Die Oelfelder von Bustenari

1905 – Der Mittelpunkt der rumänischen Petroleumproduktion ist das zwischen Kronstadt und Bukarest gelegene Bustenari. Von Wien fährt man 24 Stunden in einem bequemen Eilzug nach Kronstadt; eine weitere Stunde nach Predeal, der Grenzstation zwischen Siebenbürgen und dem schönen Rumänien.

Bei Sinaia, der Sommerresidenz des rumänischen Königspaares, erreicht die landschaftliche Schönheit ihren Höhepunkt. Nach einer halben Stunde erreicht man Campina, von wo aus man im Wagen zu den Oelfeldern fährt. Bald gewahrt man ein Gewirr von Felsen und Bergen, das mit einem „Feld“ eigentlich nichts zu tun hat. Die Sonden mit ihren Türmen und Baracken klettern an steilen Berglehnen in die Höhe oder tauchen aus tiefen Schluchten und Bergfalten auf. Oft liegen sie auch vereinzelt mitten im Wald.

Handschacht mit Blasebalg

Das erste Oel wurde durch primitives Graben gewonnen, bald aber wurde der Betrieb rationeller. Gut war es damals, in Bustenari Gründe zu besitzen, denn diese gingen gewaltig im Preis in die Höhe. Die prächtige griechische Kirche hier ward zum großen Teil von einem damals durch Verkauf seiner Gründe reich gewordenen Bauer erbaut. Heute durchwühlen sechsundvierzig verschiedene Gesellschaften, deutsche und rumänische, holländische und amerikanische, englische und französische, an der Spitze die Steana Romana (rumänischer Stern), die trotz des rumänischen Namens mit deutschem Geld arbeitet, mit gleichem Eifer den ölhaltigen Sand.

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Ueberall sieht man kleine, flinke Pferdchen in Kreis laufen und die großen, aus Holzwerk geflochtenen Trommeln der „Handschächte“ drehen die die leeren Eimer hinab-, die vollen hinauf befördern. Ein am Boden liegender riesiger Blasebalg führt dem Arbeiter, der in einer Tiefe von zweihundert Meter arbeitet, um neues Oel anzufahren, frische Luft zu. Ein Handschacht ergibt täglich 1000 – 2000 Liter. In den Sonden oder Bohrtürmen vertritt die Maschine Arbeiter und Pferdchen.

Ein langer Zylinder bringt das dunkle, goldbraun schäumende Oel herauf in große Becken, von denen aus es in Röhren dem nächsten Reservoir zugeleitet wird.

Rinder am Brunnen

Das größte dieser Reservoirs, das aus starkem Eisenblech besteht, vermag eine Million Liter aufzunehmen; die kleineren, meist hölzernen Reservoirs fassen 12 bis 20 000 Liter. Die Feuersgefahr spielt hier begreiflicherweise eine große Rolle. Oft genug erschallt das Feuersignal. Bei dem ausgedörrten Holzwerk, den überall stehenden Pacurapfützen, den Benzindämpfen, die am Boden flirren, genügt eine Kleinigkeit, um einen Brand zu entfachen.

Der große Oelbehälter (faßt eine Million Liter)

Eine Sonde ergibt täglich 1/2 – 2 Waggon Oel, doch gibt es einzelne, die 8 – 10 Waggons liefern. Zuweilen wird das Oel so gewaltsam von Gasen emporgedrückt, daß es hoch emporspritzt und durch schnell aufgeworfene Wälle gesichert werden muß. Das Rohöl wird unten in Campina in der Raffinerie – der größten, nicht nur Europas, sondern der Welt – gereinigt. Sie gibt täglich 150 Waggon Oel.

Ein seltsamer Tanzboden – Reigen auf einem Oelbehälter

Sind die Beamten, die unaufhörlich in den Gewerken hin- und herreiten, ganz international, so sind die Arbeiter fast ausschließlich Rumänen. Der Tagelohn eines gewöhnlichen Arbeiters beträgt 2 Frank. Das ist nicht viel, genügt aber bei dessen großer Bedürfnislosigkeit.

