Gouverneur Truppel in Tsinanfu und Lentschoufu

Tor von Potchan mit Quellwasserleitung

Als im vorigen Jahr der durch sein tatkräftiges und verständnisvolles Verhalten aus der Zeit der Boxerunruhen her bekannte Gouverneur der chinesischen Provinz Schantung, Nuanschikai, zum Vizekönig von Petschili ernannt wurde, trat an seine Stelle der Gouverneur Choufu, ein Mann, der in diplomatischen Kreisen bereits aus seiner Tätigkeit als Schatzmeister der Provinz Hupe bekannt war und sich des Rufes eines energischen und weitblickenden Verwaltungsbeamten erfreute. Wenn auch unsere Landsleute in Schantung mit Recht den Weggang Nuanschikais als Verlust empfanden, so konnte man doch den Amtsantritt Choufus als ein Fortschreiten auf dem von Nuanschikai eingeschlagenen Weg betrachten.

Der ungehinderte rasche Fortgang unserer wirtschaftlichen Arbeiten im Innern Schantungs zeigt, daß wir uns in den Hoffnungen, die wir auf den neuen Gouverneur dieser Provinz setzten, in keiner Weise getäuscht haben. Die Eisenbahn ist bereits bis 85 Kilometer östlich der Hauptstadt Tsinanfu auf einer Strecke von 35 Kilometern in regelmäßigem Betrieb. Das neue Verkehrsmittel, das bereits seit einem Jahr täglich Ladungen von Kohlen aus den Bergwerken bei Weihsien nach Tsingtau bringt, hat in kürzester Zeit auch Verständnis bei den Eingeborenen gefunden.

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Einem sehr schnell anwachsenden, überaus regen Personenverkehr ist ein ganz überraschend schnelles Anwachsen der Frachten gefolgt, besonders, seit die Bahn in jüngster Zeit die Gebiete des Seidenhandels berührt hat. In wenigen Monaten wird sie die Hauptstadt Tsinanfu mit der ersten fertigen Mole in Tsingtau verbinden, wo die Waren direkt von der Eisenbahn in die Dampfer und umgekehrt verladen werden können.

Das gleiche, was vom ruhigen Fortgang der Bahnarbeiten gesagt ist, gilt auch für die Arbeiten in den Kohlenrevieren, die mit aller Energie und sicherer Fachbeherrschung ohne die geringste Störung gefördert werden.

Polizisten in Tschifu
Polizisten in Tschifu
Heilige Quelle im Tempel zu Poschan
Heilige Quelle im Tempel zu Poschan

Der Sicherheitsdienst bei allen diesen unsern Arbeiten wird durch Truppen des Gouverneurs Choufu in wirksamer Weise versehen, aber nicht Waffengewalt ist es was Handel und Industrie erblühen macht, sondern der durch sie gewährleistete Friede und vor allem das Verständnis für das, was chinesisches und deutsches Element sich gegenseitig zu bieten vermögen, und für das, worin wir uns einander zu gemeinsamer Arbeit die Hand reichen können: Verständnis eben für gegenseitiges Wesen, Wissen und Können. Hierin liegt der wichtigste Faktor für die Lösung handelspolitischer Fragen. Grundbedingung aber ist hierbei persönlicher Meinungsausausch und gegenseitiges Vertrauen auch gerade jener Männer die berufen sind, der Entwicklung der Dinge die Wege ebnen zu helfen.

Durch den Besuch, den der neue Gouverneur Choufu kurz nach seinem Amtsantritt im Winter vorigen Jahres dem Gouverneur unseres Liautschaugebiets in Tsingtau machte, hat er gezeigt, daß auch er dies voll zu würdigen versteht, und die freundschaftlichen Beziehungen, die sich hierbei durch persönliche Aussprache der beiden Gouverneure über das gemeinsame Zusammenarbeiten angeknüpft hatten, fanden ihre Fortsetzung in dem Gegenbesuch, den Gouverneur Truppel dem chinesischen Gouverneur im Frühjahr dieses Jahres in seiner Hauptstadt Tsinanfu machte.

