Die Thore oder Burgen der Landseite
Von welcher Seite wir uns der Stadt nähern, Schmutz und Koth, altherkömmliche Unwegsamkeit der Wege nicht scheuend, ihren fast zwei Stunden weiten Bering umwandern: ernst, Achtung gebietend ist ihr Anblick. Von ihrer einstigen Macht, von der hohen Bedeutung ihrer Vergangenheit unter Deutschlands Großstädten geben Kunde die stattlichen, Burgvesten ähnlichen Thurmwarten, nicht umsonst “Burgen” genannt, welche die Hauptthore der ganzen Landseite und einige Thore der Rheinseite schützen; dieses Ansehen bekundet die weite und mächtige Ringmauer, mit ihren seit 1497 überdachten Wehrgängen, zwischen den Thoren von vierundsechszig Halbthürmen oder Wichhäusern überragt, seit der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts von sechsundzwanzig festen Bastionen oder Bollwerken geschirmt.
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Mauern und Stadtgraben
Und welchen romantisch malerischen Charakter hat die Zeit, die unvergleichlichste Bildnerin und Malerin, der ganzen Außenseite der Stadt verliehen! Seit Jahrhunderten haben ihre Gehülfen, Sturm und Wetter, Frost und Regen, von Menschenhand durchaus nicht gestört, an den Außenwerken gemeinschaftlich mit ihr gewirthschaftet, an Mauerwerk und Thürmen gebildnert, Zinnen und Schießscharten phantastisch umgemodelt, und dem Ganzen eine Färbung gegeben, welche in dem mannigfaltigen Reichthume ihrer Töne und Uebergänge nicht zu schildern ist. Die meisten der Wichhäuser erinnern sich nicht mehr der Thurmkappen, die sie einst schützten, streckenweise hat der Wehrgang auch seine Bedachung eingebüßt. Statt der drohenden Stadtbüchsen drängen sich Schlingpflanzen und Strauchwerk aus den Schießscharten der Bastionen und Rondelle, deren Zinnen die Zeit in fröhlich grünende Gärten umgeschaffen hat, in welchen weißer und spanischer Hollunder, wilde Kirschen- und Apfelbäume lustig grünen und blühen.
Als die Franzosen 1794 Köln in Besitz nahmen, befanden sich im Stadtzeughause 144 Kanonen verschiedenen Calibers, 12 Falconette, 4 Haubitzen, 11 Mörser, 2 eiserne Steinböller, 160 Böller, 107 Lafetten, 4000 Kanonenkugeln, 120 Granaten, 1111 Bomben, 1000 Musketen, 900 Doppelhaken, 1213 eiserne Gewehre, 79 messingene, 104 Pistolen, 533 Säbel, 120 Trommeln, 22,000 Centner bleierne Kugeln, dann eine Menge kleinerer Armaturstücke, welches, im Ganzen zu einem Werthe von 211,545 Reichsthaler 60 Stüber veranschlagt, von den Franzosen weggeschleppt wurde. Die mittelalterlichen Waffenstücke, Rüstungen, Schilde u. s. w. kamen in die Sammlung des Baron von Hüpisch und nach dessen Tod in die Wallraf’sche. Eine dreizehn Fuß lange alterthümliche Feldschlange, fast ganz aus Silber gegossen, und zwei vergoldete, reich verzierte kupferne Kanonen, Musterarbeiten der Kunstgießerei, schleppte man auch fort. Die Oesterreicher hatten die so genannten zwölf Apostel weggenommen. Auch bewahrte das Zeughaus einen Streitwagen, Caroceio, auf dem, der Sage nach, die Kölner der Stadt Banner und Schlüssel in die Schlacht bei Worringen hinausführten. Der jedenfalls sehr alte Streitwagen ruhte auf zwei Achsen mit schweren runden Rädern, an deren Naben Sensen angebracht, wie Spieße an der Deichsel. Der aus schweren eichenen Bohlen gefertigte Aufsatz, stark mit Eisen beschlagen und mit der Stadt Wappen verziert, hatte Schutzzinnen, hinter welche sich die Streiter bergen konnten. Nachdem man das Eisen verkauft, wurde das Holzwerk verbrannt.
