Kostbare Wohnungen

Von Dr. E. Delpy. Kostbare Wohnungen! Wer wird heutzutage von dergleichen reden, wo wir doch vorderhand von soundsoviel Reformatoren der Zimmereinrichtung gelernt haben, daß für unsere Zeit und für die Zukunft nur die absolut „stilgerechte“ Wohnung Anspruch auf Interesse und Beachtung haben kann?

Sind wir nicht stolz auf den schönen Fortschritt unserer Geschmacksrichtung, der uns den Wohnungsluxus, die Kostbarkeit à tout prix verachten gelehrt hat, und freuen wir uns nicht des neuerwachten, subtil geschulten Stilgefühls, durch dessen Hilfe wir nun an die Beurteilung und Abschätzung eines Wohnraums mit ganz andern Gradmessern wie bisher heranzutreten pflegen?

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Ganz gewiß! „Stil“ ist Trumpf heute – aber seht doch, wie unter dieser neusten Deckflagge der Luxus, die verpönte selbstherrliche Kostbarkeit an allen Ecken und Enden in dieses neue Heim wieder hineindrängen! Seht diese kostbaren Hölzer und Intarsien, seht die Marmorverkleidungen, die üppigen Teppiche, die funkelnden Emaillen, die kostbaren Bronzen! Sie schwelgen geradezu in den edelsten Materialien, diese stilbildenden Wohnungskünstler unserer Tage; das von ihnen entdeckte moderne Heim ist nur eine Erungenschaft für den mann, der immer wieder Geld inj seinen Beutel zu tun vermag – und damit hat ja auch in diesen neusten Bestrebungen der uralte Drang nach dem Luxus obgesiegt, das Stilistische ist schließlich doch wieder nur der Rahmen, in dem die „Kostbarkeit“ dominierend eintritt, um von neuem ihre Triumphe zu feiern.

Salon im Palast eines Silberkönigs in Mexiko

Zu diesem ewig jungen und interessanten Kapitel wollen nun beigegebene Bilder ein paar charakteristische Beiträge hinzufügen. Im Flug hurtig von den verschiedensten Enden der Welt zusammen gerafft, illustrieren sie, wie der Reichtum in den verschiedenen Ländern sich seine Wohnungen baut, wie er in Kostbarkeiten schwelgt, bald stillos, überladen, üppig wirkt, bald trotz des entfalteten Luxus feine, berückende Wirkungen zu erzielen weiß.

Salon in einem Pariser Palast

Wir eilen zum Ufer der Seine, nach der Lichtstadt Paris. Da prunkt die große Luxusstraße mit ihren hellen Sandsteinvillen und -schlößchen, die prachtvolle Avenue du Bois de Boulogne. Wir betreten den Salon (Abb.) eines jener beati possidentes, die über des Lebens kleinliche Alltagssorgen erhaben scheinen. Da sitzt er behaglich in dem breiten Sessel an der Kaminecke inmitten der erlesenen Pracht seines Heims, die sich der hier traditionellen Stilmischung von Louis XVI. und Rokokomotiven bedient. Alles strahlt heiteren, graziösen Prunk in diesem Raum. Wäre die etwas schwerfällige, protzige Polsterbank mit den Löwenfüßen in der Mitte nicht, man könnte von einer vollendet geschmackvollen Interieurausstellung reden. Wie prachtvoll malerisch grüßt der Gobelin mit seiner Nymphenszene von der Wand, welche Pracht entfaltet der Flügel den zarte Malereien á la Wattean auf Goldgrund schmücken, wie gefällig stehen die mit teurem Lyoneser Damast bespannten Boulemöbel im Raum. Dann die Haupteigentümlichkeit solcher Pariser Salons, der Marmorkamin, über dem sich der mächtige Spiegel bis zur Decke erhebt, die ganz in weiß mit einer einzigen zentralen Rokokogirlande in Gold strahlt, von der der zierliche Kristallkronleuchter anmutig herabhängt. Ein weicher, einfarbiger Teppich und die großblumigen Seidentapeten erhöhen die Behaglichkeit des Salons, dessen größte Kostbarkeiten wohl in der Glasvitrine zu Häupten des Besitzers aufgestapelt liegen.

