Die Moschee Sultan Selim’s II. zu Adrianopel und ihre Stellung in der osmanischen Baukunst.

1891, von Armin Wegner. Die alte Stadt Adrianopel, mit deren Namen nicht nur die Erinnerung an ihren Gründer im 2. Jahrhundert n. Chr., den römischen Kaiser Hadrian, sondern auch an zwei gewaltige Schlachten im 4. Jahrhundert verknüpft ist, erhielt für die Geschichte des Mittelalters erst Bedeutung, seitdem die Osmanen, auf europäischem Boden siegreich vordringend, Fuss fassten und nach ihrer Besitznahme den Schwerpunkt ihrer Macht von Asien nach Europa verlegten.

Fast hundert Jahre von 1365, wo Sultan Murad I. die bisherige Residenz seiner Vorfahren, das reizende am Fusse des bithynischen Olymp gelegene Brussa aufgab, bis zur Eroberung von Konstantinopel 1453 – war Adrianopel die Hauptstadt des mächtig anstrebenden Osmanenreiches und wurde in dieser Zeit der Ausgangs- und Stützpunkt desselben, sowohl für die Vorstösse seines Heeres gegen die Völker der Donaulande, als gegen das bereits ohnmächtige byzantinische Kaiserthum. Nach dessen Bewältigung freilich musste die Stadt als Residenz den unvergleichlichen Vorzügen, welche die weltbeherrschende Lage Konstantinopels bot, weichen, und mit dem Auszuge der hohen Pforte aus ihren Mauern ging dann allmählich auch die Blüthe dahin, zu welcher sie als Sitz der Sultane gediehen. Noch hat sich aber der Ruhm ihres damaligen Glanzes, wie auch der gepriesenen Schönheit ihrer Bewohner in der Kunde von Gedichten erhalten, in welchen sich die Phantasie türkischer Sänger zu glühenden Schilderungen erhob. Erhielten doch diese Dichtungen, weil sie „durch die Kraft ihrer Schilderung Aller Herzen in Aufruhr versetzten“ sinnbildlich sogar den seltsamen Namen „Stadtaufruhr“. [v. Hammer: Geschichte des osm. Reiches. I. S. 14.]

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In pietätsvoller Erinnerung an die geschichtliche Vergangenheit bringt das türkische Volk aber auch jetzt noch der Stadt Adrianopel verehrungsvolle Anhänglichkeit entgegen und wahrt ihr gern den Rang einer zweiten Hauptstadt des Reiches, die überdies in den Augen des gläubigen Muselmanns den Vorzug besitzt, Erinnerungsstätte einiger seiner grossen Lehrer und Dichter zu sein.

In unseren Tagen endlich hat sie auch neue politische Bedeutung dadurch gewonnen, dass sie als ein hervor ragendes Bollwerk der Pforte gegen den immer drohenden Sturm von Norden gelten darf und dass die grosse Schienenstrasse Wien-Konstantinopel sie dem Weltverkehr näher gebracht hat.

Was vor allem aber noch jetzt Adrianopel in den Augen des türkischen Volkes, in einer Beziehung wenigstens, weit über alle andern Städte des Reiches hinaus und selbst über das ehrwürdige Stambul hebt, ist jenes erhabene Baudenkmal aus den Zeiten der Blüthe des Reiches, die von dem grossen türkischen Meister Sinan auf Sultan Selim’s II. Geheiss erbaute und nach ihm benannte Moschee. Sie darf in der That noch heute als ein Nationalwerk eigener Art gelten, welches nicht nur dem Osmanenthum zu hohem Ruhm gereicht, sondern auch vom Standpunkt des allgemeinen kunstgeschichtlichen Interesses von bemerkenswerther Bedeutung ist.

Ihrer Entstehung in den Jahren 1567 bis 1574 nach fällt sie bereits weit in die Zeit hinein, in welcher Adrianopel aufgehört hatte, Residenz zu sein. Sie bildet somit recht eigentlich ein Ruhmes- und Dankeswerk, welches der königliche Erbauer dem Andenken seiner Vorfahren und der ehemaligen Reichshauptstadt stiftete.

Der volleren Würdigung dieses Bauwerkes ist die folgende, auf eigener Aufnahme des Verfassers beruhende Darstellung gewidmet. Vorher aber sei das Landschafts- und Städtebild, dessen Mittelpunkt die Moschee bildet, mit einigen Zügen gezeichnet. –

Am Rande einer weiten Thalebene, welche rings von ansehnlichen Höhen, den Ausläufern des nördlich gelegenen Balkangebirges umgrenzt wird, lagert Adrianopel anmuthig auf einer Gruppe von Hügeln – man will auch hier deren 7 zählen – welche thalauf und thalab einen weiten Ausblick darbieten. Mehre Flussläufe, deren einer, die Maritza, als schiffbarer Hauptstrom die Verbindung mit dem ägäischen Meere herstellt, durchziehen das Thal und vereinigen sich nahe am Fusse der Stadt, wo die Nebenflüsse der Arda und Tundscha von ersterer aufgenommen werden.

Dieser Wasserreichthum bringt der Landschaft Segen und Gedeihen. Von altersher ist ihre Fruchtbarkeit gerühmt, die in der reichen Fülle von Erzeugnissen der Landwirthschaft und mannichfacher Stoffe für die Industrie, besonders von Wollen- und Seidenfabrikaten, hervor tritt.

Auch der Weinbau wird in ausgedehntem Maasse betrieben und fördert Gewächse von anerkannter Güte. Vor allem aber ist es die Rosenzucht, welche weite Felder der Umgegend bedeckend, die Landschaft zu Zeiten mit Farbenglanz und Duft überzieht und deren Erzeugnisse sich einen Platz auf dem Weltmarkte erobert haben.

Die Stadt selbst erscheint von ferne gesehen als eine ziemlich regellose Masse von Gebäuden und Baulichkeiten, die, vom Baumgrün der Gärten durchzogen und über Thal und Hügel sich dehnend, hier und da zu malerischen Gruppen hell- und buntfarbiger Häuser vereinigt und von den weiss aufleuchtenden Minarets einzelner Moscheen heiter belebt ist. Einige bedeutendere Gebäude in dem beliebten gelben Anstrich türkischer öffentlicher Bauten und einzelne grössere Moscheen bilden andere, aus dem Gesammtbilde hervor tretende Gruppen.

Inmitten der Stadt aber, auf einem der höchsten Hügel thronend und ihre Umgebung beherrschend erhebt sich die Moschee Selim’s, ein mächtiger Kuppelbau mit vier stolz aufragenden Minarets, diesen charakteristischen Wahrzeichen mohamedanischen Glaubens, deren Erscheinung im Bilde orientalischer Städte von ähnlicher Bedeutung ist, wie die Thürme christlicher Dome in den Städten des Abendlandes. Ihre in die Augen fallende Gestalt ist es, welche dem Landschaftsbilde erst das eigenartige Gepräge aufdrückt und dem Nahenden die Empfindung giebt, dass er sich angesichts dieses Bauwerkes, wenn gleich auf europäischem Boden, doch bereits im Herrschaftsgebiete des Orients befindet. –

Wie in der Regel in orientalischen Städten, so steht auch hier das Innere der Stadt in grellem Gegensatz zu ihrer äusseren anmuthenden Erscheinung. Von dem ehemaligen Fürstensitz findet man nur geringe Spuren. Krumme, schmale Strassen und Gassen, besetzt mit unansehnlichen Gebäuden und Baracken, viel Verwahrlosung und Schmutz, selten ein den Ansprüchen des Europäers einigermaassen entsprechendes Gebäude. Doch vergisst man dies beinah in dem Anblicke des höchst lebhaften Treibens der arbeitenden und handelnden Bevölkerung, deren Dasein sich gänzlich auf und an der Strasse abzuspielen scheint. Läden aller Art, Handwerkstätten und Garküchen öffnen sich in langen Reihen und locken zum Blick auf die oft recht gen Thätigkeit ihrer Insassen.

Reges Gewirr herrscht ebenso in den schattigen Gewölben der ausgedehnten, aus alter Zeit stammenden Bazare. Hier wie dort bildet neben der städtischen die Landbevölkerung ein zahlreiches Element, welches durch malerische Erscheinung in einfacher, ja ernster Landestracht mit schwarzen turbanähnlichen Kopftüchern auffällt. – Ist auch hier die einst gerühmte Schönheit nicht besonders bemerkbar, so lässt sich doch an diesen kraftvoll sehnigen Gestalten mit den ausdrucksvollen, dunkeläugigen und gebräunten Gesichtern ein von der Natur wohlausgestatteter Menschenschlag erkennen. Und dass derselbe auch noch mit anderen Gaben ausgestattet ist, darf aus der sinnigen, wenn auch oft kindlichen Art geschlossen werden, mit welcher Kleider und Geräthe, der Geschirrschmuck der schwarzen Büffelochsen und Pferde, die Wagen und deren Lasten auf mannichfache Weise geschmückt sind.

