Japanische Kriegsbilder

Mit Volldampf voraus!

Von Professor Hanns Fechner.
Ich soll über eine Reihe japanischer Kriegs-und Soldatenbilder von intensivstem heutigem Interesse schreiben. Es sind zum Teil Blätter, die als volkstümliche Publikationen einzeln herausgegeben worden sind, wie die vier Seegefechtsbilder; oder sie dienen – und das sind die übrigen figürlichen Zeichnungen – als Buchillustrationen und stammen aus einem Werk über die „Armee des Mikado“.

Beim Betrachten dieser Erzeugnisse moderner japanischer Mal- und Zeichenkunst dringt unabweislich die Erinnerung an meine Münchner Studienzeit auf mich ein. Es mögen zwanzig Jahre her sein. Da war mein lieber Freund Haruda, der als Sohn eines Vaters in hoher Stellung aus Japan herübergekommen war, um hier europäische Kunstanschauungen und deutsche Malerei in sich aufzunehmen und zu erlernen.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Und zwar geschah das gegen die damaligen Sitten und Gebräuche seiner ostasiatischen Heimat. Haruda, mit der zielbewußten Intelligenz seiner Rasse, bohrte sich in die Arbeit hinein und lernte mit zäher Ausdauer und unermüdlichem Fleiß alles, was einem deutschen Kunstschüler füglich nicht erspart bleiben darf; Anatomie, Perspektive, Kunstgeschichte und schließlich, ein Modell nach dem Leben abzuzeichnen und dann auch abzumalen, und erwarb sich vollständig die damals von jedem einigermaßen begabten Schüler verlangte technische Fertigkeit. Ich erinnere mich noch lebhaft eines Bildes von ihm, einer trauernden Offizierswitwe, der eben die Erinnerungszeichen an den Gefallenen, Säbel, Helm usw., von einem mit dieser schweren Mission betrauten Kameraden überbracht werden. Ein deutsches und zu jener Zeit echt münchnerisches Bild. Gerade damals sprachen wir viel über japanische Kunstanschauungen, die mich immer ungemein interessiert haben, und ich bat ihn, mir dieses sein Bild von der trauernden Offizierswitwe doch einmal auf japanisch zu zeichnen. Zu meinem Erstaunen kam die Antwort, das gäbe es nicht, das könne man japanisch gar nicht so ausdrücken. „Ja, aber warum denn nicht?“ Weil der Japaner das dann einfach nicht verstände. „Warum nicht verstände?“ Weil es vollkommen vom Herkömmlichen in der japanischen Zeichenweise abwiche und darum dort einfach nicht hinpasse. „Schön, aber er habe doch neulich eine Skizze gezeichnet, ‚kämpfende Soldaten im Handgemenge‘, die nach dem allgemeinen Urteil der Kollegen sehr gut und lebendig in unserer Anschauung die Kampfszene darstelle. Ob ich die nicht mal auf japanisch zu sehen kriegen könne?“ Ja, das könne ich. Und nun holte er sein japanisches Schreibzeug und ebenso die dazu gehörigen Pinsel hervor und zeichnete mit der größten Schnelligkeit und einer geradezu unglaublichen Handgelenkfertigkeit die aufgegebenen Szenen hin; oder vielmehr, er „schrieb“ sie, wie der Japaner sagt. Es entstanden in kurzer Frist die originellsten Figuren, die man sich denken kann; Kerle in unmöglichen, vollkommen wahnsinnigen Verzerrungen, mit den zweihandigen Schwertern um sich hauend und stechend, wie es einfach nicht geht. Auch die Zuschauer der siegenden Partei waren zum Totlachen:; sie standen mit gespreizten Beinen, die Fußspitzen in einem Winkel von neunzig Grad nach außen gedreht, die Arme auseinandergebreitet, in der Luft schwenkend, die Köpfe in tollster Aufregung nach vorn gebeugt. Eine wilde, vollständig unglaubliche Sache. Aber höchst amüsant und echt japanisch. Auf meine wißbegierige Frage nach dem Grund dieser verrückten Stellungen und Verrenkungen erklärte er mir, das seien alles vielerprobte und anerkannte Darstellungsarten berühmter japanischer Künstler, des Itzekawa, des Nobumaru, des Inoyumatzuga und anderer mehr. Ich wandte ein, daß man doch nun aber auch Stellungen, wie unser europäisches Auge sie sieht, in japanischer Weise zeichnen könne. Ja, meinte mein Freund Haruda, das könne man wohl, aber sie seien dann eben nicht mehr allgemein verständlich. Für „kämpfende Krieger“ sei nun eben diese und für „siegesfreudige Zuschauer sei jene Darstellungsweise gebräuchlich und vorschriftlich, und jeder Laie wisse dann klipp und klar, um was es sich handle, wenn er ein solches Bild sähe. Und da wäre ich denn bei unsern heutigen Bildern angelangt.