Der üppigste Epheu hat seinen, wer weiß, wie viele Geschlechter alten Mantel um die meisten der Thürme geworfen, mit seinem frischen Saftgrün die grauen Mauern bis über ihre zerbröckelten Zinnen im reichsten Sommerschmuck ausgeschlagen, den gelbgrauen Localton des Mauerwerks in eigenthümlichster Weise hebend. Waldfrisch lugen um den weiten Kranz der Landseite die laubmächtigen Kronen der kräftigsten Ulmen neugierig über die Mauerzinnen in die Stadt, und über ihnen sausen die Flügel der Windmühlen, die auf ehemaligen Thorthürmen des Mauerringes erbaut sind.
Spielplätze
Massenhaft wuchert Unkraut, grünt Baum- und Strauchwerk in dem eigentlichen Stadtgraben, dem so genannten “tiefen Graben”. In früheren Jahrhunderten des ehrsamen Rathes Wildbahn, jetzt für die Knaben ein Ort der Sehnsucht, denn mit Lebensgefahr, die bröckelnden Basaltmauern hinabkletternd, holten wir uns dort das Hollunderholz zu den oft Neid erregenden “Knabbüssen” oder Knallbüchsen, deren Munition gewöhnlich die gekauten Schulschreibhefte und auch wohl die Schulbücher selbst.
Der 46. Artikel des 1513 errichteten “Transfix auff den Verbundsbrieff” sagt ausdrücklich: In der Stattgraben kein Wild zu halten verboten. “Auch ist beschlossen, wann eine zeit her unser Stattgraben an bawm und zäune, und sonst durch das Wild, so darinnen gesetzt und gezogen worden ist, jömerlich – verdestruirt und verderblich – gemacht seynd, daß nach dieser zeit kein Jagd auff noch in unser Stattgraben von niemands, er sey groß oder klein mehr geschehen soll, auch kein Wild, als Hirschen, Hinden, Hasen oder Knine, auff noch in den Graben gesetzt noch gezogen werden sollen, und ob jemands darwider thete, denselben sall man also darumb ansehen, daß andere daran ein Exempel nemen.”
Zwischen dem Haupt- und dem Vorgraben laden schattenreiche Baumreihen uns zum Lustwandeln auf den nicht gesperrten Wallgräben, der Bürger Sonntags-Spazirgänge, welche die Stadt dem Bürgermeister Balthasar von Mülheim († 1775) verdankte. Konnte es für das Kind eine fröhlichere Botschaft geben, als: “Do jeiss met op der Pöze-Graven”?
Horch! Lauter Jugendjubel schallt aus den Außengräben. Die muntere Knabenwelt tummelt sich hier an ihren Spieltagen herum. Das Jubelgeschrei wird zum Kriegsruf. Heiß entbrannt ist der Kampf. Wahrscheinlich hat sich eine Schule auf das Grabengebiet der anderen gewagt; denn die Knaben jeder Schule, jedes Stadtviertels haben ihre bestimmten Gräben, deren Besitz sie männlich zu behaupten wissen, um welchen mitunter die hartnäckigsten Schlachten geliefert und die Kämpfer nicht selten mit blutigen Köpfen heimgeschickt werden. Razzias aus den Gräben nach den nahliegenden Rüben- und Möhrenfeldern wurden auch wohl zuweilen von Einzelnen unternommen, die es auf eine Tracht Prügel von der eben nicht sanften Hand eines Kappesbauern hin wagten.
Wie majestätisch bauen sich die riesigen Thorwarten mit ihren weiten, den Hauptgraben durchschneidenden festen Zwingern und Brücken! Basalt, Tuffsteine, Trachyt-Werksteine und Ziegel, das Material, aus denen sie gebaut, mit welchem sie ausgeflickt sind, haben die Zeit wesentlich in ihrer Staffirung unterstützt, den Burgvesten, deren Thorwärter in vorfranzösischer Zeit auch “Burggräven” hießen, in ihrer Färbung eine unbeschreiblich malerische Wirkung verliehen. Jede Thorburg ein Bild. Auf jedem Thore hing ein riesiges Hängeschloß, dessen Schlüssel der Burggraf bewahrte. Die Rentmeister der Stadt, welche in vorfranzösischer Zeit die Aufsicht über die Thore und Thürme führten, mußten alle vierzehn Tage oder höchstens alle Monate in eigener Person die Klauster oder Vorhangschlösser der Thore wechseln.
Bayenthurm
Längs der verwahrlos’ten Schlehdorn-Hecke, welche den sein sollenden Weg um den Vorgraben vom Felde scheidet, gelangen wir zu dem mächtigen Zwingerbaue des Bayenthurmes, einem düstern Gewölbe, das sich an die Nordseite der stattlichen Bastion, die 1603 begonnen und 1650 ganz vollendet war, schließt.