Unter diesen Erscheinungen unmittelbaren Lebens der Gegenwart aber findet das Auge nur hier und da ein Werk, welches auf die Vergangenheit zurück führt. Was von Erinnerungen an den ehemaligen Sultanssitz bestand, ist im Laufe der Zeit hingesunken oder gänzlich vom Erdboden verschwunden. Armselige Trümmerhaufen sind die Ueberbleibsel des stolzen, von Murad I. 1365 an den Ufern der Tundscha angelegten, später erweiterten Palastes, des alten Serail, dessen Reste von den Türken selbst vor den andrängenden Russen i. J. 1878 in die Luft gesprengt wurden. Abgesehen von einigen alten Mauern, Brücken und dem erwähnten Bazar sind es ausschliesslich die Moscheenbauten, welche an Murad I., den Eroberer Adrianopels (1361), und mehre seiner Nachfolger erinnern. Alle diese Bauten weit überragend und das Stadtbild beherrschend, erscheint aber die Moschee Selims, die nun der Gegenstand der Betrachtung sein soll.

Mit besonderem Vorbedacht, zum Ruhme Allahs, wählten die türkischen Bauherren und Meister die Standorte ihrer Moscheen. So sind fast sämmtliche Hügel Konstantinopels mit bedeutenden Gebäuden derart bekrönt. Auch hier geniesst die Selimije den Vorzug einer von vielen Punkten der Stadt wie von ferne sichtbaren Lage.

Nähern wir uns ihr, so gelangen wir auf der Höhe des sanft ansteigenden Hügels zu einem weiten, von schrankenartigen Mauern umhegten und mit einigen alten Platanen besetzten rechteckigen Platze. In der Mitte desselben erhebt sich, allseitig frei empor steigend, in der Hauptrichtung nach Süden – der Richtung von Mekka gewendet die Moschee. Nur an den hinteren Ecken nähern sich ihr einige kleinere für die Geistlichkeit, zu Schulen und frommen Stiftungen bestimmte Gebäude, deren bescheidene Abmessungen einen vortheilhaften Gegensatz zu der Baumasse der Moschee selbst bilden. (Siehe die Abbildung.)

Abbild. 1 – Ansicht von der Westseite, darunter ein Bazar

Hier, unmittelbar vor dem Gebäude, stehen wir zunächst unter dem seltsamen Eindruck, welchen diese wie andere türkische Moscheen durch die grossen Gegensätze ihrer Gebäudetheile in Form und Masse unwillkürlich hervor rufen. Hinter einem breit vorgelagerten, mit kleinen Flachkuppeln besetzten Vorbau erhebt sich die in mehren Geschossen aufgethürmte Masse des Hauptbaues, von der sanften Bogenlinie einer mächtigen Kuppel überspannt, in geringer Entfernung umgeben von vier kerzenähnlich empor steigenden schlanken und doch kräftigen Minaret-Thürmen, eine Gesammterscheinung von durchaus eigenartig nationalem Gepräge.

Folgen wir aufmerksam den Linien des Bauwerkes, so fällt die Uebersichtlichkeit und ruhige Gesetzmässigkeit in’s Auge, mit welcher sich die Entwickelung des Aufbaues vollzieht. Wir nehmen darin einen wohlthuenden Gegensatz zu der unruhigen Vielheit von Kuppeln und Aufbauten wahr, unter welchen manche anderen grossen Moscheebauten, wie selbst die berühmte Suleimanije in Konstantinopel, zu leiden haben.

Grundriss

Die gesammte Masse des Hauptbaues ist äusserlich bis zur Kuppel in drei grosse Geschosse gegliedert, von denen das unterste in ansehnlicher Höhe (13,5 m) mit einem kräftigen Steingeländer über dem Hauptgesimse abgeschlossen ist. Grosse Spitzbögen zu unterst und darüber liegende Fensterreihen gruppenweise zusammen gefasst, öffnen die Mauerflächen in malerischem Wechsel und lassen die Anlage des Inneren – Gebethallen und Schulräume unten, Emporen oben – deutlich erkennen.

Die beiden folgenden, minder hohen (rd. 8,5 m) und absatzweise zurück tretenden Obergeschosse deuten durch ihre grossen, mit Fenstergruppen gefüllten Schildbögen auf die weiträumigen Gewölbestrukturen des Inneren. Während das mittlere der drei Geschosse noch der rechteckigen Grundform des Gebäudetheiles folgt, ist bei dem obersten bereits der Kuppelaufbau durch den Uebergang in’s Achteck mittels Halbkuppeln, die sich an die diagonalen Seiten desselben anlehnen, vorbereitet.

Die über diesem Geschosse sich schliesslich erhebende Kuppel ist an ihrem Fusse mit einem Kranze kleiner Fenster und wechselnder Pfeilerverstärkungen nach bekanntem byzantinischem Vorbilde umgeben. Auf dem Scheitel ihrer Wölbung aber thront, wie herkömmlich, das Zeichen des Halbmondes.

Jede der beiden Seiten des Gebäudes ist durch je zwei mächtige, vor die Fronten etwas vortretende Widerlagspfeiler, welche in regelmässigen Absätzen dem terrassenförmigen Aufbau der Geschosse folgen und in Höhe des Kuppelkranzes mit thurmartigen Bekrönungen endigen, in gleiche Abtheile geschieden und dadurch kräftig gegliedert, An der Vorder- und Hinterseite kommen diese Widerlager wegen der anders gestalteten architektonischen Ausbildung der unteren Theile nur in den oberen Geschossen zur Erscheinung, woselbst sie den ersteren gleichartig endigen.

Abgesehen von den Wölbflächen der Kuppeln werden Dachflächen über den Hauptgesimsen, wenigstens von unserem nahe gelegenen Standpunkt aus, nicht weiter sichtbar.

Der innere Raumkern kommt sonach in den äusseren Umrisslinien im wesentlichen klar zur Erscheinung, eine Eigenthümlichkeit und in mancher Beziehung auch ein Vorzug, welchen die Bauwerke des Orients bei Anwendung der bequemen und schmiegsamen Bleideckung im Grunde genommen allein der Milde des Klimas zu danken haben. –

Inneres der Moschee

Wenden wir uns nach diesem Ueberblick nunmehr zu der inneren Anordnung und räumlichen Gestaltung des Bauwerks.

Die Moschee umfasst die bei allen grösseren Anlagen üblichen Haupttheile: den Vorhof (Haram) und den Versammlungsraum, Betraum (Djami). Beide liegen in gleicher Höhe etwa 1,0 m über dem Erdboden und bilden zusammen ein geschlossenes Rechteck von rd. 60,0 m Breite und 95,0 m Länge, aus dessen Seiten nur die Unterbauten der Minarets und eine Abside auf der Südseite mässig hervortreten. Fast die Hälfte dieser Fläche wird von dem Vorhofe in Anspruch genommen. Derselbe ist von rechteckiger Form und liegt quer zur Hauptaxe des Gebäudes. Die an allen vier Seiten befindlichen Bogenhallen von rd. 8 m bezw. 9 m Weite umgeben einen freien Hofraum von 37,40 zu 24,80 m.

Die Grundform des Gebetraumes zeigt sich in ihrem äusseren Umfange ebenfalls als ein zur Hauptaxe quer liegendes Rechteck, in dessen Mitte jedoch ein regelmässiges Achteck eingeschrieben ist. Letzteres bildet die Grundform für die Entwickelung des eigentlichen Raumkernes. Die verbleibenden Grundrisstheile zu beiden Seiten des Achtecks sind zur Erweiterung des Raumes, Hallen- Anlagen und Emporen verwendet. Die Lichtmaasse des Hauptraumes betragen, zu ebener Erde im Rechteck gemessen, rd. 45,0 zu 35,90 m. Die Weite des Achtecks ist rd. 31,40 m bei einem Pfeilerabstand von 10,50 m (s. die Grundrisse und Schnitte.)

Vorgelegte Freitreppen führen zu den Eingängen, deren erhebliche Anzahl und Grösse das Betreten und Verlassen des Gebäudes in bequemster Weise, selbst bei ungewöhnlich starkem Besuche, gestatten. Der Gebetraum enthält allein fünf Zugänge, welche theils für den Eintritt zu ebener Erde, theils für den Besuch der Emporen und der Sultansloge dienen.

