Die Eberburg

Das Weserkastell

Ragend über der alten Stadt Münden, dort, wo der Reichardtswald zur Fulda abfällt, erhebt sich jene Burg, in der Professor Gustav Eberlein zur Sommerzeit ausruht. Alte Eichen und Buchen umrauschen den Herrensitz. Nur an einer Stelle lichten sich die Wipfel, um ein weites Plateau freizulassen, dessen Mitte des alten Kaisers Reiterstandbild einnimmt.

Ein Märchenschloß! Verwildert sein Garten, von Rosengerank eingesponnen, aus dessen Gewucher leuchtende Blütenkelche herabtropfen und duften. Ueber den ganzen Park hin sind grünlich überschimmerte Marmorreste zerstreut, Torsos, Säulenkapitäle, Bruchstücke zerfallener Tempel. Diese redenden Trümmer fand und sammelte der Künstler in der Campagna. Das Atelier gleicht mit seiner feierlichen Fassade selbst einem Tempel; vergraben unter Grün liegt es still und weltfern. Die Burg ist im Stil der alten römischen Villen erbaut, doch bietet ihr Inneres jeden modernen Komfort. Von ihren Altanen blickt man weit hinaus ins Land.

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Weiter schweifend trifft das Auge das alte Welfenschloß, dessen Inneres der Staat in ein Eberleinmuseum umwandelte, und bleibt dann haften an der eigenartigen Verkörperung eines der phantastischen Träume von Gustav Eberlein. Wie aus germanischer Vorzeit emporgestiegen, mutet uns das graue Gemäuer an, das sich am Zusammenfluß von Werra und Fulda erhebt: das Weserkastell“, im Volksmund die „Gralsburg“ genannt. Die vorübergleitenden Schiffe grüßen herüber, aus mächtigen Opferschalen lodert zur Nachtzeit Rotfeuer empor.

Maria Eberlein, geborene Gräfin Herzberg, auf der Eberburg
Maria Eberlein, geborene Gräfin Herzberg, auf der Eberburg
Blick von der Eberburg nach Hannoverisch-Münden
Blick von der Eberburg nach Hannoverisch-Münden

Hier verlebt der Künstler an der Seite seiner schönen und musikalisch hochbegabten Gattin Maria, geb. Gräfin Bertzberg, die Stunden. Hier begrüßt er in selbstgefundenen Versen die Kommenden. Hier gibt er Feste, zu denen Koryphäen von Wissenschaft und Kunst aus allen Teilen Europas, die Aristokratie Hannovers, Kassels und Mündens, durchreisende Fremde aus allen Gauen als Gäste erscheinen; jeder gibt sein Bestes, jeder trägt bei zur Feier dieser freudigen Stunden. Eine großartige Gastlichkeit herrscht auf der Eberburg. Ueber hundert Personen stellen sich oft ungemeldet ein und finden frohe Bewirtung.

Das Weserkastell
Das Weserkastell
Prof. Eberlein auf der Eberburg
Prof. Eberlein auf der Eberburg

Zur Weihe des „Weserkastells“ sprach Maria Eberlein selbst die grüßenden Worte. Eine Aufführung von Goethes „Iphigenie“ unter Mitwirkung erster Künstler zwischen den grünen Kulissen des Parks folgte, darauf zeigten sich in bunter Reihenfolge lebende Bilder, Tänze, Pantomimen. Aus der Wirrnis der verwachsenen Parkwege tauchten Niren und Nymphen auf – Lieder tönten von hier und dort, eine schöne Frau pries improvisiernd die Poesie des lieblichen Sitzes. –

So schwanden die Sommertage unter Freude und Lust dahin. Der Herbst tauchte die schweren Laubmassen in Gold und Purpur.

Die Idylle an der Weser ging zu Ende.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 41/1903.