1905, von Fr. von Ostini. In Münchner Privathäusern ist von alters her gern Schönes gesammelt worden. Bilder, Waffen, Altertümer aller Art. Eine Anzahl unserer alteingesessenen Bürgerfamilien, deren Namen zum Teil schon in den Chroniken des vierzehnten Jahrhunderts vorkommen, besitzt da noch von ihren Vorfahren her beneidenswerte Schätze von kunstvollem Gerät, wunderbare Sammlungen von altem Zinn zum Beispiel. Ein paar Familien sind bekannt, die von unserm liebenswürdigsten Münchner Maler Karl Spitzweg gleich etliche zwanzig Bilder besitzen, und die respektablen kleineren Bildersammlungen zählen wohl nach Dutzenden. In neuerer Zeit ist eine Reihe von Privathäusern, die wirkliche Sehenswürdigkeiten, ja Museen heißen können, von Künstlern und Nichtkünstlern gebaut worden, und etliche, nicht durchweg zugängliche Kunstsammlungen dürften auch in den Weltstädten ihresgleichen suchen. Von dreien soll hier die Rede sein.
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Die älteste davon, die auch von Fremden viel, aber wohl nicht genug besucht wird, ist die im vierten und fünften Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts zusammen getragene Gemäldesammlung des verstorbenen Freiherrn Karl von Lotzbeck, die in drei Sälen eines kleinen Pavillons am Karolinenplatz stimmungsvolle Aufstellung gefunden hat. Sie besteht aus charakteristischen Bildern der Biedermeierzeit, die zum größten Teil von, Münchner Meistern herrühren und für den, der die aufsteigende Kunst jener Epoche studieren will, den Besitz unserer Neuen Pinakothek glücklich ergänzen. Es ist freilich eine etwas kühle, zahme, überaus salonfähige Kunst, deren stille und feine Qualitäten die durch stärkere Persönlichkeitsäußerungen verwöhnten Augen unserer heutigen Generation erst wieder finden lernen müssen. Aber Kunst ist es doch, Kunst, die zu ihrer Zeit eben auch hinreißend und modern war, und die Namen, die mit ihr verknüpft sind, waren einst gefeiert wie nur wenige in der viel produktiveren Gegenwart.
Sensationell geradezu haben damals die Gemälde der Galerie Lotzbeck gewirkt, von deren Ruhmesklang heute nur noch etliche ältere Leute wissen: August Riedels „Sakuntala“ und Ary Scheffers beide Faustbilder. Das scheint uns alles heute freilich glatt und von Süßlichkeit nicht frei – damals aber waren diese Werke wahre Offenbarungen, nicht bloß der Schönheit so im allgemeinen und im Publikumssinn, sondern Offenbarungen der Malerei. Die Gestalten Scheffers und Riedels waren eben doch nicht mehr kolorierte Zeichnungen wie die meisten Bilder der Nazarener und ihrer andern Zeitgenossen, sondern sie waren gemalt, in Farben gemalt, die der Natur abgesehen und von einem künstlerischen Temperament zu ihrer eigenen Harmonie gebracht waren. Und wenn wir die 1841 in Rom vollendete „Sakuntala“ sie ist auf S. 165, über der Büste König Ludwigs I. sichtbar – wenn wir dies liebliche Bild der jungen Indierin ohne Voreingenommenheit betrachten, mag es uns wohl einleuchten, daß es einst Enthusiasmus erregte. Heute noch brennen seine Farben in ungemindertem Glanz, namentlich das sonnendurchleuchtete Grün des Waldes und das rosigzarte Fleisch der Jungfrau. Sanfter und tiefer im Kolorit sind die zwei Faustszenen Ary Scheffers, des einst so beispiellos gefeierten. Die eine, Faust und Gretchen im Garten, ist ebenfalls auf unserer Abbildung zu sehen; bedeutender und temperamentvoller vielleicht ist noch das zweite Bild: Faust in der Walpurgisnacht, die Erscheinung Gretchens erblickend. Als weiteres Juwel der Sammlung darf ein farbenglühender kleiner Diaz, Mädchen in einer Landschaft, gelten.
