Unsere Postillone

1905, von Maximilian Krauß. Die schmucke Erscheinung des “Schwagers”, der sein Horn blies, haben die Dichter von einst nicht selten mit dem reinsten Gold ihrer Poesie umsponnen. Wer denkt nicht – um nur den einen zu nennen – wenn vom Schwager gesprochen wird, an das prächtige Gedicht von Lenau: “Lieblich war die Maiennacht, Silberwölklein flogen . . .”? Wer nicht an den braven Schwager, der im Angesicht des Kirchhof die Rößlein langsamer traben läßt und seinem Kameraden, der – “ein gar herzlieber Gesell!” – drüben begraben liegt, sein Leiblied bläst? Und dann schließt der Dichter: “Weiter ging’s durch Feld und Hag mit verhängtem Zügel; Lang mir noch im Ohre lag jener Klang vom Hügel…“

Wie viele unter uns haben je diesen herzbezwingenden Klang eines Posthorns in stiller Sommernacht empfunden? Der heutige Großstadtmensch und jedenfalls die heranwachsenden Großstadtgenerationen kennen den Postillon als den vielbesungenen Repräsentanten einer entschwundenen, gemächlicheren Zeit lediglich nur mehr durch jene poetische Vermittlung genau so, wie für sie der Nachtwächter mit seinen stimmungsvollen Gehaben, der Türmer (nebst dem vielbesungenen lieblichen Türmers-Töchterlein!) und noch viele andere Figuren nur als poetische Reminiszenzen in die Erscheinung treten. Mit dem gewaltigen Aufschwung des Verkehrs und vor allem infolge der staunenswerten Entwicklung der Verkehrsmittel war der Untergang solcher Figuren aus Altvorderntagen besiegelt. Im Zeitalter der Elektrizität, des telephonischen Feuermelders hatten weder der Türmer noch der Nachtwächter einen Platz, und wo tausend schnaubende pustende Dampfrosse (fast zögert man, sich heute noch dieses poetischen Epithetons zu bedienen) endlose, mit Menschen gefüllte Wagenreihen auf, unter und über der Erde ins Herz der Großstadt hin einführen was ist da noch der wackere Schwager mit seiner holprigen, polternden und rasselnden Postkutsche, dem schmauchenden Bäuerlein drinnen und den Paar mageren Rößlein vorne dran!

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So ist denn nun auch mit dem Postillon, wenigstens was die großen Städte betrifft, eine Wandlung vorgegangen, so wenig sich sein Aeußeres im Lauf der Zeiten geändert hat. In der Hauptsache befördert der moderne Postillon keine Personen mehr. An die Stelle der Postkutsche sind die mächtigen Frachtwagen oder die Briefpostkarriole getreten, die, gefüllt und beladen mit Postsendungen aus aller Herren Ländern, vom Postillon nach des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr von und zu den Bahnhöfen und Postämtern gefahren werden. Im weiteren fährt der Postillon diese Postsendungen straßauf, straßab den einzelnen Empfängern vors Haus, eine Tätigkeit, die ihn besonders zur Weihnachtszeit allgemein höchst beliebt macht. In den großen Verkehrszentren erscheint nun dieser moderne Postillon auch nicht mehr als jenes poetische Einzelwesen, als das ihn, gleich einer seltenen Erscheinung, unsere Groß- und Urgroßmütter und -väter, da sie noch ganz klein waren, bestaunten. In Berlin z. B. beschäftigt das Kaiserliche Postfuhramt über 1000 Postillone. Das ist ein ganzes Regiment, und dementsprechend ist auch alles nach militärischem Muster organisiert. Der unverheiratete Postillon wohnt in der Posthalterei in Mannschaftsstuben (Abb. S. 601), die vollständigen Kasernencharakter haben, er wird wie der Soldat in einer Montierungskammer (Abb. S. 601) unentgeltlich uniformiert usw. Dies sind nun schon Betriebe, in denen die Schwagerpoesie nicht mehr aufzukommen vermag. Wenn der Schwager von damals sich mit einem Paar Rößlein begnügte, so braucht heute ein Betrieb wie der in Berlin an die 1400 Rosinanten, die wieder ganze Berge von Rauhfutter nötig haben. Der Schwager von ehedem hatte es auch mit dem Fahren leichter als sein Kollege in der modernen Großstadt. Mit dem turmhochbepackten Paketpostwagen durch den Weltstadtverkehr anstandslos durchzukommen, ist eine Kunst. Und sie wird auch belohnt. Der Postillon, der im Fahren seine besondere Geschicklichkeit erweist, erhält als Auszeichnung goldene (in Bayern silberne) Tressen, und wenn’s besonders hoch kommt, sogar eine Ehrenpeitsche. Seit einer Reihe von Jahren werden auch silberne Ehrenposthörner verliehen an jene Postillone, die Künstler auf dem nicht leicht zu blasenden Posthorn sind. Es ist zweifellos, daß dadurch die Liebe zu seinem Instrument, das nun einmal zu der Uniform auch des modernen Postillons gehört, in dem Mann angefeuert wird.

