Der Nachwuchs der Habsburger

Das österreichische Kaiserhaus ist wohl die kinderreichste unter allen europäischen Herrscherfamilien. Dies hängt hauptsächlich mit den vielfachen Verzweigungen dieser Dynastie zusammen.

Da ist zunächst die eigentliche engere kaiserliche Familie, die vom Kaiser Franz abstammt, und deren unmittelbares Oberhaupt Kaiser Franz Josef ist. Dann kommt die Sekundogenitur, das Haus Toskana, das seit seiner Depossedierung in Italien und Niederlassung in Oesterreich- Ungarn sich ungemein vermehrt hat. Daran schließen sich dann die Nachkommen des Erzherzogs Karl, ferner jene des Erzherzogs Josef, des Palatins von Ungarn, die gleichsam eine speziell ungarische Linie des Kaiserhauses bilden. In der jüngsten Generation haben diese Linien einen Nachwuchs von nahezu vierzig Erzherzögen und Erzherzoginnen, die zumeist noch im Kindesalter stehen.

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Erzherzog Albrecht, einziger Sohn des Erzherzogs Friedrich

Da alle Erzherzöge des Hauses Habsburg-Lothringen nach der Reihenfolge der Primogenitur gleichmäßig zur Sukzession berechtigt sind, so ist für die Nachfolge ausreichend gesorgt, und es kann wohl kaum je der Fall vorkommen wie im Jahr 1740, als der ganze Mannesstamm der Habsburger ausgestorben war und zur Sukzession nur eine Tochter – die berühmte Kaiserin Maria Theresia – vorhanden war. Man war seitdem im Kaiserhaus eifrig bemüht, einer solchen Gefahr vorzubeugen. Maria Theresia sowohl wie ihr zweiter Sohn Kaiser Leopold II. hatten je sechzehn Kinder. Auch Kaiser Franz, der Großvater des Kaisers Franz Josef, der viermal verheiratet gewesen, hatte dreizehn Kinder, aber darunter nur zwei Söhne, von denen der älteste, sein Nachfolger Kaiser Ferdinand, kinderlos blieb, weshalb die Nachfolge auf den Enkel überging. Es ist überhaupt eine in der Geschichte des Hauses Habsburg bemerkenswerte Tatsache, daß gerade viele Regenten kinderlos oder wenigstens ohne Söhne starben und die Nachfolge an Brüder oder Neffen gelangte. Auch war es noch in der vorigen Generation – vor etwa dreißig Jahren – sehr häufig, daß Erzherzöge ganz unvermählt blieben, so z. B. der jüngste Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig Viktor, der jüngste Bruder des Großherzogs von Toskana, der als Schriftsteller bekannte Erzherzog Ludwig Salvator und drei Brüder des Erzherzogs Rainer, während der vierte, Erzherzog Heinrich, eine Bürgerliche heiratete.

Erzherzogin Marie Alice, Tochter des Erzherzogs Friedrich

Gegenwärtig gibt es im Kaiserhaus acht Ehepaare, von denen der jüngste Nachwuchs des Hauses abstammt.

Die Kinder des Erzherzogs Leopold Salvator

Aber an der Spitze dieser Ehepaare steht eins, das nach Gatten den ersten Platz einnehmen sollte, dessen Kinder aber von der Nachfolge ausgeschlossen sind: der präsumtive Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand mit seiner morganatischen Gattin, der zur Fürstin von Hohenberg erhobenen Gräfin Sophie Chotel.

Erzherzog Franz Karl Salvator, Sohn des Erzherzogs Franz Salvator

Aus dieser Ehe sind bisher drei Kinder hervorgegangen, eine Tochter Sophie (Portr.) und zwei Söhne, Maximilian (Portr.) und Ernst, die den Rang und Titel der Mutter führen. In Ungarn wird allerdings von den oppositionellen Parteien der Verzicht des Erzherzogs auf die Nachfolge für seine Kinder nicht anerkannt; demonstrativ wird die Fürstin Hohenberg als die künftige Königin von Ungarn, ihr ältester Sohn Maximilian als der künftige Erbe der ungarischen Krone bezeichnet.

Fürst Maximilian Hohenberg, Sohn des Erzherzoges Franz Ferdinand

Davon kann allerdings in Oesterreich keine Rede sein; hier ist nach Franz Ferdinand zunächst sein Bruder, Erzherzog Otto, zur Nachfolge berechtigt, der allerdings in der letzten Zeit erkrankt ist. Aus seiner Ehe mit der sächsischen Prinzessin Maria Josefa stammen zwei Söhne, von denen der ältere, der siebzehnjährige Leutnant Erzherzog Karl (Portr.) als der künftige Kaiser von Oesterreich betrachtet wird; der jüngere, Erzherzog Maximilian (Portr. ), steht im zehnten Lebensjahr und ist der Liebling der Mutter.