Vortrefflich ist der jetzt wieder sehr geschätzte Maler der bayrischen Landschaft Heinrich Bürkel (1802 – 1869) vertreten, dann Karl Rottmann, Albrecht, Benno und Franz Adam, die berühmten Pferdemaler, Albert Zimmermann, Christian Morgenstern, der vortreffliche Architekturmaler August v. Bayer, dessen licht durchflutete Kircheninterieurs auch jetzt noch sehr hoch zu werten sind, ferner Peter Beß, E. W. v. Heydeck und andere. Die Skulpturen, die Herr von Lotzbeck gesammelt hat, gehören der gleichen Epoche an wie die Bilder; sie zeigen die charakteristische keusche und eisigkalte Schönheit der Thorwaldsenschule, eine Schönheit, die noch glätter und kälter ist als die Malerei der damaligen Zeit. Von Bartel Thorwaldsen selbst ist eine Venus mit dem Parisapfel da, von Wolf von Hoyer eine Psyche, von Pietro Teneroni eine Flora nach antikem Motiv usw. Auch diese Werke waren einst Erwerbungen von hoher Kostbarkeit und kennzeichneten den Sammler als einen Mann, dem kein Opfer zu groß war, wenn es galt, das Schönste zu besitzen, was zu kaufen war.
Von der Sammlung Lotzbeck bis zur Sammlung Thomas Knorr ist ein gewaltiger Sprung. Die letztere enthält nämlich in der Hauptsache charakteristische Gemälde aus den achtziger und neunziger Jahren, Denkmäler der Kampfzeit um eine neue Malerei, das Modernste vom Modernen. Daß die Sachen, so ausgefallen und extravagant manches damals dem lieben Publikum vorkam, heute noch ihren vollen Wert behalten haben, beweist, wie gut gewählt wurde.
Herr Thomas Knorr, der bekannte Verleger, hat seine geräumige Villa an der Brünnerstraße – einst Richard Wagners Behausung – durch Emanuel Seidl umbauen und bedeutend erweitern lassen, und seine Bilder sind nun der glänzendste Schmuck der sehr abwechslungsreichen Räume, vom Treppenhaus (Abb. S. 169) angefangen bis zu den Bade und Schlafräumen. Ein Musiksaal in reichen Münchner Rokoko mit Füllungen und Deckenbildern, in denen Rudolf Seitz den Stil des 18. Jahrhunderts Meisterhaft nachgeahmt hat, ein Festsaal (Abb. S. 169) in vornehmem Barock, an dessen Ausgestaltung einst Franz v. Lenbach regen Anteil nahm, ein heiterer braocker Wintergarten und ein behaglicher, dunkelgehaltener Renaissancespeisesaal bilden die in dieser Gestaltung älteren Räume des Erdgeschosses.
Im Festsaal hängen die schönsten von den schönen Lenbachs des Herrn Knorr, ein Bildnis Richard Wagners und ein Bismarck in Zivil, ein der zwei oder drei besten und eins der ältesten Bismarckbilder, die der Meister geschaffen. Auch den Besitzer selbst und seine Gattin hat Lenbach wiederholt wiederholt gemalt. Eine Perle der Galerie ist das „Bacchanale“ von Arnold Böcklin , auch ein Gipfel in der Entwicklung des Künstlers, nämlich der Superlativ seiner soloristischen Kraft. Kühner und stärker ist der Maler in der Farbe nie gewesen als in diesem auch „Oktoberfest“ genannten Bacchanal, das um 1885 entstand. Nicht minder wertvoll ist das Bild einer jungen Hirtin von Segantini, die Gestalt steht erstaunlich plastisch und lebendig in der kristallenen Luft des Berglandes. Von unsern Münchnern sind, um nur ein paar der Hauptbilder aufzuzählen, Fritz v. Uhde durch eine heilige Nacht voll poetischer Weihe, H. v. Habermann durch ein genial gemaltes Porträt der Frau Knorr, F. A. v. Kaulbach durch anmutige kleine Arbeiten, Albert v. Keller durch ein Preisurteil und anderes, Karl Haider durch ein großes melancholisches Vorfrühlingsbild, Th. Th. Heine durch mehrere naturalistisch gearbeitete Landschaften und durch das große phantastische Stück „Exekution“ vertreten, die erste Arbeit, in der er seinen jetzt der Welt bekannten Stil offenbarte.
