Wintermoden 1903/04

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Oktober und November gelten im allgemeinen für die stillsten Monate im Pariser Jahreskreislauf. Niemand, der heute hier die Boulevards entlang promeniert, in Restaurants speist, „Five o’clocks“ und Theater frequentiert, Einkäufe macht oder sich sonst an der aktuellen Existenz hier beteiligt, würde das glauben, denn selten hat man, selbst zu andern Jahreszeiten, die naturgemäß lebhaft und bewegungsreich sind, den Pariser Asphalt so bevölkert gesehen, wie gerade jetzt von den letzten trüben Oktobertagen an bis in die nicht viel sonnigeren Novembertage hinein.

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Es hat das die verschiedensten Gründe. Der Besuch des Königspaars von Italien, der ein verfrühtes Zurückkehren eines Teils der Gesellschaft, der sonst den Herbst auf dem Land zuzubringen pflegt, verursachte, wirkt hier gesellschaftlich noch nach; die herbstliche Mittelmeersaison, die durch den hinter uns liegenden schlechten Sommer dazu berufen ist, eine entschädigende bedeutende Rolle zu spielen, setzt diesmal früher als gewöhnlich ein und schafft für Paris ein bedeutendes Kontingent von Besuchern, die auf der Reise nach dem Süden durch seine Hotels, Vergnügungsetablissements und Läden hin durcheilen und ungemein belebend und füllend wirken. Rechnet man dazu noch, daß wir gerade die hier noch immer sehr populären Feste „Allerheiligen“ und „Allerseelen“ feiern, und daß wir außerdem jetzt nicht nur einen Herbst-Grand-Prix, sondern seit dem 30. Oktober auch einen Herbstsalon, also etwas noch nicht Dagewesenes, auf das hiesige Vergnügungsprogramm zu setzen haben, so begreift man, daß die aktuelle Herbstsaison sich von ihren Vorgängerinnen, was Lebendigkeit der mondainen Bewegung betrifft, vorteilhaft unterscheidet. Die Rückwirkung dieser Lebendigkeit auf die Modeangelegenheiten ist natürlich; sie ist einschneidend und wirkungsvoll; es ist heute möglich, was in früheren normalen Oktober- und Novembertagen zu den Seltenheiten, ja zu den Unmöglichkeiten gehörte, sich ein ziemlich klares, bleibendes Bild von dem zu machen, was man in den kommenden kalten Tagen tragen wird, ja was man jetzt als Neustes und Frappantestes für die Signatur dieser kommenden Tage schon trägt. Sehr eilig hat man es da gleich wieder mit dem Anlegen des Pelzes in den verschiedensten Formen und Verwendungen. Anläßlich der am 30. Oktober stattgehabten „Vernissage“ des erwähnten Herbstsalons, der in den Kellergewölben des „Petit Palais“ bei fortwährender elektrischer Beleuchtung im allgemeinen nicht sehr liebenswürdige Kritiken herausfordert, spielten ganz und gar winterliche Pelzhüllen schon eine bedeutende Rolle. Abbildung 4 unserer Bilder reproduziert eine Toilette des Chiffonkünstlers Laferriete an der wir sehen, daß die Herrschaft des grauen Eichhörnchens noch andauert und wie im Vorjahr halblange Vétements, so genannte „Trois-Quarts“, aus weichen Fell gefertigt werden. Ganz anders aber wie im Vorjahr sind die Aermel solcher Vétements; die damals dominierende Glockenform hat sich mindestens überlebt, der Aermel bildet, sich von oben ab allmählich erweiternd, über das Poignet (Handbündchen) herabhängend, eine Art Sack, und dieser wird dann in dem, genannten Poignet, das in diesem Jahr immer genügend weit sein muß, um die Hand leicht hindurchschlüpfen zu lassen, in losen Falten zusammengefaßt. Das kostbare Hermelinfutter des Mantel ist an Kragen-, Aerme- und Vorderrevers sichtbar; Kleid aus schwarzem Atlastuch mit Fransen- und Passementeriegarnierung, über der rote Seidenmakkarons in erhabener Stickerei sichtbar werden. Hut aus drapiertem Beigesammet, mit schwarzem Sammet und Aigrette geschmückt.

