Von Professor Hermann Vambéry (Budapest). Wenn von den Palästen und dem Haushalt morgenländischer Fürsten die Rede ist, so befinden wir uns meistens unter dem Einfluß jener Märchen und Wundersagen, die uns von den längst vergangenen Zeiten im Orient berichten.
Im Mittelalter, als die abendländische Welt im Dunkel gehüllt, in den Banden der Sklaverei schmachtete, da hat das Morgenland mit seiner Pracht, mit seiner Wissenschaft, mit seiner Macht, Kunst und Industrie uns bedeutend überragt. Doch diese Zeiten sind längst vorüber. Unsere mächtig aufkeimende Kultur hat im Orient Handel und Wandel erdrückt. Der Orientale ist matt, kraftlos und schläfrig geworden. Das sprichwörtliche „ex oriente lux“ hat eine entgegengesetzte Richtung genommen, denn heute erwartet der Mensch im Land des Sonnenaufgangs sein Heil, sein Glück, seine Befreiung und seine menschenwürdige Existenz von jenen Strahlen, die aus dem Land des Sonnenuntergangs zu ihm dringen.
Eine genaue und richtige Würdigung dieses Verhältnisses mag daher die Erwartung vom Bericht über den Haushalt der Sultane der Türkei bedeutend herabstimmen. Das alte türkische Sprichwort: „Mal Hindustan, Akl Frengistan, Saltanat Al-Osman, d. h. Reichtum giebt’s in Indien, Verstand in Europa und Pracht in der Türkei“ hat heute seine Bedeutung verloren, und in dem Maß wie einzelne Provinzen von dem ehedem auf drei Weltteile sich erstreckenden Osmanenreich sich abbröckelten, im selben Maß hat Wohlstand, Pracht und Luxus abgenommen, und diese allseitige Abnahme ist selbstverständlich nicht nur im Haus und Hof der Landesgroßen, sondern selbst im Palast des Großherrn zum Ausdruck gelangt. Was ist das Nildizpalais Sultan Abdul Hamids im Vergleich zur Palastwirtschaft in Dolma-bagtsche, Beschiktasch, Tschiragan, Beglerbeg und anderer Punkte, die ich in meiner Jugend, als ich im Haus des Großveziers geweilt, kennen gelernt! Ein erbärmlicher Abklatsch von dem, was man orientalische Pracht, Wohlstand und Reichtum nennt.
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Ich glaube, zur Zeit Abdul Medschids hat die Haushaltung des Sultans an einem Tag mehr Geld gekostet als heute während eines ganzen Monats. Viele Paläste stehen leer und dienen als Schaustück den europäischen Touristen, andere sind ganz verfallen, und niemand denkt an deren Renovierung. Das ehemalige Beamtenkorps und der Dienertroß der kaiserlichen Haushaltung ist mehr als zur Hälfte herabgeschmolzen, und selbst diese Hälfte muß in Armut und Elend ihre Existenz fristen. Zu meiner Zeit haben die Baltadschis, schwarz gekleidete Palastdiener mit einem blauen Seidenband auf dem Kragen, aus den reichen Magazinen Peras die teuersten Luxusgegenstände europäischer Industrie in den Harem des Sultans gebracht und die Peraer Kaufleute bereichert. Heute sind diese Baltadschis gänzlich verschwunden und mit ihnen auch der belebende Handel aus dem europäischen Stadteil der türkischen Hauptstadt.
