigstens dem Namen nach bekannte Pflanze ist die „Königin der Nacht“, ein kletternder Kaktus, der seine riesigen Blumen zwei Stunden vor Mitternacht öffnet und bereits vier Stunden später schließt, um sie nie wieder zu öffnen.

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Dieser Fall dürfte wohl der bekannteste sein, daß das Oeffnen und Schließen der Blumen an eine ganz bestimmte Stunde gebunden ist. Besitzer von Gärten wissen freilich, daß auch andere Blumen nicht Tag und Nacht geöffnet sind, sondern eine gewisse Periodizität erkennen lassen. Wer z. B. in seinem Garten im Frühjahr ein Beet schöner, scharlachroter Due van Tholl-Tulpen hat, der hat gewiß schon die Erfahrung gemacht, daß bei schönem Wetter diese Tulpen am Vormittag prächtig geöffnet sind, daß er aber seine Freunde noch vor drei Uhr zu sich bitten muß, wenn sie die Tulpen in voller Glorie sehen wollen, weil sie sich zwischen drei und vier Uhr wieder schließen. Später blühende Tulpen öffnen sich zum Teil noch viel später im Laufe des Tags.

1. Die japanische Rose (Rosa rugosa)

Wer erst einmal auf die Erscheinung aufmerksam geworden ist der wird nicht nur im Garten, sondern auch auf Feld und Wiese, am Weg und Rain Blumen finden, die nur zu ganz bestimmten Stunden des Tages blühen, d. h. ihre Blumen weit geöffnet haben, und er wird aus dem jeweiligen Flor auch ohne Hilfe eines Chronometers in der Tasche die Tageszeit ziemlich genau bestimmen können. Dann gibt’s noch eine Gruppe von Pflanzen, die den Beobachter arg verieren können. Sie öffnen sich z. B. des Morgens zu bestimmter Stunde und schließen sich des Abends. Kommt man am nächsten Vormittag zu ihnen, so sind sie wieder pünktlich zur Stelle; nachmittags aber, noch lange bevor die Sonne zu Rüste geht, klappen sie zusammen und fallen ab. Endlich sind noch jene zahlreichen Blumen auszuschließen, die wetterwendisch im eigentlichen Sinn des Wortes sind. Sie öffnen sich bei Sonnenschein und blühen bestimmte Zeit, wenn es warm und ruhig ist; kommt aber ein Regen, so schließen sie sich schleunigst, und regnet’s am nächsten Tag auch noch so wartet man vergeblich daß sie sich öffnen sollen.

1. Die japanische Rose morgens um 8 Uhr

Abgesehen von allen diesen Ausnahmen, die allerdings die Mehrheit bilden, gibt es nun noch Blumen, die man als die soliden, ehrbaren, zuverlässigen, fast möchte man sagen pedantischen bezeichnen kann; sie öffnen sich zu bestimmter Stunde und schließen sich zu bestimmter Stunde. Der einzige Anspruch, den sie machen, ist leidlich gutes Wetter; bei Regenwetter versagen auch sie. Unsere Abbildungen führen eine ganze Anzahl solcher pünktlicher Blumen vor, und wir sehen aus ihnen ganz deutlich, wie sie sich ohne Unterschied im Lauf des Tags verändern.

Will man sich im Garten eine Blumenuhr anlegen, so muß man noch darauf achten, daß die Pflanzen, die dazu verwendet werden, auch in der gleichen Jahreszeit blühen. Denn eine Blumenuhr, die im April die eine Stunde, im Mai die andere, im Juni wieder eine andere anzeigt, hat offenbar nicht viel Zweck.

2. Kartoffelblüte um 3 Uhr

Die Idee einer echten Blumenuhr ging von C. von Linne aus, der nicht nur, wie kein anderer vor ihm, die Pflanzen zu beschreiben und zu benennen verstand, sondern auch mit klarem, aufmerksamem Blick in die Lebensgewohnheiten der Pflanzen eindrang und sich in das Studium ihrer Beziehungen zur Außenwelt vertiefte. Ihm folgten der Engländer Pultenay, der Franzose Adanfon, der Wiener Lipp und der Holländer Gorter. Ausführlich beschäftigt sich dann Anton von Kerner, der bedeutende Wiener Botaniker, mit der Frage, und ganz neuerdings ist eine echte Blumenuhr im neuen Botanischen Garten in Dahlem bei Berlin aufgepflanzt worden.

