Bei Felix Weingartner

Nennt man die besten Namen, so wird auch der seine genannt. Es giebt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß in unserer an bedeutenden Kapellmeistern so reichen Zeit Felix Weingartner zu den bedeutendsten gehört. Und doch ist seine Persönlichkeit viel umstritten.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Nicht oft durfte ein Künstler in seinem Alter auf eine gleich glänzende Laufbahn zurückblicken, und doch fühlt er sich nicht so vollkommen glücklich, wie man meinen sollte. Er krankt wie andere hervorragende Größen vor ihm, wie beispielsweise auch Anton Rubinstein, an dem Ehrgeiz, hauptsächlich als Komponist anerkannt zu werden. Hier aber will ihm das Publikum, dessen erklärter Liebling er sonst ist, nicht immer folgen. Dafür haben erst die letzten Tage wieder einen Beweis erbracht, da die Berliner seiner sinfonischen Dichtung „Die Gefilde der Seligen“ zwar Beifall klatschten, ein neues Streichquartett aber nicht allzu freundlich aufnahmen. Hoffentlich nimmt er daraus nicht Anlaß, seine Thãtigkeit als Dirigent der Sinfoniekonzerte der königlichen Kapelle in der Reichshauptstadt aufzugeben, wie er seiner Zeit der Wirksamkeit an der Königlichen Oper überdrüssig wurde, nachdem er bei der Aufführung seines „Genesius“ eine allerdings unverdient schwere Niederlage erlitten hatte.

Kapellmeister Felix Weingartner am Klavier

Felix Weingartner, Edler zu Münzberg wurde am 2. Juni 1863 in Zara in Dalmatien geboren, verlebte den größten Teil seiner Jugend in Graz, wo er den ersten Kompositionsunterricht genoß, zog als achtzehnjähriger Jüngling nach Leipzig, um dort zu studieren, ging hier jedoch ganz zur Musik über. Allein er wandelte später durchaus nicht die Wege, die ihm hier gewiesen wurden; von der einseitig klassischen Richtung machte er sich sehr schnell los, und als er zur Selbständigkeit herangereift war, wurde er alsbald ein begeisterter und vermöge seiner genialen Begabung ungewöhnlich erfolgreicher Apostel des musikalischen Fortschritts. Er wurde Opernkapellmeister in Königsberg, Danzig, Hamburg, Frankfurt a. M., Mannheim und schließlich im Jahr 1891 in Berlin. Den Titel eines Ersten Kapellmeisters hat er hier nie geführt, aber die Stellung eines solchen erwarb der Achtundzwanzigjährige thatsächlich in kurzer Frist, obwohl neben ihm ein Josef Sucher wirkte. Seine Thätigkeit war mindestens, soweit die Konzerte in Betracht kommen, bis zu einem gewissen Grad reformatorisch. Was Sucher zaghaft begonnen, setzte er mit jugendlichem Feuer und überzeugungsvollem Eifer fort. Er erfocht der modernen Musik neben der klassischen in den Sinfonieabenden der Königlichen Kapelle Bürgerrecht und brachte durch die glänzende Wiedergabe, die die Werke aller Richtungen unter seiner Leitung erfuhren, diese vornehmen Konzerte wieder zu der Höhe, zu der Bedeutung im künstlerischen Leben der Hauptstadt, die sie in früheren Zeiten besessen. So kam es, daß er sich neben Bülow behaupten konnte, daß sich die der Orchestermusik des Opernhauses geweihten Räume wieder mehr und mehr füllten und daß selbst jetzt für die Weingartnerkonzerte, obwohl sie in dem 1800 Personen fassenden Theater selbst stattfinden, im Einzelverkauf nie eine Karte zu haben ist. Mit eindringendem Verständnis und völliger Hingabe an die Kunstwerke verbindet er eine gesunde, natürliche Auffassung und ein nur von künstlerischer Ueberlegung gezügeltes feuriges Temperament, das unwillkürlich sowohl die Musiker, die unter ihm spielen, wie das Publikum, das ihm zuhört, mit fortreißt.

Bei Felix Weingartner

Wo immer er erscheint, im Ausland ebensowohl wie im Inland, gewinnt er die Herzen im Fluge. Es ist daher begreiflich, daß er sich ganz auf das Dirigieren von Konzerten beschränkt und von der Opernleitung nichts mehr wissen will. Das Orchester wird ihm zum Instrument, das er meisterhaft beherrscht, während die Sänger der Oper häufig dem Kapellmeister gegenüber ihre eigene Meinung zur Geltung bringen wollen, so daß er seine Absichten nicht immer ungetrübt zur Ausführung bringen kann. Natürlich komponiert Weingartner nebenher fleißig fort, neben kleineren und größeren Orchester- und Kammermusikwerken hat er eine stattliche Anzahl Lieder und drei Opern „Sakuntala, „Malawika“ und „Genesius“ geschrieben. Manchen Triumph hat ihm namentlich in Musikerkreisen auch seine schöpferische Thätigkeit schon eingetragen, aber eine herrschende Stellung wie der Dirigent hat der Komponist Weingartner bisher nicht erringen können.

Felix Weingartner am Arbeitstisch in seinem Münchener Heim

Sein Auftreten, seine häufig polemisch gehaltenen Schriften haben schon wiederholt zu heftigen Preßfehden geführt, aber so scharf er mitunter angefeindet worden ist, die Angriffe galten niemals dem Menschen. Es ist für ihn charakteristisch, daß die Oeffentlichkeit noch nie Anlaß gehabt hat, sich mit dem Privatleben dieses in der Oeffentlichkeit wirkenden Mannes zu beschäftigen; davon weiß man so gut wie nichts. Aber von seinen Freunden kann man es hören, daß er, größeren Gesellschaften abhold, ein Freund gemütlicher Geselligkeit im intimen Freundeskreise ist, der in seinem Münchener Heim mit seiner schönen Frau, der Mannheimerin Marie Juillerat, und seinem Sohn das denkbar glücklichste Familienleben führt.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit “H. N.”