Die Kaiserburg zu Nürnberg

Die Kaiserburg zu Nürnberg. Nach einer Aufnahme des Hrn. Reg. und Krs.-Brth. Förster in Ansbach

Die Burg zu Nürnberg ist für den Historiker wie für den Architekten gleich interessant. (Eine eingehende Würdigung der Nürnberger Burg nach der geschichtlichen, insbesondere auch der kunst- und baugeschichtlichen Seite bietet das Schriftchen: Die Burg zu Nürnberg. Geschichtlicher Führer für Einheimische und Fremde, Von Ernst Mummenhoff, Stadtarchivar. Mit 8 Abbild. Nürnberg, Verlag von J. L. Schrag, 1806.) Sie zerfällt in zwei deutlich von einander geschiedene Theile, in zwei Burgen, von denen jede völlig für sich abgeschlossen war, ja sogar ausser den Gemächern für den Burgherrn und die Seinen auch noch eine besondere Burgkapelle umfasste. Andererseits aber war es doch imgrunde nur eine Burg, ein Burgsystem, indem die kleinere, im Osten gelegene, die Vorburg, keine andere Bestimmung hatte, als die eigentliche, die Kaiserburg, zu schützen, zu welchem Zwecke sie mit der wichtigen Befugniss der custodia portae, der Thorhut der Kaiserburg, ausgestattet war.

Die Vorburg, die sog. burggräfliche Veste, reicht in ihrem ältesten Theile, dem Fünfeckigen Thurm, bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts zurück und bildet das älteste Baudenkmal der Burg und der Stadt. Hier waltete an des Kaisers Statt ein Beamter desselben, der Burggraf, in dessen Hand anfangs die Gerichts- und Militärgewalt vereinigt war. Als aber die Bedeutung des Platzes immer schärfer hervortrat und die Stadt, welche sich im Anschluss an die Burg entwickelte, sich rasch ausdehnte, erbauten sich die Kaiser eine besondere Burg für den eigenen Gebrauch, während die Burggrafen, zuerst die aus dem Hause Raabs und seit 1192 die aus dem Hause Zollern, die Vorburg einnahmen. Auf der Kaiserburg aber hatte ein besonderer kaiserlicher Burgvogt, der Kastellan, Reichs- oder Landvogt seinen Sitz. Er war berufen, die Besitzungen und Rechte des Kaisers gegenüber den immer mächtiger gewordenen Burggrafen, die die Burggrafschaft in Erbgang gebracht hatten, und gegenüber anderen lokalen Gewalten zu wahren. Abgelöst wurden diese kaiserlichen Beamten endlich im Laufe des 14. Jahrhunderts durch die Stadt, zu der die Kaiserburg von jeher in der innigsten Beziehung stand, mit der sie schon nach der Urkunde König Heinrichs VII. v. J. 1313 als unzertrennbar verbunden erklärt wurde. Nach dem Uebergang der Burg der Burggrafen, die der neu erworbenen Mark ihre ganze Sorge und all ihre Kräfte zuwandten, an die Stadt i. J. 1427 und nach Ablösung der letzten Burghut auf der Kaiserburg i. J. 1432 wurde Nürnberg Herr der ganzen Burggruppe, der Kaiserburg wie der Burggrafenburg mit allen ihren Zugehörungen. Die Kaiserburg verwaltete es anstatt und im Namen des Kaisers, verwahrte sie, hielt sie instand und erfreute sich ihres Genusses. Ein städtischer Beamter – seit 1657 war es der erste Beamte der Stadt, der vorderste Losunger, der zugleich das Amt des Reichschultheissen bekleidete – hatte jetzt seine Wohnung auf der Kaiserburg, ein Rathsherr hatte auf der ehemaligen Amtmannswohnung der Burggrafenveste die custodia portae inne. –

