Neue Frühjahrshüte

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Hierzu 8 photographische Aufnahmen von Reutlinger Paris.
Zu keiner Jahreszeit wird hier in Paris jener Mode, die sich mit Coiffure und Kopfbedeckung beschäftigt. mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als zu Beginn des Frühlings. Es legt das nicht nur daran, daß die Natur mit den kräftiger wirkenden Sonnenstrahlen und mit der größeren, andauernden Milde der Luft auch den geeigneten Augenblick für das Lancieren der neuen Frühjahrs- und Sommerhüte anzeigt.

Das ist am Ende überall auf dem zivilisierten Erdball der Fall, wo die Zonenverhältnisse mit dem Wechsel der Jahreszeiten auch wechselnde Anzüge bedingen, und wo der Frühling Filz-, Pelz- und Samtcoiffuren in solche aus Stroh, Roßhaar und ähnlichem Material umsetzt. Hier in Paris aber beruht der glänzende Siegeszug, den die Hutmode im Frühjahr antritt, noch auf besonderen Voraussetzungen, denn die Erfindungsgabe der Pariser Modisten, die sich in den reizendsten, abwechselndsten, manchmal eigentümlichen, immer aber kleidsamen Kopfbedeckungen zeigt, wird hier um Ostern herum besonders angeregt durch verschiedene Festlichkeiten und gesellschaftliche Unternehmungen, bei denen Hüte die Hauptrolle spielen.

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Zu diesen Festlichkeiten gehören der Concours hippique und die Rennen, die in Autenil beginnen und nach Longchamps hinausziehen; Feste, zu denen der Hut ebenfalls unumgänglich notwendig ist, sind die zahlreichen Wohltätigkeitsarrangements, geschlossene Verkäufe, Riesenbasare und Matineen.

Die diesjährigen Frühjahrshüte zeigen nicht viel „akut“ Neues. Sie leben von Reminiszenzen, und das einzig wirklich noch nicht Dagewesene, das, was den Schaustellungen der Modistenateliers die für 1904 charakteristische Note aufdrückt, sind die lang über das Chignon herabfallenden Hintergarnierungen aus Spitzengeweben oder aus dünnen Gaze-, Krepp- oder ähnlichen Stoffen. Zuerst beschränkte sich diese Hintergarnierung auf ein rundliches „cache-peigne“, das knapp bis in das Genick reichte. Jetzt wird es länger und länger und artet vielfach in ein weites, nicht sehr gefälliges Schleiergehänge aus, das in seiner Uebertreibung vulgär zu werden droht. Die ersten Modistinnen benutzten es denn eigentlich auch nur für die sogenannten „internationalen“ Hüte, deren Kombination der Kundige schon von weitem ansieht, daß sie zur Exportation nach den kleider- und modegierigen, aber wenig mit den ästhetischen Gesetzen der Bekleidung vertrauten Ländern Mittelamerikas bestimmt sind. Aber das, was davon an den wirklich eleganten Frühjahrshüten modekompetenter Pariserinnen in die Erscheinung tritt, ist nur noch eine diskret-künstlerische Andeutung, die an unserm Hut (Abb. 7) aus dem Haus Harris besonders gefällig sich zeigt. Der sehr große schwarze Roßhaarhut weist an seinem breiten Innenrand eine gerüschte, duftige Unterlage aus schwarzem Seidentüll auf. Die auf dem Hut liegende Draperie aus schwarzer Spitze vereinigt sich mit der schwarzen Straußenfeder zu der graziösen, leicht nach hinten über das Chignon fallenden Garnierung.

Neue Pariser Frühjahrshüte
Neue Pariser Frühjahrshüte

Ebenso originell ist der kiepenformig gebogene Hut (Abb. 2) aus starkem Phantasiestroh, mit Samtband und Federn in schwarz garniert. Der Kopf wird vorn durch einen schwarzen Samtbügel etwas hoch gehoben und räumt so einer Halbgirlande und einem vollen Bukett aus Röschen sehr kleidsam Platz über dem gewellten Scheitel ein. Schmale, schwarze Bindebänder und Barben sieht man besonders häufig; erstere sind zwar recht hübsch und kleidsam, aber unpraktisch, da das weiche, fragile Material sich nicht sonderlich zum Schlingen und Knoten unterhalb des Kinns eignet, ganz abgesehen davon, daß viele Damen in der Sommerwärme keine durch Band geschlossenen Hüte vertragen.

Am populärsten und deshalb von Damen, die immer etwas Besonderes haben wollen, nicht mehr recht als zulässig anerkannt sind Toques in den verschiedensten Abarten, Spezialitäten und Variationen. Abb. 5 aus mattblauem Phantasiestroh zeigt die langbekannte Toqueform der Vorjahre; nur rundet sich das Vorderteil, etwas mehr über die Stirn reichend. Der ringsum gleichmäßige Strohaufschlag zeigt einen originellen Halbkranz aus mattlila rosenartigen flachen Phantasieblumen; der Kranz ist an der Seite durch ein kreuzweises Arrangement von Federn und dunkellila Samtband geschlossen.

Rosa Geranientuffs schmücken die Toque auf Abb. 3, deren hellgraue Strohform mit Buckeln (maccarons) aus silberglänzendem Stroh und mit mattrosa Band geziert ist.

Der Hut auf Abb. 1 aus gelbem Stroh mit Rosen umrandet und mit einem Vogel garniert, erinnert an die schon einmal viel getragene, dann verschwundene und heute etwas verändert wiedererstehende Spezialität der halbzugeklappten „Omelettes“, die bei dem ersten Auftreten ihre kulinarische Eigenart durch weiche, volle Bandeinlagen in die Omeletteklappe, an Konfitüren mahnend, verstärkten.

Wahrhaft vornehm-elegant sind die ganz in schwarz und weiß gehaltenen Strohhüte, von denen Abb. 4 ein besonders schönes Beispiel zeigt. Das weiße, feine Reisstroh liegt einer zarten, weißen Tülldraperie auf, die die harte Strohnachbarschaft am Gesicht kleidsam mildert, und ist mit weißen und schwarzen großen Straußenfedern und schwarzem Samt garniert.

Einen vollen Kranz schwarzer Margueriten zeigt der flache Hutteller (Abb. 6) aus grobem Phantasiestroh, während Bandschleifen und etwas Spitze den einzigen Schmuck der weiten, weichen Toque aus gemustertem und fassoniertem weiß und lila Stroh bilden.

Die letztgenannte Form, auf Abb. 8 ersichtlich, erinnert, allerdings niedriger gehalten und breiter sich ausdehnend, an die vor zwei Jahren gern getragene Toque Henry III.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 17/1904, er war gekennzeichnet mit „Clementine“.