Ein Vorschlag für die Anlage eines neuen Kurhauses zu Wiesbaden

Abbildg. 6. Ansicht am Kursaal-Platze

Architekt: Baurath W. Böckmann in Berlin.
Aus früheren Mittheilungen d. Bl. dürfte den Lesern allgemein bekannt sein, dass die Stadt Wiesbaden schon seit längerer Zeit mit der Absicht sich trägt, ihr altes, in den Jahren 1808-10 errichtetes und für die Bedürfnisse der Gegenwart völlig unzureichend gewordenes Kurhaus durch einen Neubau zu ersetzen. Es sei insbesondere auf den eingehenden Bericht verwiesen, der in den Nummern 8, 10 und 12 des Jahrg. 1898 der Dtsch. Bztg. von sachkundiger Seite über den Ausfall des i. J. 1897 ausgeschriebenen Ideen-Wettbewerbes für Entwürfe zu jenem Neubau erstattet worden ist.

Es war durch diesen Wettbewerb eine Reihe von Plänen hervorgerufen worden, die als treffliche architektonische Leistungen bezeichnet werden konnten, und unter denen mehr als einer eine so annehmbare Lösung des gestellten Programmes darbot, dass man wohl hätte hoffen können, es sei hiermit zum wenigsten die Grundlage für den Gewinn eines endgiltigen, zur Ausführung geeigneten Entwurfes gesichert. Wenn diese Hoffnung sich bisher nicht erfüllt hat, wenn vielmehr nach den mittlerweile verflossenen 2 Jahren die Entscheidung über den Kurhaus-Bau noch immer aussteht, so liegt die Schuld hieran weder an den Theilnehmern des Wettbewerbes, noch an den zur Beurtheilung der eingegangenen Entwürfe berufenen Preisrichtern, sondern einzig und allein an dem Umstande, dass man zu dem Schritte eines Preisausschreibens sich entschlossen hatte, ohne vorher über eine wichtige Vorfrage sich klar geworden zu sein.

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Das neue Kurhaus soll nämlich, wie es in der That einzig richtig und natürlich ist, auf der Stelle der bisherigen Anlage errichtet werden. Es müsste also zum Zwecke der Ausführung des Neubaues nicht nur das alte Kurhaus niedergerissen werden, sondern es fiele auch – da jener nach dem für den Wettbewerb erlassenen Programm eine erheblich grössere Tiefe beansprucht – ein ansehnlicher Streifen des an dasselbe anstossenden Kurgartens der Vernichtung anheim. Wie aber soll während der doch auf mindestens 2 Jahre zu veranschlagenden Dauer der Bauausführung für diese Anlagen, in denen sich ein wesentlicher Theil des Badelebens Wiesbadens abspielt, Ersatz geschaffen werden? Dies ist eine ebenso bedeutsame wie schwierig zu lösende Frage, durch welche seither die Gemüther der Wiesbadener Bevölkerung aufs lebhafteste erregt worden sind und welche zahlreiche Vorschläge von berufener wie von unberufener Seite hervorgelockt hat, ohne dass es einem derselben gelungen wäre, in der öffentlichen Meinung durchzudringen.

Statt der im alten Kurhause enthaltenen Räume andere bereit zu stellen, ist allerdings verhältnissmässig leicht, wenn man dafür entsprechende Kosten aufwenden will. Man kann ein in der Nähe der Kuranlagen gelegenes älteres Gebäude ausbauen (in Vorschlag gebracht ist insbesondere das ehemalige Palais der Herzogin Pauline); man kann an einer passenden Stelle der Kuranlagen einen provisorischen Bau aufführen, der später wieder zu beseitigen wäre; man kann endlich ein zu dauernder Erhaltung bestimmtes Gebäude errichten, das nur zunächst als Kurhaus zu benutzen, dann aber einer anderen Bestimmung zu überweisen wäre. Jede dieser Möglichkeiten ist erwogen worden und hat Anhänger gefunden; insbesondere wird der zuletzt erwähnte Ausweg von einer starken Partei verfochten, die auf diese Welke der Stadt Wiesbaden zu einem zum Mittelpunkte des dortigen Vereinswesens geeigneten „Saalbau“ verhelfen möchte, wie ihn andere rheinische Städte schon längst besitzen. – Ungleich schwieriger wäre es dagegen selbst. bei Aufbietung grösserer Mittel, in Verbindung mit einer solchen provisorischen Kurhaus-Anlage einen Kurgarten einzurichten, der den bisher benutzten, an landschaftlichem Reiz kaum seines Gleichen findenden Garten auch nur einigermaassen zu ersetzen imstande wäre. Hat doch die in Aussicht genommene Einschränkung und Umgestaltung des letzteren durch den bevorstehenden Neubau vielseitig solchen Unwillen erregt, dass man selbst vor dem Gedanken nicht zurückgeschreckt ist, das alte Kurhaus und den Kurgarten zu belassen wie sie sind, für die durch jenes nicht mehr zu erfüllenden Bedürfnisse aber einen besonderen Neubau an anderer Stelle aufzuführen.

