Der große Tag von Auteuil ist vorüber, der Tag des Grand – Prix, der für Paris diesmal mehr als je den Höhepunkt der Saison bedeutete. Für das große Publikum ist er ein Gesellschaftsbild, wie es in seiner Reichhaltigkeit und Eleganz seinesgleichen auf der ganzen Welt nicht findet, für den Fremden eine willkommene Gelegenheit, vor und in den Logen und Tribünen alles zu erblicken, was die französische Hauptstadt an Berühmtheiten beiderlei Geschlechts aufzuweisen hat.
Die letzteren sind es nicht zum geringsten, die den Hauptanziehungspunkt für die kritischen Augen Einheimischer und Fremder bilden; ist doch der Tag des Grand – Prix mit seiner Fülle an eleganten Gestalten und dem außerordentlichen Reichtum raffiniert kombinierter Toiletten eine Art Paroleausgabe für die Mode des Sommers. Was da mit vollendetem Geschmack, in anscheinend anspruchsloser Einfachheit durch die malerische Abtönung der Farben und die an Extravaganz streifende Kühnheit geboten wurde, wird, nach dem persönlichen Empfinden der Einzelnen und ihres Schneiders modifiziert, in diesem Sommer in deutschen, englischen und böhmischen Kurorten getragen werden.
Vor allem bedeutet der dies jährige Sommer eine Apotheose der Spitzen in so origineller Anordnung und in so kleidsamen Kombinationen, daß man wünschen möchte, diesen luftigen Geweben würde in diesen und den kommenden Tagen eine längere Lebensdauer beschieden sein, als es nach den trüben Voraussagungen Falbs zu erwarten ist. Toiletten aus venetianischer und irländischer Guipüre, Lureuilroben, Entredeur aus Duchesse, Alenconspitzen und Points D Angleterre über Seide Batist und Musselin, schwarze Grenadineroben mit Pastellmalerei und von Gazerüschen in den Tönen der Farben garniert, veilchenbestickte Popelinekleider, Sezessionshüte und darüber Schirme, die in ihrer duftigen Pracht alles in den Schatten stellen – das war die Signatur des Tages von Auteuil.
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Die Phantasie, die man in reichstem Maß in der Zusammenstellung der Stoffe, der Farben und der Ausführung der modernen Toilette walten läßt, hat sich auch auf die Sonnenschirme übertragen, luftige Gebilde die mehr geschaffen sind, der Sonne freien Durchblick zu gewähren, als sie abzuhalten. Bemalte Musseline, mit Einsätzen durchquert, Krepp-de-Chine mit mehreren Arten von Spitze, hellen Cluny-, zarten schwarzen Chantilly- und Applikationspitzen verarbeitet, bilden ein in seiner Zusammenstellung bizarres und dennoch überaus reizvolles Ensemble. Mattmauvefarbener Taffet, den winzige, gleichfarbige, gezogene Seidenbändchen in Form von Blumenguirlanden bedecken, deren Blüten weißer Seidenmarabu bildet, ist ebenso wirkungsvoll wie der völlig aus Chantillyspitzen gebildete Schirm, auf den zartlila Flieder in einer Weise garniert wird, daß der geschlossene Schirm einem riesigen Blumenstrauß gleicht, dessen Stiele sich im Blättertuff, der am Griff des Schirms befestigt ist, verlieren. Dieser Schirm, den eine in Paris außerordentlich beliebte Großfürstin am Tage des Grand – Prix trug und dessen langer Stock aus Perlmutter, mit Achat und Opalcabochons besetzt, in einem Schlangenkopf endigte, kostete die Summe von 18 000 Franken! Bei dieser Gelegenheit sei der Kuriosität wegen erwähnt, daß die Königinwitwe Maria Pia von Portugal, die Schwester des Königs von Italien, den kostbarsten Schirm der Welt besitzt, da sich auf dessen Stock Juwelen im Wert von 100 000 Franken befinden!
Die Hüte sind duftiger und zarter als je. Tüll und Seidenmusselin werden nicht nur zu Garnituren verwendet, zu Blumen verarbeitet, die in zarten Pastellfarben originell und künstlerisch bemalt werden, ja selbst die Form der Hüte wird aus Tüll hergestellt, der aber in diesem Fall in Fältchen gelegt oder gezogen werden muß. Mit Vorliebe verschleiert man die Tuffs mattlila, mattrosa oder mit blauer Hortensie, Schneeballen und Mehn, und all dieser Reichtum von Tüll, Blumen, Blättern, Federn legt sich um den umfangreichen Hutrand und wird mit Ausnahme einiger Federposen weniger hoch als breit garniert. Die Blusen, die dank ihrer außerordentlichen Verwendbarkeit nicht so bald entthront werden dürften, fahren fort, eine dominierende Stellung einzunehmen, und werden besonders in Badeorten, wo sie die Illusion einer zweiten Toilette gewähren, sich weiterer Beliebtheit erfreuen. Sehr hübsch war ein solches Modell aus mattblauem Taffet, der völlig mit Einsätzen aus Valenciennes, die mit cremefarbenen Gazebändchen (Größe Nr. 5) verbunden wurden, bedeckt war. Diese Bändchen wirkten durch gemalte winzige Rosensträußchen besonders elegant, doch sind andere Zusammenstellungen wie Entredeur aus Lurxeuil oder Guipüre mit schwarzem Atlas oder Sammetbändern auf weißem, mattblauem oder gelblich-rosa Taffet nicht minder schön und weniger kostspielig.
