Je mehr die Hausgeselligkeit in Paris abnimmt, desto sorgfältiger wird auf die Straßen- und Gesellschaftstoilette geachtet.
Die Pariserin des XX. Jahrhunderts braucht besondere Kleidung für den Fünf-Uhr-Tee, für Dejeuners und Diners und noch mehr für die Soupers nach dem Theater, die in den großen internationalen Hotels eingenommen werden. Bei diesen Hoteltoiletten spielen lange Mäntel, die früher nur abends getragen wurden, schon deshalb eine große Rolle, weil die Pariserin selbst in den Tagesstunden der kühlen Jahreszeit ungern Kleider aus dicken, wärmenden Stoffen trägt, dagegen alljährlich mehr leichte Gaze-, Spitzen- und Stickereikombinationen begünstigt.
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Zwei solcher Toiletten geben die beiden ersten Abbildungen wieder. Aus Seidenmusselin in vergißmeinnichtblauer Nuance ist die Robe auf Abb. 1. Der gekrauste, schleppende Rock wird von zwei Atlasstreifen umrandet und an der Vorder- und Hinterbahn von einer Knopfgarnierung abgeschlossen. Der die Taille bildende Bolero öffnet sich über dem mattblauen, sehr festen Mieder und geht in den blauen Atlasgürtel über.
Inkrustierter, mattgelber Tüll bildet seine Tüllschleife hält den Bolero unter dem weißen Halsstück zusammen. Die sehr bauschigen Ellbogenärmel werden von gepufften Bandeaus aus weißem und blauem Seidenmusselin zusammengehalten.
Weißer Seidenmusselin schmückt auch in eine schmale Schleife gelegt, den kleinen schwarzen Filzhut, dessen Hauptgarnierung zwei riesige, blau abgetönte Straußenfedern bilden. Die ziemlich kompliziert gearbeitete Taille auf Abb. 2 zeigt ein Halsstück und bis auf die Hand herabreichende lange Manschetten aus mattgelber Gipüre. Lila Seidenmusselin bildet den Grundstoff der Taille und der Gretchenärmel, deren beide Bausche von Tuchstreifen zusammengehalten werden. Ein breites, bis zum Taillenschluß auslaufendes Kollett aus lila Tuch und gleichfarbiger, mit drei Phantasieknöpfen geschlossener Gürtel. Lila Hut aus grobem Roßhaargeflecht mit keiner andern Garnierung als zwei cremefarbenen, glatten Federn und einem schmalen Streifen lila Samtband.
Zu solchen spinnewebfeinen Gewändern trägt man schon seit langem die beliebten kleineren Pelzvétements oder Schals au Tuch mit breiten seidengestickten Borten, aus Seide in japanischer Art und aus weichen Wollenstoffen. Mehr noch aber ab Pelze und Schal sieht man lange, weite Mäntel zu den gesellschaftlichen Herbstkleidern. Ihre Hauptformen lehnen sich meist der Redingote an, die Sculterteile sind kragen- oder jackenartig überarbeitet und garniert.
Das letztere Genre zeigt der otterbraune Tuchmantel auf Abb. 3. An die abgerundeten, mit zwei großen Goldknöpfen geschlossenen Vorderteile des Bolerooberteiles schließen sich die weiten Fledermausärmel.
Sehr originell und in der Taillengarniernng an das Empiregenre anklingend ist der Mantel auf Abb. 4 aus feinem, mandelgrünem Tuch, der sich über eine Schlepprobe aus mattgrünem, von schwarzen Spitzen überdecktem Stoff ausbreitet. Die etwas steif wirkende Vordergarnierung des Mantels steigt bis zu dem losen, die Krausung des Mantelrumpfes und der kurzen Schulterteile zusammenhaltenden breiten Tuchgũrtel empor. Der spitze Schalkragen ist mit hellgrünem Taft bezogen und verbirgt seinen Schluß unter einer mattgrünen, großen Seidenmuisselinschleife, die mit einer Draperie aus mattgrünem Seidentüll auf dem grünen mit Stechpalmengirlande gezierten Hut harmoniert.
