Zwei vergessene, dem Untergange verfallene Bauten der Barockzeit in München

Das Leopoldi-Schlössl in München

Von Hugo Steffen, Architekt in München.
In einer Stadt, welche so ausserordentlich arm an profanen Kunst- und Baudenkmälern ist und in der man im vorigen und in diesem Jahrhundert arg an mittelalterlichen und Renaissancebauten aufgeräumt hat, müssten die kunstsinnige Bevölkerung, Staat und Stadtgemeinde alles aufbieten, um die letzten Reste einiger interessanter Bauten zu erhalten, die, wenn auch nicht von hervorragender künstlerischer Bedeutung, so doch durch ihre einfache, originelle Anlage werth gewesen wären, der Nachwelt erhalten zu bleiben. Eine solche Anlage ist das in nebenstehender Abbildung wiedergegebene „Leopoldischlössl“, wie es im Volksmunde heisst.

Zwar haben sich in München eine Anzahl Fassaden aus der Zeit Cuvilliés erhalten, aber an malerischen Gebäuden sind ausser den Schlössern und Kirchen fast nur noch die beiden hier beschriebenen Gebäude, welche ob ihrer eigenartig lieblichen Bauart ein gewisses Interesse erwecken, erhalten geblieben. An das Leopoldischlösschen hat man nun kürzlich die Axt gelegt, ohne dass von maassgebender Seite etwas zur Erhaltung gethan worden wäre. Und doch giebt es noch einzelne Städte, deren Bewohner und Magistrat alles daransetzen, um der Väter Werke vor dem Untergange zu retten. Eine solche Stadt ist Lübeck, wo der Verfasser dieser Mittheilungen erst kürzlich verweilte. Daselbst hatte ein Apotheker die Absicht, seinen Laden zu vergrössern und wollte zu diesem Zwecke sein schönes altes, mit originellem Giebel bekröntes Haus abbrechen lassen. Wie ein Mann stand aber da die Bevölkerung auf und in der Lübecker Zeitung erschien ein Aufruf namhafter Personen, welcher den Zweck hatte, durch Geldbeiträge das Haus vor dem Untergange zu retten. Diese Bemühungen der Kunstfreunde sollen auch von Erfolg gewesen sein.

„Magnam, puto, laudem sibimet
civitatem parare
Aestimando patres ac instituta
patrum.“

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Da nun ohne Gnade über das Leopoli-Schlösschen das Todesurtheil verhängt ist, halte ich es für angemessen, diesem idyllischen Gebäude einen Nachruf zu widmen. Umschlossen von nüchternen Miethskasernen der letzten Jahrzehnte, liegt dieses reizende Schlösschen etwas erhöht, inmitten der Hofräume des Häuservierecks zwischen Müller- und Blumenstrasse, wie ein Märchen aus alter Zeit da. Von der Müllerstrasse aus erblickt man durch eine Häuserspalte die Rückseite des Schlösschens, umgeben von alten Bäumen, aus denen das Giebelfeld mit seinem schwarz gewordenen Schindeldach und reizvollen Aufbau hervorlugt. Angelockt durch diese fremdartige Erscheinung, gehen wir herum nach der Blumenstrasse, durch den nüchternen Hausgang des Hauses No. 4 hindurch und betrachten dort das reizende Schlösschen von der anderen Seite. Wie seltsam aber berühren uns hier die Kontraste! Inmitten der mehr als nüchternen Hoffassaden des Häuserblockes erhob sich, bis jetzt allem Trotz bietend, das malerische Schlösschen, von wildem Gesträuch umgeben, auf kleinen Hügel und eine anmuthige kleine Treppe führte zum Eingange empor. Die Ausbildung dieses Fassadentheiles ist aber eine ganz andere, als die in der Müllerstrasse, und so bedingt durch den gegebenen Grundriss. Im ersten Augenblicke scheint es, als wenn die beiden Seitenflügel später angebaut wären; dies ist aber, wie aus dem Grundriss hervorgeht, nicht der Fall. Der Meister dieses Schlösschens hat nur den Mitteltheil und das Hauptgesims des runden und einst durch zwei Stockwerke gehenden Saales nebst Gang stark hervortreten lassen wollen. Pilaster mit ionischen Kapitellen tragen einen kräftig gegliederten Giebel, welcher ein kleines Fenster zur Erhellung des oberen Ganges enthält. Die beiden Seitenflächen zwischen den Pilastern zeigen bei genauer Untersuchung noch Spuren von Malereien.

Treten wir nun in das Innere ein, so sehen wir, dass der einstige grosse, runde Saal in zwei Geschosse getheilt ist. Ein in der Meillingersammlung zu München befindliches Miniaturbildchen zeigt uns die Fassade des Schlösschens nach der Müllerstrasse zu und wir sehen daran die hohen Fenster des durch zwei Stockwerke gehenden Saales. Im rechten Seitenflügel war noch bis vor kurzem ein reizendes kleines Zimmer mit Holzdecke und hölzernen toskanischen Säulen erhalten, welches aber beim kürzlichen Abbruche dieses Flügels leider vernichtet wurde. Der Keller enthält noch ein interessantes Gewölbe.