Von den zu dem Vorhof führenden drei grossen Pforten, ist die dem Haupteingang des Gebetraumes gegenüber liegende äusserlich architektonisch besonders hervor gehoben und mit ornamentalen Inschriften auf Marmor würdig ausgestattet. Verse in Goldbuchstaben auf grünem Grunde verkünden hier:

„Der Sultan Schah Selim, der Sultan und Kaiser aller Kaiser hat diesen Prachtbau, der dem Bau des Paradieses, genannt Religion des Islam gleicht, errichtet.”
„Gott segne feine Wohlthaten und vermehre sie bis an’s Ende der Welt.“
„Das Datum der Gründung ist eine Wohlthat Gottes und das Datum der Vollendung ist gleichfalls eine Wohlthat Gottes. – ” [Architecture Ottomane S. 42, Abbildung daselbst: Pl. II]

Treten wir durch das Portal in den Vorhof, so befinden wir uns in einer von Säulen getragenen, weiten Bogenhalle, deren Decke von einer Reihe zierlicher Hängekuppeln gebildet wird. Während diese Halle einen freien Hofraum in der Mitte von drei Seiten gleichmässig umgiebt, erhebt sie sich an der Zugangsseite des Gebetraumes zu höheren Maassen und prächtiger Wirkung.

Drei mächtige Hauptbögen von zwei kleineren Zwischenbögen getrennt, erreichen hier von stattlichen polirten Granitsäulen getragen, in rythmischem Wechsel, fast die doppelte Höhe der Seitenhallen. Mit drei Kuppeln über den Hauptbögen bekrönt, von denen die mittlere noch zu grösserer Höhe empor gehoben und besonders reich rippenförmig gegliedert ist, bereitet dieser Theil des Vorhofes, als eine selbständige Vorhalle von edlen Verhältnissen und monumentaler Behandlung auf unvergleichliche Weise den Eintritt zur Stätte der Anbetung vor. (Siehe die Abbild. auf der Bildbeilage zu No. 55.)

Die Vorhalle zum Gebetsraum vom Vorhofe aus gesehen

Der ganze Vorhof, dessen Gesammterscheinung durch das in der Mitte befindliche unschöne Brunnenhäuschen wahrscheinlich eine spätere Zuthat – leider etwas beeinträchtigt wird, athmet in seiner Zurückgezogenheit und Ruhe eine Weihe. welche – vereint mit der einladenden Kühle und dem gedämpften Licht unter den Hallen von anziehendem Reiz ist.

Ein grossartiges, in den reichsten Formen ottomanischer Kunst ausgestattetes, durch Stalaktitenbildungen und reiche Ornamentik geschmücktes Nischenportal führt uns nunmehr durch die Vorhalle in den Hauptraum der Moschee, den Gebets- oder Versammlungsraum. Wir befinden uns sofort – nach Passiren eines halb dunkeln, von Teppichgehängen gebildeten Windfanges – unter dem weiten Gewölbe der Hauptkuppel. Unsere kühnsten durch den einleitenden Vorbau gesteigerten Erwartungen sehen wir von diesem sich über uns wölbendem Dome übertroffen. Aus acht gewaltigen, im Umkreise emporsteigenden Pfeilern von annähernd zylindrischer, aber vielseitig gegliederter Form entwickeln sich zwei Reihen von mächtigen spitzbogigen Gewölbbögen geschossweise über einander, alle dem gemeinsamen Zwecke dienend, die Kuppelwölbung zu tragen und wohl gerade durch diese Einheitlichkeit ihrer Bestimmung von so eindrucksvoller Wirkung. Die untere Reihe dieser Hauptbögen folgt, wie wir bei näherer Betrachtung gewahr werden, noch der äusseren quadratischen Umfassung der das Achteck der Pfeilerstellung umgebenden Gewände. Dergestalt wird jede Seite des Quadrates von drei grossen Gewölbbögen eingenommen, so dass zusammen deren zwölf vorhanden sind. Die obere Bogenreihe dagegen, welche mit Hilfe der energisch vor die Umfassungswände vortretenden Hauptpfeiler stark in das Rauminnere hinein tritt, ist nach den Seiten eines regelmässigen Achtecks angeordnet.

Ueber jenen unteren tritt somit eine abermalige Reihe von acht grossen Tragebögen in Wirksamkeit, so dass wir im ganzen deren zwanzig zählen! – Von den letzteren Bögen sind die in den vier geraden Seiten des Achtecks liegenden gleich den unteren mit grossen Fenstergruppen ausgefüllt, während diejenigen der schrägen Achtecksseiten sich gegen Halbkuppeln öffnen, welche den Uebergang von der rechteckigen Form des Untertheils zu der achteckigen des Obertheils vermitteln. Auch in diesen Halbkuppeln ist für Lichtzuführung durch einen Kranz von Fenstern gesorgt. Fast unmittelbar über den letztgenannten Hauptbögen und von denselben nur durch eine leichte Konsolen-Galerie geschieden, nimmt die Hauptkuppel ihren Ansatz, nachdem die kreisförmige Basis derselben durch Stalaktiten-Auskragungen anstelle der sonst gebräuchlichen Zwickelwölbungen gewonnen ist.

Längsschnitt

Um den so reich gestalteten Raum wirkungsvoll zu vertiefen, hat der Architekt die zwischen den Pfeilern und Widerlagern verfügbaren Grundrisstheile so weit wie möglich zur Erweiterung des Inneren auszunützen gesucht. Mit trefflichstem Erfolge hat er in diesem Bestreben erreicht, dass die acht grossen Hauptpfeiler von den Wänden fast gänzlich losgelöst erscheinen und die von ihnen getragenen Hauptbögen vom Boden auf mit voller Entschiedenheit sich entwickeln. Damit sind ferner an den beiden Seiten des Raumes förmliche, durch spitzbogige Tonnengewölbe überdeckte Seitenschiffe geschaffen, welche durch die an ihnen gelegenen; mittels kleinerer Bogenreihen geöffneten Emporen eine weitere Vertiefung erhalten.

Auch an der Eingangsseite ist die Anlage derartiger Tonnengewölbe, wenngleich in verminderter Tiefe mit Rücksicht auf die aussen vorliegende Halle durchgeführt; indess ermangeln die Emporen daselbst der Arkaden. Nur die Südseite, für welche die Anlage von Emporen wohl aus Gründen des Kultus nicht angezeigt war, entbehrt dieser Vertiefung. Hier aber ist durch eine absidenartige Erweiterung des mittleren Bogens zur Aufnahme der Gebetnische eine besondere bedeutsame Unterbrechung der durch Fenster nur spärlich durchsetzten Wandfläche erzielt. Diese Abside – die übrigens in derartiger Anlage ein seltenes Moment in den türkischen Moscheenbauten – ist in Höhe der unteren Tragebögen mit einer Halbkuppel abgeschlossen. Auch hier vermitteln künstliche Ueberkragungen in krystallinischen Formen den Uebergang von der eckigen Grundform zum Halbrund.

Die Wandflächen der gesammten Südseite haben als Ersatz für den Mangel architektonischer Gliederung einen reicheren Farbenschmuck durch Marmortäfelungen, bunte Fliesen-Verkleidungen und Friese kunstvoll geschriebener Koransprüche erhalten, wie auch die Fenster durch farbige Verglasungen ausgezeichnet sind. An den übrigen Wandflächen ist der Schmuck edlerer Gesteinssorten oder Fliesen nur spärlich verwendet.

In der Farbenstimmung des Raumes herrscht im allgemeinen ein hellgrauer, dem natürlichen Gestein der Pfeiler und Stalaktiten-Wölbungen ähnlicher Ton vor. Auch in der malerischen Ausstattung haben augenscheinlich, wie in den Konstantinopeler Moscheen, spätere Erneuerungsarbeiten mancherlei geschmacklose Entstellungen oder Zuthaten geschaffen, welche den ursprünglich einfacheren und harmonischeren Charakter stark beeinträchtigen. Namentlich stehen die barocken Malereien in den Kuppel-Gewölbflächen in unerfreulichem Gegensatz zu den sonstigen, dem Stile eigenthümlichen Farben und Formen. Ebenfalls auffällig, wenn auch stilüblich und in gewissem Grade die architektonische Wirkung unterstützend, ist der grelle Wechsel heller und dunkler Quadersteine und die fast übermässige Wiederholung dieses Motivs bei fast sämmtlichen Bogenformen des Gebäudes hier im Innern sowohl, wie auch im Aeusseren. Wie verschiedene Anzeichen vermuthen lassen, scheint auch in diesem Falle die geschmacklose Uebertreibung, welche mit dieser bequemen Art von Malerei getrieben worden ist, lediglich Späteren beigemessen werden zu müssen.