Mit einem Wort, Konstantinopel hat keine Spur seiner alten Herrlichkeit aufbewahrt, und wenn man trotz alledem von dem Haushalt des Sultans sich heute noch ganz außer ordentliche Vorstellungen macht, so ist die Ursache hauptsächlich in der Verschlossenheit des türkischen Hoflebens zu suchen, noch mehr aber in unserer Unkenntnis der Dinge und in den albernen Märchen, die hierüber in Europa Verbreitung gefunden. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Haushalt des Sultans und dem unserer eigenen europäischen Fürsten läßt sich in folgendem zusammenfassen. Erstens sind im Orient die Mitglieder des Herrscherhauses in nächster Nähe des Herrschers konzentriert, und alles, was zur kaiserlichen Familie gehört, befindet sich in Konstantinopel. Was speziell Nildiz anbelangt, so wohnen in diesem mit kleineren und größeren Gebäuden angefüllten Park allerdings nur die zur engeren Familie Abdul Hamids gehörigen Mitglieder, als dessen ledige und verheiratete Kinder, seine Tanten und Nichten, sowie einzelne jener höheren Frauen – Beamten und Dienerinnen, die am Hof seines Vaters und Vetters in Ehren gestanden. Zweitens hat der Sultan außer Nildiz keinen andern Palast der ihm zum Aufenthaltsort dient, während z. B. unsere europäischen Fürsten, je nach der Jahreszeit, an verschiedenen Punkten ihres Reiches Aufenthalt nehmen und mehrere Paläste unterhalten. Wenn wir nun in Erwägung ziehen, daß im Orient hochgestellte Persönlichkeiten des Ansehens halber sich von zahlreichen Hofbeamten und von einer ganzen Schar von Dienern umgeben müssen und daß z. B. jede Gemahlin, Muhme und Witwe der Sultane ihre spezielle Hofintendantin, Zahlmeisterin, Hausbesorgerin nebst einer stattlichen Anzahl von schwarzen und weißen Odalisken haben muß, abgesehen vom endlosen Troß der Pensionierten, die ebenfalls im Palast leben, so wird man die große Zahl der Frauen, die der kaiserliche Harem in Nildiz beherbergt, wohl leicht begreiflich finden. Diese Damen stehen zum zeitweiligen Herrscher in einem ähnlichen Verhältnis wie die Frauen der Burgkastellane und höheren Hofchargen, wie die Zofen, Gesellschafterinnen, Stubenmädchen zur Person des regierenden Fürsten in Europa; mit dem einen Unterschied jedoch, daß im Orient die Tanten, Schwestern, Nichten des regierenden Fürsten zu gewissen feierlichen Gelegenheiten mit einer eigens erzogenen, auffallend schönen oder sonst begabten Odaliske den Glanz der weiblichen Dienergesellschaft zu vermehren suchen. Eine solche Dame verbleibt in ihrem früheren Stand und pflegt äußerst selten in die Reihe der vier legalen Frauen einzutreten.
Die wesentlichen Bestandteile des Haushalts des Sultans sind daher folgende:
1. Der kaiserliche Harem (d. h. ein Sammelname für sämtliche zur engeren Familie des Sultan gehörigen Frauen und Mädchen), der heute weder so zahlreich noch so reichlich dotiert ist wie vor 20 oder 30 Jahren und auch bezüglich der Sitten, Gebräuche und der dort herrschenden Weltanschauung bedeutenden Veränderungen unterlegen ist. Vornehme europäische Damen erhalten auf Einladung des Sultans Zutritt in die Frauengemächer von Nildiz wo sie von der einen oder andern Frau des Herrschers empfangen und bewirtet werden, und da es im kaiserlichen Harem nie an Christinnen, die der französischen oder deutschen Sprache mächtig sind, fehlt, so gestaltet sich mitunter ein recht reger gesellschaftlicher Verkehr. Theatralische Vorstellungen, Konzerte, Tänze und sonstige Belustigungen finden zumeist Nachmittags oder in den Abendstunden statt, und da der Verkehr der Haremsdamen mit Europäerinnen stetig zunimmt, so ist die alte Scheidewand heute schon ziemlich gewichen, und der feine Ton und die Geschicklichkeit der vornehmen Türkinnen ist schon vielen aufgefallen. Einige Frauen zeichnen sich im Klavierspielen aus und eine junge Tochter des Sultans, Prinzessin M. . . ., hat sich sogar schon in Gegenwart diplomatischer Gäste produziert. Infolge alter Sitte und Hofetikette sind im Harem noch immer Eunuchen anzutreffen, doch ist deren Zahl bei weitem nicht so groß wie ehemals, und an Einfluß gebricht es ihnen vollständig, denn sie sind zur Gattung ganz inferiorer Diener herabgesunken, und selbst der offizielle hohe Rang des Oberhaupts der Eunuchen (Dar es seadet Agasi, d. h. Vorstand im Haus der Glückseligkeit), der mit dem Großvezier gleichen Rang hat, ist ganz bedeutungslos geworden.
