Der König der Wälder

Mit Schnee und Eis ist der Winter eingezogen. Das ist die Seit, in der das Verslein des Vereins deutscher Jäger seine besondere Berechtigung findet:

„Das ist des Jägers Ehrenschild,
Daß er beschützt und hegt sein Wild,
Weidmännisch jagt, wie sich’s gehört,
Den Schöpfer im Geschöpfe ehrt.“

Der vorsorgliche Jäger weiß, was in dieser schweren Zeit seinen Lieblingen frommt, wie jeder Liebesdienst ihm vergolten wird. Und doch so oft – leider zu oft ist alle Mühe vergebens, wenn Schneemassen das Herantreten des Wildes an die Futterplätze erschweren oder Schrotspritzen ihre unheilvolle Arbeit beginnen. Hoffen wir, daß die geringen und starken Hirsche, das Kahlwild und das mit großen Kosten importierte japanische Rotwild, wie es unsere Bilder zeigen, gut durch den Winter kommt.

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Hochwildjagd ist wohl die Krone aller Jagden. Ein Hirsch, in freier Wildbahn gestreckt, ist die Quintessenz weidmännischen Vergnügens. Die Hochwildjagd bietet aber auch die höchsten Genüsse für den Freund der Natur, die Herrlichkeiten des Waldes und des Gebirges erschließen sich ihm in unmittelbarster Weise.

Ein taufrischer Sommermorgen, ein goldener Herbsttag, eine schneeeingehüllte Winterlandschaft bieten dem Jäger unendlich viel Schönes.

Fremde Gäste – Akklimatisierte japanische Hirsche in Podiebrad
Ein Kapitaler

Dabei verfolgt er noch ein Ziel, das sein Herz zum schnelleren Schlagen bringt: den König der deutschen Wälder. Der Sang vom „Hirschfieber“ ist leider kein leerer Wahn. Viele der wichtigsten geistigen Eigenschaften werden geübt und gestählt: Ueberlegung, Ruhe, Entschlossenheit, Geduld. Der Körper wird zu Kraft und Ausdauer erzogen, die Hand wird sicher, das Auge schärfer.

Ein hirschgerechter Jäger! Wie viel Rotwild steht nicht heute noch in deutschen Wäldern, und wie gering ist die Zahl der wirklich hirschgerechten, fährten- und spurenkundigen Jäger. Kein Wunder, Hochwildjagd ist durch die Macht der Verhältnisse Kaviar für die große Masse der Jagdliebhaber geworden; nur vom Glück begünstigte Sterbliche können sich noch den Luxus eines Rotwildreviers leisten. Und wiederum, keine Jagdart erschwert an sich schon so sehr die Berechtigung zur Führung dieses Ehrentitels.

In früherer Zeit wurde mit dem Rotwild, dem schon unsere Vorfahren das Prädikat „edel“ verliehen haben, ein jagdlicher Kultus getrieben, der in mancher Beziehung an das Ueberschwengliche grenzte. Kaiser Maximilian I., der letzte Ritter und größte Weidmann aller Seiten, schrieb seinen „Weißkunig“, „Theurdank“ und vor allem das „Geyaidepuech“, Werke, die für den Weidmann von höchster Bedeutung sind und ausführlich die Rotwildjagd behandeln. Nicht weniger als zweiundsiebzig Zeichen hatten unsere Urväter erfunden, um den Hirsch anzusprechen.

Ein Bummler
Ziehende Hirsche

Eine besondere Jägerklasse bildete sich mit der Zeit, die streng an dem Ueberlieferten hing und jede sachliche und sprachliche Versündigung als persönliche Beleidigung auffaßte. Die drakonischen Leibesstrafen für Wildfrevler waren in erster Linie zum Schutz des Rotwildes eingeführt, das in geradezu unglaublicher Masse in allen Teilen Deutschlands stand.

Sind doch in der Letzlinger Heide in dem Unglücksjahr 1573 allein infolge hohen Schneefalls und gewaltiger Kälte an 3000 Stück Rotwild eingegangen.