2. Kartoffelblüte vormittags um 11 Uhr

Während Gorter eine Anpflanzung zu beiden Seiten eines geraden Wegs vorschlägt, derart, daß auf der einen Seite die in den Vormittagsstunden aufblühenden Arten, auf der gegenüberliegenden Seile die in den Nachmittagsstunden sich schließenden Arten stehen, sind in dem Dahlemer Botanischen Garten die Arten ringförmig um einen kreisförmigen Sitzplatz gepflanzt. Dabei wurde die Auswahl so getroffen, daß für jede Stunde immer mehrere Arten, die in den verschiedenen Monaten blühen, zusammengepflanzt wurden, so daß die Blumenuhr wenigstens für eine Anzahl Monate die Stundenzeit angibt. Hier, wo es zugleich darauf ankam, zu belehren, wurden auf besonderen Etiketten bei jeder einzelnen Art nicht nur der Name, sondern auch der Monat und die Stunden des Aufblühens und Sichschließens der Blüten angegeben. Leider hat diese Anpflanzungsweise den Nachteil, daß eine solche Blumenuhr niemals sehr sauber aussieht. Namentlich im Hochsommer und gegen den Herbst hin fehlen dann viele Pflanzen, die ihren Lebenszyklus abgeschlossen haben.

3. Eschscholtzia californica morgens 8 1/2 Uhr

Der Privatmann, der in seinem Garten eine Blumenuhr anlegen will, wird deshalb am besten tun, wenn er die Pflanzen nach der Stundenzahl des Auf- und Verblühens in Zwischenräumen längs eines Wegs etwa vor das Gebüsch pflanzt, so daß dann fehlende Pflanzen nicht so sehr auffallen. Wie unsere Abbildungen zeigen, lassen sich auf diese Weise auch Gehölze mit in die Blumenuhr einbeziehen. So läßt sich dann auch die Blumenuhr für eine längere Zeit des Jahrs beobachten.

3. Eschscholtzia californica morgens 9 1/4 Uhr

Eine der ersten Blumen, die sich öffnen, ist der Wiesenbocksbart, Tragopogon pratense, denn seine Blumen öffnen sich im Juli schon zwischen 3 und 5 Uhr. Zwischen 4 und 5 entfalten sich im Juni die Blumen der Rosa arvensis zwischen 5 und 6 im gleichen Monat die der Rosa rubiginosa, im Juli die des schwarzen Nachtschatten, Solanum unigrum. Zwischen 6 und ⁊ Uhr erwacht dann eine größere Zahl von Blumen, im Juni Sonchus oleraceus und der Löwenzahn, Taraxacum officinale, im Juli die japanische Rosa rugosa (s. Abb. 1) die Zichorie, die Kartoffel (s. Abb. 2), der großblumige Lein, Linum grandiflorum, der scharfe Hahnenfuß, Ranunculus acer, die gemeine Milche, Lampsana communis. und andere mehr, im August Lactuca perennis.

4. Caledula officinalis nachmittags 4 Uhr

Besonders frappant ist Linum grandiflorum. Binnen einer halben Stunde ist der unscheinbar aussehende Busch in ein dichtes, blutrotes Blumenkleid gehüllt. Zwischen 7 und 8 Uhr erwacht im Mai der stengellose Enzian, Gentiana acaulis, im Juni Hypochoeris maculata, im Juli die schöne Campanula Trachelium, das kleine Habichtskraut, Hieracium Pilosella, die prächtige Specularia Speculum, im August die stengellose Wetterdistel, Carlina acaulis, und die Ackerdistel, Sonchus arvensis, sowie die weiße Seerose, Nyphaea alba. Zwischen 8 und 9 erscheinen im April das Frühlings-Adonisröschen, Adonis vernalis und lsopyrum thalictroides, im Juni das Alpensonnenröschen, Helianthemum alpestre, im Juli der Kreuzenzian, Gentiana cruciata, im August Salat, im September der Kohl. Zwischen 9 und 10 Uhr öffnen sich im März der gelbe Krokus, der Winterling, das Frühlingshungerblümchen, im April die blauen Leberblümchen und das Buschwindröschen, der Sauerklee und der Huflattich, im Mai die Waldtulpe, Tulipa silvestris, und der Gamander Ehrenpreis, im Juni und Juli die Eschscholtzia californica (Abb. 5), im August Calendula officinalis (Abb. 4), im September die Herbstzeitlose. Zwischen 10 und 11 öffnen sich nur noch wenige Blumen, im März die große und die Frühlingsküchenschelle, Anemone Pulsatilla und Anemone vernalis. im Juli Abutilon Avicennae und im August das schöne Tausendgüldenkraut Erythraen pulchella. Dagegen schließen sich jetzt schon die Blütenkörbchen der gemeinen Milche. Zwischen 11 und 12 Uhr öffnen sich im Juli das Mittagskraut, Mesembryanthemum erystallinum, und die Giftbeere, Nicandra physaloides, im Oktober die schöne, bis in den Dezember hinein gelb blühende Sternbergia lutea.

