Paris im Mai! Paris im Zeichen der Weltausstellung! Bedarf es wohl weiterer Worte, um auszudrücken, das die Frauentoilette in diesem Sommer ganz besonders schick reizvoll, bizarr und so phantastisch wie nur möglich sein wird? Den tollsten Modelaunen, wenn sie nur in den Grenzen des Schönen bleiben und die Trägerin kleiden, sind Thür und Thor geöffnet, und da strömen sie denn auch wie Milliarden Sonnenstrahlen herein und durchleuchten die sommerliche Modenzeit, die in diesem Jahr insbesondre die Panne imprimée begünstigt.
Die duftigen Stoffe, speziell in allen Schattierungen von Blau, Grün und Lila, mit ihrem runenhaften Muster oder den Riesentupfen – als ob das Märchen von den Sternthalern sich in Wirklichkeit verwandelt hätte – eignen sich vorzüglich für leichte Straßenkleider im Frühling.
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Bedeutend eleganter noch ist einfarbige panne, wenn sie, wie aus unserer Abb. ersichtlich, mit echten Spitzen, die fast unsichtbar appliziert sind, bedeckt ist. Auf dem pastellblauen Grund ziehen sich schlanke Bogenwindungen über den Rock, an der rechten Seite zusammenlaufend, um hier als Kaskade von Blumen hinabzurieseln. In der gleichen Anordnung ist die Taille garniert, die den Direktoirestil sehr glücklich durch den breiten, schwarzen Atlasgürtel markiert, der durch sechs echte Edelsteinknöpfe geschlossen wird. Rückwärts setzt sich eine Schärpe aus schwarzer Seidengaze mit Atlasband als Abschluß an.
Besonders hübsch ist der große, gelbliche italienische Strohhut mit seinem Kranz blendend weißer Schneeballdolden und den pastellblauen Atlasrosetten an der aufgeschlagenen Seite. Um den Hals schmiegt sich die übliche weiße Tüllschleife, und gleich ihr gehört der Stock zum Charakter des Kostüms.
Nicht nur bei dieser Toilette, wo der Spazierstock sozusagen „obligat“ ist, begegnet man ihm; er scheint sich immer weitere Gebiete im Reich der Mode zu erobern, trotzdem dies männliche Attribut in der Zusammenstellung mit den graziösen Toiletten, die von Spitzen, Bändern und Perlen starren, wie ein „enfant terrible“ unter wohlerzogenen Menschen wirkt. Die Griffe sind kostbar und bestehen meist aus Emaille, Gold mit eingelegten Steinen oder aus altem getriebenem Silber mit künstlich verstümmelten Perlen und antiken Smaragden mit flachem Schliff. Auch die hochmodernen Krücken aus englischem Krystall in Diamantschliff, der zuweilen kolbenartig die ganze obere Hälfte des Stockes bildet, sind zur Zeit sehr beliebt.
Zwei künstlerisch wirkende Hüte bringen die Abbild. 2 und 3. Der erste besteht aus durchbrochenen gelben Strohspitzen, die zu einer großen, geschweiften Form zusammen genäht sind. Die rechte, abfallende Seite deckt ein köstliches weißes Fliederbouquet, unter dem hervor ein hell grünes, an den Rändern rosa gestreiftes italienisches Seidentuch quillt, das in einer mächtigen Wolke über dem Hutrand hängt, um sich unterhalb in kleinen Maschen aufzulösen. Zu diesem originellen Modell eignet sich das irische gelbe Spitzenkleid wie kein anderes.
Nicht minder apart ist die zweite Kopfbedeckung aus schwarzem, schachbrettartig geflochtenem Strohband. Die Boleroform ist turbanartig mit lachsfarbenem Taffetband umwunden, durch dessen oberen Knoten zwei weißgrau schattierte Federn mit verwegener Kühnheit gezogen sind. Die chinierte graurosa Taffettoilette ist von schmalen, schwarzen Atlasstreifen unterbrochen; gleicher Stoff umsäumt in Rüsschen die faltigen Aufschläge. Das Jabot ist aus weißer Krepp de chine Seide.
