Ein deutsches Pennsylvanien.

1904 – Schon seit langer Zeit ist das Vorkommen von Erdöl an verschiedenen Orten des preußischen Staates bekannt; der Ort Oelheim in der Nähe von Peine in der Provinz Hannover gelangte bereits in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einer gewissen Berühmtheit.

Bis vor einem Jahr auch in der engeren Heimat noch unbekannt, hat sich neuerdings in dem kleinen Ort Wietze am Ausgang der Lüneburger Heide in der Nähe von Celle eine deutsche Erdölindustrie entwickelt, die im Verhältnis zu der gesamten Erdölgewinnung der Erde ja auch heute nur noch einen kleinen Prozentsatz bildet.

Oben: Die Abfüllstation, Mitte: Bohrtürme im Garten eines Wietzer Bauernhofes, unten: Kläranlage zum reinigen und entwässern des Röhöls

Jedoch sprechen alle Anzeichen dafür, daß die in gefunder Entwicklung sich befindende, hier einsetzende deutsche Erdölindustrie noch eine große Zukunft hat, die vielleicht für die Provinz Hannover eine ähnliche Bedeutung wie der heimische Kalibergbau oder der Kohlenbergbau in der Provinz Westfalen erlangen kann. Während die deutsche Gesamtproduktion an Erdöl im Jahr 1892 14, 527 Tonnen im Wert von 880,000 Mark betrug, wovon auf Wiete 826 Tonnen im Wert von 70, 000 Mark entfielen, erreichte die deutsche Erdölindustrie in Jahr 1905 schon ein Gesamtquantum von 681,000 Doppelzentnern im Gesamtwert von 54 Millionen Mark, wovon auf Wietze über 65 Prozent allein entfielen. Damit ist die übrige deutsche Erdölproduktion, bei der noch im Jahr 1898 das Elsaß den Löwenanteil mit 90 Prozent hatte, von Wietze bei weitem überflügelt worden.

Der Ölfluss (Die Wietze)

Schon seit langen Jahrzehnten fuhren die Wietzer Heidebauern in der Heide umher und verkauften in den Dörfern eine teerartige Schmiere, die sie auf einigen Wassertümpeln bei ihrem Dorf abschöpften, als Wagenfett.

Nachdem amerikanische Unternehmer mit mir geringen Erfolgen in Wietze Bohrungen heruntergebracht hatten, kam im Anfang der achtziger Jahre der Bohrmeister Hacke aus Oelheim, um, in den Enttäuschungen, aber auch mit den Erfahrungen aus der Oelheimer Industrie ausgestattet, für seinen Chef in Wietze zu bohren. Auch hier wurde bei den Bohrungen fast das ganze Geld zugesetzt, doch der erwähnte Bohrmeister, der heute noch Inspektor eines der größten alten Wietzer Werke ist, hatte eine so feste Ueberzeugung von dem Vorbandensein des Oels unter der Wietzer Erde, daß er sich mit seinen Leuten erbot, umsonst weiterzuarbeiten. Wenige Tage darauf, im Mai des Jahres 1886, schlug Herr Hacke das erste Oel in pumpfähiger Menge in Wietze an. Die erste Dampfmaschine wurde mit Naturalien, also Oel, bezahlt; bevor man sich eine Schmiede einrichten konnte, mußte man sich damit begnügen, in dem Feuer der alten Dampfmaschine das Eisen zu glühen. Ein Kriegerverein wurde unter den Wietzer Heidebauern gegründet, und auf den Vereinsfesten wurde das Recht der Oelgewinnung auf den größten Bauernhöfen für ein Trinkgeld gepachtet. So entwickelte sich aus ganz kleinen Anfängen ein Unternehmen, das heute allein eine tägliche Produktion von etwa 300 Faß im Wert von etwa 4000 Mark hat. Allmählich zog dieses erste Unternehmen andere Gründungen nach sich, und heute ist in ganz Wietze und Umgegend die Welt verteilt. Der einfache und bescheidene Heidebauer ist meistenteils zu großem Reichtum gelangt. Einfache Heidebauern, die früher arm waren, haben heute Ministereinkommen, und es gibt Grundbesitzer, die sich auf eine Oeleinnahme bis zu 1000 Mark tãglich gestanden haben und auch gegenwärtig noch stehen.

