Riesen der Pflanzenwelt

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Ohne Zweifel übt der Anblick eines alten Baumes auf das Gemüt jedes Naturfreundes einen mächtigen Einfluß aus: er weckt historische Erinnerungen, man vergegenwärtigt sich, wer alles wohl unter seinem Schatten geruht haben, welcher Ereignisse Zeuge er gewesen sein mag.

Hat der Baum eine ungewöhnliche Stärke, so geht die Phantasie dem Beschauer leicht durch, und er läßt Jahrhunderte an seinem Auge vorbeigleiten, er schaut zurück in die graue Vorzeit des Landes, wähnend, daß schon damals der Baum gestanden, gelebt und gegrünt habe. Der richtige Maßstab fehlt meist, und man schätzt sehr oft das Alter des Baumes zu hoch. Eins der auffälligsten Beispiele hierfür bieten die beiden alten Eibenbäume im Garten des preußischen Herrenhauses, von denen man lange seit annahm, daß ihr Geburtstag in jene Zeit fiele, als die Reichshauptstadt noch ein Fischerdorf war, die dann aber, als sie kürzlich wegen des Neubaus versetzt werden mußten, sich noch gewissermaßen als Jünglinge entpuppten. Die Höhe eines Baumes ist nicht immer bezeichnend für sein Alter, viel eher schon sein Stammdurchmesser, der aber bei den verschiedenen Baumarten sehr verschieden ist.

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Eine sichere Schätzung des Alters eines Baumes gewähren allein die Jahresringe, die aber bei alten Bäumen häufig infolge Hohlwerdens des Stammes nicht sämtlich abgezählt werden können. Wie abweichend sich Höhe und Durchmesser bei den verschiedenen Pflanzen verhalten, mögen einige wenige Zahlen zeigen. Die bis jetzt bekannten höchsten Bäume wachsen in Australien. Es sind Fieberheilbäume (Eucalyptus amygdalina), die bis 152 Meter hoch werden, dabei aber nur einen Stammdurchmesser von acht Meter erreichen. Auch der nächsthohe Baum, der kalifornische Mammutbaum (Sequoia gigantea), der bis 142 Meter Höhe erreicht, wird nur elf Meter dick.

Pampasgras (Kalifornien)
Umgestürzte lebende Eiche (Kalifornien)
Umgestürzte lebende Eiche (Kalifornien)

Dagegen erlangt die Platane bei nur dreißig Meter Höhe bis 15,4 Meter Umfang, die mexikanische Sumpfzypresse bei 38,7 Meter Höhe 16,5 Meter Umfang und die Edelkastanie gar bei 35 Meter Höhe 20 Meter Stammumfang. Das Alter der Bäume wird meist, wie gesagt, überschätzt. Sowohl der berühmte Baobab (Adausonia digitata), der nach Adausons Berechnung auf Grund der Dicke des jährlichen Zuwachses 5000 Jahre alt sein sollte, wie auch der von A. von Humboldt geschilderte, jetzt leider nicht mehr vorhandene Drachenbaum (Dracaena Draco) von Orotava, der gar 6000 Jahre alt sein sollte, sind sicher viel jünger gewesen. Auch die große Platane von Bujukdere bei Konstantinopel hat wohl kaum die ihr nachgesagten 4000 Jahre. Dagegen wurden mit ziemlicher Sicherheit als äußerste Altersgrenze berechnet für die Zypresse 3000, die Elbe 3000, die Kastanie 2000, die Stieleiche 2000, die Libanonzeder 2000, die Fichte oder Rottanne 1200, die Sommerlinde 1000, die Zirbelkiefer 500 bis 700, die Lärche 600, die Kiefer 570, die Silberpappel 500 die Buche 300, die Esche 200-300 und die Hainbuche 150 Jahre.

Dank der amerikanischen Reklame haben besonders die kalifornischen Mammutbäume eine gewisse Berühmtheit erlangt. Obige Abbildung zeigt uns einen der größten dieser Riesen, die eigene Namen erhalten haben, den Grizzly Giant, der einen Stammumfang von 92 amerikanischen Fuß und einen Durchmesser von 33 Fuß hat. Im Berliner Botanischen Museum befindet sich ein elftes Segment eines Stammes dieser Art, der 1376 Jahresringe zeigt! Auffallend ist die gute Erhaltung des Holzes bis zum Kern.