Querschnitt

Für unsere Empfindung leidet überdies die Wirkung des Raums unter der allzu grossen Helligkeit, die ihm von im ganzen rd. 300 Fenstern zugeführt wird und die infolge dessen eintretende Zerstreuung des Lichtes, welche alle stärkeren Schattenwirkungen aufhebt. Auch in diesem Punkte scheint gegenüber dem ursprünglichen Zustande eine ungünstige Veränderung eingetreten zu sein, da eine grosse Anzahl von Fenstern beispielsweise in den seitlichen Emporen im Laufe der Zeit das feine Steingitterwerk eingebüsst hat, mit welchem sie jedenfalls zur Dämpfung des Lichtes ausgesetzt waren. Auch sind die oberen Fenster, wie erwähnt werden mag, ehemals grösstentheils doppelte gewesen, durch deren zwiefache mit starkem Gipsmalswerk versehenen Butzenscheiben-Verglasung der Lichtzufluss stärker vermindert wurde, als dies bei dem jetzigen Zustande der Fall ist.

Die architektonische Formensprache ist, dem Wesen des Stils entsprechend, eine knappe und beschränkt sich im wesentlichen auf die Säulenkapitelle und mannichfache Systeme von Auskragungen anstelle von Konsolen und Zwickelwölbungen, sämmtlich in kristallinischer Bildungsweise und Gesetzmässigkeit. Hier aber tritt eine Meisterschaft zutage, welcher wir ungetheilte Bewunderung zollen müssen. Lösungen der schwierigsten und seltensten Art erscheinen hier mit spielender Leichtigkeit erzielt und überall fügen sich die Formen unter der Hand ihres Schöpfers in zwangloser Weise unter die Gesetze des Stils und in den Organismus des Ganzen.

Ein für unser Auge etwas störendes Element in der Gesammterscheinung sind die zahlreichen eisernen Ankerstangen, welche die lichten Oeffnungen der Bögen zumeist in Kämpferhöhe und vielfach doppelt auftretend durchschneiden. Es ist dies eine Eigenthümlichkeit des Bausystems, welche theils aus dem Wesen der angewandten Bogen-Konstruktionen hervor gegangen und unentbehrlich ist, theils aus Vorsicht, gegenüber den zahlreichen Erdbeben erklärlich, mit der Zeit gewissermassen zu einem Bestandtheil der Bauweise geworden ist, welchen man als selbstverständlich hinnehmen muss. So gewahren wir ausser minder auffälligen kleineren Verankerungen eine besonders starke Ankerverbindung in Kämpferhöhe der unteren Hauptbogenreihe und eine zweifache in der oberen, welche im Zuge des Achtecks liegend eine Art Kettenanker bildet. – Bei so reichlicher und grundsätzlicher Anwendung von Verankerungen wird man wohl nicht fehlschliessen, wenn man annimmt, dass auch im Fusse der Hauptkuppel ein Kettenanker verborgen seine Dienste verrichtet, wenn auch äussere Anzeichen hierfür nicht bemerkbar sind.

Ungeachtet mancher Unvollkommenheiten ist dennoch die architektonische Gesammterscheinung eine wahrhaft schöne, fesselnde, bei der sich in wohl abgewogenen glücklichen Verhältnissen zwischen Massen und Oeffnungen, zwischen Stützendem und Schwebendem, Kraft und Anmuth wohlgefällig verbinden. Die Raumwirkung selbst ist eine feierlich imposante. Die schon erwähnte Strenge und Einfachheit der architektonischen Elemente prägt derselben trotz der zerstreuenden Lichtfülle einen charaktervollen, beinahe herben Ernst auf, welchen selbst die ablenkende Farbenunruhe nicht zu verscheuchen vermag.

Wohl erklärlich erscheint es hiernach, dass die türkische Welt auf dieses Werk mit Bewundern blickt, seines Rühmens nicht müde wird und es in frommem Stolze selbst über die Aja Sófia (türkische Aussprache) stellt. Die Legende, welche davon in der Hauptstadt am Bosporus, auch in europäischen Kreisen, in Umlauf ist und die in bekannten Reisehandbüchern Aufnahme gefunden, nach welcher der Durchmesser der Hauptkuppel größer als derjenige der Aja Sofia wäre, bildete s. Zt. den Antrieb für den Verfasser, diese Frage an Ort und Stelle näher zu untersuchen und klar zu stellen. [Meyers Reisebücher: Türkein und Griechenland, Jhrg. 1888, S. 124.] Aufgrund des thatsächlichen Befundes bei der Selimije stellte sich dabei inbezug auf die maassgeblichen Abmessungen der fraglichen Raumweiten folgendes heraus.

Der Kuppeldurchmesser beträgt bei der Aja Sofia (nach Salzenberg) 33,40 m, die lichte Entfernung der die Kuppel tragenden Mauern und Pfeiler, welche für den Eindruck der Raumweite allein inbetracht kommt, normal zur Hauptaxe gemessen 31,40 m. Die entsprechenden Abmessungen der Selimije sind 31,20 m und 31,50 m. [Die völlig zutreffende Genauigkeit dieser Maasse, sowie die Richtigkeit aller Einzelheiten der Aufnahme vormag Verfasser nicht zu vertreten, da die Arbeiten nur unter sehr schwierigen Umständen durchführbar wären. Nächst der Förderung, die dieses Unternehmen durch Seine Exelenz den Hrn. Botschafter von Radowitz erfuhr, ist das Erreichte hauptsächlich dem Kunstinteresse des damaligen Betriebsdirektors der orientalischen Eisenbahnen, Hrn. Sarrazin () in Konstantinopel – zu verdanken, der, ebenso wie die Hrn. Eisenbahn-Beamten in Adrianopel, Ingenieur Drees und Müller den Verfasser in dankenswerther Weise unterstützte.] Die letztere kommt der Aja Sofia in der Kuppelweite also in der That ziemlich nahe, und übertrifft dieselbe sogar in dem Pfeileranstand um eine Kleinigkeit. Bei einem Vergleich der räumlichen Wirkung beider Gebäude ist dieses Verhältniss jedoch nicht ausschlaggebend, da es gegenüber der gewaltigen Längenabmessung der Aja, auf welcher ihre Ausdehnung in die Tiefe beruht, als minderwerthig zurück tritt. Während diese bei der Selimije einschliesslich der Abside nur auf etwa 45,0 m angenommen werden kann, beläuft sie sich bei jener mit Inbegriff der grossen Halbkuppeln auf rd. 67,50 m. Nicht minder beträchtlich überragt die Lichthöhe des Kuppelscheitels der Aja denjenigen der Selimije mit 55,40 m gegen höchstens 44,0 m.

Bleibt also die Selimije im ganzen inbezug auf die Maasse doch wesentlich gegen die Aja Sofia zurück, so ist dies nicht minder bei einer vorurtheilslosen Vergleichung der Raumwirkung an sich der Fall. Auch hier muss der Aja Sofia im Vergleich mit ihren Nachbildungen die Palme zuerkannt bleiben. Gegen die feierliche Ruhe und majestätische Erhabenheit ihres Gewölbes, das sich wie ein irdischer Himmel über dem Beschauer ausspannt und das durch den überall sich ausbreitenden sattgoldenen Farbenton mit den tieferen Schatten neben gedämpfter Lichtfülle so weihevoll gestimmt ist vermag die Selimije-Moschee trotz unleugbarer Schönheiten der räumlichen Gestaltung wie des architektonischen Aufbaues nicht aufzukommen.

Immerhin gebührt ihr die Anerkennung eines Architekturwerkes, das der Aja Sofia in vieler Beziehung an die Seite gestellt werden kann, inbezug auf Vollkommenheit der Technik dieselbe aber sogar in manchen Punkten überragt. – Unzweifelhaft darf man in ihr den Höhepunkt der osmanischen Baukunst und damit in gewisser Hinsicht auch einen der letzten bedeutenden Ausläufer byzantischer Gewölbekunst erblicken, der in seiner Beziehung zu dieser näherer Betrachtung werth erscheint.

Bevor wir uns zu einem Rückblick auf dies Gebiet wenden, möge aber noch Erwähnung finden, was zur Vervollständigung des architektonischen Bildes der Selimije in technischer Hinsicht und auch in mohamedanisch-kirchlicher Beziehung von Interesse ist.