Das ist auch ein alter, wieder herzlich willkommener Bekannter. Es giebt kaum etwas Weicheres und Schöneres im Ton als diesen Stoff mit seinem matten Glanz, der in neuem Schmuck antritt, bereit, seine Siegeslaufbahn anzutreten. Auf seinen weißen Flächen breiten sich lebensgroße einzelne Blüten, Dolden oder auch drei bis vier zusammengefaßte Blumen aus. Die Farben sind der Natur täuschend abgelauscht, und eine Künstlerhand scheint die Blumenfülle in berückender Grazie hingeworfen zu haben. Abschattierter Mohn, Rosen, Tausendschönchen, Feldblumen – man weiß nicht, welchem Muster man die Palme reichen soll. Diese Stoffe im Verein mit Sammet bilden einfach bezaubernde Toiletten. Zierlichere Schwestern dieses kostbaren Materials sind die bemalten Gazestoffe, einzelne Marguerites ohne Stengel und Blätter, ganze Tuffs Veilchen, Vergißmeinnicht oder andere zarte Blumen auf dem fast immer weißen Grund.
Daß der Staubmantel in hübscher Form und eleganter Ausführung auch ein Schmuck sein kann und nicht nur ein cachemisere, wie ihn der boshafte Pariser geringschätzig ob seiner rühmlichen Eigenschaft nennt, nicht mehr ganz frische Toiletten kritischen Blicken zu entziehen, beweist Abb. 4.
Hier gilt er als Schutz für duftige Kostüme vor Staub und Regen und sieht eigenartig und schick aus in seiner Machart mit dem Stufenkragen. Weiße japanische Seide, die unverwüstlich und waschbar ist, wird vorteilhaft belebt durch drei am Kragen, je zwei am Aermel übergreifende Patten aus schwarzem Moiré, die mit flachen Goldknöpfen gehalten werden. Der oberste kleine Rand unter dem Stehkragen ist ganz aus abgestepptem Moiré gebildet. Im Verein mit dem großen schwarzen Strohhut, den große Federn und graziöse Taffetseidentuffs schmücken und der dem Mantel entsprechend auch nur in den Farben schwarzweiß gehalten ist, wirkt das Modell zweifellos sehr anziehend, zumal die weiten Pierrotärmel recht originell und kleidsam sind.
Eine kokette kleine Toque giebt Abb. 5 wieder. Der Hutkopf besteht ganz aus Blättern des Rosenlaubes, um das sich wie ein Nebelstreifen ein Gewinde aus hellgrauem Tüll zieht. Der einzige Schmuck ist ein Tuff voll erblühter Kapitän Cristi-Rosen. Die zierliche Kopfbedeckung wirkt durch ihre Kleinheit und verhältnismäßige Einfachheit äußerst vor nehm und wohlthuend auf die von allem Farbenreiz moderner Hüte übersättigten Augen.
Das Schneiderkleid findet auch in Paris immer mehr Anhängerinnen, wie Abb. 6 lehrt. Die Pariserin ist zu sehr Frau und Kennerin der Wirkung, um nicht genau zu wissen, daß für ihre meist sehr schmächtige Figur, ihre schnellen Bewegungen die weichen Garnierungswellen der Spitzen und Chiffons am vorteilhaftesten sind. Aber sie hilft sich, indem sie das englische Kostüm in seiner kleidsamsten Form, dem schmalen Rock und dem Bolero, wählt, dessen lose Vorderteile sich über einer wahren Flut von Gaze und Volants öffnen. Das alles krönt dann noch die fast zu jedem Straßenkostüm unvermeidliche Fuchsboa.
Bei der Ausschmückung des Huts ist in originellster Anordnung ein Büschel Fasanenfedern, von rückwärts nach vorn auslaufend, verwendet; er verliert sich in bräunlichen Sammtfalten, die im Ton übereinstimmen mit dem braun-gelb gewürfelten Komespunstoff des Kostüms.
Unsere letzte Abbildung Nr. 7 bringt einen Wagenmantel für den Abend oder für kühlere Tage. Daß die Mode auch hier unserem verfeinerten Geschmack Rechnung getragen hat, zeigt der überaus elegante Schnitt des Mantels in der halbanliegenden Form, die immer einfach und vornehm wirkt. In drei Volants ist das hellgelbe Tuch abgestuft und mit Säumchen gesteppt, eine Machart, die jedoch nur für große, schlanke Erscheinungen vorteilhaft ist, da sie durch die Unterbrechung einer langen, geraden Linie die Figur verkürzt. Ein kleiner Volant umgiebt auch den Aermel und bedeckt fast die ganze Hand. Sehr wirkungsvoll ist zum Ganzen der schwarze Chasseurhut gewählt, der mit schwarzem Taffetband und gelben Rosen reich geziert ist.
Man sieht, daß die Mode jedem Geschmack Rechnung trägt, daß sie allen Frauen gestattet, sich ihrer CLaune nach zu kleiden. Und das ist kein Wunder, denn die Mode ist ja ein weibliches Feenkind – wie sollte sie da nicht Verständnis haben für die Launen des schönen Geschlechts!
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit “E. v. R.”