Einen besonderen Triumph feiert das Genre „lingerie“: Blusen und Toiletten aus Batist mit Fichus aus Linon, die ein Plisseevolant umgiebt, und vor allem die Wiedererstehung der Louis XV. Casaquen und Aermel, aus denen ein bauschiger Unterärmel von Batist, Seidenmusselin oder Tüll fällt, der in Verbindung mit dem Jabot und den Spitzenapplikationen auf den umgelegten Kragen und den Aermelklappen von frischester Wirkung ist. Unsere Abbildung l veranschaulicht dieses Genre, in Verbindung mit einer originellen Modelaune, in folgender Kombination über einem weißen feinen Tuchrock, der in weichen Falten herabfließt, fällt eine oben in festen Falten befestigte Schleppe aus weicher Seide in bleu roi, einem Blau, das zwischen dem matten Blau des bleu pastell und dem scharfen bleu elecetric die Mitte hält. Aus dem herzförmigen Ausschnitt der durch einen Pierre-de-strass-Knopf geschlossenen Taille, die ein Gurt aus weißer Seide lose umwindet, fällt ein plissiertes Spitzenjabot, das unterhalb des Knopfes von einem leichten Tüllbausch, der über den Gürtel fällt, abgelöst wird. Den Kragen, den weiße Linonstickerei bedeckt, umrandet ein doppelter Plisseevolant aus Seidengaze in dem gleichen und einem helleren Farbenton des Ueberkleides. Der originelle weiße Hut, dessen einer Seitenrand aufgeschlagen ist und dessen Kante ein Streifen Sammet in der Farbe bleu roi umrandet, trägt als einzigen kleidsamen Aufputz eine gleichfarbige lange Straußfeder, die den Hutkopf völlig umgiebt. Diese für Kurorte bestimmte Straßentoilette wirkt, besonders für große Gestalten, außerordentlich elegant und kleidsam. Das praktischere Genre veranschaulicht die Brunnentoilette (Abb. 2), die, aus écrufarbenem Seidentüll hergestellt, Ton auf Ton ein leichtes Karomuster aufweist, eine Fülle von Stoff in dem „Ausstellungsrock“ birgt, der bis zu den Knien in feste Steppnähte gelegt, von da ab lose fällt, während auf dem rückwärtigen Teil des Rocks eine breite Quetschfalte die Figur lang erscheinen läßt.
Eigenartig ist das doppelte Kragenarrangement, unter dem ein breites Stoffbiais, das auf der einen Seite unter dem Kragen befestigt wird, der Taille Schlankheit verleiht. Den Westeneinsatz aus maisgelber Seide deckt gelbliche Clunyspitze. Vollaufgeblühte Marschall-Niel-Rosen mit ihrem Laub bilden den hochgarnierten Schmuck des runden Hutes aus mattgelbem Stroh. Zu den für eine Badereise notwendigen Toiletten gesellt sich der Mantel, der im Gegensatz zu den diskreten Farbentönen, die man zum Gebrauch in der Stadt wählt, in Farbe und Ausführung am Strand und im Kurort etwas auffallender gewählt werden kann.
Der halblange Paletot aus helltabakfarbenem, seiden-glänzendem Tuch, dessen untere Nähte sich in Kniehöhe öffnen, um den weitausfallenden Röcken freien Spielraum zu gewähren, ist an seinem unteren Vorderrand, den Ober· und Unterärmeln und boleroförmig an seinen Vorderteilen mit Steppereien aus elfenbeinfarbener Seide bedeckt. Aufschlag und Kragen ziert helltabakfarbener, goldigschimmernder Spiegelsammet, auf dem in weißer Seide, von zarten Goldfäden durchzogen, sich je ein Edelweiß von der linken Kragen- und Klappenseite abhebt.
Originell wirkt der Hut, dessen Stroh völlig unter einer reichen Rosette von Sammetband in mehreren abschattierten Tönen von Helltabakfarbe verschwindet, während ein Arrangement dunklerer Straußfedern dem Gesicht eine vorteilhafte Folie verleiht.
Den Anforderungen der Eleganz tragen unsere Abbildungen 4 und 5, Diner- und Abendtoilette, vollauf Rechnung. Die erstere, eine schwarze Tüllrobe, die fichuartig über einem mit Tüllplissees und Tüllrüschen reichbesetzten Unterkleid aus schwarzem Taffet ruht, weist weißseidene Aplikationen auf, die sich in Blumenform aus einem Gewirr von Ranken aus schwarzen und Perlmutterpailletten abheben und deren Motiv sich an der linken Seite der Taille wiederholt. Auf den in lose Falten arrangierten Aermeln und dem Brust- und Rückeneinsatz folgen Perlmutterpailletten, von winzigen weißen Tüllrüschchen umgeben.
Außerordentlich reich präsentiert sich die Abendtoilette, Abbildung 5, durch deren schleierdünnes schwarzes Tüllgewebe der weiße Stoff des seidenen Unterkleides schimmert. Entsprechend der neusten Modelaune, die die Verwendung von Goldgurten, Goldspitzen und Goldborden selbst auf Foulard, auf Stroh und Spitze gestattet, bedecken diesen Tüll riesige Chrysanthemen aus gesticktem Gold, die durch breite, mit mattgoldenen Schuppen besetzte schwarze Sammetstreifen getrennt werden. Das gleiche Arrangement wiederholt sich an dem unteren Teil der, wie die ganze Taille, mit schwarzem Taffet gefütterten Aermel, während der auf Brust und Rücken in halber Höhe ungefütterte Tüll die Haut durchschimmern läßt.
Dies alles ist der Schick. Der Rest – ist Check.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit “Pompon.”