Der Mammutbaum Grizzly Giant (Kalifornien)

Tropische Vegetation macht sich oft durch ihre gewaltigen Dimensionen bemerkbar. Nicht sowohl die Höhe und Dicke des Stammes, als vielmehr die mächtige Entwicklung der Krone wirkt hier überwältigend. Tritt zu dieser Kronenentwicklung dann noch jene eigentümliche Erscheinung, daß von den horizontal abstehenden Aesten Luftwurzeln zur Erde wachsen, die schließlich gewaltige Dimensionen erreichen und dem Baum das Aussehen eines großen Säulendoms geben, wie es bei den Waringibäumen der Fall ist (Abb. s. unten), dann macht ein solcher Baumriese einen überwältigenden Eindruck.

Heiliger Waringibaum mit stammartigen Luftwurzeln (Java)

Riesen der Pflanzenwelt müssen aber auch jene Gewächse genannt werden, die nicht absolut, sondern nur relativ große Dimensionen erreichen. Allbekannt sind die kugeligen Kakteen, die ihrer schönen, großen Blumen wegen so vielfach kultiviert werden. Besitzt jemand davon einmal ein Exemplar von Faustgröße, so glaubt er schon eine sehr starke Pflanze zu haben. Unser Bild zeigt aber, daß so ein faustgroßes stacheliges Ungeheuer doch nur ein Zwerg gegen die alten Riesen in der Heimat ist. Auch dem Pampasgras muß man riesige Größe zusprechen wenn man es mit unsern Wiesengräsern oder Getreidearten vergleicht.

Der Baum der Reisenden (Madagaskar)
Riesiger Kugelkaktus (Westindien)
Riesiger Kugelkaktus (Westindien)

Auf uns Nordländer, die wir nur an den Anblick mäßig großer Blätter gewöhnt sind, machen tropische Blätter leicht einen riesenhaften Eindruck. Die bekannte Victoria regia mit ihren zwei Meter im Durchmesser großen Schwimmblättern kommt uns deshalb immer noch als etwas Riesiges vor, während merkwürdigerweise die jetzt so vielfach angepflanzten Musaarten weniger stark wirken. Dagegen wird der mit letzterer Pflanze verwandte madagassische Baum der Reisenden (Ravenala madagascariensis, Abb. nebenstehend) durch die eigentümlich fächerförmige Stellung seiner gewaltigen Blätter stets einen riesigen Eindruck machen. Seinen Namen hat er von dem in seinen Blattachseln sich ansammelnden Wasser, das die Reisenden vor dem Verdursten retten soll. Uebrigens sind weder diese noch die Musablätter die größten im Pflanzenreich. Diesen Rang beanspruchen manche Palmenarten, so namentlich die Weinpalme Raphia, die bis 15 Meter lange Fiederblätter trägt. Unter den Palmen dürften auch die längsten Pflanzen anzutreffen sein, Verwandte unseres Rohrstocklieferanten, die bei nur geringer Stammdicke von wenigen Zentimetern sich als Lianen bis über 500 Meter weit durch das Geäst des tropischen Urwalds hinziehen.

Ehrfurcht ergreift uns, wenn wir einem Riesen der Pflanzenwelt gegenüberstehn, dessen Alter uns unbekannt ist. staunend bewundern wir die außerordentliche Lebenszähigkeit, die allen Unbilden der Witterung trotzt. Wehmut beschleicht uns, wenn wir einen solchen Riesen stürzen sehen, nachdem ihn das Alter vernichtet Doppelt traurig aber werden wir gestimmt, wenn der Riese in voller Lebenskraft von einem verheerenden Wirbelsturm entwurzelt und umgerissen wird; selten nur kommt es vor, daß er, wie der auf unserm Bild wiedergegebene alte kalifornische Eichbaum, auch dann noch weiterlebt.

Dieser Artikel von Dr. Udo Dammer erschien zuerst am 30.08.1902 in Die Woche.