Von Dr. Käthe Schirmacher, Agrégée de l’Université (Paris). Hierzu 2 Porträts und 4 photographische Momentaufnahmen. Sie war strahlend hell erleuchtet, die Festhalle der jungen „Fronde“, der einzigen Tageszeitung der Welt, die ganz von Frauen hergestellt wird, als kürzlich dort der zweite Jahrestag des tapferen Blattes gefeiert wurde. An den grün bekleideten Wänden, unter die mattpolierten Glasscheiben des Lichthofs zogen sich Gewinde von Mistelzweigen und mattrosa Rosen hin, in denen die hellen Mistelbeeren wie kleine Perlen glänzten. Die Halle war elektrisch erhellt, in dem klaren Glanz breiteten sich schimmernde Toiletten aus, zeigten sich künstliche Haarfrisuren, schöne Arme, liebliche, feine und geistreiche Gesichter eine große Eleganz und viele bekannte Namen.
Die „Fronde“ ist eins der jüngsten unter den Pariser Tagesblättern, und sie ist sicher von allen das eigenartigste: eine politische Tageszeitung, an der ausschließlich Frauen arbeiten. Wohl kennt jedes Land heute Wochen- und Monatschriften, die von Frauen geleitet und geschrieben werden, doch beschäftigen diese sich ausschließlich mit Erziehungsfragen oder der Frauenbewegung. Bis vor zwei Jahren war eine nur von Frauen verwaltete, geleitete, geschriebene und gesetzte politische Tageszeitung für die Welt noch nicht dagewesen.
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Daß diese so recht eigentliche Frauenzeitung in Frankreich entstehen konnte, in dem Land, dessen Frauenbewegung, was die Anhängerzahl betrifft, von Amerika, England und sogar Deutschland bei weitem übertroffen wird, dürfte manchem rätselhaft und widerspruchsvoll erscheinen. Während in den genannten Ländern die Frauenvereine ihre Mitglieder nach Hunderten und Tausenden, die Frauenverbände ihre Anhänger nach Zehntausenden zählen, besitzt der größte französische Frauenrechtsverein, der sich „Ligue francaise du droit des femmes“ nennt, nicht mehr als dreihundert Mitglieder.
Diese haben also ein Unternehmen wie die „Fronde“ nicht aus ihren Spargroschen allein begründen, nicht mit ihren Privatmitteln halten können.
Madame Marguerite Durand, die Gründerin und Besitzerin der Zeitung stellte daher ihren Kompaß nach einer andern Richtung, und ihre Magnetnadel führte sie gut. Die schöne, elegante und welterfahrene Frau, die in ihrer ersten Jugend die Bühne betreten, später als Gattin des Abgeordneten Laguerre in parlamentarischen Kreisen gelebt, den Journalismus und die Politik aus eigener Anschauung kennen gelernt hat, wußte mit unfehlbarer Sicherheit, daß es nur einen Weg gab, wollte sie ihr Ziel erreichen: den Weg mitten ins Herz der haute finance. Die Fronde mußte von Anfang an gut fundiert sein, mußte auf goldenem Boden ruhen. Hier hieß es sofort mit fliegenden Fahnen, mit klingendem Spiel, sozusagen im Parademarsch auf dem Pariser Pflaster erscheinen, hieß es imponieren, blenden, glänzen! Diesem genialen Geschäftsblick Madame Durand kam, wie dem Boot, das mit der Flut geht, die Dreyfusaffäre hilfreich entgegen. In dieser Not der schweren Zeit waren alle willigen Kämpen gern gesehen. Warum nicht auch die Frauen in die Freischaren aufnehmen ? Das Amazonenheer war etwas Neues etwas Pikantes, es drang in mancherlei Kreise, die der männliche Journalist schwerer erreichte.
So ward denn die Gründung der „Fronde“ im Prinzip entschieden, und mit allem Eifer ging man an die Arbeit.
