Japans Wehrkraft zur See

Der japanische Kreuzer Kasagi

Von Graf Bernstorff, Korvettenkapitän a. D. – Hierzu 6 photographische Abbildungen.

Mit großer Spannung sind augenblicklich die Augen aller zivilisierter Nationen auf die ostasiatische Wetterecke gerichtet, wo Japan und Rußland sich anschicken, den Kampf um die Vorherrschaft und leitende Stellung in blutigem Ringen auszufechten.

Nachdem im chinesisch-japanischen Krieg 1895 die Flotte Japans ihren Gegner in den Schlachten am Jalufluß und bei Weiheiwei überwunden, sowie mehrere erbeutete Schiffe ihrem Bestand einverleibt hatte, stellte das japanische Marineministerium im Jahr 1897 ein neues Flottenprogramm auf, das unter höchster Anspannung der Finanzkraft des an und für sich nicht reichen Inselreichs mit anerkennenswerter Schnelligkeit bis zum Jahr 1902 durchgeführt wurde. Da die japanischen Werften und Werkstätten selbst für den Bau und die Ausrüstung vollwertiger Linienschiffe und großer Panzerkreuzer noch nicht eingerichtet waren, wandten sich die „Engländer des Ostens“, wie sich die Japaner gern nennen, an ihre Freunde, die Engländer des Westens, und bestellten dort größtenteils die ihnen für eine domierende Siellung im Osten erforderlich erscheinende Schiffe. Ein Blick auf die für einen eigentlichen Seekrieg vorhandenen Machtmittel zur See Japans zeigt, daß es dem Land in der Tat gelungen ist, sich eine achtunggebietende Flotte zu schaffen.

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Sieht man von den Küstenpanzerschiffen und Kanonenbooten ab, die in einem Seekrieg nicht von Bedeutung sind und kaum zur Verwendung gelangen würden, so setzt sich Japans Wehrkaft zur See zusammen aus: 7 Linienschiffen, 6 großen Kreuzern und 24 kleinen Kreuzern.

Von den Linienschiffen haben vier eine Wasserverdrängung von über 15 000 Tonnen und tragen eine Armierung von insgesamt je 46 Geschützen modernster Art. Ihre bedeutende Geschwindigkeit von über 18 Seemeilen in der Stunde, sowie die Fähigkeit, bei zehn Meilen Fahrt eine Strecke von 5000 Seemeilen in einem Zug zurückzulegen, läßt diese Schiffe als außerordentlich beachtenswerte Gegner erscheinen. Ihnen reihen sich zwei andere Linienschiffe „Fuji“ und „Jaschima“ an, die bei 12 500 Tonnen Gehalt eine nur um geringes schwächere Artillerie tragen, an Geschwindigkeit dagegen ihren größeren Kameraden nicht nachstehen und ohne neue Kohleneinnahme 4000 Seemeilen zurücklegen können.

Das japanische Linienschiff Fuji
Das japanische Linienschiff Fuji
Matrosen an Bord eines japanischen Kriegssschiffes
Matrosen an Bord eines japanischen Kriegssschiffes

Diese sechs Schiffe sind sämtlich in England erbaut und in den Jahren 1896 bis 1900 vom Stapel gelaufen, vereinigen daher in sich alle Anforderungen, die man an ein modernes Schlachtschiff stellen muß. Aus der Rolle fällt nur der siebente, der den Chinesen bei Weiheiwei abgenommnene „Tschin Jen“, der im Jahr 1882 auf der Vulkanwerft in Stettin für die chinesische Regierung oder vielmehr für jene Li-Hung-Tschangs vom Stapel lief und rund 7300 Tonnen groß ist. Seine Artillerie sowie seine Geschwindisleit entsprechen ebenfalls nicht mehr den Anforderungen der Neuzeit. Immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß er unter japanischer Führung noch seinen Mann stehen wird.

Eine verhältnismäßig noch größere Gleichheit hinsichtlich ihres Gefechtswertes, als die sechs Linienschiffe, zeigen die sechs großen Kreuzer, über die Japan verfügt.

Bei fast 10 000 Tonnen Deplacement laufen sie 21 Meilen Fahrt, während ihre Dampfstrecke nicht weniger als 7000 Seemeilen beträgt. Ausgerüstet mit je 40 Geschützen verschiedenen Kalibers und geschützt durch Kruppschen Nickelstahlpanzer, haben sie einen ganz bedeutenden Gefechtswert, doch möge hier zur Vermeidung von Irrtümern eingeschaltet sein, daß nach allgemeiner Ansicht der Fachleute selbst der stärkste Panzerkreuzer auf die Dauer einem Linienschiff nicht gewachsen ist, sondern unterliegen muß.

Der japanische Kreuzer Kasagi
Der japanische Kreuzer Kasagi
Offizierskorps einen japanischen Kriegsschiffes
Offizierskorps einen japanischen Kriegsschiffes

Die an Alter, Größe, Armierung und Geschwindigkeit sehr verschiedenen kleinen Kreuzer der Reihe nach zu betrachten und auf ihren Gefechtswert zu prüfen, würde den Rahmen dieses Aufsatzes weit übersteigen. Es sei nur kurz bemerkt, daß der Tonnengehalt schwankt zwischen 1400 und 5000 Tonnen, die Schnelligkeit zwischen 12 und 23 Seemeilen.

