„Tajaut!“

Französische Parforcejagden - Rendezvous der Jagdgesellschaft mit der Herzogin von La Rochefoucauld

„Eine Jagdschilderung zu diesen Bildern?“

„Nun ja, um den Photographien, die Sie mir da zeigen, gleichsam Leben zu geben!“

„Gut! Sie müssen mich aber dazu hinausbegleiten in die Forst -.“

„Ich? Aber – -“

„Erschrecken Sie nicht, mein gnädiges Fräulein, nur Ihre Phantasie will ich in Anspruch nehmen. Nehmen Sie an, wir wären schon dort!“

„Bei der Jagd?“

„Bitte um Geduld – vorläufig nur im Wald Noch lagern die Morgennebel über den Waldwiesen – es braut der Fuchs, und nur schüchtern ertönt hier und da der Ruf der Amsel aus der Dickung. Der unmelodische Ruf des Fasanenhahns dringt herüber aus der Schonung am Bachtal, Meisen und Buchfinken hüpfen zwitschernd von Zweig zu Zweig – ein paar Rehe – aus dem Wiesengrund zurückkehrend, nahen, vertraut äsend, dem Waldrand.

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Noch ein Verhoffen und dann – in kurzer, eiliger Flucht über den breiten Wassergraben in den dichten dunklen Wald – in die hochragenden Eichen! Da dringen die Strahlen der schon hochstehenden Sonne durch die Nebel, und wie im Zauber ändert sich da Bild. In wunderbarer Farbenpracht erscheint der Herbstwald. Noch glitzern auf den breiten, gelben Blättern der Farne, auf rötlich schimmerndem, wildem Wein die Tautropfen, und dunkel erscheint die Fülle des Efeu in den Zweigen der lichtgrünen, fast schon entblätterten Esche, überragt von den noch vollen Rauschen mächtiger Eichen. Dunkle Erlen senken die Zweige hinab bis zum Wassergraben. Ein kurzer Windhauch – und langsam rieseln die dürren Blätter herab auf den Waldesgrund – auf die Wiese. Dann wieder Stille – Waldesruhel“ – –

Ausritt der Jagtgesellschaft
Ausritt der Jagtgesellschaft

„Doch jetzt – aufmerksam richten sich die Hasen auf, die noch im Wiesengras äsen, machen ihr Männchen, fliehen dann eilig dem Wald zu, und die raschen behenden Kaninchen eilen zum Bau. Es naht der Feind! Nicht der schlaue Fuchs ist’s, der sie erschreckt. Auch er schnürt, vom Raub kommend, eiligst über die Blöße, sucht sein Heil in der Flucht – denn vorbei ist’s plötzlich mit der Waldstille! Näher und näher ertönen die Signale der Jagdhörner, das Stampfen der Pferdehufe, das noch unterdrückte Bellen von Hunden. Aus der Dickung aber – ganz nahe – ein Knistern, ein Rauschen, und mit einem Sprung schwingt er sich jetzt über den Graben, der schwarze Geselle, der brave Keiler! Hell leuchten die weißen ‚Gewehre‘ aus dem ‚Gebrech‘. Aber was nützt ihm sein Gewaff der Uebermacht gegenüber? In der Flucht sucht er sein Heil. Die ‚Meute‘ ist auf seiner Fährte, und schon erreichen die ersten Hunde den Wiesengraben. Laut verkündet ihr Geläut, daß sie den grimmen Feind erblickten, und mit einem Schlag fällt die ganze Meute ein in lautem Chor! Ueber den Graben wälzt sich die dichte, geschlossene Masse der Verfolger, und ‚Tajaut – tajaut!‘ ertönt es aus den Kehlen der rotröckigen Piköre, deren Schimmelhengste eben in weitem Sprung den Graben nahmen und nun in Hornsignalen künden, daß der ‚Keiler‘, der gejagte, gehetzte, sichtbar war. Den Pikören aber folgt der Master, und dem Master folgen die Reiter in dichten Mengen oder auch einzeln – seitab, wo der Graben schmaler. Alle tragen den roten Rock oder Uniform. Auch Damen befinden sich im Feld. Nicht weniger kühn als die Männer, folgen sie dem flüchtigen Wild durch unwegsame Gelände, über ‚grobe‘ Hindernisse! ‚Tajaut – tajaut‘ hört man’s auch von den rosigen Lippen der Schönen erklingen, wenn ihre scharfen Augen den flüchtigen Schwarzrock zwischen den Stangen erspähen.“

„Der Schwarze hat längst den jenseitigen Wiesenrand erreicht. Wie die Windsbraut zog die Jagd vorüber – ein buntes, flüchtiges Bild! – Nur Minuten unterbrach es die Ruhe. Aber einen Reflex der Leidenschaft bot es, der Jagdpassion der ritterlichen Reiterlust! – ‚Tajaut!‘“

Fliegend über einen Weg mit zwei Gräben
Fliegend über einen Weg mit zwei Gräben
Doppelsprung über einen Weg mit zwei Gräben
Doppelsprung über einen Weg mit zwei Gräben

„Waldfriede zog wieder ein im Wiesengrund, und wieder singt die Amsel. Nur noch eine sichtbare Erinnerung blieb zurück an das ‚Tajaut‘ und das Waldhornsignal. In der Ferne, unten am Wiesengrund, führt ein blutjunger Husarenleutnant sein lahmes Pferd dem nächsten Waldweg zu. Noch trieft sein lichtblauer Attila vom schlammdurchsetzten Grabenwasser. Ja, wo blieb das Lichtblau? ‚Sie halten zu fest! Luftgeben im Sprung!‘ So hatte ihm wohl ein bewährterer Jagdreiter zugerufen – aber zu spät! Schon waren Roß und Reiter im Sumpfgraben gelandet.“