Ein chinesischer Höhlenbewohner
Ein chinesischer Höhlenbewohner
Grosser Götze in Tahandfu
Grosser Götze in Tahandfu
Gouverneur Truppel mit Gouverneur Cheufu beim Abschied in Tsinanfu
Gouverneur Truppel mit Gouverneur Cheufu beim Abschied in Tsinanfu

Gouverneur Truppel, der mit diesem Besuch in Tsinanfu gleichzeitig eine Orientierungsfahrt im Innern der Provinz Schantung verband, wählte von Tsingtschoufu, dem damaligen Endpunkt der Schantung-Eisenbahn, den Weg über Tsinanfu, Nentschoufu nach Tsining am Kaiserkanal, während der Rückweg über Taianfou und das Gebirge durch das Poschantal führte, um dann bei Tsingtschoufu wieder die Bahn zu erreichen. In dem ebenso schön wie praktisch eingerichteten Dienstwagen der Schantung-Eisenbahngesellschaft ging es am ersten Tag von Tsingtau bis Tschingtschoufu, von hier begann die Reise zu Pferde. Daß die Wege im Innern Chinas kein Genuß sind, ist uns wohl bekannt, aber selbst die niedrigst gespannten Erwartungen werden hierin fast jedesmal durch die Wirklichkeit noch über- – oder besser gesagt – untertroffen. So waren denn die sogenannten Wege auch vielfach nur daran zu erkennen, daß die chinesische Geleitschwadron über die Felder vorausritt. Fast lebensgefährlich aber wurde es, zumal wenn es geregnet hatte, wo der Weg durch ein Dorf führte und dicker, tiefer, übelriechender Morast den Boden deckte, darunter aber großsteiniges, glattes Pflaster mit vielen Lücken war.

In erfreulich krassem Gegensatz hierzu stand die Zuvorkommenheit, mit der der chinesische Gouverneur seinen Gästen die Reise zu erleichtern und angenehm zu machen suchte. Schon von der Grenze der neutralen Zone ab waren an der Bahn entlang Ehrenposten aufgestellt auf den Stationen waren die Kreisbeamten mit Musik und Erfrischungen zur Stelle sowie auch Begrüßungsbeamte des Gouverneurs, deren Zahl sich von Station zu Station vergrößerte. Am Endpunkt der Bahn wurde die kleine Reisegesellschaft durch eine Ehrenschwadron empfangen, die dann als Eskorte während der ganzen Reisedauer verblieb neben einer Abordnung chinesischer Beamter als Quartiermacher, die für die Unterbringung der Herren aufs beste sorgten. Seinen Höhepunkt aber erreichte der überall mit gewinnender Liebenswürdigkeit verbundene Empfang in Tsinanfu selbst. Unter den Klängen der „Wacht am Rhein“ und dem Salut von Böllerschüssen zog man zwischen einem Spalier von Truppen, die das Gewehr präsentierten, in die reich beflaggte Stadt, an deren Tor die sämtlichen Würdenträger vom Schatzmeister ab sich zur Begrüßung versammelt hatten. Ueber dem auf das sorgsamste in europäischem Stil eingerichteten Quartier des Gouverneur Truppel wehten eine deutsche und eine chinesische Flagge, sogar auf dem Namen Choufus wehte die ganze Zeit über eine deutsche Flagge. Für die kulinarischen Genüsse sorgte ein ausgezeichnet europäisch kochender Koch, der nebst der sonstigen, unter dem früheren Headboy des Grafen Waldersee stehenden Bedienung aus Tientsin verschrieben war. Gleich nach der Ankunft tauschten die beiden Gouverneure Besuche aus. Nun folgte natürlich eine Reihe glänzender Feste. Der feinsinnige Geschmack in der Veranstaltung und das originelle bunte Bild, das sich vor unsern Augen bei solchen chinesischen Festen entrollt, haben stets etwas sehr Reizvolles. So sei besonders hier genannt ein Galadiner mit daran anschließendem feenhaftem Feuerwerk am Teich in der Gedächtnishalle für Lihungtschang. Solche Feste sind eine Spezialität der Chinesen, auf die sie sehr stolz sind, und die sie sich viel kosten lassen.