Der im Bild vorgeführte „Kasagi“ gehört, zusammen mit seinem Schwesterschiff, dem „Tschitose“, zu den größten der kleinen Kreuzer. Seine Geschwindigkeit beträgt 22 Seemeilen, seine Dampfstrecke 4000.

Hinsichtlich der Torpedoarmierung ist zu bemerken, daß sämtliche japanischen Kriegsschiffe mit Torpedoausstoßrohren versehen sind, und zwar die Linienschiffe und Panzerkreuzer mit je einem Bug- und vier Seitenrohren, während die kleinen Kreuzer nur Bugrohre führen.

Wie schon vorher gesagt wird auch das älteste und kleinste der Linienschiffe, der „Tschin Jen“ in der Hand japanischer Seeleute seinen Mann stehen, denn man muß dem Inselvolk nicht nur im allgemeinen einen Zug energischen Wollens, großer Zähigkeit und tatkräftigen Handelns zuerkennen, sondern es unterliegt auch da keinem Zweifel, daß von seiten der Japaner im Fall eines Seekriegs Hervorragendes geleistet werden wird, wo es sich um den persönlichen Mut des einzelnen handelt. Solcher Mut würde zwar zur Bewunderung hinreißen können, im übrigen aber wertlos sein, wenn ihm nicht durch eine systematische Ausbildung der Mannschaft und Offiziere die Grundlage gegeben wäre, sich wahrhaft nutzbringend zu äußern. Wie alle andern Marinen legt auch Japans hohen Wert auf die Ausbildung am Geschütz, und wie weit es die japanischen Artilleristen gebracht haben, beweist am besten der Umstand, daß nach der Schlacht bei Weiheiwei ein chinesisches Kriegsschiff über 200 Treffer aufwies. Ihre Gegner werden also auch späterhin die Erfahrung machen, daß Japan nicht nur schießen, sondern auch treffen kann; was ja schließlich die Hauptsache ist. Auch in bezug auf die Torpedoboote hat Japan seine Flotte verhältnissmässig starkt ausgerüstet, denn es stehen ihr nicht weniger als 83 zur Verfügung, die zum großen Teil modernster Art und sehr schnell sind, bei einer Größe, daß man sie füglich schon wieder zu den Torpedobootszerstörern rechnen kann.

Im Verhältnis zu seiner Größe verfügt also Japan im ganzen über eine außerordentlich starke Wehrkraft zur See. Die fortwährend drohende russische Kollisionsgefahr aber, die seit den Tagen der Waffenbrüderschaft während der chinesischen Wirren vor drei Jahren andauernd im Wachsen ist, veranlaßt das Land zu außergewöhnlich großen Anstrengungen und mit einer Opferwilligkeit, an der sich manche andere Nation ein Beispiel nehmen könnte, sind bereits die Mittel für ein neues Flottenbauprogramm bewilligt worden. Danach sollen noch drei Linienschiffe, drei Panzerkreuzer und zwei große geschützte Kreuzer gebaut werden. Da aber ein längerer Zeitraum von zwölf Jahren für die Erledigung dieses Programms vorgesehen ist, so kann bei einem immerhin möglichen Konflikt mit Rußland mit diesen Schiffen natürlich nicht gerechnet werden.

Uebung am Geschütz
Uebung am Geschütz
Feierabend auf Deck
Feierabend auf Deck

Wenn trotz der numerischen Ueberlegenheit der russischen Streitkräfte die Japaner vor einem Krieg nicht zurückschrecken werden, so vertrauen sie dabei wohl zum großen Teil auf ihre günstigere Lage denn im Fall einer Seeschlacht würden ihnen für die eigenen havarierten Schiffe die zum Teil erst neuerdings und vorzüglich eingerichteten Werften mit ihren Trockendocks zur Verfügung stehen, während Rußland gezwungen wäre sich vorläufig noch auf englische Unterstützung zu verlassen.

Auch der Nachschub von Reserven für die Schiffe und von Menschen für den Zweck einer Landung und Uebertragung des Kriegs auf das Festland würde für Japan bequemer und leichter sein.

Wie lange es noch dauern wird, bis die braunen Söhne des fernen Insellandes wieder zum Schwert greifen müssen und der Geschützdonner die See erschüttert, ist nicht vorauszusehen. Die beiderseitigen Rüstungen versprechen nicht viel Gutes, denn auch Rußland hat seine maritime Stellung in Ostasien so gewaltig gestärkt, daß es schon jetzt an Tonnenzahl der japanischen Flotte mit 204 000 gegen 163 000 Tonnen überlegen ist. Allerdings stehen die russischen Schiffe einzeln an Deplacement, Schnelligkeit und Armierung den japanischen nach, aber da ihre Zahl stetig vermehrt wird, so kann Japan damit nicht Schritt halten, und ohne Unterstützung Englands würde es für das Inselreich schließlich auch gelten: „Viele Hunde sind des Hasen Tod!“

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 45/1903.