Huppet-Huhhot
Die im Jahre 1553 fertig gewordenen südlichen Werftbauten sind verschüttet, versandet; halsgefährlich ist für Fuhrwerk das, was man Weg zu nennen beliebt. Nur wenige Häuser mit ihren Spitzdächern, ihren düstern zerfallenen Treppengiebeln schauen über die Mauer. Auf derselben erhebt sich der Vorbau des “Zum Pützchen Hofes”, der Sitz des “Huppet-Huhhot”, eines Alt und Jung neckenden Kobolds, von dem man uns die erbaulichsten Schwänke erzählte, wie er die Mägde quälte, ihnen Pferdestaub in die Betten streute, Erbsen auf die Treppen, daß sie fielen, das Vieh im Stall losmachte, die Kühe ausmelkte, aber sich auch oft ganz gemüthlich an den Winterabenden mit seinem stolpernden Gange: hobedehop! hobedehop! seinem spitzen und langen Flachsbart und Spitzhut in ihrer Mitte am Heerde niederließ.
Einzelne aus Tuffstein in romanischem Style des 13. Jahrhunderts erbaute malerische Giebel überragen weiter nach Norden die Mauer, welche seit 1497 aus den Strafgeldern von Zinswuchern bis zum Filzengraben erhöht worden, oder verstecken sich hinter den hier längs der Stadtmauer aufgethürmten Holzstößen, den so genannten “Erken”. Mit der Abnahme des Verkehrs hatte man die Mehrzahl der Thore dieser Mauer verschüttet oder vermauert.
Während der Zeit des dreißigjährigen Krieges arbeitete man emsigst an der Befestigung der Stadt. Ein Ingenieur aus Lüttich, Johann Galls, hatte 1682 nach eigenem Plane die Arbeiten begonnen, und waren demselben dafür, daß er jährlich, oder wenn es sonst nothig, zur Beaussichtigung heruberkam, 2500 Reichsthaler zuerkannt. Galls’s Plan wurde für Köln nicht ganz ausgeführt, wohl aber in Deutz, das 1632 von den Kölnern in Gemeinschaft mit dem Kurfürsten durch vier ganze, und zwei halbe Bastionen befestigt wurde. Mit dem Bau des Bollwerls am Bayen riß man die so genannte “Art”, den mit einem Wichhaus versehenen Bogen am Bayenthurme, nieder. Von 1631 bis 1692 verbrauchte man zu dem Bastionsbaue am Bayen 1,144,000 Stück Ziegel. Die Verzeichnisse der vor dem Severinsthore und am Bayen gebrannten Ziegel sind im Stadt-Archive aufbewahrt, mit genauer Angabe, wo dieselben verbraucht wurden.
Das Werthchen
Einer Düne gleich, an einzelnen Stellen von mageren Grasplätzen unterbrochen, die Bleichstätte des ganzen Stadtviertels, zieht sich die Insel, das so genannte “Werthchen” hin. Mephitische Dünste steigen im Sommer aus dem verschlammten Rheinarme der Stadtseite. Ein paar Schiffs-Oberdecke sind zu Residenzen der Bleichwärterinnen umgewandelt.
Rheinhalfen
Monoton klingt in seinem stets einförmigen Tacte der weitschallende Hammerschlag einiger Schiffbauern, die sich das Werthchen zum Werft erkoren, und in ihr Gehämmer mischt sich das langgezogene Ju! Ju! Ho! Ho! Hoho! der Rheinhalfen, mit diesem Rufe, derben Flüchen und noch derbern Peitschenhieben ein Rudel magerer, abgehetzter Pferde vor einem zu Berg schleichenden Schiffe auf dem Leinpfade antreibend.
An der Rheingasse ändert sich die Scene des Werftes. Der Schiffsverkehr gewinnt einige Rührigkeit. Hier liegen, wie es die Jahreszeit bringt, die hoch über Deck mit Stroh und Heu oder mit Lohe, den ein französischer Commissär in seinem Bericht für Zimmet ansah, beladenen kleinen Fahrzeuge, auf welche die schmalen, zwei- und dreistöckigen Häuser düster und trostlos herabsehen, vielleicht besserer Zeiten eingedenk. Aeußerst bescheiden, eine schlichte Bürgerwohnung mit ihren Spitzdächern, ihren einfachen grünen Jalousieladen und blendend weißen Gardinen, schaut der “heilige Geist”, eines der ersten Gasthäuser der Stadt, das Absteige-Quartier der höchsten Herrschaften, aus seinen spiegelblanken, kleinen Scheiben hinüber nach dem öden, von der Rheinseite dorfähnlichen, traurig verfallenen Deutz.