Darstellung der Seeschlacht von Port Athur. Nahkampf der Gegner
Darstellung der Seeschlacht von Port Athur. Nahkampf der Gegner

Dieses volkstümlich japanisch dargestellte Seegefecht auf dem Bild S. 707! Ich höre wieder Harudas genau und peinlich gegebene Erklärungen über das, was „sein müsse“, und was „richtig“ sei im japanischen Sinn. Auf dem Bild hier sind nicht nur die Menschen, sondern auch die Meereswellen und der Dampf der Geschütze fürs Volk gezeichnet, bis auf den Text, der oben, an der geeignetsten Stelle in der Luft, seine japanisch künstlerische Anordnung gefunden hat.

Darstellung der Seeschlacht von Port Athur. Explosion auf einem russischem Panzerschiff
Darstellung der Seeschlacht von Port Athur. Explosion auf einem russischem Panzerschiff

Die Uebersetzung des Textes, der sich bemerkenswerterweise jeder bombastischen Ausschmückung fernhält, lautet: „Um 11 Uhr nachts am 8. Februar 1904 eröffnete das japanische Kriegsgeschwader gegen das bewaffnete russische Kriegsgeschwader vor Port Arthur ein Seegefecht. Als nach nur kurzem Bombardement die hintere Linie des feindlichen Geschwaders in Verwirrung geriet, legte sich die japanische Flotte an den Küstenbatterien vor. Unsere Kriegsflotte griff von den Seiten an, und zwar unter dem Geschützdonner. Während dieses Schießens wurden von unserer Seite zwei feindliche Linienschiffe und ein Kreuzer in Grund gebohrt. – Diese Begebenheit stellt das Bild dar.“

Darstellung der Seeschlacht von Port Athur. Die feindlichen Schlachtreihen
Darstellung der Seeschlacht von Port Athur. Die feindlichen Schlachtreihen

So wie dieses sind auch die andern Seegefechte (Abb. S. 705 u. 707) für die japanische Jugend gedacht und gezeichnet. Sie sollen Begeisterung für die Sache des Vaterlandes wecken und die Herzen der Jungen höher schlagen machen. Uebrigens kommt das Bild S. 704 unserer europäischen künstlerischen Anschauung noch am nächsten.

Mit Volldampf voraus!
Mit Volldampf voraus!

Das Bild S. 706 dient dem Zweck der Illustration. Es stellt die Szene aus der Okkupation von Korea dar, wo der japanische Minister in Söul dem Beherrscher von Korea und dessen Gemahlin von der Uebernahme des Proteltorats Kenntnis gibt. Vorn am Tisch sitzt der Minister, links von ihm sein Sekretär, im Begriff, die Bedingungen über die Vereinbarung zwischen Japan und Korea festzusetzen.