2. Die Hofbeamten, an deren Spitze bis vor kurzem der jüngst verstorbene Held von Plewna, Ghazi Osman Pascha, stand und zu denen die Kämmerer, Sekretäre, Dolmetscher, Hofgeistliche, Palastintendanten, Aufseher der Schatzkammer, die Musikkapelle und außerdem die speziell um die Person des Sultans beschäftigten Beamten und Diener, wie Kleiderbewahrer, Waschbeckenhalter, Waffenträger u. s. w. gerechnet werden. Solange der Sultan im Frauengemach weilt, ruhen die Staats- und Palastangelegenheiten gänzlich, und nur, nachdem er es verlassen, tritt er durch die der Reihe nach Tagesdienst versehenden Kämmerer mit der Außenwelt in Berührung. Die Thätigkeit der letzteren ist mitunter äußerst anstrengend und von delikater Natur, denn sie haben oft recht unangenehme Berichte zu überliefern und dabei die volle Wucht der großherrlichen Laune zu fühlen. Von früh morgens bis spät nach Mitternacht dienen sie als Vermittler zwischen der Außenwelt und dem Sultan, der seine Befehle dem ersten Sekretär überschickt und durch diesen der betreffenden Partei. Mit dem Sultan persönlich verkehren die türkischen Würdenträger, mit Ausnahme etwa des Großveziers, des Ministers der äußeren Angelegenheiten, des Scheich – ul – Islam und des ersten Hofsekretärs, äußerst selten, und was man dem Sultan zu übermitteln hat, das besorgt der erste Sekretär mit seinem aus 25 Untersekretären bestehenden Bureau. Nur mit dem Minister der Zivilliste pflegt der Sultan in eigener Person die schwebenden Angelegenheiten zu ordnen, und eine derartige Scene, wie der Sultan, auf dem Kanapee sitzend, mit dem ihm gegenüber stehenden oder am Boden hockenden Minister (zumeist Christen) Rechnungen revidiert, Kontos vergleicht und Bilanz macht, giebt einen klaren Beweis vom Sparsamkeitssinn des heutigen Herrschers der Osmanen.
3. Der kaiserliche Marstall, enthaltend die Reit- und Wagenpferde des Hofes, an dessen Spitze der Oberststallmeister mit einer großen Zahl von Unterbeamten steht. Die Erlaubnis, diese Stallungen zu besuchen, wird als besondre Gunst angerechnet und nur hochgestellten Ausländern zuteil. Für Pferdeliebhaber muß dies auch einen seltenen Genuß bieten, denn was Vorderasien an schönen Pferden bieten kann, das ist hier an einem Punkt anzutreffen. Jahraus, jahrein pflegen einzelne arabische Scheiche, so unter anderm Ibn Raschid aus Nedschd, die herrlichsten und kostbarsten Pferde, die die Steppe erzeugt hat, als Geschenke hierher zu schicken, und obwohl der Sultan selbst wenig reitet, so wird auf Erhaltung dieser Tiere die größte Sorgfalt verwendet, denn sie erhöhen den Glanz des kaiserlichen Haushalts. Gegenwärtig soll der Marstall gegen zweitausend dieser edlen Tiere zählen, die einer bedeutenden Anzahl von Stallknechten, Kutschern und Dienern überantwortet sind.
4. Die kaiserliche Küche, die sich hinter dem Generalsekretariat befindet und als ein höchst interessanter Teil des Haushalts erwähnt zu werden verdient. In der langen Reihe ebenerdiger Bauten, die der Besucher von den Fenstern des Sekretariats sieht, befinden sich die einzelnen Abteilungen der kaiserlichen Küche, und zwar die Küche für die kaiserliche Familie, die Küche für die oberen und unteren Hofbeamten, sowie die Küche für die Diener. Diese drei Kategorien unterscheiden sich je nach Qualität und Quantität der daselbst zubereiteten Gerichte, nicht minder aber auch durch die größere oder kleinere Sorgfalt, die bei den betreffenden kulinarischen Produktionen angewendet wird. Die Zahl der Schüssel, oder der Speisen ist durch ein altes Palastgesetz fest gesetzt, so z. B. wenn der Kostgänger erster Kategorie viererlei Grünzeug, dreierlei Fleischgerichte, ebensoviel süße Mehlspeisen und Pilaw nebst Scherbett erhält, so besteht die Kost der zweiten und dritten Kategorie aus weniger Gerichten und aus Viktualien minderer Gattung. Die Speisen werden in der Küche unter Aufsicht eines Küchenintendanten verteilt, d. h. in einer rangmäßig bemessenen Anzahl zinnerer oder irdener Schüsseln auf eine große runde Holztasse gestellt und durch kräftige Träger, auf den Kopf geladen, dem Bestimmungsort zugeführt.
