1905, von J. Böttner. Seit die Menschen Pflanzen an sich gefesselt haben und von Jägern und Hirten zu Ackerbauern und Gärtnern geworden, waren sie, zunächst wohl unbewußt, an der Vervollkommnung und Veredlung der Pflanzen tätig. Und diese Arbeit der Verbesserung ist auch heute noch nicht vollendet.
Gärtner und Züchter sind auch heute noch unausgesetzt bemüht, die Nutzgewächse in ihren Eigenschaften zu bessern, sie größer zu machen, fruchtbarer, ihnen edlere Beschaffenheit, frühere Reife anzuzüchten, den Zierpflanzen neue Farben, schönere Formen zu geben oder größeren Blütenreichtum. Wir haben in der Alten Welt, auch in Deutschland manchen tüchtigen und verdienten Züchter. Ein Mann aber, der Fachleute und Gelehrte mit seinen Leistungen heute in Staunen setzt, zweifellos der kühnste und genialste Pflanzenzüchter, der bisher gelebt, ist der Amerikaner Luther Burbank. Noch vor wenigen Jahren hatte man kein Verständnis für diesen eigenartigen Mann. Die Gelehrten betrachteten ihn als geschickten Scharlatan, und die Gärtner vermuteten in ihm einen Reklamehelden.
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Heute wird seine Bedeutung allgemein anerkannt. Die praktischen Züchter bemühen sich, von ihm zu lernen, und hervorragende Fachgelehrte haben ihm ihre Bewunderung ausgesprochen; Dr. Osterhaut, Professor der Botanik an der kalifornischen Universität, stellt ihn neben Darwin, dessen Erbe er angetreten habe, und der Holländer Hugo de Vries sagte von ihm: „Die Blumen und Früchte von Kalifornien sind nicht so wunderbar wie die Blumen und Früchte, die Mr. Burbank gemacht hat. Er hat die Züchtung und Auswahl der Pflanzen bis zur höchsten Vollkommenheit studiert. Solch eine Kenntnis der Natur und solche Geschicklichkeit, das Pflanzenleben zu behandeln, its nur dem möglich, der ein großes Genie besitzt.“
Wie jeder große Entdecker und Erfinder ist auch der Züchter Burbank von unermüdlicher Ausdauer in der Verfolgung seines Ziels. Er hat eine scharfe Beobachtungsgabe und kehrt sich nicht an herrschende Vorurteile und wissenschaftliche Dogmen. Der Lebensgang Burbanks ist eigenartig, wenigstens für deutsche Begriffe. Als Sohn eines Farmers 1849 im Staat Massachusetts geboren, war er bis zum achtzehnten Jahr auf der Farm seines Vaters tätig. Er beobachtete und grübelte zwar viel und beschäftige sich mit botanischen Fragen, hatte auch Beziehungen zu einem bedeutenden Naturforscher seiner Heimat, gleichwohl wurde er auf Wunsch seines Vaters Handwerker und trat als Holzdrechsler in die großen Pflugwerke in Worcester ein. Aber schon in seinem einundzwanzigsten Jahr erwarb er eine Zwanzigackerfarm in Massachusetts und fing an, Versuche zu machen. Zunächst beschäftigte er sich damit, neue Kartoffelsorten zu ziehen. – Seine erste Züchtung, die Burbankartoffel, brachte ihm 250 Dollar ein. Da reiften große Pläne in ihm, er wollte neue Pflanzen ziehen von ungeahnten Eigenschaften. Damit ihn aber das Klima bei seinen Unternehmungen unterstütze, siedelte er nach Kalifornien über, nach Santa Rosa, in der Nähe von San Francisco. Hier arbeitet er als Gelehrter und als Züchter, immer weiter studierend und die Welt bereichernd mit seinen Pflanzenschätzen.