Die Hauptkuppel nimmt im Innern annähernd die volle Form einer Halbkugel ein, erscheint ausserlich aber infolge des nach bekanntem byzantinischem Vorbild angelegten Fensterkranzes mit Pfeilervorlagen mehr als eine Flachkuppel. Die Stärke der Widerlager und der Wölbung selbst ist für die aussergewöhnliche Spannweite verhältnissmässig gering. Bemerkenswerth erscheint, dass die Kuppelansatz-Linie – abweichend von ähnlichen früheren Anlagen und der Aja Sofia selbst – im Umkreise durch Ueberkragung in den inneren Raum hinein gezogen ist, eine Anordnung, welche wohl geeignet erscheint, die Meisterschaft Sinans in der Behandlung so bedeutender und schwieriger Konstruktions-Aufgaben in ein helles Licht zu setzen.

In konstruktiv ebenso geschickter wie praktisch vortheilhafter Weise sind die Widerlags-Pfeiler der Ost- und Westseite benutzt, um bequeme Treppen zu den seitlichen Emporen in reichlicher Zahl aufzunehmen. Die zu diesem Behufe verbreiterten Pfeiler boten dem Architekten ausserdem ein wirkungsvolles Moment, um die fraglichen Fassaden in kräftiger Weise zu gliedern.

Diese Treppen, die übrigens nur von den äusseren Hallen zugänglich sind, gewähren in weiterem Verlaufe auch Zutritt zu dem ersten Dache, von welchem wiederum die oberen Dächer und die Kuppelgalerie mittels Wendeltreppen in den nördlichen Pfeiler-Vorlagen erreichbar gemacht sind.

Zwei kleine, in dem Mauerwerk neben dem Haupteingang verborgen angelegte Treppen ermöglichen ausserdem den Besuch der Emporen vom Innern des Gebetraumes aus.

Hier wie an anderen, die praktische Seite der baulichen Anlage betreffenden Einrichtungen z. B. der zweckmässigen Anordnung zahlreicher Waschplätze an den Seitenfronten für die vom Kultus vorgeschriebene Reinigung vor dem Betreten der Moschee, zeigt sich die Umsicht und Geschicklichkeit des erfahrenen Architekten, der allen Anforderungen des Bedürfnisses in trefflicher Weise gerecht zu werden verstanden hat. [Welcher Art die Akustik den Raumes sei, vermochte Verfasser nicht hinlänglich festzustellen. Bei gelegentlichen Versuchen im leeren Raum zeigte sich nur ein geringer und unbedeutender Nachhall, so dass auf eine im ganzen günstige Akustik geschlossen werden kann.]

Abgesehen von der architektonischen Fassung ist die Ausstattung der Moschee, insbesondere des Gebetraumes den geringen Anforderungen des mohamedanischen Kultus entsprechend, welche hauptsächlich im Vorlesen des Koran und Gebetsübungen bestehen, eine sehr einfache. Die letzteren pflegen bei grösseren Andachten von den Gläubigen reihenweise, dem Beispiel des Vorbeters folgend, verrichtet zu werden. Daher ist der Fussboden, abgesehen von einzelnen kleinen Gebetsschranken an den Pfeilern und unter den Emporen, ohne jedes Gestühl, und allein mit Matten oder Teppichen belegt. Nur in der Mitte des Raumes erhebt sich etwas auffällig eine ziemlich grosse auf hölzernen Bogenstellungen ruhende Plattform (Mafil), welche den Koran-Vorlesern zum Aufenthalt dient und übrigens etwas geschmacklos durch eine Verkleidung der Wendeltreppe in Form einer abgestumpften Säule verunziert wird. Inmitten unter der Plattform befindet sich ein kleiner Springbrunnen, dessen feiner Wasserstrahl, in alabasternem Becken niederfallend, rings angenehme Kühlung verbreitet. –

In dem Absiden-Ausbau springt die Gebetnische (Mihrab), welche die Richtung nach Mekka (die Kibla) angiebt, in die Augen. – Auch sie ist ähnlich dem Eingangsportal durch eine Umrahmung mit einer Nische, welche aufs kunstvollste von kristallinischen Steinformen überwölbt und mit Fliesenbekleidung reich verziert ist, bedeutungsvoll hervor gehoben. Zwei riesige, in Messing hergestellte Leuchter mit kolossalen Kerzen stehen zu ihren Seiten.

In sehr auffälliger Form zur rechten Hand der Gebetsnische erhebt sich vor einem der Hauptpfeiler und durch eine steile Treppe von vorn zugänglich die Kanzel (Mimber) mit einem spitzen buntfarbigen Dachaufsatz bekrönt. Streng in den Formen des Stils in reich durchbrochener Arbeit, sehr gediegen in Marmor und Holz ausgeführt, bietet sie ein schönes Beispiel von Mosaik-Arbeit in technischer Vollendung und Schönheit.

Erwähnt sei hier, dass die Tischler-Arbeiten, so weit sie aus der alten Zeit stammen, sich durch eben so schöne Zeichnung wie gute Ausführung bemerkbar machen. Namentlich gilt dies auch von den mit ornamentirten Bronze-Beschlägen versehenen Thüren und Läden der zu ebener Erde liegenden vergitterten Oeffnungen, welche, nach den vorliegenden Hallen mündend, kaum einen anderen Zweck haben, als nach Bedürfniss erfrischenden Luftzug zu ermöglichen.

Zur linken Seite des Eintretenden, gegenüber der Kanzel und vor die letzte Seiten-Empore daselbst vorgebaut, erhebt sich auf zierlichen Säulen und Bögen reich mit Fliesenschmuck ausgestaltet die Sultans-Tribüne, von leichtem vergoldeten Holzgitterwerk oberhalb umhegt und abgeschlossen.

Zu den dem Islam eigenen Formen und Einrichtungen muss auch der eigenthümliche Beleuchtungs-Apparat gezählt werden. Fünf grosse, um einen einfachen Kronleuchter in der Mitte konzentrisch angeordnete Eisenringe schweben an zahlreichen Ketten und Drähten, die von dem grossen Kuppel-Gewölbe ausgehen, in mässiger Höhe über dem Boden und bilden ihrerseits die Träger unzähliger Lämpchen, zu denen sich verzierte Strausseneier und andere kleine Weihegeschenke gesellen.

So ergiesst sich bei Abend-Andachten ein Lichtmeer durch den Raum, dessen Glanz bei Festen durch Lampenreihen an den Galerien der Kuppeln und den Emporen noch erhöht wird. An solchen Abenden kommt auch die Bedeutung der Minarets, als mächtige Kerzenträger dem Lobe Allah’s zu dienen, erst zu rechter Geltung. Glänzende Ringe von Lämpchen schmücken ihre Balkone; ganze Lichtguirlanden schwingen sich in mächtigen Bogenlinien durch die Nacht von einem Thurm zum andern, und das Ganze, vom Zauber orientalischer Mondschein-Nächte umflossen, gewährt oft einen mährchenhaft phantastischen, hinreissenden Anblick.

Bei Betrachtung der Aussen-Architektur fällt im allgemeinen die Einfachheit der technischen Behandlung auf, welche in Verein mit der Knappheit der Gesims-Gliederungen und Schmuckformen dem Ganzen den Charakter einer absichtlich zur Schau getragenen Anspruchlosigkeit und Strenge giebt.

Eine der Bedeutung des Gebäudes angemessene Behandlung vermag man, genau genommen, eigentlich nur in dem unteren Geschoss bis zum Hauptgesims zu erblicken.

Die architektonische Durchbildung der Minarets mit ihrem dreifachen Galerien-Kranz auf Stalaktiten-Konsolen und ihren von Rundstäben eingefassten Kaneluren zeigt sogar eine gewisse Steigerung des Aufwandes an Kunstformen. Dagegen entbehren die höheren Geschosse des Hauptkuppelbaus derselben gänzlich und erscheinen zumal in ihren mit Bleiplatten belegten Theilen fast bis zur Rohheit vernachlässigt. Sind doch unter dieser, alle Formen vernichtenden Verkleidung die Fensterkränze der grossen Kuppel wie der über Eck gestellten kleinen Halbkuppeln und selbst die, die Widerlagspfeiler bekrönenden Thürmchen völlig verhüllt.

Wenn Aehnliches auch bei anderen, ja fast den meisten, türkischen Moscheeenbauten zu beobachten ist, und auf mannichfache Gründe zurück geführt werden kann, so findet sich in diesem Falle wohl nur die Erklärung, dass Mangel an Zeit oder Mangel an Mitteln allein den Meister zu so rücksichtsloser Abfertigung seines im übrigen so sorgfältig behandelten Hauptwerkes gezwungen haben dürften. Für diese Annahme mag auch der sonst wohl unerklärliche Umstand sprechen, dass die erwähnten acht Thürmchen um den Kuppelkranz, deren Ausführung man aus statischen Gründen massiv vermuthen möchte, überraschender Weise in Holzfachwerk mit Bleiverkleidung hergestellt sind.