In diesen Stand der Angelegenheit hat nun vor einigen Monaten ein auf völlig neuer Grundlage entstandener Vorschlag eingesetzt, den einer der bekanntesten und bewährtesten Berliner Architekten, Brth. Wilhelm Böckmann, in einer Denkschrift niedergelegt und den Wiesbadener Behörden sowie sonstigen, an einer befriedigenden Lösung der inrede stehenden Frage interessirten Kreisen und Personen unterbreitet hat. Hr. Böckmann, der vor kurzem noch einen Nachtrag zu jener Denkschrift hat erscheinen lassen, ist zu seinem Vorschlage dadurch angeregt worden, dass er wiederholt als Kurgast in Wiesbaden geweilt hat und dadurch nicht nur mit den inbetracht kommenden Verhältnissen auf das genaueste bekannt geworden ist, sondern auch Gelegenheit gefunden hat, den ganzen Stoff an Plänen und Erörterungen über den Kurhaus-Bau zu studiren, der bereits sich angesammelt hat. Nichts war wohl natürlicher, als dass an solche Studien der Versuch sich anschloss, zu prüfen, ob die dem Unternehmen eines Kurhaus-Neubaues entgegen stehenden Schwierigkeiten nicht auf einem anderen Wege überwunden werden könnten. Und das Ergebniss dieses Versuches läuft darauf hinaus, dass es allerdings möglich wäre, den alten herrlichen Kurgarten zu erhalten und den Neubau des Kurhauses ohne gewaltsame Störung des gewohnten Badelebens sowie ohne Aufwendung grösserer Unkosten für provisorische Anlagen durchzuführen, wenn man sich zu einigen Aenderungen des für den Wettbewerb von 1897 aufgestellten Programmes entschliesst. Die bezügl. Böckmann’sche Entwurfs-Studie ist interessant genug, um an dieser Stelle nachträglich auch weiteren Fachkreisen mitgetheilt zu werden.

Abbildg. 1 - Lageplan des bisherigen Zustandes
Abbildg. 1 – Lageplan des bisherigen Zustandes
Abbildg. 2 - Lageplan
Abbildg. 2 – Lageplan

Abbildg. 1 zeigt den Lageplan des bisherigen Zustandes, Abbildg. 2 denjenigen der vollendeten Anlage. Aus der in letzterem punktirt angedeuteten Umrisslinie des alten z Z. noch stehenden Kurhauses ergiebt sich, dass der Neubau in seinen Grundriss-Abmessungen, insbesondere in seiner Tiefe gegen jenen etwas eingeschränkt worden ist und dass sein Mittelbau um etwa 10 m weiter nach dem Kursaal-Platz vorspringen soll, als derjenige des alten Hauses. Es ist diese in Aussicht genommene Einschränkung des Kursaal-Platzes, die wahrscheinlich eine Verkürzung des in seiner Mitte befindlichen berühmten „Bowling green“ zurfolge haben müsste, wie wir sogleich bemerken wollen, derjenige Punkt des Böckmann’schen Vorschlages, der in Wiesbaden dem heftigsten Widerspruche begegnet ist und gegen den die merkwürdigsten Gründe ins Feld geführt worden sind. Unsererseits wollen wir ohne weiteres einräumen, dass es allerdings sehr erwünscht wäre, wenn diese Vorrückung des neuen Kurhauses nach dem Vorplatze hin vermieden werden könnte.(Nach dem Nachtrage zur Denkschrift dürfte es wenigstens möglich sein. sie auf etwa die Hälfte herab zu setzen.) Aber dieses Eingeständniss kann doch unmöglich blind machen wider die ausserordentlichen Vortheile, die durch ein solches Opfer erreicht werden können und denen gegenüber dieses in der That bedeutungslos erscheinen muss.

Abbildg. 3. Ausbau des parkseitigen Theiles vom alten Kurhaus zur Benutzung des Neubaues
Abbildg. 3. Ausbau des parkseitigen Theiles vom alten Kurhaus zur Benutzung des Neubaues
Abbildg. 7 - Längsschnitt zur Entwurfs-Skizze für das neue Kurhaus
Abbildg. 7 – Längsschnitt zur Entwurfs-Skizze für das neue Kurhaus

Bei einer derartigen Anordnung kann nämlich der nach dem Kurgarten hin gelegene Theil des alten Kurhauses vorläufig erhalten werden und es ist, wie Hr. Böckmann durch die in Abbildg. 3 wiedergegebene Grundriss-Skizze nachgewiesen hat, möglich, denselben derart auszubauen, dass er den vorhandenen dringendsten Bedürfnissen, wenn auch selbstverständlich nicht in vollkommenster Weise, so doch immerhin insoweit genügt, als dies voraussichtlich bei jeder anderen provisorischen Anlage der Fall sein würde. Ein Konzertsaal lässt sich in demselben allerdings nicht beschaffen und es müsste für einen solchen anderwärts gesorgt werden. Hr. Böckmann schlägt vor, hierfür auf der Rückseite der nördlichen Kolonnade ein provisorisches Gebäude aufzuführen, dessen Kosten er auf den Betrag von nur 41 000 M. veranschlagt. Von der Errichtung eines zur Erhaltung bestimmten, später als Stadthalle zu benutzenden Gebäudes räth er ab, einmal weil die Anlage desselben entweder für seinen vorläufigen oder für seinen späteren Zweck zu wünschen übrig lassen würde, dann aber auch, weil hiermit wiederum ein Zeitverlust von etwa 2 Jahren verbunden wäre.