Grundriss vom Erdgeschoss des Leopoldi-Schlössl`s in München
Grundriss vom Erdgeschoss des Leopoldi-Schlössl`s in München

Der Grundriss zeigt zwei Seitenflügel nebst Mittelbau, der einen runden Saal enthält, um den sich ein Korridor zieht, welcher nach aussen rund gestaltet und mit Pilastern versehen ist, während die der Müllerstrasse zugekehrten Fronten des Saales äusserlich fünfseitig ausgebildet sind.

Nach genauen Aufmessungen konnte ich auch feststellen, dass die verlängerten Fluchten der äusseren Hauptmauern der Seitenflügel sich genau im Zentrum des Saales kreuzen.

Eine Wiederherstellung dieses Schlösschens wäre lohnend gewesen, da die Mauern stark sind und das Haus durch Eindeckung eines neuen Ziegeldaches wieder brauchbar geworden wäre. Interessant ausgestattet, eignete es sich vor allem als Wirthshaus sehr gut, da ein kleines Gärtchen mit schönen alten Bäumen dabei liegt. Freilich müsste das Schlösschen dann nach einer Seite der Strasse freiliegen, was jetzt gerade sehr leicht möglich gewesen wäre, da man nach der rechten Seite des Gebäudes eine neue Strasse durchgebrochen hat. Aber der an und für sich sehr reiche Besitzer dieser Grundstücke zieht es vor, rentable Miethskasernen daselbst aufführen zu lassen, welchen Zwecken schon der eine Seitenflügel des anmuthigen Schlösschens zum Opfer gefallen ist.

Das Leopoldi-Schlössl in München
Das Leopoldi-Schlössl in München

Wann und von wem das Häuschen errichtet wurde und welche Bestimmung es hatte, konnte ich bis jetzt nicht genau feststellen, doch scheint dasselbe, wie aus den Bauformen ersichtlich, um die Mitte oder Ende des 17. Jahrhunderts erbaut worden zu sein. Da das Gebäude damals noch ausserhalb der Stadtmauern lag, ist es leicht möglich, dass es dem Hofe zu Jagdzwecken gedient hat. In späteren Grundbüchern wurde das Schlösschen mit folgendem Titel eingetragen: „Ihre kurfürstliche Hoheit Max Joseph adelige Cadettenbehausung“ (bis 1763). Von da ab giebt uns das Grundbuch weiter Aufschluss, „Kurfürst Maximilian III. von Bayern verkaufte den Hof an den Kabinettslakaien Sebastian Franz und es wurde das Haus an den genannten Franz am 9. März 1763 eingeahnt“ (zugeschrieben). Dann ging das Schlösschen 1784 in den Besitz des Bierwirthes Jacob Klein und 1797 an die Bierwirthin Maria Maier über; 1808 kam es in Besitz des Zacharias Leopold, nach welchem das Haus im Volksmunde seinen jetzigen Namen „Leopoldischlössl“ erhalten hat. Noch sei erwähnt, dass i. J. 1766 der bekannte bayerische Hofdichter Ettenhuber daselbst gewohnt hat.
(Die oben erwähnten Aufzeichnungen aus den Grundbüchern der Stadt München stellte mir in der liebenswürdigsten Weise Hr. Archirath v. Destouches zur Verfügung.)

Das andere umstehend abgebildete reizende Häuschen stammt aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts und ist von Cosmas Asam, einem der beiden als Maler, Architekt und Bildhauer berühmten Brüder Asam, in dem idyllischen Dörfchen Maria-Einsiedel, dicht bei München, als eigenes Wohnhaus erbaut worden. Diese Künstler sind bekanntlich auch die Schöpfer der prächtigen Johanneskirche nebst reichverziertem Priesterhaus in der Sendlingerstrasse zu München. Das lauschige frühere Künstlerheim dient jetzt als Wirthshaus, ist aber leider durch verschiedene hässliche Anbauten verunstaltet worden. Die kostbaren, farbenprächtigen Fassadenmalereien auf allen vier Seiten des Gebäudes sind theils mythologischen, theils christlichen Charakters, schwinden aber immer mehr durch die Unbilden der Witterung oder die Hand unverständiger Menschen dahin. Es ist ein Jammer, solche Kunstwerke ohne jede Hilfe zugrunde gehen zu sehen! Die auf beiden Seiten gleichen Fassaden sind der Malereien wegen sehr einfach, aber geschmackvoll gehalten. Das Atelier besteht aus einem hohen Saale mit Rundbogenfenstern und darüber liegendem Ochsenauge. Reizende Gitter schmücken die Balkons zu beiden Seiten des Hauses und an dem inneren Treppengeländer sind oben noch schöne marmorne Docken erhalten.

Das Asam-Haus in Maria-Einsiedel bei München
Das Asam-Haus in Maria-Einsiedel bei München

Wie das Leopoldischlösschen, so sollte auch dieses anmuthige Haus, welches von uralten Bäumen umgeben ist, wiederhergestellt werden. Jetzt wäre es noch möglich, aber nur noch kurze Zeit, denn sonst schwinden auch die letzten Reste der Fresken dahin, gerade so wie die wunderbaren Fassadenmalereien des Münchener Residenzschlosses, die einst eine Sehenswürdigkeit Deutschlands waren, jetzt aber nur noch Spuren der ehemaligen Pracht aufweisen.

München, im Juli 1900.

Dieser Artikel erschien zuerst am 25.07.1900 in der Deutsche Bauzeitung.