Besetzung Koreas durch die Japaner. Der Kaiser von Korea (1) und seine Gemahlin Lady Om (2) anerkennen das Protektorat Japans über Korea
Besetzung Koreas durch die Japaner. Der Kaiser von Korea (1) und seine Gemahlin Lady Om (2) anerkennen das Protektorat Japans über Korea

Die andern vier Darstellungen sind Reproduktionen aus dem schon anfangs erwähnten Werk über das japanische Heerwesen. Naiv und kindlich, mit Hintansetzung jeglicher Perspektive, sind die Vorgänge veranschaulicht.

Stubenrevision bei Nacht. Der Rondeoffizier bei seinem Rundgang
Stubenrevision bei Nacht. Der Rondeoffizier bei seinem Rundgang

Auf dem Bild „Schlafstubenrevision bei Nacht“ macht der Offizier die Runde; seine Papierlaterne am Stock trägt er vor sich her und schaut, ob auch alle in den Betten liegen, ob nichts seinen spähenden Schlitzaugen Anlaß zum Tadel über unordentliches Wesen gäbe. Aber weder die Schläfer noch die, wie das Bild ausdrücklich zeigt, aufs peinlichste an ihren Plätzen in Reih und Glied bewahrten Ausrüstungsgegenstände geben Grund zur Unzufriedenheit, und so läßt er denn die auf ihren einfachen Pritschen ruhenden Mannschaften weiter schlafen und träumen von Hachiman.
(Sprich: Hatschiman. Das ist ein alter japanischer Kaiser, der ruhmreiche Kriege geführt hat.)

In der Kantine. Erholung nach dem Dienst
In der Kantine. Erholung nach dem Dienst

Auf dem Bild: „In der Kantine“ sitzen diese bedürfnislosen Krieger um den Tisch bei ihrer einfachen Reismahlzeit. Sie würzen sie mit ihrer nationalen „Soya“ und nicht zum mindesten mit ihren leidenschaftlich interessierten Gesprächen.

Es fehlt auch nicht das heimatliche Getränk, der „Sale“, der kalt oder warm genossen werden kann. Aber nur ein Schälchen! Der Japaner ist kein Freund und auch kein Knecht des Alkohols.

Japanische Pioniere beim Brückenbau und bei der Anlage von Befestigungen
Japanische Pioniere beim Brückenbau und bei der Anlage von Befestigungen

Und noch eine Zeichnung: „Japanische Pioniere“. Rechts unten sind die Pioniere dabei, das nötige Material zur Anlage von Verschanzungen und Befestigungen herbeizuschaffen, während auf der linken Seite des Bildes eine Gruppe von Pionieren damit beschäftigt ist, seine Pontonbrücke über ein Flüßchen zu schlagen.

Die Revierkranken vor dem Stabsarzt
Die Revierkranken vor dem Stabsarzt

Zum Schluß gibt es noch einen Blick auf die Folgen des schlimmen Kriegshandwerkes: auf das Lazarettwesen. „Vor dem Stabsarzt“ heißt das Bild. Vorn werden nach der Liste die Mannschaften dem Medizinmann vorgeführt, der bestimmen wird, ob sie nach Befund das Bett hüten sollen oder nicht. Im Hintergrund sieht man den Assistenzarzt beschäftigt, einen Kranken mit dem Stethoskop abzuhorchen. Das ist im Frieden so. Im Krieg steigern sich die Anforderungen, die an das Lazarettwesen gestellt werden, ins Unermeßliche. Und hier tritt die segensreiche Einrichtung des Roten Kreuzes in Tätigkeit und Wirksamkeit. Sie steht weder hüben, noch drüben. Sie weiß nichts von Feinden. Sie kennt nur Leidende, denen sie helfen will. Sie braucht keine Sympathien für die „kleinen Gelben“, noch für die „Talglichtfresser“. Der zerschossene und zerschlagene Leib des kranken Menschen ist, was sie sucht, und der stumme, vielsprachige Dankesblick des aus seinen Martern Geretteten alles, was sie finden will. Wir dürfen wohl mit Recht stolz darauf sein, daß wir Deutsche beim Segenswerk der Barmherzigkeit führend an der Spitze stehen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 16/1904.