4. Caledula officinalis nachmittags 5 Uhr

Nun tritt in der Blumenöffnungsfolge eine mehrere Stunden dauernde Pause ein, so daß wir an unserer Blumenuhr die Stunden bis gegen 6 Uhr nur an sich schließenden Blumen ablesen können. Zwischen 12 und 1 Uhr schließt sich im August die Ackerdistel, Sonchus arvensis, zwischen 1 und 2 im Juli das kleine Habichtskraut, Hieracium Pilosella und Sonchus oleraceus, im August der Salat, zwischen 2 und 3 im Juni der Löwenzahn, im Juli die Kartoffel, im August die Zichorie, zwischen 3 und 4 im Juni das Alpensonnenröschen, im Juli Eschscholtzia californica, die Giftbeere und Specularia Speculum, im August das Tausendgüldenkraut, zwischen 4 und 5 im März der Krokus, im Juli der großblumige Lein und das Mittagskraut, im August Calendula, zwischen 5 und 6 im März die beiden Küchenschellen sowie das Frühlingshungerkraut, im April das Adonisröschen, das Leberblümchen, das Hainröschen, der Sauerklee und der Huflaltich, im Mai die Waldtulpe und der Gamander Ehrenpreis, im Juli Abutilon Ayicennae, im September die Herbstzeitlose und im Oktober die Sternbergia.

5. Wohlriechender Taback abends 6 1/2 Uhr

Jetzt beginnen aber auch schon die Dämmerungsblumen sich zu öffnen, so im Juli und August der wohlriechende Tabak (s. Abb. 5). Zwischen 6 und 7 Uhr schließen sich im März der Winterling, im Mai der stengellose Enzian, im August die stengellose Wetterdistel, es öffnet sich im Juli Silene Saxifrage. Zwischen 7 und 8 schließen sich im Juni der scharfe Hahnenfuß, im Juli der Kreuzenzian und die japanische Rose, im August die weiße Seerose.

Zwischen 8 und 9 Uhr abends schließen sich im Juni die beiden Rosen Rosa arvensis und rubiginosa, im September der Kohl und der schwarze Nachtschatten, und es öffnen sich im Juni Silene nutans, im Juli Melandryum album. Zwischen 9 und 10 Uhr öffnet sich die Königin der Nacht, die um Mitternacht in vollem Flor steht und sich um 2 Uhr wieder schließt. Kurz vor ihr öffnet sich die Nachtlichtnelke Silene noctiflora, die sich um 5 Uhr morgens schließt, wenn der Bocksbart sich öffnet. Eine Stunde später schließt sich dann der wohlriechende Tabak.

5. Derselbe Tabackzweig 21 Stunden später

Nachdem wir im vorhergehenden die Blumenuhr während der 24 Stunden eines ganzen Tages verfolgt haben, lohnt es sich noch, mit einigen Worten auf die eigentümlichen Erscheinungen, die wir kennen gelernt haben, einzugehen. Wie schon Kerner nachgewiesen hat, findet das autonome Oeffnen und Schließen der Blumen nur so lange statt wie das Wachstum der Blumen selbst. Besonders schnell erfolgt das Wachstum im warmen Hochsommer. Ein recht deutliches Beispiel gewähren uns die Abbildungen des wohlriechenden Tabalk (S. 1574). Die offenen Blumen wurden am 2. August 1905 abends um 1/2 7 Uhr photographiert. Am nächsten Tag nachmittags um l/2 4 Uhr wurde der gleiche Blütenzweig wiederum photographiert. Er zeigt recht deutlich, wie gewaltig sich die Saumlappen der dritten Blume binnen 21 Stunden von unten ausgebildet haben. Aber auch die Blumenkronenrähre ist in dieser Zeit so stark gewachsen, daß die ganze Knospe um mehr als zwei Zentimeter größer ist. Auch die beiden unteren Blumen sind noch bedeutend gewachsen, die unterste um mehr als drei Zentimeter. Das Wachstum der Blume ist eine Begleiterscheinung; daß es nicht die eigentliche Ursache ist, lehren uns zahlreiche andere Blumen, die, nachdem sie sich geöffnet haben, noch bedeutend wachsen, ohne daß sie sich regelmäßig öffnen und schließen. Die eigentliche Ursache ist uns zurzeit noch unbekannt. Und alles Spekulieren führt hier zu keinem Ziel. Nur fleißige Beobachtung von Tatsachen kann dahin führen, den Schleier zu lüften. Mögen diese Zeilen mit dazu beitragen, auch weitere Kreise zur Beobachtung anzuregen. Die oben aufgeführten Pflanzen sind bei weitem nicht alle, die die Erscheinung zeigen. Eigene Beobachtung möge ihre Kenntnis vermehren.

Dieser Artikel von Dr. Udo Dammer erschien zuerst 1905 in Die Woche. Beim Beitragsbild handelt es sich um ein Beispielbild, welches nicht zum originalen Artikel gehört. Die anderen Bilder sind nachcoloriert.