Von Einfluß auf die Gestaltung des Jagdbetriebs wurde seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts die Verbesserung des Schießgewehrs. Bis dahin kann man in Bezug auf Rot- und Schwarzwild, die Hauptmasse des vorkommenden Wildes, nur zwei Jagdarten annehmen, das „Jagen“ und „Schlagen“, sowie das „Hetzen“. „Schlagen“ – der Ausdruck findet sich in den Akten stets in Verbindung mit „Jagen“ – ist weiter nichts, wie Fangen, höchstens mit dem Begriff des Tötens. Unter „im Jagen“ gefangen, ist nur das Hauptjagen zu verstehen. Somit wird die Schilderung Dietrichs aus dem Winckell und Hartigs uns den Jagdbetrieb veranschaulichen, nach denen bei einem „Hauptjagen“ das Rot· und Schwarzwild aus einem oft vier bis fünf Quadratmeilen großen Bezirk zusammengetrieben, mit hohen Tüchern eingestellt und dann in einem Tag auf einem Lauf erlegt wurde, „wozu viel Jagdzeug, viele Jäger und eine zahlreiche Jagensmannschaft erforderlich ist.“ Der preußische Oberjägermeister Jobst Gerhard von Hertefeld schildert mit wenigen Worten den Verlauf eines derartigen Hauptjagens: „Und ist die Stadt Gardelegen schuldig, auf die Jagd zu laufen, da schon zu de Kurfürsten Johann Sigismundt Zeiten die Bürgerschaft mit Spieß, Hellebardten, Drommeln zur Jagt gezogen gekommen ist, als dessen Sohn Georg Wilhelm als Chur Prinz, von Cleve kommend, die grosse Hirsch Jagt ab gehalten, worin über 1000 Hirsche geschlagen worden.“ Die 1000 Hirsche sind, da zu jener Zeit nur sehr mangel hafte Radschloßgewehre existierten, mit Saufedern und Fangeisen abgefangen. Das von leichten Rüden auf den Lauf getriebene Wild wurde von den hinter Schirmen aufgestellten schweren Hatzhunden gehetzt und gefangen, so daß es der Jäger abfangen konnte. Das „Hetzen“ war weiter nichts, wie eine rohe Art der späteren Parforcejagd.

Harte Zeiten

Ganz unglaubliche Strecken an Rotwild konnten im 16. und 17. Jahrhundert noch einzelne Fürsten aufweisen; so streckte Kurfürst Johann Georg J. von Sachsen in 30 Jahren (von 1611-1650) 15 637, sein Sohn 6 595 Stück Rotwild in 25 Jahren. Hirsche von 7-8, sogar von 9 Zentner Schwere werden öfters erwähnt.

Die Blütezeit der Rotwildjagd kam aber erst mit der Einführung des Feuersteinschlosses; die Zündung wurde hierdurch eine so rasche und sichere, daß sich das Gewehr zur Verwendung bei der Jagd wirklich eignete. Hand in Hand hiermit ging die „Arbeit“ des Schweißhundes. Beim „Jagen“ und „Schlagen“ konnte man nur mit dem Gesicht jagende Hunde gebrauchen, höchstens noch zum „Bestätigen“ des Hirsches den Leithund, den Stolz des hirschgerechten Jägers. Sobald aber „Schweiß“ sich fand, dann trat der Schweißhund in seine Rechte, und die Kunst, diesen Hund zu führen, ist die einzigste geblieben, die sich aus der Blütezeit der Jagd in unsere Tage hinübergerettet hat. Ein Schweißhundjäger zu sein, ist gleichbedeutend mit hirschgerechter Jäger, und wer nur einmal der „Arbeit“ eines derartigen Hundes beigewohnt und die „Arbeit“ des Führers gesehn hat, glaubt meiner Behauptung: „Keine Jagdart erschwert an sich schon so sehr die Berechtigung, sich weidgerecht’ nennen zu können, wie die Hochwildjagd.“ Alljährlich findet in Berlin im Borsigpalais unter dem Protektorat des „ersten“ deutschen Weidmanns eine Geweihausstellung statt. Manch kapitaler Kopfschmuck findet dort Aufstellung, und manche Müh und Sorg findet dort ihren Lohn. – Weidmannsheil.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 50/1902, er war gekennzeichnet mit „Franz Genthe“.