Leistapel
Vom Rheinthor bis zur Hafengasse sind längs den Häusern Kohlenlager, Gerießhütten gebaut, mit den hier lagernden “Leien”, woher der Name “Leistapel”, oder Schieferplatten die größte Breite des Werftes einnehmend.
Schürger
Gruppen von Schürgern und Packträgern, welche den Facchini Italiens im dolce far niente und in der unverschämtesten Zudringlichkeit nichts nachgeben, dieselben in der Unverschämtheit ihrer Forderungen selbst überbieten, lungern, der Werfte Staffage, gewöhnlich am Leistapel umher. Sie haben sich jetzt zum Ufer gedrängt, denn eben treibt in voller Majestät ein schwimmendes Dorf, ein schönes, stolzes Rheinfloß, mit einigen Hundert Ruderern bemannt, vorbei; die Steuerleute winken von ihren erhabenen Steuerstühlen den vom Ufer Grüßenden mit Hutschwenken zu.
Eine Gesellschaft Männer, wenn auch an einem Werkeltag, in Floere Catunge (Manchester) Jacken und Hosen, schwere silberne Schnallen auf den Schuhen, aus stark mit Silber beschlagenen Ulmer-Köpfen dampfend, spielt ,Galöse hje”.
Galöse hje: Ein mittelalterliches französisches Studentenspiel, nach dem Namen der Studenten der pariser Universität, die nicht in den Collegien der Universität, sondern in der Stadt wohnten, sie hießen “Galoches”, wie man auch die Damen der Königin nannte, die nicht im Louvre ihre Wohnung hatten. – Das in französischer Zeit allbeliebte Spiel, brachten italienische und franzosische Regimenter nach Köln, und daher möchte ich den Namen von dem Italienischen “Galloceia”, der Keil, herleiten.
Sie werfen mit einem Kronenthaler nach einem, in gewisser Entfernung aufgestellten Korkstöpsel, auf welchem so viele Fünffrankenthaler liegen, als die Gesellschaft Köpfe zählt. Der Werfende gewinnt das Geldstück, bei dem der Kronenthaler liegt, mit dem er geworfen hat. Derbe Witze, Flüche, und eben nicht feingewählte Glossen über die ab- und zugehenden Douaniers oder “Commis”, wie der Kölner die Zollbeamten nannte, beleben das Spiel, reizen die Lachmusleln der Schürger und Fuhrleute, welche um die Spielenden einen Kreis gebildet haben.
Hexemächer
Wer sind die Spieler? “Hexemächer”, so heißt die mit jedem Tage wachsende Zunft der Schmuggler. Das Schmuggeln wird systematisch betrieben, denn nicht unzugänglich der Bestechung sind die ersten, wie die geringsten Zollbeamten. Welcher Kaufmann schmuggelt nicht? Schmuggelhandel war das einträglichste Geschäft. Es bestehen sogar Schmuggel-Assecuranzen. In Deutz, Mülheim, Hittorf haben die kölner Kaufleute ihre Niederlagen der zollpflichtigen Waaren, und von dort werden die “Hexen” gemacht. Oft im Einverständnisse mit den Douaniers, die mit verstärkten Wachtposten einen Punct des Ufers besetzt halten, während die Hexemächer am entgegengesetzten über den Rhein gehen, oder, wenn vereinzelte Posten, lassen sich die Douaniers knebeln, als wenn sie der Uebermacht erlegen. Nicht selten ist das einträgliche Hexemächer-Handwerk aber auch gefährlich, wird eine Pascherei, die man auf eigene Faust machen will, verrathen, und die Posten mit fremden Zollbeamten besetzt. Dann geht es auf Leben und Tod; was der List nicht gelingt, sucht man durch Gewalt zu erreichen. Häufig finden Scharmützel zwischen Zollbeamten und Paschern bis in die Stadt hinein Statt, müssen Kellerlöcher, Gartenzäune und Vorhäuser die Ladungen der verfolgten Hexemächer aufnehmen.
Ein paar “Nihführer”, so heißen die Rhein-Fuhrleute, zanken sich mit lautem Geschrei, weil einer dem andern eine Ladung weggeschnappt. Sonst knuppern aus Langweile die Rosinanten der hier aufgestellten Rihkarren oder Lastfuhren an dem in aller Gemüthlichkeit zwischen den mächtigen Basaltblöcken des Pflasters wuchernden Grase, oder machen die Brosamen ihrer Futtersäcke ganzen Flügen der unverschämtesten Spatzen, oder den hier ungestört ruckenden und girrenden Tauben streitig.