Es ist nun höchst auffallend, dass über ein Baudenkmal von einer solchen architektonischen und geschichtlichen Bedeutung bis jetzt keine genauen Pläne aufgenommen worden sind. Pläne aus bayerischer Zeit waren ungenügend. Der Rath der alten Reichsstadt wollte von einer Aufnahme nie etwas wissen. Nicht einmal die Abbildung der Stadt gestattete er. Als der Maler Hans Beheim 1540 eine „Conterfeitur, Nürnberg auf ein Bret gesetzt,“ angefertigt hatte, ein Modell, auf welchem alle Gassen mit allen Gebäuden angebracht waren, kaufte es ihm der Rath um 3 Gulden ab und gab ihm ausserdem noch eine Verehrung von 5 Gulden. Aber er musste zugleich dem Bürgermeister geloben, in Zukunft dergl. Dinge nicht mehr zu machen. Der Zeichner des mit staunenswerther Genauigkeit gearbeiteten Nürnberger Stadtplanes vom Jahre 1608, Hieronymus Braun, der sein mühevolles Werk dem Rath anbot, erhielt von diesem den kaum erwarteten Bescheid, er sollte solch’ Werk ohne sein Vorwissen nicht vorgenommen haben, denn nicht zu dergleichen Dingen, sondern zur Kanzlei sei er bestellt worden und ihr solle er billiger Weise mit grösserem Fleiss obwarten und sich davon durch solche Arbeit und das Stachelschiessen – Armbrustschiessen – nicht abhalten lassen. Dann aber sollte bei ihm noch nachgefragt werden, ob er keine Modelle oder Verjüngungen von diesem Werk besitze, damit diese von ihm eingefordert, zu anderen dergleichen Sachen gelegt und es den Losungern anheimgestellt werden könnte, was sie ihm dafür verehren wollten. Von dem „Schloss auf der Veste“, also der Kaiserburg, hatte der junge Jakob Wolff, der später das Rathhaus erbaute, veranlasst durch den Goldschmied Hans Petzolt und auf Wunsch Kaiser Rudolfs II. „einen Abriss und Plan sehr artlich und künstlich“ ausgeführt. Da dies dem Rath zu Ohren kam, beschloss er, „da man nicht wisse, ob kaiserlicher Majestät Begehren proprio motu oder auf Angaben anderer geschehen und wie es im Grund damit bewandt sei,“ man solle dem Petzolt anzeigen, sich dieser Sachen ferner nicht anzunehmen, sondern wenn keine weitere Anregung erfolge, also ersitzen zu lassen und womöglich zu sehen, dass es nicht mehr auf die Bahn gebracht, sondern in Vergessenheit gestellt werde. Dem Losungsschreiber Hieronymus Koler liessen die älteren Herrn des Rathes eröffnen, er solle wegen dieses Werkes in Ruhe stehen, denn es sei ihnen nicht lieb, dass er sich dergl. angelegen sein lasse. Jakob Wolff endlich wurden jene Abrisse und Pläne abgefordert und dem Baumeister zugestellt, zugleich ihm aber noch auferlegt, über das,, was er gemacht, Schweigen zu beobachten und Niemand etwas davon zu sagen. Es liessen sich noch weitere Beispiele dieser Art beibringen. 1677 hat allerdings der Anschicker des städtischen Bauhofes Johann Georg Erasmus sehr schöne und getreue Grund- und Aufrisse der Burg, der Basteien und der Zwinger geliefert, die Zimmer-Eintheilung der Burg aber nicht gegeben; sie blieb immer noch ein Heiligthum, das durch zeichnerische Wiedergabe nicht profanirt, nicht offen der Kenntniss Aller dargelegt werden durfte.

Es ist nun ein hervorragendes Verdienst des Hrn. Reg.- und Kreisbrth. Förster in Ansbach, dass er durch die Aufnahme der Pläne der Kaiserburg einem längst fühlbar gewordenen Mangel abgeholfen hat. Die Pläne im Maasstab 1:100 umfassen das Erdgeschoss, das I. Obergeschoss, das Zwischengeschoss und das II. Obergeschoss, einen Längs- und einen Querschnitt.

Die Nordostecke der Kaiserburg, die weit in den Ausseren Burghof vorspringt, enthält ausser dem Hofraum eine Anzahl von Räumen, welche bei der Anwesenheit des Hofes für Küchen- und ähnliche Zwecke in Gebrauch genommen werden: auf der Südwestseite liegt die Hofküche,. nördlich davon die Spülküche, dann auf der anderen Seite des nördlich sich anschliessenden Durchganges die Konditorei und westlich daran grenzend drei Speisekammern, denen noch drei kleinere Räume oder Vorplätze im Süden,vorgelagert sind. Alle diese Räume hatten ohne Zweifel von jeher dieselbe Bestimmung wie heute. Es ist das schon deshalb höchst wahrscheinlich, weil die eigentliche Burg keine Küchenräume mehr aufweist und weiterhin derartige Einrichtungen in der Regel den ihnen einmal angewiesenen und für den Zweck geeignetsten Platz beizubehalten pflegen. Der erste Oberstock enthält hier die Wohnung des Kastellans und auf der Nordseite noch einige Räume für das Hofpersonal, während der zweite Oberstock hier ausschliesslich dem Hofpersonal vorbehalten ist.