Bohrlöcher und Bohrtürme

Mir ist beispielsweise in Wietze eine einfache Bauersfrau bekannt, die noch vor wenigen Jahren die harte Sorge um das tägliche Brot drückte, und die dann, als zum erstenmal für sie das Oel sich in Gold verwandelte, mit der Schürze voll Gold · und Silberstücken in den Viehstall lief und voll freudigen Stolzes und sichtlicher Zufriedenheit den Ziegen und Schweinen ihren Reichtum zeigte.

Um das Erdöl zu gewinnen, werden mit Dampfbohrapparaten Bohrlocher niedergetrieben, die zur Absperrung der wasserführenden Schichten sowie zur Verhütung des Nachfalls durch nachgesetzte Rohre verdichtet werden. In Wietze wird die erste Schicht de schweren Erdöls nach Durchteufung blauen Tons bei einer Teufe von etwa 170 bis 200 Metern im Sandstein oder Oelsand unter gleichzeitigem Vorkommen von Schwefelkies angetroffen. Dann werden eiserne Steigrohre in das Bohrloch eingebaut, und durch eine zwei- bis dreizöllige Pumpe mit Kugelventilen wird das Oel nach oben gepumpt.

Trotzdem die Wietzer Industrie erst im Anfangsstadium sich befindet, haben doch die bisherigen Aufschlüsse schon ein zusammenhängendes Gebiet von etwa drei Kilometer Längenausdehnung und etwa einem Kilometer seitlicher Ausdehnung als ölführend gekennzeichnet; es ist also bis heute eine Fläche von etwa 300 Hektar als produktives Gebiet bekannt. Die ganze produzierende Fläche von Baku wird auf etwa 1000 Hektar (Die gesamte ölführende Fläche auf etwa 5000 Hektar), die der rumänischen Naphthagründe auf etwa 500 Hektar (die gesamte ölführende Fläche auf etwa 16 000 Hektar) geschätzt. Eine weitere, bedeutend größere Ausdehnung des produktiven Wietzer Gebiets im besonderen nach Nordwesten, Norden und nach Süden zu erscheint nach den letzten Aufschlüssen als sehr wahrscheinlich. Außerdem deuten die letzten Aufschlüsse des leichteren Oels im tieferen Horizont, die sich in jüngster Zeit stark gemehrt haben durchaus darauf hin, daß auch im Wietzer Gebiet sich viel leicht uns Oelgründe erschließen werden, die Ausbrüche gleich denen von Baku und Rumänien zeitigen mögen.

Denn dieses Gebiet ist immer noch nicht erforscht durch Tiefbohrungen, die ich bis auf etwa 1000 Meter Tiefe zur Erschließung von vielleicht ganz bedeutenden Quellen für notwendig halte. Das schwere Oel der ersten Schicht, das bis vor kurzem fast ausschließlich in Wietze gefördert wurde, eignet sich vorzüglich zur Verarbeitung vor allem auf Schmieröle, während sein Gehalt an Leuchtpetroleum und Benzin etwa 6 Prozent ist; die leichten Oele, wie sie vor allen Dingen in Pennsylvanien und Rußland und auch in letzter Zeit in den tieferen Schichten in Wietze erbohrt werden, enthalten dagegen von 25 bis 70 Prozent Leuchtpetroleinn und Benzin. Zu erwähnen ist noch, daß die in Wietze auf einigen Stellen angebohrten leichteren Oele durch den in diesen Oelschichten vorhandenen starken Gasdruck von selbst laufen und daher ein Pumpbetrieb hierbei nicht notwendig ist. Keineswegs ist nun gesagt, daß nur das Wietzer Gebiet (in Wietze und näherer Umgebung sind bis jetzt schon mehrere hundert Bohrlöcher herunter gebracht) als ölführend anzusprechen ist, sondern alle Anzeichen deuten darauf hin, daß ein großer Teil des nordwestlichen Deutschlands in den erwähnten Produkten Schätze von unberechenbarem Wert im Schoß der Erde birgt, die noch gehoben werden müssen. Vom Nordseestrand Holsteins anfangend erstrecken sich über Verden, Celle, Hänigsen, Sehnde und Peine hinaus die an der Aufschließung des Erdöls arbeitenden Bohrtürme bis nach Braunschweig hinein, und ein bedeutendes, sich der Schätzung entziehendes, aber nach Millionen zählendes Kapital ist in diesen Unternehmungen bereits angelegt.

Dieser Text stammt von Werner Horn. Er wurde zusammen mit den 5 Aufnahmen von Ernst F. Lippold, Goslar zuerst 1904 in Die Woche veröffentlicht. Die Bilder wurden nachcoloriert.