Das Grab des Confuzius. Daneben ein Nachkomme des grossen Religionstifters
Das Grab des Confuzius. Daneben ein Nachkomme des grossen Religionstifters
1. Gouverneur Chofu 2. Kapitän zur See Truppel. Fest der hohen Beamten in der Gedächnishalle Lihungchangs zu Tsinanfu
1. Gouverneur Chofu 2. Kapitän zur See Truppel. Fest der hohen Beamten in der Gedächnishalle Lihungchangs zu Tsinanfu

Auch manches andere Interessante bot der Aufenthalt in Tsinanfu, so eine Parade, bei der die Truppen unter den Klängen des Liedes: „Was kommt dort von der Höh“ vorbeidefilierten, ferner die Besichtigung der von Choufu eingerichteten Schulen, des Arsenals und anderer Sehenswürdigkeiten der Umgegend. Nach viertägigem Aufenthalt wurde herzlicher Abschied genommen und die Reise nach Nentschoufou fortgesetzt. Nicht formelle Höflichkeit war es, der diese Gastfreundschaft entsprang. Die ehrliche Liebenswürdigkeit der Aufnahme seitens des chinesischen Gouverneurs gab diesen Tagen das Gepräge und war der Ausdruck dafür, daß die deutschen Kulturarbeiten im Innern Schantungs auch den Chinesen zugute kommen und gemeinsame Arbeit hier Handel und Wohlstand beider Völker fördern muß.

Nicht minder glänzend als in Tsinanfu war der Empfang in Nentschoufu, der alten Hauptstadt des Reichs, wo vor 2 ¼ Jahrtausenden Confucius Minister war. Hier ist es dem jüngst verstorbenen Bischof von Anzer, dem der Besuch galt, gelungen, den Hauptsitz seiner Mission zu errichten, und eine stolze Kathedrale ragt heute über die Stadt empor, aus der die Lehren des Confuzius sich über das Reich der Mitte verbreiteten. In chinesischer Mandarinentracht erwartete der Bischof, vereint mit den chinesischen Würdenträgern, den Gouverneur. Der Senior, Provikar Freinademetz, wies, mit Tränen in den Augen, angesichts des heutigen glänzenden Einzugs des deutschen Gouverneurs auf die Flucht aus Nentschoufu hin, zu der er vor etwa 12 Jahren mit dem deutschen Konsul Freiherrn v. Seckendorff durch die gleiche Bevölkerung gezwungen worden war, und schilderte, mit welch genauer Not sie damals der wütenden Menge entrannen, Herr von Seckendorff mit dem Revolver in der einen, der deutschen Flagge in der andern Hand.

Gusseisernes Opfergefäss (Räucherbecken) beim Tempel in Tajafu
Gusseisernes Opfergefäss (Räucherbecken) beim Tempel in Tajafu
Tor von Potchan mit Quellwasserleitung
Tor von Potchan mit Quellwasserleitung

Wenn auch die gute Aufnahme durch die chinesische Beamten und die Bevölkerung von Nentschoufu hauptsächlich den Weisungen Choufus zu verdanken sein mochte so gab sie doch gleichzeitig Zeugnis von dem Einfluß der deutschen katholischen Mission und des Bischofs von Anzer. Ein mutiger, tatkräftiger und patriotisch gesinnter Mann dessen Name mit der deutschen Mission in Schantung stets aufs Rühmlichste verknüpft sein wird, dabei bedeutender Kenner chinesischen Wesens ist mit Bischof von Anzer dahingegangen. Wie nicht anders zu erwarten, war die gastliche Aufnahme durch die Missionare eine überaus herzliche. Außer der Besichtigung der Missionsschulen wurde ein Ausflug nach der Missionniederlassung in Dähsiatschuang gemacht, wo Gouverneur Truppel Kränze an den Särgen der Missionare Nies und Henle niederlegte. Eine weitere interessante Fahrt galt dem Grab des Confucius in Tsüfu. Die einfache Ausschmückung dieses heiligen Orts sticht angenehm von dem sonstigen überladenen Prunk ab, der sich an den religiösen Stätten Chinas breit macht und in der Aufstellung gigantischer Götzenbilder seinen vornehmlichsten Reiz sucht. Dem Andenken des Confuzius ist neben der Grabstätte natürlich auch eine Anzahl von Tempeln in verschiedenen Städten gewidmet, zu denen oft Wallfahrten stattfinden.

„Sein Allerheiligstes Gesicht,“ der in Tsüfu lebende Herzog Confucius, ein direkter Nachkomme des chinesischen Propheten, war durch ein Halsleiden verhindert, den Gouverneur selbst zu empfangen, hatte aber gutes Quartier vorbereitet und einen Verwandten beauftragt, die Honneurs für die deutschen Gäste zu machen, da, wie er schrieb, „leider sein Kehlkopf geschwollen sei wie eine gefüllte Scheune.“

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 51/1903, er war gekennzeichnet mit „Andreas Pauly“.