Auf der Südseite des Burgthores springt abermals ein Bau weit in den äusseren Burghof vor, der merkwürdigste Theil der ganzen Kaiserburg, die Doppelkapelle. Die untere, die Margarethen-Kapelle, im ernsten, schweren romanischen Stil gehalten, auf kurzen Pfeilern und Säulen ruhend, entspricht. durchaus dem ihr ehemals anhaftenden Charakter einer Gruftkapelle. Der Erbauer der Burg, die an die Stelle eines kleineren Baues trat, Kaiser Rothbart, hatte sie, wie man vermuthen darf, als Mausoleum für die Angehörigen der kaiserlichen Familie bestimmt, die indess ebensowenig hier begraben worden sind, wie die Nürnberger Burggrafen und deren Familienmitglieder. Die letztere Annahme wird schon, aus dem Grunde hinfällig, weil die Burggrafen nie auf der Kaiserburg ihren Sitz hatten, sondern, wie schon bemerkt, die Vertreter des Kaisers, die alten Reichs- oder Landvögte, und später, als die Burg vollständig an die Stadt übergegangen war, die von der Stadt dahin gesetzten Kastellane. – Von der Margarethen-Kapelle wenden wir uns durch das Burgthor, über dem sich das sog. Architektenstüblein befindet, und durch das erst der neueren Zeit entstammende Thorgewölbe tretend, in den inneren Hof der Kaiserburg. Der Hof mit seinen Holzgallerien auf der Nord- und Ostseite, dem Hauptaufgang in das Schloss auf der Südseite und den kleineren Aufgängen an der Nordwest-, und Nordostecke, alles in wohlthuendem, rothbraunem Holzton gehalten, mit dem abgestorbenen Stumpf der Kunigunden-Linde, die nach der Sage von der frommen Gemahlin Kaiser Heinrichs II. und nach anderer Meinung von Kaiser Friedrich III. gepflanzt sein soll, wirkt anheimelnd und ehrwürdig zugleich. In der älteren Zeit wurde unter der Linde, wie es deutscher Brauch war, Gericht gehalten, sie sah aber auch heitere Spiele. Da. Wo jetzt der Aufgang auf der Südseite liegt, führte in der älteren Zeit eine Freitreppe zum sog. Pallas, dem Rittersaal, im ersten Stockwerk. Die Kemenate mit ihren Wohnräumen, die sich daran nach Westen anschloss, hatte schon im 12. Jahrhundert die Ausdehnung bis zur westlichen Abschlussmauer der Burg, wie das aus früher vorhandenen Bautheilen zu erkennen war.

Im Erdgeschoss nimmt den südwestlichen Theil der eigentlichen Burg die Bildergallerie ein, von wo aus Stufen zu der Kaiserkapelle, der oberen der Doppelkapelle, einem wahren Kleinod der romanischen Bauweise des 12. Jahrhunderts, hinaufführen. Schlanke Säulen mit reizvollen Kapitellen tragen den luftigen Bau, der an italienische Kirchen erinnert. Der Chor der Kapelle ist in den sogenannten Margarethenthurm eingebaut, der wegen seiner alten, verwitterten, an der Aussenseite angebrachten Steinbilder, die als Darstellungen des Herkules und der Diana gedeutet wurden, schon früh als Heidenthurm galt.

Erst auf Veranlassung Essenwein’s, der zuerst für die untere Kapelle den Charakter einer Gruftkapelle nachwies, wurde die alte Verbindung der beiden Kapellen, die in einer quadratförmigen Oeffnung besteht, wieder hergestellt. Die auf der Westseite an den grossen Saal sich anschliessenden Gemächer der Kemenate dienten wohl als Wohnräume für die kaiserliche Gefolgschaft, jetzt finden sie als Kavalier- und Bedientenzimmer Verwendung.

Von dem Unterstock des unter König Ludwig II. von Bayern auf der Westseite vorgesetzten Anbaues führt eine Treppe auf den Schlosszwinger hinab, der auf drei Seiten – Süden, Westen und Norden die Kaiserburg umgiebt und von dem auf der Nordwestecke noch die alte Bastei vorhanden ist. Der neuere Zwinger, 1538 bis 1545 von dem italienischen Baumeister Antonio Vazuni erbaut, legte sich dann auf der West- und Nordseite in weitem Bogen vor, durch kunstvolle und für jene Zeit unbezwingliche Bastionen gedeckt.

