In der Werkstatt der Mode

“Wer macht eigentlich die Mode ?” Eine oft gehörte Frage, die immer mit dem gleichen Achselzucken beantwortet wird, beantwortet werden muß, denn niemand weiß zu sagen, aus wessen Haupt sie entspringt.

Die Leute vom Bau, die Auskunft geben könnten, hüllen sich in Schweigen. Wollen sie sich nicht selbst das Lorbeerreis aus den Locken zerren, so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als nachsichtig zu der unbequemen Neugier zu lächeln und mit einem Aufatmen der Dankbarkeit die weise Einrichtung der Vorsehung zu preisen, nach der Forschergedanken sich niemals dauernd in den kokett frisierten und launenvollen Köpfchen holder Törinnen einnisten.

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Denn wehe! Wehe! wenn die zu der Erkenntnis kämen, daß der vor ihnen stehende Ratgeber dessen Eingebungen sie mit aufmerksamer Miene lauschen, nicht zugleich der Entdecker von Neuland sei, daß die Mode überhaupt gar nicht erfunden werden kann, weil der Begriff “Mode” zugleich etwas Einheitliches und etwas Zersplittertes ist, daß jede Mode dem Geschmack des einzelnen zwar Rechnung trägt, doch aber die gesammte Kulturwelt unter eine Riesenschablone bannt. Wäre den nicht so, dann müßte es ein Modezentrum gehen – das sich nirgends findet, selbst in Paris nicht – nach dessen Angaben alle Menschen, das heißt hier: alle Frauen in das gleiche Kostüm gesteckt würden.

Der Schneiderkünstler mit den Modelldamen

Zierliche Rokokofigürchen müßten unter dem schweren Schmuck zusammenknicken, den Brunhildegestalten um ihre kräftigen Schultern drapieren, und die blasse Farbe der rose mourante wäre auch für eichhörnchenblonde Schönheiten obligatorisch. In der Tat aber gleichen sich nicht zwei Kleider, nicht zwei Erscheinungen. Sie ähneln einander, sind nach dem gleichen Schnitt angezogen und doch im Grunde auch äußerlich zwei ganz verschiedene Dinge. Ein einzelner kann also gar nicht der Schöpfer all der Neuheiten und Aenderungen und Umwälzungen sein, die tagtäglich mit Fanfarengeschmetter ans Licht gezogen werden, um schon nach kurzer Daseinsfreude ein ruhmloses Begräbnis zu finden. Jeder der Komponisten muß zusehen, wo er seine Melodien herbekommt oder wenigstens die Anregungen dazu. Hundert unbedeutende Einfälle und halbbrauchbare Ideen, die den flinken Fingern bleicher, schlechtangezogener Nähtermädchen entstammen, ballen sich in dem unablässig arbeitenden Hirn eines Sachverständigen wohl zu einem großen Gedanken zusammen, und umgekehrt ist es vielleicht irgendeiner kleinen Outsiderin beschieden, in das starre Gebild des Künstlers den zündenden Funken zu senken und damit nicht nur das “beseelte” Werk, sondern auch sich selbst zur Beachtung zu bringen und so Karriere zu machen.

Eine Damenschneiderin in ihrem Bureau

Wer sich je über ein total verpaßtes Kleid geärgert, wird ohne weiteres zugeben, daß das Schneidern mehr ist als bloßes Zuschneiden und Zusammennähen, und daß der Leiter eines Kostümateliers mehr zu tun hat, als nur Geld einzukassieren.

Bei der Wahl des Stoffes

Je luftiger und eigenartiger die Ballkleidchen und die robes de soirée sind, die in letzter Minute bei den ängstlich Harrenden anlangten, desto mehr Nachdenken ist daran gewendet, desto gewissenhafter war das Für und Wider zu beachten. Die Anordnung und Herstellung war kein Vergnügen, sondern eine aufreibende Arbeit, die sich Herr Soundso nicht so mühelos aus dem Aermel schüttelt, wie der Laie vielleicht annimmt. Nicht jeder, der Geschmack und Sinn für Toilette besitzt, wird mit künstlerischen Kostümstudien aufwarten können. Es gehört ein weiter Blick dazu, um scheinbar nichtiger Kleinigkeiten willen zwischen Politik, Zeitgeist, Tagesereignissen, speziellen Wünschen, allgemeinen Ansprüchen, privater Rücksichtnahme und offizieller “Kundgebung” geschickt hin und her zu steuern.

Der erste Entwurf

Es ist heute beinah eine ernste Sache um die Mode, und ihre Königinnen fordern einen weitverzweigten Hofstaat, der jedes Winkes gewärtig ist, der jedem Befehl unter großem Zeremoniell nachkommt, und dessen Unterhaltung recht viel Geld kostet. Im vorigen Jahrhundert kannte man nur den Salon der Künstler und den Salon geistvoller Frauen – die Neuzeit hat den Schneidersalon geschaffen, einen modernen Sammelplatz der “guten Gesellschaft”, wo zwar nicht schöngeistige Gespräche gepflogen werden, aber so manche kleine Wahrheit und Dichtung angenehme Unterhaltung bietet.

