1905, von Geh. Med. Rat Dr. M. Pistor (Breslau). Seitdem Stuart Mill vor Jahrzehnten in seinem Buch: „Die Hörigkeit der Frau“ für die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern eintrat, ist die Frauenfrage von der Tagesordnung nicht wieder verschwunden.
Die Frauen haben im Lauf der Jahre in allen zivilisierten Ländern dauernd mehr Rechte erlangt, immer neue Arten der Tätigkeit gewonnen; bald dieser, bald jener Beruf hat sich ihnen zur Mitarbeit geöffnet. Und das war nötig, damit die immer zunehmende Zahl unverheirateter Frauen sich ihren Lebensunterhalt selbst erwerben konnte.
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Je mehr die Bevölkerung wächst, je höher die Ansprüche im Leben steigen, je mehr der Wert des Geldes sinkt, desto kostspieliger wird der Unterhalt. Die Männer sind nicht imstande, eine Familie zu gründen, weil der Lebensunterhalt von dem Erwerb nicht bestritten werden kann, oder weil ungeachtet hinreichenden Einkommens die Männer sich an ein üppiges Leben gewöhnt haben und sich keine solche Einschränkung auferlegen wollen, so daß das immerhin reichliche Einkommen für die Miterhaltung einer Lebensgefährtin oder gar für eine Familie nicht ausreichen würde.
Dazu kommt, daß, wenngleich mehr Knaben als Mädchen geboren werden, im späteren Leben die Frauen die Männer an Zahl weit überwiegen, also darauf angewiesen sind, sich selbst zu ernähren, wenn sie unverheiratet bleiben.
In der letzten Versammlung des Deutschen Apotheker Vereins in Breslau am 24. und 25. August kam nun die Frage der Zulassung weiblichen Hilfspersonals in den Apotheken, die schon mehrfach vor Jahren auch im Preußischen Apothekerrat erörtert worden ist, wieder zur Verhandlung. Angeregt war die erneute Besprechung durch den Personalmangel, der angeblich durch die neue Prüfungsordnung für Apotheker vom 18. Mai 1904 voraussichtlich eintreten würde.
Der von einem Teil der Apotheker jetzt befürchtete Personalmangel ist, wie von einzelnen Rednern hervorgehoben wurde, bei der Einführung der Prüfungsordnung vom 5. März 1875 mit erhöhten Anforderungen an die Prüflinge befürchtet worden, nur vorübergehend eingetreten, hat sich vielmehr nur für kurze Zeit und nicht einmal empfindlich geltend gemacht.
Dieser Punkt kommt hier nicht weiter zur Erörterung.
Heute handelt es sich darum, ob Frauen als Hilfspersonal in dem Apothekendienst ohne Nachteile für die Arzneibedürftigen, also für das Gemeinwohl und ohne Schädigung des Standes der Apotheker zugelassen werden können und bejahendenfalls zugelassen werden sollen, und welche Anforderungen an die Vorbildung der weiblichen Hilfskräfte zu stellen sind. Aus der Beantwortung des letzten Satzes ergibt sich, ob ungebildeten oder auch nur halbgebildeten Frauen, also Hilfskräften zweiter Klasse, die Mitarbeit in der Apotheke gestattet werden soll. Einzelne Redner der Breslauer Versammlung haben um die Kategorie der Frauen, die überhaupt für den Apothekerberuf zugelassen werden sollten, sich für die Bezeichnung „Damen“ ausgesprochen. Die deutsche „Frau“ steht meines Erachtens höher als jede aus fremden Sprachen überkommene Höflichkeitsbezeichnung; etwas anderes ist der Ausdruck ,Dame“ nicht, der übrigens auch nicht einwandfrei ist; man denke nur an Bezeichnungen wie Damen der Halle, Damenbedienung usw.
Ist die Frau geeignet zur Ausübung des Apothekerberufs?
Diese Frage ist durch eine langjährige Erfahrung an evangelischen und katholischen Krankenpflegerinnen, die in Preußen nach Ablegung einer bestimmt vorgeschriebenen Prüfung in Krankenhausapotheken jede Arzneizubereitung herstellen dürfen, zugunsten der Frauen entschieden. Mit größter Sorgfalt fertigen diese Frauen gewissenhaft die von den Aerzten verordneten Arzneien au.
Noch bevor mir diese in den Krankenhausapotheken gemachten Erfahrungen bekannt geworden waren, habe ich mich stets für Zulassung der Frauen zum Apothekerberuf ausgesprochen. Wenn der Körper der Frau den Anforderungen dieses schweren Berufs der Krankenpflege gewachsen ist, dann kann er auch die Anstrengungen ertragen, die mit der Ausübung des Apothekerberufs verbunden sind.