Burbank geht von der alten Wahrheit aus, daß Pflanzen und Tiere ihre Gewohnheiten und Formen ändern, wenn der harte Kampf um das Dasein nachläßt und mit günstigeren Lebensbedingungen größeres Wohlleben eintritt. Burbank führt seinen Pflanzen ganz bestimmte Nahrungsstoffe zu, um durch fortgesetzte einseitige Ernährung die Abänderung bestimmter Merkmale planmäßig herbeizuführen.
Ein weiteres Verfahren zur Hervorbringung wichtiger Veränderungen in der Pflanze ist die Uebertragung des Blütenstaubes von einer Pflanze zur andern, die künstliche Kreuzung oder Hybridisation. Es handelt sich hierbei darum, wertvolle Eigenschaften der beiden Stammpflanzen in einer Pflanze zu vereinigen, oft aber auch wird die Kreuzung angewendet, um ganz neue Variationen herbeizuführen. Burbank ist hierin weit über die gewohnten Grenzen hinausgegangen. Er hat mit kühner Hand Pflanzenarten vereinigt, deren Verbindung man vordem nicht für möglich hielt. „Indem wir kreuzen,“ sagt er, „gewinnen wir mehr Variationen und Mutationen in einem halben Dutzend von Generationen, als sich entwickeln würden durch natürliche Variation in hundert oder tausend Generationen.“ Burbanks Methode der Kreuzung ist sehr einfach. Der Blütenstaub der Vaterpflanze wird einen Tag vor der Verwendung gesammelt und trocken aufbewahrt, meist in einem Uhrglas. Von der Mutterpflanze werden zunächst etwa neun Zehntel aller Blüten entfernt; dann werden von den übrigen ausgewählten Blüten Kelchblätter, Blütenblätter und Stempel abgeschnitten, so daß eine Selbstbestäubung nicht möglich ist. Auch eine Fremdbestäubung durch allerhand Insekten findet in solchen Blüten kaum statt. Zur Uebertragung des Blütenstaubes auf die Narben bedient sich Burbank wie mancher andere Züchter der Finger, die sehr feine Empfindung haben. Um etwas Gutes und Brauchbares zu erzielen, wird die gleiche Kreuzung unzähligemal wiederholt, denn selbst wenn die Arbeit gelingt und Hunderte, ja Tausende von Sämlingen aufgehen, findet sich darunter immer nur eine kleine Zahl von Brauchbarem. Die Selektion oder Auswahl der Sämlinge ist die Hauptarbeit der Zucht. Ein Freund Burbanks hörte vor Jahren von seiner wunderbaren Fähigkeit, den Wert der Sämlinge schon in frühester Jugend zu beurteilen. Einige tausend Pflaumenpflänzlinge waren in drei Klassen geschieden gute, mittlere und wertlose. Um der Sache auf den Grund zu gehen, wurden sie alle gepflanzt, nach Klassen getrennt. Als sie dann nach einigen Jahren fruchtbar wurden, zeigte es sich, daß Burbanks Auswahl verblüffend richtig gewesen war. „Wie ist das nur möglich“ sagte der Freund zu ihm, „daß Sie aus vielen Tausenden so sicher das Brauchbare herausfinden?“
„Sie sehen einen Menschen auf der Straße, antwortet Burbank, „tausend oder zehntausend. Kein einziger wird dem andern gleichen. Wenn Sie ein guter Geschäftsmann sind, werden Sie sicher herausfinden, welcher von den zehntausend der ist, den Sie gebrauchen können. Sie können nicht alle Einzelheiten angeben, aber den Gesamtcharakter können Sie erkennen. So ist es auch mit den Pflanzen.“
In einem Fall bei der weißen Brombeere wählte Burbank nur diese eine unter 65 000. Zuweilen sind es zwei Pflanzen, die er braucht. Sie sind nicht gut, nicht so schön, nicht so fruchtbar, wie er sie wünscht. Er sieht ihre Unvollkommenheit aber er erkennt auch, was aus ihnen zu machen ist, und nun arbeitet er weiter mit ihnen Jahre hindurch, bis schließlich das Alte ersetzt werden kann durch Neues und Vollkommenes.
