Hopfenernte

Spalt, 1904 – Seit der riesigen Entwicklung der Bierindustrie hat die Kultur des Hopfens fast die ganze Erde erobert.

Die wertvolle Genußmittelpflanze, die, seitdem unsere Altvordern auf die glückliche Idee kamen, sie ihrem säuerlichen Gebräu zuzusetzen, dem Bier erst eigentlich Geschmack, Gehalt und Dauerhaftigkeit verlieh, gedeiht heute in Amerika so gut wie in Bayern, in Australien nicht minder wie in Böhmen. Oesterreich, Frankreich, Rußland, England, die Niederlande sind an der Produktion des Hopfens beteiligt so gut wie unser deutsches Vaterland. Aber wie zwischen Bier und Bier, wie männiglich weiß, ein großer Unterschied ist, so auch zwischen Hopfen und Hopfen. Und wie Germanien den Ruhmestitel für sich in Anspruch nehmen darf, den Durst mit Hilfe des Bieres zuerst bezwungen zu haben, so darf es sich auch der Produktion des vorzüglichsten Hopfens rühmen. Und hier wieder sind es die gesegneten Hopfenparadiese in Böhmen (Saatz), Bayern (Holledau und Franken), Württemberg und Baden, in denen die berühmten Edelgewächse kultiviert werden, die, wenn die Ernte gut geraten, enorme Preise im Handel erzielen. Es heißt, daß der Wert des Hopfens steige oder falle, je nachdem der Wein geraten oder mißraten ist. Wenn die Berge trauern, jubelt die Ebene.

Hopfenpflanzungen bei Weinheim a. d. Bergstrasse

So hätten wir in diesem Jahr nichts Erfreuliches zu erwarten, denn man spricht schon jetzt allenthalben von einem guten Weinjahr. Die Hopfenernte ist denn auch bereits vorüber und so weit Nachrichten aus Bayern vorliegen, nicht so gut wie sonst ausgefallen. Diese Hopfenernte setzt alljährlich viele Tausende von Händen in Bewegung. In vielen Gegenden wird der Hopfen gleich an Ort und Stelle im Freien gepflückt. In andern, so in den fränkischen Hopfengärten, löst man die harzigbitter duftende Schlingpflanze von den Stangen und führt sie auf gehäuften Wagen in die Häuser der Ortschaften, in denen nun ein eigenartiges fröhliches Leben und Treiben anhebt.

Bei der Ernte

Alles, was Hände hat, muß herbei zum Hopfenzupfen oder -brocken; der Hopfenbauer wandelt auf und ab und wacht darüber, daß die würzigen Dolden fein säuberlich in die bereitstehenden Körbe gepflückt werden.

Der Ertrag der Ernte wird vom Hopfenbauern aufgerechnet

Das Pflücken, bei dem die Hände allmählich pechschwarz werden, ist keine sonderlich anstrengende Arbeit. Darum drängen sich zu ihr meist jene Menschenkinder, die ihr Sach auf nichts gestellt haben, Männlein und Weiblein, die im Land herumirrlichtelieren und jeder schweren, dauernden Arbeit mit Hartnäckigkeit aus dem Weg gehen.

Hopfengärten bei Spalt unmittelbar vor der Ernte

Eine der berühmtesten Sammelstätten dieser lockeren Vögel ist das fränkische Hopfendorado, das altertümliche, zwischen anmutige Hügel und weithin sich dehnende Hopfengärten gebettete Städtchen Spalt. Zu Hunderten strömen hier all jene abenteuerlichen Gestalten zusammen, die “nach Nam und Art” zu fragen, die Obrigkeit manchmal ihre Gründe hat. Viele von ihnen kommen jahraus, jahrein regelmäßig wieder, und wenn sie ein paar Wochen im fröhlichen Verein gezupft haben dann zerstieben sie wieder über Nacht wie die Spreu im Wind, hierhin und dorthin, und tauchen unter im Strom des Lebens. Aber diese paar Wochen im “Zupfianns”, wie die Hopfenernte in Spalt genannt wird, sind lustige Wochen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend erklingen die lustigen und kecken Lieder der Zupfianer, die Flasche und der Krug kreisen, denn der echte Zupfianer kann keinen “Boscher” (Pfennig) in der Hosentasche festhalten, manches zarte Band wird geknüpft, wenn der Zupfianer nicht überhaupt gleich zur Hopfenernte mit einer “Henne” (Mädchen) auf dem Plan erschienen ist. Der Glanzpunkt des ganzen Zupfianus ist aber der Spalter “Saumarkt”, der an einem der drei Sonntage, die gewöhnlich in die Ernte fallen, unter größter Beteiligung von eingesessenen Bewohnern der fränkischen Hopfengegenden und Zupfianern veranstaltet wird, und bei dem die Hopfenzupfer die Hauptrolle spielen. Es wird ein Festzug arrangiert, der unter den Klängen einer Musikkapelle und geleitet von einem Herold den Hopfenkönig und die Hopfenkönigin durch die Straßen führt. Nach Beendigung dieses feierlichen Umzugs, bei dem man die groteskesten Lumpengestalten schauen kann, ergießt sich der Strom der Zupfianer in die Wirtshäuser, Reden werden gehalten auf die hohe Obrigkeit, die den Zupfianern ihre Loyalität bezeigte, Toaste werden ausgebracht auf Hopfenkönig und Königin und im übrigen wacker dem Bier bis die frühe Polizeistunde dem tollen Treiben ein Eide bereiten In Spalt ist in diesen Jahr sogar eine Zupfianerzeitung herausgegeben worden, die den merkwürdigen Titel “Der Saumarkt, – Spalter Zupfianuszeitung“, trägt, und an deren Redaktion die “hervorragendsten Strahengrabenpoeten” mitgewirkt haben. Man muß es den Zupfianern lassen: ihre Zeitung verrät viel Witz und besten Humor, und sie gibt einen amüsanten Einblick in das Wesen dieses vagabundierenden Völkchens.

Zupfianer beim Mittagsmahl

Famos und charakteristisch ist z. B. Zwiegespräch:
Gendarm: “Was sind Sie ?”
Kunde: “Hopfenzupfer.”
Gendarm: “Das ist aber eine lange Zeit von einem Zupfianus zum andern.”
Kunde: “O, ich kann schon warten.”

Der “Saumarkt” hat natürlich auch einen Inseratenteil; eine Probe daraus mag diese Betrachtung würdig beschließen:

“Kumbnklift! Wer sich am Saumarkt (zum Festsonntag) billig einpuppen will, der komme in meine Trödelbude. Zum Verkauf gelangen: moderne, von Bruchkunden (= zerlumpter, abgerissener, auch “Bruchkadett” genannt) getragene Obermänner (= Hüte), Papierkragen, Wallmusche (= Röcke), Kreuzspannen (= Westen) Buchsen (= Hosen), Streiflinge (= Strümpfe), Trittlinge (= Schuhe) und Naturstenze (ein Stock, im Wald geschnitten oder aus der Hecke gerissen). Käthchen Schlumpert.”

Dieser Text von Maximilliam Krauß erschien erstmals 1904 in Die Woche. Die Bilder wurden nachcoloriert.