Wer gegen 10 Uhr vormittags oder nach Sonnenuntergang in Nildiz verweilt, wird eine ganze Menge dieser Speisenträger sehen, deren große Holztassen acht bis zehn, oft auch mehr kleinere Schüsseln enthalten, die mit schwarzen oder mit hellfarbigen Tüchern, als Abzeichen der Rangklasse, bedeckt sind und von den unter der Last keuchenden Trägern nach den verschiedenen teilen des Palastes geschafft werden. Wie bei größeren Küchen in Europa, so hat auch hier jeder der Kochkünstler seine spezielle Kunst: Gemüse, Braten, Dunstfleisch, Pilaw, Scherbett, süße Mehlspeise u. s. w. haben ihren eigenen Fachmann, denn die sehr geschmackvolle türkische Küche verlangt lange Uebung und Geschicklichkeit. Infolge der häufigen Gastmähler, die zu Ehren europäischer Gäste gegeben werden, besitzt der Sultan auch eine streng europäische Küche unter Aufsicht eines französischen Chefs mit entsprechendem Personal, und die im Merassimkiosk veranstalteten Diners finden oft bei den höchsten Herrschaften Beifall.
Besondere Erwähnung verdient das prachtvolle Tafelservice, das bei solchen Gelegenheiten in Verwendung kommt. Unter den Tafelaufsätzen erregt die aus Silber angefertigte Moschee von Kairo besonders die Bewunderung der Fremden, und so groß ist die zahl der Teller aus reinem und massivem Gold, daß mitunter fünfzig und noch mehr Gäste in drei Gängen in diesem kostbaren Geschirr bewirtet werden.
Es gab übrigens mal eine Zeit, wo die Küche der Sultane noch einen weit größeren Umfang hatte als in der Gegenwart, und folgende charakteristische Anekdote mag als passende Illustration dienen. In Persien wütete der Kampf zwischen Safariden und Deilem den. Der Fürst der ersteren unterlag, er wurde gefangen genommen, und der morgens noch mächtige und reiche Mann saß abends als Skave am Boden gekauert und starrte vor sich hin, mit dem Blick auf den Topf in dem ihm sein Abendmahl gekocht wurde. Plötzlich kam ein Hund, steckte seinen Kopf in die Mündung des Gefässes, und da er ihn nicht schnell genug herausziehen konnte, lief er mit dem Gefäß davon. Der gefangene Fürst lachte laut auf, und von der Wache befragt, wie er in solch kläglichem Zustand noch lachen könne, antwortete er: „Heute morgen meldete mir mein Oberhofmeister, daß 300 Kamele nicht hinreichten, mein Küchengeschirr zu transportieren, und jetzt ist ein Hund genug, um Geschirr und Speise davonzutragen.“ Wie vergänglich ist doch alle Pracht und Glanz auf dieser Welt. – Allein oder im engeren Familienkreis speist der Sultan a la turca und zwar sehr einfach und mäßig, mit Ausschluß aller geistigen Getränke. Selbstverständlich müssen die an der kaiserlichen Tafel teilnehmenden türkischen, richtiger mohamedanischen Würdenträger ähnliche Enthaltsamkeit üben, der Symmetrie halber stehen vor ihrem Gedeck auch vier bis 5 Gläser, sie trinken jedoch nur Wasser, während die christlichen Gäste dem mitunter recht guten Wein und Champagner weidlich zusprechen, ja ich war Augenzeuge wie ein europäischer Offizier in türkischen Diensten sich auf sehr unsicherem Fuß von der kaiserlichen Tafel entfernt hatte.
Man mag Sultan Abdul Hamid den Vorwurf machen, daß er ein allzu streng persönliches Regime führt und seine Landesgroßen von der wirklichen Teilnahme an den Staatsangelegenheiten ausschließt, daß hierdurch die Verwaltung die allerschlechteste geworden und daß tyrannische Willkür den Individualismus tötet und jede Energie im Keim erstickt. Diesen Vorwurf verdient der heutige Herrscher der Türkei. Doch andererseits wäre es unbillig, jenen Sparsamkeitssinn und jene Nüchternheit zu verschweigen, durch die der Sultan sich vor seinen Vorgängern rühmlich hervorthut. Wenn ich mir jene Stunden vergegenwärtige, die ich mit ihm im Chaletkiosk zugebracht, und wie dieser Autokrat, im erdenklich einfachen Nankinganzug dasitzend, trotz des großen Dienertrosses drei- bis viermal zu rufen hatte, bevor ihm das verlangte Glas Wasser verabreicht wurde, da kann ich nicht umhin, das Schlichte und Einfache seiner Sitten zu bewundern. Es ist himmelschade, daß Furchtsamkeit, Palastintrigen, Ränke der Höflinge und Schmarotzer die Regierung dieses äußerst begabten und thatendurstigen Fürsten verunstalten und ihn zum Gegenstand des Hasses bei vielen seiner Unterthanen gemacht haben!