Eine Hauptarbeit Burbanks war die Gewinnung neuer Pflaumen durch Kreuzung der amerikanischen Sorten mit den japanischen. In den meisten Teilen der Vereinigten Staaten gediehen früher die Pflaumen überhaupt nicht. Durch Burbanks Züchtungen ist für die Pflaumenkultur Amerikas eine neue Epoche eingetreten. – Weiter ist es Burbank gelungen, durch Kreuzung der Schwerwalnuß mit der kalifornischen Nuß eine neue Walnußrasse, die Royalnuß, zu gewinnen, die schon in jungen Jahren reichlich große Nüsse trägt und ein vorzügliches Wachstum besitzt.
Wertvolle Kreuzungen gewann Burbank aus einer Vereinigung von Brombeere und Himbeere, die neue Klasse der schwarzen Himbeere. Unter Tausenden von Brombeersämlingen gelang es ihm, einen stachellosen zu gewinnen, dessen weitere Vervollkommnung die Brombeerkultur sicherlich um vieles angenehmer machen würde. Dann ist die weiße Brombeere zu erwähnen, die zwar unsere deutschen Winter nicht erträgt, in ihrer Heimat aber sehr gerühmt wird.
Eine Edelkastanie hat Burbank gezüchtet, die schon als Bäumchen von achtzehn Monaten vorzügliche Früchte brachte, und eine ganz neue Obstart entstand durch Vereinigung der japanischen Pflaume und der Aprikose. „Plumcot“ nennt er sie. Dann hat er eine steinlose Pflaume gewonnen. Der süße Kern liegt im Fruchtfleisch gebettet.
In ausgedehntem Maß hat sich der unermüdliche Züchter mit der Veränderung der Kaktuspflanzen beschäftigt. Es ist ihm gelungen, einen stacheligen wertlosen Kaktus dahin zu bringen, daß er alle Stacheln verloren hat und glatte Blätter als Futter für das Vieh und wohlschmeckende Früchte hervorbringt. Da dieser Kaktus auf dürrem Wüstensand gedeiht, kann er für manche Gegenden als Nutzpflanze von unermeßlichem Segen werden.
Noch wunderbarer ist ein anderes Gewächs, ein Mittelding zwischen Kartoffel und Tomate, das er „Pomato“ nennt. Es trägt eine Fülle weißer, saftiger Früchte, die gekocht als Salat oder frisch gegessen werden können und im Geschmack keiner andern Frucht gleichen.
Aber nicht Nutzgewächse allein sind das Arbeitsgebiet des Züchters. Tausende von Rosen, Amaryllis, Lilien, Gladiolen und andere Zierpflanzen stehen in seinen Gärten und manche wertvolle Neuheit darunter, die ihrer Verbreitung entgegengeht. Die Chasta Daisy – Margueriten nennen wir sie – hat Burbank zu schöner Vollkommenheit gebracht. Er hat den ausdauernden orientalischen Mohn mit dem einjährigen Mohn gekreuzt und wunderbare Färbungen hervorgebracht. Eine reizende Schöpfung ist seine weiße Herzblume (Dicentra). Der Dahlie will er den Geruch der Magnolie geben, und der Rhabarber soll das ganze Jahr hindurch frisch Stiele bringen. Wir müssen dabei freilich immer an da Klima von Kalifornien denken, das von unserm deutschen so außerordentlich verschieden ist. In dieser großen Verschiedenheit des Klimas liegt auch der Grund dafür, daß so manche von Burbanks Züchtungen für deutsche Verhältnisse nicht zu verwenden sind. Es wird auch dem größten Züchter nie gelingen, seine Pflanzen gegen die Einflüsse eines fremden Klimas unempfindlich zu machen.
Aber wenn wir auch so manche von Burbank Züchtungen für die deutschen Gärten und den deutschen Landbau nicht brauchen können, seine Arbeiten werden für uns nicht nutzlos sein, denn wir deutschen Züchter werden noch viel von ihm lernen, uns Besseres schaffen, auch für unsere deutschen Verhältnisse.
Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.