„Freilich, das Pferd hatte den ‚Sehnenklapp‘ weg, aber – Gott sei Dank – von den Damen hatte keine den Unfall angesehen und – das Pferd – na – der Vater kauft ein anderes!“ – –

Französische Parforcejagden - Rendezvous der Jagdgesellschaft mit der Herzogin von La Rochefoucauld
Französische Parforcejagden – Rendezvous der Jagdgesellschaft mit der Herzogin von La Rochefoucauld

„Der ritterliche Schwarzrock aber – er hat sich in einer dichten Schonung ‚gesteckt‘, hat, zum Tod ermüdet, die Flucht aufgegeben und den Kampf mit der Meute angenommen – mit zwölf Koppeln, vierundzwanzig Hunden. Zwei hat der kühne Keiler geschlagen, wimmernd liegen sie seitwärts unter den Kiefern – dann aber hat ihn die Meute gedeckt, und während ein junger Rotrock rasch vom Pferd springt und zwischen die grimmige Meute tretend, den Keiler ‚aushebt‘, d. h. durch Ergreifen eines Hinterlaufs auf den Rücken wirft und wehrlos macht, treiben die Piköre mit ihren Peitschen die Rüden zurück – à la meute. Dem Vornehmsten aber aus dem Feld, einem königlichen Prinzen oder hohen Würdenträger, kommt das Recht des Abfangens zu – er gibt mit seinem Couteau dem Keiler den fachgemäßen Todesstoß in die linke Brusthöhle – zu raschem Ende nach bangem Kampf.“

Im Schritt durch den Bach
Im Schritt durch den Bach

„Ein neues Bild aber rollt sich jetzt ab inmitten des Herbstwaldes.“

„Auf einer Blöße ist das Wild zum Curée hergerichtet – und den frischen Eichenbruch am Hut, umstehen Parforcereiter die harrende Meute, der jetzt durch die Piköre als Lohn vom ‚Gescheide‘ zugeworfen wird. Die Damen und Ritter erheben die vom Handschuh entblößte Rechte, und in lautem ‚Halali – Halali!‘ wird des Tages Werk gepriesen.“

„Die Piköre blasen das ‚Keiler tot‘, und dann einen sich die Reiter in Gruppen zum Rückweg, um abends bei frohem Mal die Ereignisse des Tages zu besprechen. Auch der Hellblaue ist wieder dabei – als ob nichts passiert wäre.“ –

„Und das haben Sie alles mit angesehen?“ fragte die Dame, offenbar von dem Gehörten lebhaft angeregt.

„Oft Aehnliches – heute erlebte ich nur im Geist.“

Gräfin M. von Beroldingen (mit der Pardubitzer Hirschmeute)
Gräfin M. von Beroldingen (mit der Pardubitzer Hirschmeute)

„Was ich hier aber gleichsam schematisch oder typisch geschildert habe, das wieder holt sich in tausend Varianten auf den Parforcejagden mögen solche nun auf Hirsche, Füchse oder Hasen veranstaltet werden. Das Terrain gibt der Jagd den Charakter, und je größer die Gefahren und Schwierigkeiten sind, deren es bietet, um so beherzter müssen die Reiter, um so leistungsfähiger und geübter die Pferde sein. Nichts ist geeigneter, tüchtige Terrainreiter auszubilden und auch den Blick in der Beurteilung vom Gelände zu schärfen, als gerade die Reitjagd, aus deren Verlauf Ihnen hier, in einer Reihe von lebenswahren Bildern, interessante Momente wiedergegeben werden. Für die Armee bildet das Jagdreiten längst – neben dem ritterlichen, schon von den Altvordern überkommenen Sport – eine der wichtigsten Uebungen der Offiziere im Terrainreiten, die bei den heutigen hohen Anforderungen gar nicht mehr entbehrlich wären. – Das Jagdreiten ist daher in allen Kavallerie- und Artilleriegarnisonen zu einem Dienstzweig geworden, an dem sich durchweg die berittenen Infanerieoffiziere beteiligen, an die ja heutzutage auch erhebliche Anforderungen in Ueberwindung von Terrainschwierigkeiten gestellt werden. Freilich können nicht alle Garnisonen sich den Luxus einer Meute gestatten aber auch auf einer gewandt mit Papierschnitzeln gestreuten Fährte, hinter den durch gute Reiter markierten ‚Hunden‘ können nicht nur lehrreiche, sondern auch Jagden – Schnitzeljagden – geritten werden – manchmal übungsreicher und anstrengender als Wildjagden.“

Deutsche Parforcereiterinnen
Deutsche Parforcereiterinnen

„Ob nun aber die Jagd über Gräben oder Hecken, über frische Knicks oder Mauern, durch Flüsse oder Bäche gelenkt wird – immer soll der Reiter sich bemühen, daß das ‚Halali, Halali!‘ niemals auf ihn selbst Anwendung finden könne – auch nicht im ursprünglichen Sinn des Wortes; denn der alte deutsche Ausruf hieß einst: ‚Ha, da liegt er!‘
‚Ha-la-lit!‘“

Dieser Artikel von Frhr. von Dincklage“ erschien zuerst in Die Woche 47/1903