Zur Burg zurückgekehrt, durchschreiten wir das Erdgeschoss auf der Nordseite, das die Geräthekammern, die Silberkammern und die Weisszeugkammer umfasst, und begeben uns sodann in das erste Obergeschoss. Es enthält die fürstlichen Gemächer, auf der Südseite die für den Gebrauch des Königs vorbehaltenen. Von den königlichen, ehemals kaiserlichen Wohnräumen aus war die Empore der Kaiserkapelle unmittelbar zugänglich. Nach Süden hin schliesst sich an die Empore noch ein kleiner heimlicher Raum, der auch eine Aussicht auf die Stadt gewährt, das Betzimmer des Königs.

Westlich folgen die Wohnräume, zunächst der grosse, durch eine Säule getheilte Speisesaal, der ehemalige Pallas oder Rittersaal, der schon so manche festliche Veranstaltung gesehen, weiter das Vorzimmer des alten Kaisergemachs, das jetzige Audienzzimmer des Königs, das seinen Haupteingang von dem nördlich anstossenden Vestibül hat. Durch ein kleines Vorzimmer, dessen Fenster mit älteren zumtheil restaurirten Glasgemälden geschmückt sind, gelangen wir in das Audienzzimmer des Königs. In reichsstädtischen Zeiten diente es als Kaiserzimmer. Die 26 Felder der geschnitzten Holzdecke sind mit Renaissance-Ornamenten und den Wappen des Weltreichs Karls V. geschmückt; zwei enthalten des Kaisers Wahlspruch: Plus ultra! Die Gemälde sind das Werk des Nürnberger Malers Springinklee und stammen aus dem Jahre 1520. Das folgende Zimmer, jetzt Arbeitszimmer des Königs, diente ehemals als kaiserliches Schlafgemach. An seiner Decke prangt der alte einköpfige Reichsadler, in den grössten Verhältnissen und mit ausserordentlichem Verständniss ausgeführt. Er stammt mindestens aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts und wird sogar von einigen in die Regierungszeit Kaiser Karls IV. (1347-1378) gesetzt. Merkwürdig ist er deshalb, weil er gelb in schwarzem Feld und nicht schwarz in gelbem Felde steht. Das Schlafzimmer des Königs und ein weiterer Raum schliessen die Zimmerflucht auf der Südseite der Burg.

Die nördliche Zimmerreihe, zu der wir über einen Vorplatz, an den der Söller des schon erwähnten Vorbaues grenzt gelangen, ist für den Gebrauch der Königin vorbehalten; das Schlafzimmer, das Arbeitszimmer, das Empfangszimmer und das Vorzimmer, die beiden ersteren mit der Aussicht nach Norden auf das sogen. Knoblauchsland hinaus, die letzteren zum Hof der Kaiserburg. Neben dem Vorzimmer auf der Westseite hat die Kammerfrau ihr Gemach. Das Zwischengeschoss, das unter den Zimmern der Königin liegt, umfasst die zwei Prinzenzimmer mit den zugehörigen Räumlichkeiten, während das zweite Obergeschoss über den Gemächern der Königin Zimmer und Kammern für Hofbeamte und Hofbedienstete enthält. Ganz auf der Westseite liegt hier das Zimmer des Leibjägers. Den übrigen Theil des zweiten Obergeschosses füllen zwei gewaltige Böden aus. –

Wir haben unsere Wanderung durch die Reichsburg an der Hand der Pläne Förster’s vollendet und müssen es wiederholt als höchstverdienstlich bezeichnen, dass er sich dieser Aufgabe in so vortrefflicher Weise unterzogen hat. Vielleicht wird ihm einmal Zeit und Musse gewährt sein, auch die übrigen Theile der Burg, die burggräfliche Burg mit ihren Bestandtheilen, die Freiung, den äusseren Hof der Kaiserburg mit ihren alten Thürmen und Gebäuden aufzunehmen und zugänglich zu machen. Er würde sich dadurch den aufrichtigen Dank der Architekten und Historiker erwerben, die in der ausgedehnten Burggruppe architektonisch und historisch bedeutsame Bauwerke zu sehen gewohnt sind. –

Dieser Artikel von Ernst Mummenhoff erschien zuerst am 15.04.1899 in der deutsche Bauzeitung.