Daß die Frauen nicht imstande wären, die geistigen Forderungen zu erfüllen, die der Apothekerberuf stellt, wird heule wohl niemand behaupten wollen, nachdem nicht einzelne Frauen, sondern Frauen in großer Anzahl in Kunst und Schriftstellerei sowie in amtlicher Tätigkeit bewiesen haben, daß sie geistig den Männern nicht nachstehen.
Körperlich und geistig würden also die Frauen zur Ausübung des Apothekerberufs geeignet sein; das bestätigen auch die mit Apothekerinnen in Holland und Amerika seit Jahren gemachten günstigen Erfahrungen. Für die Arzneibedürftigen würde die Ausübung des Apothekenbetriebes durch Frauen keine Nachteile haben, wenn die Frauen nur unter den gleichen Voraussetzungen wie die Männer zur Apothekerlaufbahn zugelassen und nach den gleichen Vorschriften geprüft würden wie die Männer. Unter diesen Bedingungen ist es den Frauen in Preußen heute schon gestattet, Apothekerinnen zu werden. Freilich wird ihnen dieser Schritt dadurch sehr erschwert, daß die Gelegenheit zur Erlangung der erforderlichen Schulbildung auf Mädchengymnasien im Deutschen Reich noch sehr selten ist. Indessen ist es nicht ausgeschlossen, daß Frauen, die sich dem Apothekerfach widmen wollen, die auf einer höheren Töchterschule erlangte Vorbildung durch Privatunterricht ergänzen und dann durch Bestehen einer Prüfung für Unterprima vor einer von der zuständigen Behörde bestimmten Prüfungskommission die Zulassungsbedingungen erfüllen.
Wenn bis dahin die Zahl der geprüften Apothekerinnen, die später nach Recht und Billigkeit auch eine Apothekenkonzession erhalten können, noch gering ist, so ist der Grund dafür in der vorstehend bezeichneten Erscheinung sowie in dem Umstand zu finden, daß erst wenige Jahre seit der Zulassung gehörig vorgebildeter Frauen zum pharmazeutischen Studium verflossen sind. Nach den in andern Kulturländern, besonders in Holland und Amerika, bis dahin gemachten Erfahrungen scheint aber auch eine besondere Neigung der Frauen für den Apothekerberuf nicht vorhanden zu sein.
Ein Nachteil für den Apothekerstand in sittlicher Beziehung, der von manchen Seiten durch den Eintritt der Frauen besorgt wird, ist um so weniger zu befürchten, wenn man die Forderung der bis dahin verlangten Vorbildung aufrecht erhält; übrigens steht die deutsche Frau viel zu hoch, um einer solchen Besorgnis Raum im allgemeinen zu geben.
In andern Berufen drohen den Frauen viel größere sittliche Gefahren als in der Apotheke.
Durch die Mitwirkung der Frauen in der Ausübung des Apothekerberufs wird allerdings für die Männer ein unbequemer, aber berechtigter Wettbewerb bei Erlangung einer Apothekenbetriebsberechtigung geschaffen, wenn entgegen den bisherigen Erfahrungen in Holland die Zahl der Bewerberinnen zunehmen sollte.
Die entscheidenden Bedenken sind aber gegen die Zulassung eines weiblichen Hilfspersonals mit geringerer Vorbildung zur Hilfeleistung in den Apotheken zu erheben. Solche Frauen würden eine Gefahr für die Arzneiversorgung, also für das Gemeinwohl und ein Nachteil für den Apothekerstand werden.
Solche Hilfskräfte würden wegen der geringeren Gehaltsansprüche sehr bald vielfach angestellt und nicht immer nur zu Handlangerdiensten, sondern auch zur Rezeptur Verwendung finden. Eine derartige Ueberschreitung der Grenzen liegt nun einmal in der menschlichen Natur und kommt überall vor. Daß bei der geringeren Vorbildung dieser Klasse von Frauen leicht Verwechslungen und dergleichen mehr vorkommen könnten, wird von objektiven Beurteilern wohl kaum bestritten werden.
Der Apothekerstand selbst aber muß herabsinken, wenn ihm Elemente zweiter Klasse zugeführt werden; unser deutscher Apothekerstand, der ungeachtet seiner dringenden Reformbedürftigkeit mit Recht im In- und Ausland hochgeachtet ist, würde an Ansehen verlieren. Dazu darf von keiner Seile die Hand geboten werden.
Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche. Der Originalartikel war nicht bebildert, das Bild ist ein Beispielbild von analogicus auf Pixabay.