Abbildg. 6. Ansicht am Kursaal-Platze
Abbildg. 6. Ansicht am Kursaal-Platze

Die hiernach zu erzielenden Kosten- und Zeitersparnisse wiegen jedoch verhältnissmässig nur gering im Vergleich mit dem Gewinn, der bei der vorgeschlagenen Anordnung durch die Erhaltung des bisherigen Kurgartens und durch die Möglichkeit sich ergiebt, den letzteren nach Vollendung des Neubaues ohne Antastung seiner schon vorhandenen Schönheiten noch zu vergrössern und weiter auszugestalten. Wer jemals an dem festlichen Treiben in diesem, nach seiner Bedeutung für das Wiesbadener Badeleben dem Kurhause selbst noch überlegenen Garten Theil genommen hat, wird es zu würdigen wissen, was die Aufrechterhaltung des ungestörten Betriebes an dieser Stätte besagen will. Auf die bestimmten, aus der Erfahrung geschöpften Vorschläge, welche die Denkschrift bezüglich der Erweiterung und zweckmässigeren Ausgestaltung des Kurgartens macht, können wir begreiflicher Weise an dieser Stelle ebenso wenig eingehen, wie auf die Einzelheiten der Grundriss-Anordnung sowohl für die provisorische Anlage, wie für die der Denkschrift beigegebene Entwurfs-Skizze zu dem neu zu erbauenden Kurhause.

Abbildg. 4. Erdgeschoss
Abbildg. 4. Erdgeschoss
Abbildg. 5. Obergeschoss
Abbildg. 5. Obergeschoss

Die letztere (Abbildg. 4-7) erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch, auch nur die Grundlinien der endgiltigen Anordnung festlegen zu wollen. Hr. Böckmann, der ausdrücklich hervorhebt, dass diese Aufgabe entweder zum Gegenstande eines neuen Wettbewerbes zu machen oder den bewährten Architekten der Stadt Wiesbaden anzuvertrauen sei, hat damit nur eine „Probe auf das Exempel“ geben, d. h. darlegen wollen, dass ein des Kurortes würdiges Kurhaus auch auf der von ihm vorgesehenen kleineren Grundfläche errichtet werden könne. Und dieser Nachweis ist ihm zweifellos gelungen. Allerdings nur dadurch, dass er von dem Programm d. J. 1897/98, nach welchem sämmtliche grösseren Säle in einem nicht mehr als 4 m über der äusseren Bodenfläche liegenden Geschosse liegen sollten, abgewichen ist und statt einer im wesentlichen eingeschossigen eine zweigeschossige Anlage angenommen hat – derart, dass im Erdgeschoss alle zu ständiger Benutzung bestimmten Räume vereinigt sind, während das Obergeschoss alle für besondere festliche Veranstaltungen dienenden Säle enthält. Für den unbefangenen Beurtheiler ist dies gewiss kein Nachtheil. Das Haus gewinnt im Inneren an Uebersichtlichkeit, und dass sein Aufbau zu grösserer Höhe geführt werden müsste, wäre für seine Stellung als Dominante der ganzen Kuranlage nicht ungünstig. Der Umfang der Festsäle würde auch für die grössten, in den Bereich der Wahrscheinlichkeit fallenden Feste ausreichen und durch eine entsprechende Anzahl von Fahrstühlen kann leicht dafür gesorgt werden, dass die in ihrer Bewegungsfähigkeit gehinderten oder bequemeren Kurgäste das Obergeschoss erreichen können, ohne Treppen steigen zu müssen. In gewissen Wiesbadener Kreisen begegnet jedoch dieser Vorschlag einer zwei geschossigen Kurhaus-Anlage fast nicht geringerer Missbilligung, als jener andere einer Einschränkung des Kurhaus-Platzes.

In wie weit diese Stimmen bei der schliesslichen Entscheidung ins Gewicht fallen werden, ist vorläufig wohl nicht abzusehen. Sollten sie durchdringen und der Böckmann’sche Vorschlag unberücksichtigt bleiben, so dürften indess wohl auch die Gegner desselben zugestehen, dass durch diese in rein idealem Interesse unternommene fachmännische Studie die Frage des Wiesbadener Kurhaus-Neubaues in einer bisher noch nicht erreichten Weise geklärt und gefördert worden ist.

Dieser Artikel erschien zuerst am 29.12.1900 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „F.“.