Die Erzherzoginnen Elisabeth Franziska und Hedwig, Töchter der Erzherzogin Marie Valerie

Im Haus Toskana gibt es drei junge Ehepaare, die bisher schon einen Nachwuchs von achtzehn Kindern haben. Eins dieser Paare steht mit seinen Kindern dem alten Kaiser Josef besonders nahe. Es ist dies seine jüngste Tochter Erzherzogin Marie Valerie mit ihrem Gatten, dem Erzherzog Franz Salvator (vgl. nebenst. Abb.). Vor einigen Tagen ist auf Schloß Wallsee an der Donau, dem Sitz des seit 1890 vermählten erzherzoglichen Paares, dessen achtes Kind, ein Sohn, geboren worden. Erzherzogin Marie Valerie ist eine außerordentliche Kinderfreundin und sehr erfreut über diesen Segen. Sie ist eine musterhafte Hausfrau und Mutter und widmet sich ganz der Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die älteste Tochter, die dreizehnjährige Elisabeth Franziska (Portr. S.), hat vor kurzem in Wien die Prüfung aus der ersten Klasse des Gymnasiums abgelegt. Der Kaiser hat eine große Liebe für diese Enkelkinder, die alle in den Gesichtern den habsburgischen Familientypus aufweisen.

Kinder der Erzherzogin Marie Valerie, Gemahlin des Erzherzogs Franz Ferdinand

Der ältere Bruder des Erzherzogs Franz Salvator, der Feldmarschalleutnant Erzherzog Leopold Salvator, ist seit 1889 mit der Prinzessin Blanka, einer Tochter des spanischen Kronprätendenten Don Karlos, vermählt. Auch dies Paar hat acht Kinder (Porträte), fünf Töchter und drei Söhne, die alle nach der Mutter einen südländischen Gesichtsausdruck haben. Es sind sehr lebhafte, aufgeweckte Kinder, die sich aufs höchste für die Ballonfahrten des Papa interessieren und ihre freie Zeit am liebsten in der Schönbrunner Menagerie zubringen.

Prinzessin Sophie Hohenberg

Erzherzog Peter Ferdinand Salvator, ein Sohn des Großherzogs, der seit 1900 mit der Prinzessin Maria Christine von Bourbon vermählt ist, hat zwei Kinder, den Erzherzog Gottfried und die Erzherzogin Helene, die in dem zarten Alter von zwei Jahren und einem Jahr stehn.

Erzherzog Stephan mit seiner Familie

Sehr merkwürdig gestaltete sich die Nachkommenschaft aus der schon 1878 geschlossenen Ehe des Erzherzogs Friedrich mit der Prinzessin Isabella von Croy-Dülmen. Acht Töchter wurden dem Paar zuteil, von denen die beiden ältesten schon verheiratet sind, und zwar Erzherzogin Maria Christina mit dem Prinzen von Salm-Salm und Erzherzogin Maria Anna mit dem Prinzen Elias von Parma.

Erzherzog Maximilian, Sohn des Erzherzogs Otto, aus Die Woche 1904 (Der Nachwuchs der Habsburger)

Zwei der Töchter sind im Kindesalter gestorben. Sehnsüchtig wurde aber die Geburt eines Sohnes erwartet, damit das reiche Fideikommiß der Familie des Erzherzogs Karl nicht auf einen Neffen übergehe. Endlich am 24. Juli 1897 wurde als neuntes Kind Erzherzog Albrecht geboren und nach dem berühmten Oheim getauft. Wir bringen das Porträt des nun siebenjährigen Erzherzogs nebst dem seiner jüngsten elfjährigen Schwester, der Erzherzogin Marie Alice.

Erzherzog Karl, Sohn des Erzherzogs Otto

Der Bruder des Erzherzogs Friedrich, der Vizeadmiral und deutsche Konteradmiral Erzherzog Karl Stephau, der mit der Erzherzogin Maria Theresia (aus dem Haus Toskana) vermählt ist, hat sechs Kinder im Alter von achtzehn bis zehn Jahren, die alle in Pola geboren sind und sich fast stets in Istrien oder auf den dalmatinischen Inseln aufhalten (Abb.).

Der Sohn des Erzherzogs Josef, Erzherzog Josef August, ist seit 1893 mit der Prinzessin Augusta von Bayern, einer Tochter der Prinzessin Gisela von Bayern, vermählt. Die Kinder dieses Paares (Porträte nebenstehend) sind also Urenkel des Kaisers Franz Josef und dabei echte Ungarn.

Die Kinder des Erzherzoges Josef August

Die Erziehung aller österreichischen Erzherzöge und Erzherzoginnen ist bis zu ihrer Volljährigkeit sehr sorgfältig und streng. Sie müssen viel lernen – neben Französisch und Italienisch noch mindestens eine österreichische oder ungarische Landessprache; mit Ausnahme des Landaufenthaltes genießen sie wenig Zerstreuung und Vergnügen und kommen sehr wenig ins Theater. Die Erzherzoginnen tragen in ihren Mädchenjahren, bevor sie bei Hof er scheinen, sehr einfache Toiletten, viel einfacher als die Prinzessinnen und Komtessen der österreichischen und ungarischen Aristokratie, und keinen Schmuck. Die Erzherzöge erhalten alle eine militärische Erziehung und Ausbildung, da es nach der Habsburgischen Hauspolitik Aufgabe eines jeden Erzherzogs ist eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stellung in der österreichisch-ungarischen Armee einzunehmen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1904 in Die Welt.