Bei aller Einfachheit lässt sich übrigens eine, für orientalische Ansprüche zum wenigsten, hervor ragende Solidität der Ausführnng in der Steintechnik nicht verkennen.

Die gesammten Mauerflächen des Aeusseren sind in Hausteinschichten, allerdings mit verputzten Fugen, ziemlich sorgfältig hergestellt. Das Material besteht anscheinend aus Kalkstein, der wohl in der Nähe gebrochen ist. Für die Fenstereinfassungen und Bögen haben auch andere Steinsorten Verwendung gefunden und Putzflächen sind ganz vermieden,

In Haustein ohne Verputz und Stuck sind auch wie hier nachträglich hervor gehoben werden mag – die wesentlichen Bautheile des Innern, die Hauptpfeiler mit den grossen Tragebögen und sämmtliche die Zwickelgewölbe ersetzenden, kristallinisch gebildeten Vorkragungen nebst angrenzenden Theilen ausgeführt, so dass auch dort, bei gleichzeitiger Verwendung von Fliesenschmuck, die Putzflächen nur einen verhältnissmässig geringen Theil der Wandungen einnehmen.

Bemerkt sei noch, dass das Material der Hauptpfeiler angeblich aus Porphyr besteht.

Auffällig im Hinblick auf die sonstige einheitliche Durchbildung der Aussen-Architektur ist die Anlage der etwas plumpen Minaret-Sockel. Aus dem Mangel jeder organischen Verbindung mit den benachbarten Gebäudetheilen und aus der Lage der fraglichen Gesimse muss notgedrungen auf eine nachträgliche Veränderung des Bauplans, vielleicht in der Höhen-Entwickelung der Seitenschiffe geschlossen werden, die eine solche Verunstaltung zurfolge hatte.

Andererseits zeigen gerade diese Minarets in ihrer konstruktiven Durchbildung die vollkommenste Technik.

Die beiden vorderen sind sogar durch ein Steinmetzkunststück besonderer Art berühmt. Drei Treppen, deren Läufe spiralförmig in gleichem Abstande über einander hinlaufen, führen je zu einer der drei Galerien. Von Interesse ist hierbei hauptsächlich der Beginn der Treppenläufe im Sockeltheile der Minarets.

Inmitten des Raumes daselbst, an dessen Wandungen die 3 Treppen empor steigen, steht eine gedrungene Granitsäule von 1,04 m Stärke, welche die Steinspindel mit den oberen Läufen trägt. Rings um sie gestattet ein schmaler Umgang von nur 0,65 m Weite den Zutritt zu den Treppen, die sich über dem kurzen Stamm der Säule allmählich in dem Grade zusammen ziehen, wie es der nur 3,75 m Durchmesser enthaltende Schaft der Minarets erfordert.

Mit der Selims-Moschee schliesst die Reihe jener bedeutenden Moscheeen-Bauten aus der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts, welche noch der Gegenwart Zeugniss geben von der glanzvollen Machtenfaltung jener Epoche des türkischen Reiches. Mit ihr ist auch die nationale Kunst des Osmanenthums zu einem später nicht wieder erreichten Höhepunkt gelangt.

Die Anfänge der osmanischen Baukunst, wie man diesen Zweig der arabischen Kunst inanbetracht seiner selbständigen Eigenart wohl nicht mit Unrecht genannt hat sind – der Entstehungs-Geschichte des türkischen Staates und Volkes entsprechend – natürlich in Kleinasien zu suchen. Nach den überkommenen Werken zu schliessen, ist es unter den Städten des jungen Reiches, die sich hervorragender Bedeutung erfreuten, besonders Brussa, die einstmalige, in so reizender Landschaft liegende Residenz der Sultane, wo wir die ersten charakteristischen Schöpfungen der neuen Kunst gewahr werden. Hier ist es besonders eine dem Umfange nach kleine, die sogen. „Grüne Moschee“ (Yeschil Djami), erbaut 1424 vom Sultan Mohamed-Tschelebi, an welcher die Formen und Gesetze der neuen Stilordnung in überraschend ausgeprägter Weise hervortreten. (Man vergleiche den beigefügten Grundriss.) [Grundriss nach Kortüm, Jhrg. 1876, S. 457 d. Dtsch. Bauztg.] Dem als Meister genannten Elias Ali, der in diesem Werke eine Fundgrube origineller Formgedanken geschaffen, muss deshalb der Ruhm eines Begründers der osmanischen Baukunst gezollt werden. [Architecture Ottomane, édition autorisée p. Elidem Pacha Constantinopel 1874, S. 12.] Jedoch macht sich in Brussa noch der Einfluss des mit dem Kultus zusammen wirkenden Araberthums geltend. In bescheidenen Maassen und schlichten Formen erst tritt neben dem vielreihigen Hallenbau nach alt arabischem Muster eine Anlage von der neuen Grundform auf, wie sie eben die vorgenannte Moschee zeigt, bestehend im Wesentlichen aus einem hoch geführten einschiffigen Langbau mit niedrigen Seitenräumen, Emporen und Vorhalle an der Eingangsseite. Die Ausführung der Bauwerke jenes Zeitabschnitts ist in konstruktiver Hinsicht noch schwerfällig und schüchtern, der Innenraum bei mangelhafter Lichtzuführung meist anspruchslos und ohne Wirkung, der äussere Aufbau unbeholfen oder gänzlich vernachlässigt und unschön.

Grüne Moschee in Brussa

Ein neues Moment der Entwickelung, in welchem sich nebenbei auch bereits byzantische Einflüsse in den Gewölbeformen deutlich verspüren lassen, tritt sodann mit der Verlegung der Reichsgewalt nach Europa und der Wahl Adrianopels als Herrschersitz auf. Schon die ersten, bald nach der Uebersiedelung entstandenen Moscheen zeigen dasselbe. Die Grundriss-Anordnung erweitert sich hier zu der später für alle grösseren Moscheen typisch gewordenen Form eines einheitlich zusammen gefassten Betraumes als Haupttheils des Gebäudes mit einem vorgelegten offenen, von Hallen umgebenen Hofraum – eine Form, deren Anwendung demnächst fast zu einem ausschliesslichen Vorrecht der Kaiserlichen Bauherrn wurde. Die von Murad II(1421 bis 1451) erbaute „Moschee mit den drei Galerien“ (Uetsch Scherfeli Djami) soll die erste Moschee sein, welche diese Bereicherung des Baugedankens in einer organischen Verbindung der genannten, an sich so verschiedenartigen Haupttheile des Gebäudes zeigt. [Vergl. v. Hammer, Geschichte des osmanischen Reiches S. 375. Die Moschee ist ferner ausgezeichnet mit 4 Minarets, von denen eins 3 Galerien und spiralförmige Treppenläufe erhalten hat. Endlich ist sie für die Landesgeschichte besonders merkwürdig als erste, die mit der Stiftung eines Hauses der Ueberlieferungsschule (Darul-Hadis) ausgestattet ist.] Noch scheint sich aber die Grundform des Gebetsraumes selbst, abgesehen von den Grössen-Verhältnissen, nicht wesentlich von denen zu Brussa zu unterscheiden. [Verfasser vermag dies nur soweit zu bestätigen, als es sich aus dem Aeusseren schliessen lässt, da ihm eine Besichtigung des Inneren nicht möglich war.]

Den grössten und fruchtbringendsten Antrieb zur weiteren Entwickelung der in ihr ruhenden Keime erhält endlich die osmanische Kunst, nachdem Constantinopel gewonnen war, unterdem unmittelbaren Einfluss der byzantischen Kirchenbauten und dem überwältigenden Eindruck der über allen ragenden Aja Sofa. Abweichend von den christlichen Anlagen, welche den Langhausbau bevorzugen, wird wohl hauptsächlich aus Kultusrücksichten nunmehr eine mehr oder minder zentralförmige Anlage die eigenthümliche und vorherrschende.