Für Madame Durand begann nun eine Zeit fieberhafter Thãtigkeit: ein eigenes Haus mußte gekauft, umgebaut, eingerichtet werden. In Schutt und Staub, zwischen Maurern und Tischlern, Tapezierern und Dekorateuren bewegte sich die elegante Gestalt der Besitzerin und Leiterin, bis nach langem Wählen und Probieren die wohnlichen Räume im modernsten Stil hergerichtet waren. Im Erdgeschoß die große Halle mit dem wohlversehenen Büffett und den zierlichen Tischchen, an denen jeder, der Lust hat, nachmittags sich einen Imbiß bestellen kann; mit dem Bureau der Buchhalterinnen und Kassiererinnen; mit dem Heiligtum der schönen Geschäftsführerin Mme. Serveille und der Pförtnerloge.
Im ersten Stock liegt Madame Durands Zimmer und im zweiten Stock das Privatzimmer der Chefredattrice, der anmutigen Madame Fournier. Weit geschäftsmäßiger sieht es hingegen in dem allgemeinen Redaktionssaal aus. Da liegen Stöße von Zeitungen; die Leimflasche, der Rotstift, die Papierschere machen sich breit, und eifrige Federn fliegen über das Papier.
Auch in Hinsicht auf die Mitarbeiterinnen war vielleicht Paris der einzige Ort der Welt, der jetzt bereits die genügende Anzahl geschulter und litterarisch ausgebildeler Journalisten weiblichen Geschlechts bot. Die Französin ist ja von je her in der Kunst der Feder groß gewesen, und um ein Blatt wie die „Fronde“ im Wettbewerb mit den großen Pariser Blättern zu halten, mußten die Mitarbeiterinnen bereits ihre Lehrzeit im Journalismus durch gemacht haben. So hat Mme. Durand die verschiedensten Kräfte in ihrer Redaktion vereinen können. Clémence Royer erörtert philosophische und wirtschaftliche Fragen, Hẽlène Sée ist die Parlamentsberichterstatterin, Mme Séverine behandelt die Tagespolitik u.s.w.
Die Begründerin der „Fronde“ that einen letzten Schritt auf dem Weg der Frauenbestrebungen, indem sie in der Druckerei nicht Setzer, sondern Setzerinnen anstellte. Die Schriftsetzerei ist eine ziemlich anstrengende Arbeit, die aber verhältnismãßig sehr gut bezahlt wird. In Frankreich wurden Schulen für Setzerinnen geschaffen, und Madame Durand fand für die Setzerei der Fronde tüchtige Kräfte. Die Setzerinnen arbeiten dort 10 Stunden, von 4 Uhr nachmittags bis 2 Uhr nachts, und verdienen 8 Franken täglich.
Nun giebt es in Frankreich ein Gesetz, das die Nachtarbeit für Frauen nur 60 Mal im Jahr gestattet. Als Madame Durand ihre Setzerinnen anstellte, wußte sie, daß sie dadurch in unvermeidlichen Konflikt mit diesem wirtschaftlichen „Schutzgesetz“ geriet. Bei der Gewerbeinspektion wurde deshalb auch wegen der ständigen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz von 1892 Protokoll gegen die Besitzerin der „Fronde“ aufgenommen. Aber „La dame Durand“, wie es im Gerichtsstil heißt, wußte sich gut zu verteidigen.
Der Gerichtshof erster Instanz hat der „dame Durand“ denn auch recht gegeben, augenblicklich steht die Sache im Appell. „La dame Durand scheint sich über den endlichen Ausgang jedoch keine Sorge zu machen. „Ich werde die verwickeltsten Prozesse nicht scheuen, ich werde mich unermüdlich an die öffentliche Meinung wenden, bis ich meinen Setzerinnen ihr Recht erstritten habe so sprach sie noch jüngst in Paris ihren festen Entschluß aus.
Die Fronde ist also eine „feste Burg“ der gesamten Frauenwelt. Mögen die Frauen ihrerseits nun auch ihre eifrigen Wächter sein!
Dieser Artikel erschien zurst 1900 in Die Woche.