Krahnen
Durch den engen Durchgang an dem Bollwerke der Hafengasse gelangen wir aus dem Leistapel in den 1804 neuangelegten Freihafen. Zwei runde thurmähnlich massiv aus Stein aufgeführte Krahnen, der Hasengasser und der Mühlengasser, mit beweglichen Dächern, unterbrechen bis zur Mühlengassen-Bastion die Linie des neuen Werftes. Unbeholfen strecken sie ihre riesigen Schnäbel in die Luft; langsam dreht sich knarrend und stöhnend das große Gangrad, von Menschen, den so genannten “Eichhörnchen” getreten; laut schallt der Commandoruf der Kettenmänner, dazwischen die Gewicht- und Zeichen-Angaben der Wagenknechte: “Ae Kloverblatt N. 11, Ae Krutzge N. 12, en einfaeh Beerseheldehe, en duppel Beerscheldehe, e Ruttge met em Statzjen dran u.s.w. u.s.w.”, damit die Wagenmeister das gelöschte Gut buchen können. Gibt es der Güter viele, ist auch noch ein kolossaler schwimmender Krahnen thätig, in seinem einfachen Mechanismus den steinernen gleich construirt, sind noch einige “Wippen” in Betrieb.
Fliegende Brücke / Markmannsgasse
Eben landet die fliegende Brücke an der Markmannsgasse, jetzt Friedrich-Wilhelm-Straße.
Im Jahre 1821, bei Anwesenheit Sr. Maj. unseres Königs Friedrich Wilhelm III. am 30. Juni, wo demselben auf der Börse auf dem Heumarkte der Ehrenwein credenzt wurde, gab man der bei dieser Gelegenheit auch an ihrem Eingange mit allegorischen Figuren versteckten Markmannsgasse den Namen: “Friedrich-Wilhelm-Straße”. Man hatte 1824 ihre Erweiterung vollendet, die erste in der Stadt, die Thorveste abgebrochen und durch eine neue Pforte: “Friedrich-Wilhelm-Thor”, ersetzt. – Die erste fliegende Bruͤcke erhielt Köln 1674, während der Kriege mit Ludwig XIV., von Bonn, zum Uebersetzen der Truppen. Mit dem k. k. General-Feldzeugmeister, dem Prinzen Ludwig von Baden, traf die Stadt, ihrer Sicherheit wegen, das Uebereinkommen, daß die Brücke auf dem Rheine von kaiserlichen, am Ufer aber von Stadtsoldaten zu bewachen sei. Abends wurde die Brücke festgeschlossen, und die Schlüssel in der Stadt aufbewahrt. Die Brücke wurde 1678 wegen Kriegsgefahr abgetragen, aber 1680 wieder aufgefahren, und den Brückenbeerbten ihr Privilegium bestätigt, aber unter der Bedingung, daß in Zeiten der Gefahr die Fahrten wieder eingestellt werden mußten. Die Fahrten wurden 1710 wegen Aeccis-Streitigkeiten auf einige Zeit unterbrochen. Da die Brückenbeerbten sich 1791 eines Ungehorsams gegen die Stadt schuldig gemacht hatten, sah sich diese veranlaßt, das Privilegium von 1680 aufzubeben, das aber wieder genehmigt ward, als der Kurfürst drohte, die Brücke nach dem poller Kopfe zu verlegen, und dort eine neue Straße zu bauen.
Die Österreicher führten 1794, nach der Besitznahme der Stadt durch die Franzosen, die Brücke nach Deutz, wo das Eis sie fortriß. Die Volks-Repräsentanten ließen eine neue Brücke bauen zum Uebersetzen der Truppen, und diese wurde 1803 von der Stadt reclamirt. Der Kronprinz von Schweden ließ 1813 eine zweite, für den Marsch der alliirten Truppen aufgefahrene fliegende Brücke nach Düsseldorf führen. Im Jahre 1822 wurde die stehende Schiffbrücke gebaut.