Von Jul. Diez, E. Dill, G. Kuehl, A. Bölzel, O. Eckmann, W. Volz, J. Exter, Leibl, Makart, Meckel, Pötzelberger, Otto Reiniger, Schlittgen, Slevogt („Die Danaë“), Hans Thoma, H. Zügel sind Arbeiten ersten Ranges da, von Franz Stuck mehrere frühe Bilder, die zu seinen kraftvollsten und originellsten Werken gehören, so der „Schlafende Faun“ und der „Reiter am Herbstabend“. Fast vollzählig und durchweg sehr gut sind die Schotten, die Boys von Glasgow repräsentiert, Shannon, von Blanche finden wir glänzend gemalte Bildnisse, von dem Schweden Liljefors Jagdbilder, die in der erquickenden Naturfrische ihrer Malerei entzücken prächtige Stücke von den Holländern van der Waay und de Zwart und vieles andere, das zu nennen die Knappheit des Raums nicht gestattet. Besonders glücklich kommen die modernen Bilder zur Geltung in den neuen, eben fertig gewordenen Räumen des Anbaus und ersten Stockwerks, die Emanuel Seidl licht, heiter und vornehm einfach im Sinn des modernen Münchner Stils ausgestattet hat.
Ganz andere Ziele wieder hat sich in seinen Sammlungen der Rechtsanwalt und bekannte Kriminalverteidiger Dr. Walter v. Pannwitz gestellt, der mit seinen Kunstschätzen am Isarufer, nahe der Prinzregentenbrücke haust.
Sein Besitz an alten Kunstgegenständen, namentlich Werken der Kleinkunst verschiedenster Art, ist mit hohem künstlerischem Geschmack zur Zierde seiner reichen und doch behaglichen Wohnräume verwendet, in der Art, wie wir nach Lenbachscher Dekorationsweise hier manches schöne Privathaus ausgeschmückt sehen, nur mit dem Unterschied, daß der Pannwitzsche Kunstschatz nahezu ausschließlich hervorragende, durch Echtheit, Seltenheit und Arbeit kostbare Werke aufweist. Den Hauptwert macht wohl die Sammlung von Porzellanen des 18. Jahrhunderts aus, namentlich von Meißner Figuren, wie sie in so auserlesenen Exemplaren wohl nur wenige Privatsammlungen besitzen dürften und auch nur ganz wenige Staatsmuseen besitzen. Alles Mittelmäßige, Zweifelhafte oder Defekte ist ausgeschlossen, und wir sehen nur Stücke von höchster Grazie der Modellierung, zartestem Email der Farbe und vollendeter technischer Ausführung.
Die ganze preziöse Galanterie und verbuhlte Grazie des Lebens am Hof Augusts des Starken, aus dessen unmittelbarem Besitz manches Stück der einzigartigen Kollektion ist, leben bei Betrachtung dieser koketten, zierlichen Figürchen vor uns auf, die alle wie im Meimett oder im Schäferspiel in bewußter, ein wenig gespreizter Anmut sich bewegen, der ganze üppige Luxus der Krinolinenzeit spiegelt sich auch in den freien, überreich dekorierten und gebrechlichen Gebrauchsgegenständen, Schalen und Vasen, Teekannen, Döschen und Stockgriffen, Spiegelrahmen und Nezessaires, die jene Meißner Künstler geschaffen haben, indem sie das Porzellan durch raffinierte Kunst zum edelsten Material machten.