Wohnraum im Hause des mexikanischen Gesandten in Madrid

Dann diese brie à brac-Sächelchen, die da zur Schau stehen – sie repräsentieren oft ein kleines Vermögen, in dem sich die Sammelleidenschaft des reichen Parisers beredt genug ausdrückt.

Versetzt man sich aus diesem geschmackvoll üppigen Heim in den Empfangssalon des irischen Magnaten Lord Powerscourt (Abb. untenst.), der ungefähr der gleichen Stileinrichtung (mehr zum Empire neigend) angehört, so spürt man mit fast greller Deutlichkeit, daß hier der Schritt über die Grenze des Zulässigen getan ist. Allzu üppig drängen sich da die Kostbarkeiten zusammen, die schwellenden Causeusen, Stühle, Diwans stoßen sich fast im Raum, es ist ein Wetteifern, Ueber strahlen, Sich Vordrängen in dem allen, das überaus unruhig und überladen wirkt. Als einzige Ruhepunkte heißt da unser Auge die wertvollen alten Rubens und van Dyks an den Wänden doppelt willkommen.

Blick in die Wohnung eines Pascha in Damaskus (Syrien)

Fast einfach wirkt im Vergleich dazu der Wohnraum des Silberkönigs in der berühmten Minenstadt Guanajuanto, Mexiko. Es ist da weniger beängstigende Fülle vorhanden, aber Stil – ebensowenig. Der ganze, in französichem Geschmack beabsichtigte Raum berührt wie ein Museum, wie eine Ausstellung pretentiöss auf gestellter, schwer goldener und silberner Statuetten und sonstiger Prunkstücke.

Eines Mandarinen Heim in Tientsin (China)

Wie wundervoll echt und harmonisch nimmt sich demgegenüber des Präsidenten Roosevelt Empfangsraum in seinem Land- und Sommersitz in Oyster Bay (Abbildung ) aus. Da bewährt sich ein gediegener, selbstbewußter Geschmack glänzend in der Verwendung von Möbelstücken, die in ihrer Gesamtheit gar nicht einmal einen bestimmten Stil aus machen. Die zarten Holztäfelungen, der apart gestaltete Spiegel über dem Kamin, die bequemen, hellblumigen Sessel und Diwans, die von fern an den Biedermeierstil streifen, die zahlreichen Jagdtrophäen, die Pelze selbsterlegter Grislybären, die wenigen Bilder aus dem amerikanischen Marineleben, dabei die kleine Bücherei – das alles ist so ungezwunen arrangiert und fügt sich doch so natürlich, so behaglich und dabei vornehm zur Einheit zusammen, daß man seine helle Freude an dieser der Wohnungseinrichtung haben kann.

Empfangssalon im Landschloß Ennisberry (Irland) des Lords Viscount Powerscourt

Wie ganz der gleiche Eindruck von harmonisch geordneter Kostbarkeit mit absolut andern Mitteln erreicht werden kann, erläutert sehr charakteristisch das Bildchen aus der Mandarinenwohnung in Tientsin (Abb.). Die Decke, die Wände, der Tisch und sonstiges Mobiliar zeigen übereinstimmend wundervoll zierliches Schnitzwerk in hartem, schwarzem Eisenholz, lebhaft kontrastieren dazu die bunten, herrlichen Seidenstickereien, mit denen die niedrigen Stühle bezogen sind. In breitem Strom ergießt sich das Licht durch eine Fenstergalerie von durchbrochenem Holzwerk, die den feinsten Linienrhythmus offenbart. Orientalischen Luxus in seltsamer Verquickung mit mitteleuropäischer Möbelkunst gewahren wir bei einem Blick in das Haus eines reichen Pascha in Damaskus (Abb. nebenstehend), nicht ohne ein leises Lächeln. In all der feenhaften Pracht arabischer Zierkunst, wie sie in kostbarsten Materialien Wände und Boden deckt, nimmt sich die Hängelampe in all ihrer modernen Spießbürgerlichkeit wie ein drastischer Anachronismus aus! Ein ähnliches Experiment hat sich der mexikanische Minister in Madrid geleistet, indem er seinen Wohnräumen das prachtvoll kopierte Exterieur von Alhambrabauten verlieh. Diese Wunderwerke der Stuckornamentik, der hochgeschweiften Bögen, der zauberhaften Arabesken schließen auch hier moderne Möbel ein. Und das gibt keinen Zusammenklang.

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.