Man vermag schwer zu glauben, daß diese schönen, stattlichen Männer mit dem kräftig schlanken Wuchs, den bronzefarbenen, edel geschnittenen Gesichtern, die in Haltung und Aussehen unverkennbar ihre römische Abstammung verraten, sich fast ausschließlich von Mamalika, grobem Maisbrei, ernähren. Mamalika zum Frühstück, zum Mittag- und zum Abendbrot, etwas mehr Zwiebel oder Knoblauch, ein Stück Gurke oder Kürbis dazu, allenfalls etwas Bohnen, Sonntags durch einen Schluck Zwickerpflaumenbranntwein gewürzt: das ist das Menü des rumänischen Arbeiters jahraus, jahrein. Die Wohnung harmoniert mit der Nahrung an Einfachheit. Eine halb- in die Erde hineingebaute Hütte – bordee genannt – eine Feuerstelle zum Mamalikakochen davor, drinnen ein paar aufgeschlagene Bretter, die des Nachts durch ein paar Decken zu Betten vervollständigt werden, das genügt als Heimstätte.

Und die Kleidung? Auch höchst einfach und doch dem Auge gefällig! Das weiße Hemd, das zugleich den Kittel vertritt und selten ohne Stickereiverzierung ist, wird über den ebenfalls weißen, enganliegenden Beinkleidern getragen und von einem roten, schärpeartigen Stoffstreifen, mit schwerem, schwarzem Ledergürtel darüber, gehalten. Die Füße sind von „Opincen“ bedeckt. Im Winter vervollständigt eine ärmellose Jacke aus Schaffell sowie eine hohe Lammütze, die übrigens vielfach auch im Sommer getragen wird, die Toilette. Die Frauen stehen den Männern durchschnittlich an Schönheit weitaus nach. Der Grund dafür ist unschwer zu finden. Dort kommt ein Ehepaar; das Weib trägt auf der Schulter einen schweren Sack, am Arm einen vollen Korb, in der Hand eine Stange, an der Schuhe und Kleider hängen, der Herr Gemahl geht leer daneben. Bei so schwerer Arbeit hält sich Frauenschönheit nicht. Ein Trupp von 40 – 50 nach Männerart zu Pferde sitzender Frauen in ihrer oft überreich mit selbstgefertigter Stickerei und Flitterputz verzierten Nationaltracht bietet nichtsdestoweniger einen prächtigen Anblick.

Zigeunerniederlassung bei Bustenari

Erläuterungen zum Begriff Zigeuner beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Stark durchsetzt ist die Bevölkerung mit Zigeunern, die jedoch hier in ihrer Heimat nicht die verachtete Stellung wie anderwärts einnehmen, sondern sich als Schmiede, Erntearbeiter, Pferdehändler, Besenbinder usw. ernähren. Interessant ist ein Gang durch die Dorfstraße von Bustenari am Werkabend. Da hat ein Fleischhauer ein geschlachtetes Rind unter einen Baum gehängt und häutet es ab, da schiebt ein Bäcker Brot in den nach der Straße offenen Backofen, da läuft ein halbwüchsiges Mädchen mit dem Stickrahmen im Arm hinter einer Herde Rinder her, da tummelt sich ein halbes Dutzend junger Burschen auf ungesattelten Pferden, da kommt eine Zigeunerfamilie daher. Auf hochbeladenem Esel sitzt mit gespreizten Füßen ein blitzäugiges, schwarzlockiges Bübchen, die Gerte in der Band, nackt, wie Gott es erschaffen, nur von der rechten Achsel einen Zeugstreifen herabhängend, der einst vielleicht ein Hemd gewesen sein mag, seinen kleinen Besitzer aber noch heute augenscheinlich mit großem Stolz erfüllt. Dazwischen drängen sich Kälber, Hunde, Gänse, Hühner usw. in friedlichem Durcheinander. – Und über dem Ganzen schwebt der Geruch des Oels, nicht aufdringlich scharf, aber unverkennbar und unvermeidlich als Zeichen, daß wir hier im Reich des Petroleums leben.

Dieser Artikel von Helene Stotl erschien zuerst 1905 in Die Woche.