Moschee Sult. Mohamed II. in Constantinopel

Der erste bedeutende Moscheenbau, die vom Sultan Mohamed II., dem Eroberer errichtete und nach ihm Mehmedije benannte Moschee ist auf diesem Wege bahnbrechend. (Vergleiche den beistehenden Grundriss.) [Grundriss nach Adler, Jhrg. 1874, S. 77 d. Dtsch, Bztg. Derselbe sagt von ihr a. a. O.: „In der Konsequenz des Raumgedankens und in der Vereinfachung der Struktur (freilich bei einem um 1/3 kleineren Maassstabe) ist sie jener (der Aja Sofa) sogar überlegen und verdient, als ein erster Versuch in den seit Jahrhunderten verlassenen Bahnen grossräumiger Gewölbebaukunst weiter zu schreiten, entschiedene Anerkennung.“] Sie zeigt die Raumbildung der Aja Sofia, welche bei dieser nur in der Richtung der Hauptaxe entwickelt ist, auch auf diejenige der Queraxe ausgedehnt und würde in dieser kühnen Erweiterung des Programms die Aja Sofia selbst überflügelt haben, wenn ihr die konstruktiven Schwierigkeiten der Aufgabe nicht unüberwindliche Schranken gesetzt hätten. Diese aber erlaubten dem Architekten nicht, über rd. 20,25 m Durchmesser der Hauptkuppel hinauszugehen und drückten somit die Raumwirkung infolge der verminderten Grössen-Verhältnisse auf einen, wenn auch an sich bedeutsamen, so doch der Aja Sofia gegenüber bescheidenen Grad herab. Bemerkenswerth ist nebenbei, wie der Baumeister, ein Grieche Namens Christodulos, die architektonische Fassung des Raumgedankens so ganz im mohamedanisch-osmanischen Geiste zu empfinden und auszudrücken vermochte, dass sein Werk – abgesehen von der Aufnahme jener Raum-Idee und der Nachahmung des Konstruktions-Systems – kaum sonstige byzantische Erinnerungen aufweist; ein Zeichen dafür, wie schnell die nach der Eroberung noch verbliebenen Bestandtheile des Griechenthums aus der byzantinischen Zeit und deren Kultur in dem jungen Osmanenstaate Aufnahme fanden und in demselben aufgingen.

Moschee Sult. Suleiman I. in Constantinopel

Die in der Folge entstandenen Bauten zeigen in ihrer räumlichen Anordnung fast sämmtlich die zentralförmige Raumgestaltung mit mehr oder minder grosser Annäherung an die in der Aja Sofia bezw. in der Mehmedije festgelegte Grundform, durchweg freilich in einer den Forderungen des jeweiligen Programms angepassten und beschränkten Fassung. Erwähnenswerth erscheinen in diesem, etwa ein Jahrhundert umfassenden Zeitraum die Djami Mehmed-Pascha (erb. 1478—81) und die Djami Sultan Bajazid II. (erb. 1497—1505).

Moschee Mehmed Pascha in Constantinopel

Die Moschee Mehmed-Paschas – (man vergl. den umstehenden Grundriss) [Grundriss nach Adler, Jhrg. 1874., S. 77, d. Dtsch. Btzg.] ist insofern merkwürdig, weil sie – wenigstens soweit bekannt bei Moscheeenbauten – die erste Entwicklung eines Kuppelbaues auf polygonaler anstelle der sonst üblichen quadratischen Grundform darstellt. Und zwar ist es hier seltsamer Weise das in ein Rechteck eingeschriebene Sechseck, in dessen Seiten die Pfeiler und Tragebögen der Kuppel angeordnet sind. Ueber Eck angelegte Halbkuppeln und Tonnengewölbe dienen als Widerlager und erweitern den sechseckigen Raumkern bis zu der rechteckigen Grundrissform der Umfassungen. Obwohl in sehr bescheidenen Abmessungen gehalten, gebührt dem Bauwerk doch bei einem Blick auf die Entwickelung der türkischen Baukunst eine besondere Stelle, da es einen Raumgedanken zuerst in origineller Weise verkörpert, welcher später von Sinan aufgenommen in der Selims-Moschee zu erweitertem und vollendetem Ausdruck gedieh.

Moschee Sultan Bajazid II. in Constantinopel

Die Bedeutung der Moschee Bajazid II. (man vergl. den umstehenden Grundriss) [Grundriss nach Adler, Jhrg. 1874., S. 77, d. Dtsch. Btzg.], welche in ihrem Kern zwar als eine vereinfachte, aber sehr anerkennenswerthe Ableitung der Aja Sofia anzusehen ist, liegt dagegen nicht sowohl auf dem Gebiete der Raumgestaltung als in der Richtung der Stilbildung. Die edle, in anmuthig schönen und doch würdevollen Verhältnissen sich bewegende Architektur, in welche der Baumeister Chaireddin dieses sein Werk in echt nationalem Sinn und origineller Erfindungsgabe zu kleiden wusste, ist für die formelle Ausgestaltung des Stils und seine gesetzmässige Entwicklung von weitgehendster Bedeutung. Der Wirksamkeit dieses Meisters und dem Einfluss seines Hauptwerkes muss ein ganz hervorragender Antheil an der weiteren Entwicklung der osmanischen Kunstweise zuerkannt werden. Die Moschee leitet deren kurze Blüthezeit ein, welche mit Sinans Werken noch im Laufe des begonnenen 16. Jahrhunderts ihren allzu frühen Abschluss finden sollte. Ob Chaireddin noch persönlich als Lehrer auf Sinan gewirkt habe, muss dahin gestellt sein, obgleich es nicht unwahrscheinlich ist, da letzterer bereits 38 Jahre nach der Vollendung der Moschee Bajazid’s mit der Erbauung der Schahzade-Moschee als Meister auftritt. Jedenfalls war Sinan unter dem Einflusse jenes Meisters gebildet und in seinem Geiste ferner thätig.

Wie weit umfassend und fruchtbar die schöpferische Thätigkeit dieses seltenen Mannes gewesen ist, vermag hier nur angedeutet zu werden. Von der Gunst des Geschicks zu einer Zeit ins Leben berufen, in welcher der türkische Staat zur Höhe seiner Macht gelangte und wo Herrscher wie Suleiman, der Prächtige, das Szepter führten, hat er in einem langen, angeblich 100 Jahre währenden Leben eine in der Geschichte der gesammten Baukunst einzig dastehende Wirksamkeit geübt, die sich über sämmtliche Länder des weiten Reiches und auf alle Gebiete der Baukunst erstreckte. Seine Werke zählen nach Hunderten.[Die Architecture Ottomane, giebt ein angeblich von ihm selbst hinterlassenes Verzeichniss derselben, welches 312 Bauwarke verschiedenster Art aufweist, darunter 73 grössere Moscheen.] Doch nicht sowohl die Zahl als die hohe Vollendung einzelner seiner, uns bekannt gewordenen Schöpfungen lassen uns in ihm einen hervor ragenden Architekten und Meister seines Faches erkennen. Ueberall finden wir in der Plananordnung seiner Bauten eine übersichtliche Klarheit, eine den Bedürfnissen und Zwecken trefflich angepasste Zweckmässigkeit, in der architektonischen Gestaltung eine vornehme, oft grossartige Auffassung, durchgeführt stets mit edlem, sich maassvoll beschränkendem Schönheitsgefühl und seltener Sicherheit in der Beherrschung aller seiner Zeit zugebote stehenden Hilfsmittel in konstruktiver Hinsicht. In dem Entwicklungsgange, welchen er dahin genommen und welchen er der Ueberlieferung nach selbst angegeben, indem er die Schahzade-Moschee in Constantinopel als sein Lehrlingswerk [Nach d. Architecture Ottomane S. 8 hatte er die Moschee Sultan Selim I. In Constantinopel als solche angegeben], die Suleimanije als sein Gesellenstück und die Selimije endlich als sein Meisterwerk bezeichnet haben soll, kommt merkwürdiger Weise die in ihren Hauptpunkten dargelegte Entwicklung der Baukunst seit ihrem Einzug in Constantinopel wieder zur Erscheinung. In den beiden ersten Werken der Schahzade und der Suleimanije sind zunächst wiederum diejenigen Raumgedanken zum Ausdruck gebracht, welche wir in der Sultan Mehmed-Moschee und in der Bajazid-Moschee bereits dargestellt gesehen haben. Indess geschieht dies nach Anlage und Durchführung im Einzelnen, was Maassverhältnisse und Formen anbetrifft, in durchaus selbständiger Eigenart und künstlerischer Vollendung. (Man vergl. die beigefügten Grundrisse.) [Grundrisse nach Adler Jahrg. 1874 S. 85 und 95 d. Dtschn. Bztg.]