Zur Schilderung des kaiserlichen Haushalts zurückkehrend, sei noch jenes Personal erwähnt, das mit dem Religionsleben, der Bildung und Kunst am Hof in Verbindung steht. Außer dem obersten Imam unterhält der Hof mehrere Priester, Lehrer, Vorbeter und Muszzins, d. h. Gebetausrufer, von denen einige eine ganz ausgezeichnete Stimme haben; schließlich mehrere Koranleser, zumeist arabischer Nationalität, von denen einige die ganze Nacht hindurch am Eingang der innersten Gebäude den Koran mit lauter Stimme rezitieren, wobei die in der stillen Nacht hineintönende, melancholisch düstere Rezitation auf den Zuhörer packend wirkt. Einige der Priester besorgen den Religionsunterricht im Harem und bei den jungen Prinzen, deren wissenschaftliche Ausbildung von außerhalb des Palastes weilenden Lehrern besorgt wird. Eine besondere Pflege wird der Musik zu teil. Der Sultan selbst ist ziemlich musikalisch, und er ist nicht selten am Klavier anzutreffen, wo er mit seiner Lieblingstochter oder mit seinem Sohn Burhaneddin vierhändig spielt. Auch Malerei ist, trotz des Verbots des orthodoxen Sunnitums, nicht vernachlässigt, und Besucher des Tschitkiosks werden häufig auf die an der Wand hängenden zwei Oelgemälde, die ein Türke gemalt, aufmerksam gemacht. Auch ein Theater giebt es in Nildiz, dem aber heute nicht so viel Aufmerksamkeit zu gewendet wird wie zur Zeit Abdul Medschids.
Die öffentliche Meinung in Europa ist besonders sehr im Irrtum, wenn man annimmt, daß im Palais des Sultans alles nach der alten Schablone hergeht. Die vornehme Welt in der Türkei, und an ihrer Spitze der Sultan, hat, was die äußere Lebensweise anbelangt, die meisten unserer abendländischen Sitten angenommen, was in mancher Beziehung eine glückliche Adaptierung der altasiatischen Welt an Europa, in vielen Dingen aber auch nur leider eine Karikatur erzeugt hat, denn aus innerer Ueberzeugung ist der Wechsel keinesfalls hervorgegangen.
Auf die oft aufgeworfene Frage, ob die Kosten des Haushalts des Sultans mit seinem Einkommen in Harmonie stehen, wäre schwer zu antworten. Einem on dit zufolge kostet dieser Haushalt dem Sultan jährlich gegen drei bis vier Millionen türkische Pfund, was in Anbetracht des riesigen Personals, nicht minder aber auch wegen der bedeutenden Wohlthätigkeit, die ein moslimischer Fürst zu üben genötigt ist, gar nicht zu hoch angeschlagen wäre. Abgesehen von dieser Summe besitzen einzelne Mitglieder der Dynastie gewisse von alters her übliche Dotationen und regelmäßige Steuereinkünste, die der regierende Fürst nicht antasten darf. Mit der statistisch nachgewiesenen Zivilliste des Sultans, die laut offizieller Angabe auf ungefähr 900 000 türkische Pfund sich beläuft, darf es eben nicht ad litteram genommen werden, denn hierher werden einzelne Unternehmungen, Güter und Steuern gerechnet, deren Ertrag je nach den Umständen wechselt. Sultan Abdul Hamid ist im allgemeinen als guter Wirt bekannt, der über ein bedeutendes Personalvermögen verfügt, und sein Haushalt trägt keinesfalls die Schuld an der finanziellen Misere, unter der das Land leidet. Das Uebel liegt anderswo, doch dessen Erörterung gehört nicht in den Rahmen dieses Aufsatzes.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.