Dr. v. Pannwitz besitzt gerade von den seltensten Meißner Figuren hervorragende Exemplare, so eine Anzahl jener köstlichen Reifrockgruppen (Abb. S. 168), die von den Sammlern so sehr gesucht sind, zahlreiche Schäfergruppen und Figuren aus der italienischen Komödie, Freimaurergruppen und Reiterfiguren, die August III. darstellen, und besonders viele große und schöne Tierstücke, namentlich Vögel, eine Sammlung für sich allein. Zu den Kabinettsstücken zählt eine große Pendüle aus Bronze und Porzellan von Kändler mit humoristischer, reich bewegter Szene (früher im Besitz des Hauses Koburg in Wien), zu den Kuriosis eine höchst merkwürdige Gruppe, die August den Starken darstellt, wie er, gichtkrank, von der Gräfin Orselska gepflegt wird. Ein kulturgeschichtliches Denkmal en miniature, das Bände redet. Auch von Nymphenburger Porzellanfiguren, deren flotte, schnittige Modellierung und einfachere, koloristisch vollere Bemalung mancher noch den Meißner Figuren vorziehen mag, ist die Sammlung Pannwitz reich; von den vielen Geräten aus Porzellan dürften neben einigen sehr kostbaren alten Meißner Vasen mit chinesischem Dekor zwei runde Sévresschalen mit dem seltenen Rosafonds „Rose Dubary“ an Wert und Schönheit durchaus als ebenbürtig bestehen.
Im ganzen umfaßt die Sammlung etwa dritthalbhundert Nummern Porzellan, unter denen, wie gesagt, kaum eine zweitklassige sein dürfte. Eine zweite Hauptgruppe dieses beneidenswerten Kunstbesitzes ist die der Prunkgefäße und Geräte in Edelmetall, namentlich Pokale und Aufsätze aller Gattungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, Tierpokale, unter denen wohl ein springender Hirsch aus dem Hausschatz der Andrassy an erster Stelle steht, Pferde, Vögel, Schiffe als Pokale und Zierstücke, Deckel Ananas-, Brautpokale, Nautilusbecher, Bergkristallgefäße, Kannen, Schalen, Kultusgegenstände, wie ein prachtvolles gotisches Vortragskreuz mit Emaillemedaillons, und vieles andere, woran sich die Fertigkeit und der erlesene Geschmack der alten Kleinkünstler zeigten. In den meist dunkel ausgeschlagenen Gemächern, in der Nachbarschaft farbenschöner Gobelins, gehoben durch den Gegensatz zu den tiefen Farben antiker Möbel kommen diese funkelnden Kostbarkeiten doppelt glänzend zur Geltung.
Ihre Herkunft datiert vielfach aus berühmten Sammlungen und Auktionen (Bourgeois, Spitzer, Somzée usw.), und ebenso stammen die Limogen und Majoliken aus illustren Quellen. Von den letzteren seien besonders erwähnt zwei außergewöhnlich wertvolle frühe Platten mit einem Krieger und einem Frauenkopf aus Deruta, Anfang des 16. Jahrhunderts.. Von den wenigen, aber durchweg bedeutenden Bronzen gibt Abb. S. 166 einen jungen Herkules mit den zwei Schlangen, eine italienische Arbeit des 16. Jahrhunderts, wieder, andere Prachtstücke sind eine florentinische Mädchenbüste (um 1512) ein etwa gleichaltriger Herkules mit dem Löwen und zwei venezianische Türklopfer aus gleichem Jahrhundert. Unter den Holzskulpturen nimmt die Schnitzerei mit der Legende vom Heiligen Eligins, der als Schmied den abgeschnittenen Fuß eines vom Teufel besessenen Rosses beschlägt (Abb. S. 166), durch die kernige Realistik seiner Arbeit den ersten Platz ein.
Zu erwähnen ist noch eine Reihe Textilarbeiten, Gobelins, Stickereien, Schmucksachen und Möbel, die ebenfalls auf hoher künstlerischer Stufe stehen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Jahr 1905 in Die Woche.