Schahzade-Moschee in Constantinopel

Bei seinem dritten grossen und Meisterwerke aber sehen wir Sinan auf völlig eigener Bahn und der Verwirklichung einer Raumidee folgend, welche nur, wie oben berührt, in der Mehmed-Pascha-Moschee einen in gewissem Maasse verwandten aber noch unscheinbaren Vorläufer gefunden hatte. Wir glauben hierbei von anderen bereits auf polygonaler Grundform errichteten Bauwerken, wie den Mausoleen (Türben) – als nicht in diesen Bereich fallend und von geringfügiger Bedeutung – absehen zu dürfen. –

Neben dem Anreize, den die Verwirklichung einer neuen, bis dahin in der türkischen Kunst nicht dagewesenen zentralen Raumform von so mächtigen Abmessungen auf den Architekten üben musste, leitete ihn zu diesem Schritte sicherlich auch die Erkenntniss der Vorzüge, welche dem Konstruktions-Systeme des Bauwerks aus der Anwendung der polygonalen Grundform erwachsen.

Welche Mängel in dieser Hinsicht der Aja Sofia und den ihr nachgebildeten Bauwerken anhaften, konnte einem Meister und Konstrukteur wie Sinan, der auch auf dem Gebiete des Ingenieurwesens reiche Erfahrungen gesammelt hatte, nicht verborgen geblieben sein. Dieselben bestehen bekanntlich darin, dass der Horizontalschub der Hauptkuppel bei quadratischer Grundform der unterstützenden Mauerzüge, Bögen usw. nicht überall durch gleichartige Widerlager aufgenommen wird. Während ihm an zwei Seiten (man vergegenwärtige sich den Grundriss der Aja Sofia) die angelehnten Halbkuppeln genügend begegnen, wird an den beiden anderen Seiten dieser Dienst den Eckpfeilern und den Tragebögen der Vierung zwischen ihnen zugemuthet. Der frei liegende und von aussen nicht gegengestützte Scheitel derselben ist der schwache Punkt des Konstruktions-Systems, den nachträgliche Versuche bei der Aja Sofia nie gänzlich zu beseitigen vermocht haben. Bereits in der kreuzförmigen Ausführung der ursprünglichen Raumidee der Aja Sofia, wie sie in der Mehemedije und der Schahzade-Moschee vorliegen, ist dieser Mangel vermieden und eine annähernd gleichartige Aufnahme des Kuppelschubes durchgeführt worden. Die aufs knappste beschränkten Maasse der Vierungspfeiler, die den Innenraum nicht beengende Anlage der Widerlager und die übersichtliche Oeffnung der Raumecken sind Vorzüge, welche bei diesen Bauten einen augenscheinlichen Fortschritt in der Konstruktion erkennen lassen. Indess bleibt damit die Ueberlastung der Eckpfeiler durch die Vereinigung der Gewichte und Schubkräfte von der Mittelkuppel und den anschliessenden Zwickelgewölben auf diese Pfeiler ungemindert fortbestehen. Die Rücksicht hierauf musste die Anwendung des Systems für grössere Raumweiten begrenzen und wir finden es thatsächlich nur bis auf Kuppelweiten von etwa 21 m benutzt.

Erst mit der Entwickelung der Kuppel aus und über der polygonalen Form der Unterstützung vermochte diesen Forderungen folgerichtig entsprochen und zugleich die Möglichkeit eröffnet zu werden, Raumbildungen von der Grossartigkeit der Aja Sofia mit verhältnissmässig geringem Aufwand und doch in völlig monumentaler Ausgestaltung zu schaffen. Bei der Selimije sehen wir diesen Schritt gethan. Die Unterstützungs-Punkte der Kuppel sind von vier auf acht vermehrt und es ist damit gleichzeitig die Belastung der ersteren entsprechend vermindert. Auch in der vorliegenden Lösung ist aber doch eine ganz gleichmässige Beanspruchung bezw. Widerstandskraft der tragenden Hauptbögen nicht erreicht worden, da die in den schrägen Achteckseiten liegenden Tragebögen durch vorgelegte und den Uebergang zur unteren Rechteckform des Raumes oder umgekehrt von dieser zum Achteck vermittelnden Halbkuppeln seitlich gestützt werden, während dies bei den entsprechenden Bögen der geraden Achtecksseiten nicht der Fall ist. Hier kommt jedoch die erheblich geringere Spannweite dieser Bögen gegenüber denjenigen, welche sich bei Tragebögen der quadratischen Grundform für dieselbe Kuppelweite ergeben würden, inbetracht. Auch fällt als ein sehr wesentliches Moment ins Gewicht, dass überall anstelle der den Schub vermehrenden Zwickelwölbungen, wie bereits oben erwähnt, Systeme von Vorkragungen getreten sind, welche vereint dem Schub der Kuppel nach aussen entgegen wirken.

Eine ähnliche Kenntniss der bei Kuppelbauten grösseren Umfanges zu beachtenden statischen Verhältnisse scheint den Vorgängern Sinans nicht zu eigen gewesen zu sein. Sehen wir doch sogar noch in der Aja Sofia den Fuss der Hauptkuppel unter Nichtbeachtung dieser Grundsätze der Statik etwa l m über die innere Stirnfläche der Vierungsbögen nach der Aussenseite hinaus treten und somit die Stärke derselben, abgesehen von anderen Nachtheilen, mindestens in unvortheilhafter Weise ausgenützt. –

Aus beiden Thatsachen, aus der Wahl des neuen Konstruktions-Systems auf polygonaler Grundlage, wie aus der anscheinend so einfachen Anordnung der Ueberkragungen zum Ersatz der Zwickelwölbungen darf ein Schluss auf den Fortschritt gezogen werden, den die Baukunst inbezug auf die Technik im allgemeinen in der baulichen Entwicklung von der Mehmedije bis zur Selimije zu verzeichnen hat. Aber auch im übrigen stellte die Durchführung der zugrunde gelegten Raum-Idee mit Hilfe des gewählten Systems Aufgaben der vielseitigsten und schwierigsten Art an den Erbauer. – Aufgaben, deren glänzende Lösung Sinan als Baukünstler wie als Konstrukteur zu hohem Ruhme gereichen.

Ueber die künstlerische Seite der Raumgestaltung und ihre ästhetische Wirkung bedarf es nach dem früher Gesagten hier keiner weiteren Ausführung.

Kommen wir zum Schluss unserer Betrachtung, so müssen wir anerkennen, dass der Ruf, welcher der Selims-Moschee vorangeht, ein berechtigter ist. Mit ihr sehen wir die osmanische Baukunst auf einer, auch vom Standpunkte der Kunst im allgemeinen, Achtung gebietenden Höhe angelangt, welche den Gipfel ihrer bis dahin aufsteigenden Bahn der Entwicklung bezeichnet. Wie weit sich zu jener Zeit der Einfluss der türkischen Kunst zumal nach dem Orient hin erstreckte, davon geben noch jetzt zahlreiche Bauwerke im fernen Indien in Delhi, Agra u. Lahore Kunde, wohin von den mächtigen Kaisern der mongolischen Dynastieen türkische aus der Schule Chaireddins und Sinan’s hervorgegangene Meister gerufen wurden, um ihre Herrschersitze mit Prachtbauten mährchenhaften Glanzes auszustatten. Ob und in welchem Grade sich die vorbildliche Bedeutung von Sinan’s Hauptwerk im Laufe der Zeiten in ausser – türkischen Landen, auch nach dem Occident geltend gemacht, dürfte kunstgeschichtlich kaum mit Sicherheit zu erweisen sein. Dass die Raum-Idee an sich aber selbst in neuester Zeit und zwar in einem uns besonders interessirenden Fall, in dem Stüler’schen Entwurf für den Berliner Dombau Aufnahme gefunden hat, erscheint bemerkenswerth genug, um hier wenigstens flüchtig erwähnt zu werden.[Man vergl. den Grundriss im Jhrg, 1869, S. 117 d. Dtschn, Bztg.] Die späteren, in minder glücklichen Zeiten des türkischen Reiches entstandenen Bauwerke, obwohl an Umfang und Aufwand oft recht ansehnlich – wir nennen nur die Ahmed-Moschee und Yemi-Valideh-Moschee in Konstantinopel – ermangeln im Ganzen der jugendlichen Ursprünglichkeit der Erfindung, welche diejenigen der früheren Epoche kennzeichnet. Das Charakteristische nationaler Eigenthümlichkeit schwindet im Laufe der nächsten Jahrhunderte mehr und mehr und die schöpferische Kraft des Osmanenthums erlischt allmählich unter dem Einflusse ausländischer Kulturen, die in dem fremden Boden schliesslich die absonderlichsten Blüthen treiben.

Indess sind in der Gegenwart Anzeichen vorhanden, welche eine Wiederbelebung der nationalen Kunst im osmanischen Reiche erwarten lassen. Wünschen wir, dass die sich daran knüpfenden Hoffnungen im Interesse der Kunst und zum Besten des türkischen Volkes in baldige Erfüllung gehen mögen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutschen Bauzeitung.