Berliner Hauptposthalterei – Auf der Montierungskammer
In Berlin – Briefpostkarriole fertig zur Abfahrt
Schlittenpost im bayrischen Gebirge

Und wenn man auf diese Art da und dort in den Straßen der Stadt eine schlichte, liebe Volksweise zu hören bekommt, so kann man nur dankbar sein für diesen Sonnenstrahl der Poesie, der sich da in unser nüchternes Großstadtdasein verirrt.

Preussischer Postilloin in Gala

In der Provinz und auf dem Land ist das Postfuhrwesen dem Staat verpflichteten Privatunternehmern, den sogenannten Posthaltern übertragen, die den Postillon anstellen und montieren.

Postwagen im Eggental in Bozen

In Württemberg und Bayern weichen nur die Auszeichnungen von denen im Reichspostgebiet etwas ab: der Postillon in Württemberg wird durch eine silberne Aermelborte ausgezeichnet, der bayrische Postillon (Abb. untenst.) erhält nach 24 jähriger Dienstzeit den vergoldeten Armschild. Die Uniform des bayrischen Postillons dagegen ist grundverschieden von der seines Kollegen im Reich. Und so ernst die Uniform dieses im allgemeinen ist, so lustig und flott ist, wie unsere Abbildung zeigt, die des bayrischen Postillons.

Die Post aus dem Ledrotal (Riva)
Ankunft der Post in Oberhof (Thüringen)
Austausch der Post im Wattenmeer während der Ebbezeit

Wer erinnert sich nicht mit Vergnügen, wenn er in München war, des schmucken Schwagers mit dem blauen Spitzenfrack, den silbernen Tressen und Knöpfen dran, der roten, silberbetreßten Weste, den weißen Lederhosen, die in mächtigen Kanonenstiefeln stecken, und dem Lackhut mit breiter Silberborte, der gar stattlich aussieht, wenn ihn an Fest- und Feiertagen der weißblaue Federstutz ziert. Das ist schon eine gar liebe Erscheinung, und wenn sie, ein Liedel auf dem Posthorn blasend, dem Wanderer im Gebirge begegnet, und aus der gelben Postkutsche gar noch ein paar fesche Deandln in der sauberen Miebacher oder Tegernseer Tracht herausgucken da wäre man wirklich ein Barbar, griff einem die gute alte Schwagerpoesie nicht gewaltig ans Herz!

Rauhfutterlieferung

Uebrigens: Schwagers Leben auf der Landstraße und im Gebirge hat auch seine sehr, sehr bösen Seiten. Umsonst heißts nicht in der Verordnung der bayrischen Postverwaltung, der Lohn des Postillons “soll so bemessen sein, daß der Postillon nicht darben muß und die Lust zu seinem bisweilen anstrengenden Dienst nicht verliert.” Man stelle sich einen österreichischen Postillon (Abb. S. 598) vor, der tagaus, Tagein die sonndurchglühten Südtiroler Straßen abfahren muß, wo der Pferdehuf tief in heißen Staub versinkt und an den kahlen Dolomit· und Porphyrfelsen kein kühler Waldhauch niedersteigt. Oder gar den italienischen Schwager (Abb. S. 599), der in der Sonne Italiens schmort! Und wie der Sommer seine Plage für den Schwager hat, so hat der Winter für diesen nicht selten Schrecken und Gefahren in Menge. Im Schneesturm muß der Postillon seine braven Rößlein vorwärtstreiben. In der Postkutsche ein Zähneklappern unter den paar Reisenden und ein Jammern: wenn wir nur nicht eingeschneit werden! Da heißts für den Schwager: Zähne zusammenbeißen und tapfer vorwärts, ob auch die Gäule keinen Pfad mehr finden. Ist schon im Mittelgebirge für den Postillon Winterzeit – böse Zeit, um wie viel mehr noch im Hochgebirge! Da dräut auf windumbrauster Paßstraße die Lawine, und gar mancher brave Schwager hat in furchtbaren Abgründen mit Roß und Reisenden unter dem Lawinenschnee sein Grab gefunden.

Österreichischer Postillion in Parade
Postillionstube
Südtiroler Postwagen (Rovereto-Calliano)

Freilich, daran denkt man nicht, wenn man neben dem Postillon, der von Land und Leuten, von seinen Fahrten und Erlebnissen manch lustiges Stücklein zu erzählen weiß, behaglich auf dem Bock sitzt und an einem stillen, langsam verglühenden Sommerabend durch prächtige Gebirgslandschaft fährt.

Der Schwager pustet in sein Horn, dann setzt er an, und lauter und lauter klingt sein Liedel in die Berge hinein, die es aufnehmen und in jauchzendem Echo ins Unendliche weitergeben. Das ist dann noch die alte liebe Schwagerpoesie! Und hoffentlich bleibt diese Poesie mit ihrem stillen Zauber und ihren eigenartigen Reizen uns trotz aller Eisenbahnen und Bergbahnen und – Automobilposten erhalten!

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.