Schmuggler
Mit Argus-Augen harren die Zoll-Aufseher an der Landbrücke, und, ihrer Argus-Augen zum Trotz, werden doch der verbotenen Früchte viele, besonders Kaffee und Zucker, für den Hausbedarf eingeschmuggelt, denn auch dem frömmsten, dem gewissenhaftesten Kölner ist Schmuggeln keine Sünde, und einen Kronenthaler, einen Thaler 16 Sgr. – ein Capital – kostet ein Pfund Kaffee oder Zucker. Fast bei jeder Fahrt, deren die Brücke täglich fünfzehn bis achtzehn von einem Ufer zum anderen schlelcht, bietet sich den Lungern und Gaffern, den Brücken-Passagieren das Schauspiel, die Zollbeamten einen Schmuggler aufgabeln zu sehen. Besonders fahnden sie auf die Frauenzimmer, die sich in das Zollhäuschen neben dem Thor bequemen müssen, wo Frauen zu ihrer Visitation angestellt sind.
Die raffinirteste Schmugglerklugheit, die selbst den Ulysses in der Schlauheit der Erfindung ihrer Mittel überbietet, und scheinbarer Diensteifer stehen hier stets in offenem Kampfe. Ein paar Schmuggler sind glücklich an der Cerberus-Höhle vorbei, rasch drängen sie sich durch das enge Markmannsgassen-Thor, auch eine gewaltige Thorveste, und eilen die vielleicht zehn Fuß breite, von vier- bis fünfstöckigen, rußigen Giebeln umdüsterte Markmannsgasse hinauf. So enge ist die Markmannsgasse, deren Hauptbewohner Gerber, daß ein, etwas über die Achse geladener Karren, nicht selten die an den Thüren aufgehängten Sohlleder-Häute, selbst die hölzernen Blenden der Fenster mitnimmt, Ursachen der erbaulichsten Schimpf-Intermezzi. So schauerlich düster ist diese Straße, daß im Winter in den meisten Häusern die Lampe nie ausgeht.
Unter dem lautesten Jubel der Umstehenden, die stets Partei für die Schmuggler nehmen, machen ein paar Douaniers Jagd auf einen Zollfrevler, der sein Heil in der Schnelligkeit seiner Füße sucht und gewöhnlich in dem Labyrinthe der Winkel und Gaßchen dieses Stadttheils glücklich entkommt.
Freihafen
Regeres Treiben herrscht im eigentlichen Freihafen, denn die Stadt hat noch das Stapelrecht, jetzt Umladerecht, aus der politischen Umwälzung gerettet, das sie seit den ältesten Zeiten beanspruchte, ihr aber erst Erzbischof Conrad von Hochstaden, der Gründer des Domes, 1269 urkundlich bestätigte.
Stapel
Köln hatte schon seit undenklichen Zeiten das “Stapelrecht” behauptet. Die mit ihren Waaren zu Berg und zu Thal kommenden Kaufleute mußten hier ausladen und sechs Wochen ihre Güter zum Verkauf ausbieten, durften aber nicht im Detail verkaufen. Daher die einzelnen Lager- oder Kaufhäuser: Eisenkaufhaus, Fischkaufhaus, Flachskaufhaus u.s.w. Urkundlich bestätigte Erzbischof Konrad von Hochstaden 1269 der Stadt das Stapelrecht. In der Urkunde heißt es, daß kein Schiff zu Thal weiter bis Riel am Thürmchen fahren dürfe, zu Berg nur bis Rodenkirchen. Jeder kölnische Bürger war berechtigt, den Uebertreter dieser Bestimmung zu fangen, ihn mit binsenen Stricen zu hansen (binden) und das Schiff nebst Gut als Prise zu behalten. Karl’s IV. goldene Bulle bestätigte 1363 das Stapelrecht, Friedrich III. 1476 und Maximilian J. am 18. September 1605 wegen Verlustes des Rheinzolles. Das in Umladerecht umgestaltete Stapelrecht wurde 1830 aufgehoben, und die Stadt erhielt 1831 am 14. Juni dafür auf die ersten zwei Jahre einen Ersatz von 50,000 Thalern vom Staate zugesichert.
Speditionshandel
Speditionshandel, jetzt vom Schmuggelhandel en gros thätigst unterstützt, ist daher noch immer die Haupt-Nahrungsquelle der kölnischen Kaufleute. Mit wenigen Ausnahmen finden wir den eigentlichen Properhandel in den Händen der Protestanten, da diese vor der französischen Zeit keinen Speditionshandel treiben durften.
Dies ist ein Auschnitt aus dem Buch Köln 1812, mehr Infos dazu hier. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch, in dem die online verfügbaren Abschnitte verlinkt sind, ist hier zu finden.