1. Strassenkleid aus schottischem grün-rotem Wollgewebe
1. Strassenkleid aus schottischem grün-rotem Wollgewebe
2. five o'clock-Toilette aus mattgrünem Tuch, mit Maulwurfpelz garniert (von Laferriete)
2. five o’clock-Toilette aus mattgrünem Tuch, mit Maulwurfpelz garniert (von Laferriete)

Ebenfalls von Caferriére ist die Toilelle der Abbildung 2. Sie zeigt um den unteren Rand des schleppenden, aus violettem Pannesammet und aus mattgrauem Tuch hergestellten Kostüms einen breiten Streifen des allbeliebten Hamsterfells; der Hamster scheint dem Eichhörnchen ernsthaft Konkurrenz machen zu wollen und drängt sich auf Kleidern, Mänteln, ja auf Hüten gewaltig in den Vordergrund. An unserer grauen Tuchtoilette hält er sich bescheiden am unteren Rand, erzielt aber eine überraschende Wirkung diskreter Eleganz auf dem violetten reichen Sammet und unter den rund aus geschnittenen Tuchbogen, die mit in Goldfäden gesteppten Medaillons geziert sind. Das blusige Tuchmieder, mit den gleichen Medaillons und einem Gipürekragen geschmückt, hat enge Aermel, aus denen violette Sammetpuffen, in Poignets zusammengefaßt, hervorkommen. Sammetgürtel mit Gipurüberlage. Der große, schwarze Hut mit Fedengarnierung stellt eine der beliebtesten und anmutigsten Formen der diesjährigen Wintercoiffure dar; die geschweifte, breitrandige Fasson übertrifft an Keidsamkeit die schon etwa der Gewöhnlichkeit verfallenden Toques, und man kann ihr höchstens den flachen, breitrandigen, ebenfalls federngeschmückten Filzhut an die Seite stellen, der uns auf Abbildung 5 unserer Bilder erscheint. Der helllila Mantel dieses in klarsten Nuancen gehaltenen Toilettenwunders war ein „Clou“ der „Vernissage“ im Petit· Palais. Die reiche Spitzengarnierung, die Passementerie und vor allen Dingen der graziöse, ungezwungene Faltenwurf des gerade in seiner Einfachheit elegant wirkenden Vétements bestimmen ihn dazu, ein Vorbild für die Gesellschaftsabendhüllen zu werden, die durch die herrschende Modegewohnheit, in Restaurants und Hotels zu dinieren, bezw. zu soupieren, seit dem Ausstellungsjahr einen neuen hochnotwendigen Artikel in dem Saisontrousseau einer „Eleganten“ darstellen. Die Robe aus weißem Voile, in Plisseefalten über weißer Seide gearbeitet, schmiegt sich harmonisch unter den ebenfalls mit weißer Seide gefütterten Mantel, dessen volantierte Aermel die weißen, plissierten Musselinengageantes (Ueberfallmanschetten) sehen lassen, ohne die heute eigentlich keine Toilette vollständig ist.

An Kleidern, an Mänteln und Jacken werden alle Aermelformen, so verschiedenartig sie auch sonst sein mögen, darauf eingerichtet, an ihrem Handabschluß einen geeigneten Platz für diese kleidsamen, weißen Plissees zu gewähren; meist harmonieren mit diesen weiten Plisseevolants mit Rabatten oder Jabots versehene Kragen, und das duftige Weiß am Hals und an den dadurch vorteilhaft beschatteten Händen ist eine der hübschesten Noten der heutigen Wintermode.

3. Hellila Tuchmantel mit frischen Gipürespitzen
3. Hellila Tuchmantel mit frischen Gipürespitzen
4. Paletot aus feh mit Hermelinfutter und -aufschlägen. Schwarze Tuchtoilette mit Passermenterien (von Laferriete)
4. Paletot aus feh mit Hermelinfutter und -aufschlägen. Schwarze Tuchtoilette mit Passermenterien (von Laferriete)

Daneben sieht man viel metallische Litzen- und Schnurgarnierungen, die charakteristisch an Kleidern und Mänteln, aber auch, mit herabhängenden Quasten komplettiert, an den Hüten auftreten. Das Kleid Abbildung 1 fällt in drei Volants herab, für schwere Winterstoffe ist dies ein beliebtes Rockarrangement.

Die Sackärmel enden in den besprochenen, unvermeidlichen, halbweiten Poignets, und das blusige Mieder sitzt nett und knapp unter der kleidsamen Kragengarnierung. Der Stoff des Kostüms ist starkes, schottisches Wollengewebe mit rauher Rückseite. Ueber diesem Shetlandgespinst solidester Art liegen flockige, weiße Netzlinien in Karos ausgebreitet. Die Farben des Kleides, Myrtengrün und tiefer Purpur, wirken unter dem Schneeflockennetz, das eine Originalität der Saison darstellt und in allen Farbenzusammenstellungen in dem gleichen dicken Winterstoff immer mit dem Flockenarrangement getragen wird, besonders warm und äußerst saisongemäß.

Der Hut ist ein ziemlich umfangreicher flacher Deckel, aus aneinandergereihten dunkelgrünen und purpurroten Seiden- und Sammetbandflechten hergestellt; als Garnierung für den Hut dienen Band schleifen und zwei große, eine weiße und eine schwarze Straußenfeder.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 47/1903, er war gekennzeichnet mit „Clementine“.