Der auf Abb. 5 dargestellte Mantel ist in tabakbraunem Tuch gehalten und mit einem dreifachen, vorn spitz zulaufenden Fichukragen, der die Schultern knapp bedeckt, geziert. Die langen Bauschärmel falten sich in losen, dreifach schmal volantierten Manschetten zusammen. Hellbrauner Filzhut, mit dunkelbraunen Samt krawattiert und von strohgelber Aigrette überragt.
Neben den geschilderten Anzügen, die in ihrer Zusammenstellung den Typus der augenblicklichen “Außer Haustoiletten” geben, sieht man solidere Straßenkleider, die mehr für Promenade und für das passen, was man hier mit „trotter” bezeichnet.
Abb. 6 zeigt ein Kleid aus eisengrauem Tuch, dessen schleppender Rock und lange, sehr korekte Schoßtaille mit einfachen Paletotärmeln und einem das weiße Leinenchemisette zeigenden Umlegekragen, mit großen Altsilberknöpfen und gesteppten Nähten geziert sind. Die hochrote, gebundene Krawatte paßt zu der roten Hutdraperie, über der ein ziemlich großer, grauer Vogel seine Flügel ausbreitet.
Das Straßenkleid auf Abb. 7 ist von ausgesuchter Einfachheit, in dem jetzt so beliebten, matt und dunkel abschattierten Braun gehalten. Die lange, faltige Jacke wird am Taillenschluß mit einem glänzenden roten Ledergürtel zusammengehalten. Das Tuch des Rockes ist ringsum in gleichmäßige breite Falten gelegt. Der ebenfalls in breite Falten gelegten Jacke dienen dunkle, braune Schnüre zur Verzierung. An dem mit Grecqueborte eingefaßten Kragen und den eine gleiche Verzierung vereint mit Schnüren tragenden lockeren, bis über den Ellbogen fallenden, nicht anschließenden Aermeln kommt die weiße Bluse aus dünnem Spitzenstoff hervor. Dazu ein schlichter Hut, eine Reminiszenz an den wohl nie aussterbenden Marquis, mit weißer, über den hinteren, aufgeklappten Rand auf den Hutkopf fallender Straußenfeder.
Wärmer und deshalb ganz winterlich ist die Straßentoilette auf Abb. 8 aus rauhem, in grau, rot und grün fein schraffiertem Wintertuch, dessen lange, anliegende Schoßjacke eine Weste aus goldgesticktem, grünem Samt sehen läßt. Ein dunkelroter Filzhut, von grauen Straußenfedern überragt und mit grauem Atlas krawattiert, krönt den einfach-eleganten Straßenanzug.
Abb. 9 vereinigt das jetzt so beliebte Gemisch von Braun und Grün. Der braun schraffierte und karierte Rock ist um die Hüften angekraust und fällt, den Fußboden gerade streifend, rund aus, von einer olivengrünen, zinnenartig aufragenden, aufgesteppten Borte umrandet. Die glatte, von einem hohen, gleichfarbigen Taftgürtel abgeschlossene Taille in dem Stoff des Rockes vervollständigt ein Bolero aus olivengrünem Tuch mit weiten Ellbogenärmeln, die wie die Borte am Rockrand mit schmalen, mattgelben Taftstreifen am Abschluß verziert sind. Unterärmel aus Valenciennes. Valencienneskragen mit rundem Halsstück.
Unter dem lose ausfallenden Bolero eine lockere Spitzenweste, die den Abschluß der Taille bildet. Dazu kleiner, linksseitig aufgeklappter, brauner Hut mit olivengrünem Cachepeigne, olivengrüner Feder und Reiherstutz.
Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit “Klementine.”