Ein neues Motiv

Während des Plauderns von der anzutretenden Reise nach der Riviera und dem gestern stattgehabten großen Empfang bei Exzellenz von X. verwendet man doch keinen Blick von den vorbeischwebenden Toiletten und überlegt bei aller Aufmerksamkeit für die Erzählung der Nachbarin doch, ob diese oder jene Farbe wohl gut zu Gesicht steht, beobachtet die Beleuchtungseffekte, konstatiert, ob Perlmutter oder Metallpailletten besser funkeln, und findet, daß der Inhaber dieses Ateliers doch viel mehr künstlerischen Takt habe als jener andere, der zu anmaßend und selbstherrlich seine Ansichten ausspricht. Deshalb setzen alle Geister dieses paradis de dames ihre freundlichsten Mienen auf und ihr bestes Können ein, wenn das große Tagewerk beginnen soll. Zur Stunde, da die grandes dames zu erscheinen pflegen, harrt der Meister mit seinen Modellen im stimmungsvollen Milieu der Dinge, die da kommen sollen. Durch die weiten Räume mit den hohen Spiegeln, den wertvollen Bildern und altertümlichen Bibelots weht ein Schauer der Erwartung; im einfacheren Boudoir, hinter der Szene, überblickt die Führerin der weiblichen Hilfstruppen noch einmal ihre Pläne … dies für Frau N. und jenes für die Gräfin v. Z. . .. natürlich mit kleinen persönlichen Noten, denn in jeder Dame muß die Empfindung wachgerufen werden; just ihr Geschmack, ihre Wahl, ihre Person; Modelldamen knixen immer tiefer. Immer mehr Stoffe werden herbeigeschleppt, bis endlich das Richtige gefunden ist und die Dame des Hauses sich andern Besucherinnen in einem andern Salon zuwenden darf, die wie Richterinnen mit gewichtigen Mienen das Urteil über ein Visitenkleid oder eine Festrobe sprechen. Sie hilft mit sanfter Überredungskunst über alle Bedenken hinweg und ist in Gedanken schon mit zehn andern Entwürfen für zehn andere Toiletten beschäftigt.

Bei der Anprobe

Ist die große Cour vorüber, dann heißt es ans Werk gehen und all die Zukunftsträume in die Tat um setzen. Aus der Armee der Zuschneiderinnen, Taillennäherinnen, Garniererinnen und wie die Gehilfinnen alle heißen mögen, übernehmen die Geschicktesten den Angriff. Wie der Bildner aus rohem Block die edlen Gestalten seiner Phantasie herausmeißelt, so Zug um Zug auch die “Modelleurin” ihre Gewandstudien, der Künstler seine Dekors – bis wiederum der Meister mit dem nie irrenden Verständnis des Weltmannes und Kenners das letzte Wort in dieser Staatsaktion gesprochen hat.

Besichtigung der neusten Toiletten

Aufs neue kündet der Glocke Schlag die Ankunft der Gebieterinnen, und ehe die geheinmisvollen Pforten der Anprobekabinen sich öffnen, stolzieren die lebenden Marionetten noch einmal, wie von der Hand des Puppenspielers gelenkt, vor den prüfenden Augen der künftigen Besitzerinnen all dieser Eitelkeiten auf und ab. Ist endlich alles zur Zufriedenheit der Bestellerinnen ausgefallen, dann gleiten sie die teppichbelegten Marmorstufen des Wunderschlosses hinab – mit erleichterten Herzen und der Ahnung einer inhaltsschweren Rechnung.

Ende gut, alles gut

Ob sie sich wohl überlegen, was sie alles mit der eben gewählten Toilette mitbezahlen – die künstlerisch ausgestatteten Salons, das verschwenderisch flutende Licht, die schlanken Figurantinnen, die Blumendekorationen, die Wandgemälde, den Grund und Boden in einer der teuersten Straßen und die unsichtbaren Heinzelweibchen, die trotz aller Sticheleien so herzhaft kichern können und Sonntags so gern lustig sind . . . Die Welt verlangt aber heute nun einmal nach Glanz und Luxus. Die geschickteste Schneiderkünstlerin könnte Hungers sterben, wenn sie wie in früherer Seit in irgendeinem Hinterstübchen arbeiten, ihre Kundinnen Empfangen und Anprobe halten wollte. Wenn auch gewiß noch manches Kleid von den sprichwörtlich gewordenen “kleinen Näherinnen” beim Schein einer trübbrennenden Petroleumlampe in stiller Nacht gefertigt wird – man spricht nicht gern davon. Man fühlt sich bedrückt von der Armseligkeit der Umgebung, von der Erinnerung an die zerstochenen, zitternden Finger – alles, weil der Geldbeutel nicht genug hergab, daß man in Palästen wandeln konnte, da alles Ueberfluß und Verschwendung scheint – scheint und auch ist. Aengstliches Messen und Berechnen ist nicht Sache der Ateliers, wie es nicht Sache des Künstlers ist, an Farben zu sparen, die er auf die Leinwand setzt und Bilder damit hervorzaubert, die seinen Namen in alle Himmelsrichtungen tragen, ihm Ehre und Ruhm einbringen. Und nach Ehre und Ruhm strebt der Geschäftsmann gleichermaßen, denn von der Gegenwart muß er sein gut Teil herausarbeiten, die Zukunft gehört vielleicht schon einem andern.

Die Mode schafft sich in plötzlicher Laune täglich neue Günstlinge und vernichtet mit der brennenden Sonne ihrer Ungnade alte Diplomaten, die mit fein ausgeklügelten Ränken und Kniffen ihr zu Macht und Herrlichkeit verholfen haben. Die alten Kämpen werden vergessen, kaum der Name bleibt; und der nächste schmeichelt ihr noch mehr, legt ihr noch kostbarere Geschenke zu Füßen, umgibt sie mit noch schöneren Damen . . . und das Spiel beginnt von neuem.

Dieser Artikel von C. Dockhorn erschien zuerst 1905 in Die Woche.