In der Neuyorker Welt, in der man sich nicht langweilt, erfreut sich kein Haus größerer Beliebtheit als Nr. 231 Broadway. Dort haust „The Only William“, ein biederer deutscher „Barkeeper“, das Orakel der Neuyorker Berichterstalter und der Erfinder unzähliger Sorten von Cocktails. William ist ein Genie auf dem Gebiet der so beliebten amerikanischen „short drinks“, seine Spezialität aber ist der Cocktail, und seine Freunde und Verehrer rühmen ihm nach, daß er so viele Cocktailrezepte besitze wie Tage im Jahr. Mag das auch übertrieben sein, eins ist gewiß, daß William es in der Kunst, dieses so wohlschmeckende, aber heimtückische amerikanische Getränk zu brauen, zur Virtuosität gebracht hat.
Es ist tatsächlich eine Kunst, all die unzähligen Sorten dieser amerikanischen Getränke zu mischen, und der „Bartender“, der diese Kunst meistert, kann auf ein hohes Gehalt rechnen. Verständnis und Liebe zur Sache gehören unbedingt dazu und eine glückliche Hand in der Abmessung der einzelnen Bestandteile. Es sind ganze Bücher darüber geschrieben worden, und eins der besten rührt von „William“ her, der aus dem Schatz seiner reichen Erfahrungen zum Besten seiner Kollegen und der Freunde eines guten Tropfens, die sich ihren „Augenöffner“ oder ihre „Nachtmütze“ selbst zu brauen pflegen, geschöpft hat.
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Daß die American Drinks etwas Gutes sind, daß sie appetitreizend, anregend, durstlöschend und angenehm im Geschmack sind, hat die europäische Lebewelt rasch begriffen, und daher haben sich auch die nach amerikanischem Muster eingerichteten Bars rasch in unsern Großstädten eingebürgert. Ob dabei die schönen Augen der Barmaids, die bei uns diese Getränke mischen und kredenzen, und das in den Bars herrschende eigenartige Getriebe nicht ein ebenso starker Magnet sind wie die Getränke selbst, steht dahin.
Auf den Bildern, die diesen Artikel begleiten, wird die Herstellung zweier beliebter Getränke veranschaulicht, des Cockail und des Milkshake. Die Herstellung des ersteren ist die folgende; in eine zu zwei Dritteln mit zerkleinertem Eis gefüllte Tulpe werden einige Tropfen eines Likörs in der Regel Augosturabitter, geträufelt, wodurch das Getränk seinen besonderen Geschmack, seine Individualität, erhält. Dann wird ein Schuß Whiskey oder Kognak beigegeben. Hierauf wird auf die Tulpe ein Becher gewöhnlich aus Blech, gestülpt und der Inhalt kräftig geschüttelt, worauf dieser mit einer graziösen Handbewegung in ein flaches Glas, in das vorher eine eingemachte Kirsche, ein Stückchen Ananas oder dergl. gelegt worden ist, gegossen wird. Zim Schluß wird ein Stückchen Zitronenschale über dem Glas ausgedrückt, so daß ein paar Tröpfchen hineinfallen, der Rand des Glases mit der Schale abgerieben, und das Göttergetränk ist fertig. Beim Milkshake bilden, wie schon der Name besagt, Milch und ein Eigelb die Grundlage. Erst kommt das Ei in das, wie bei den meisten dieser Getränke, mit Eis gefüllte Glas, dann ein Schuß Kognak. – Brandy nennt ihn der Engländer und Amerikaner – und zuletzt wird das Glas mit Milch aufgefüllt. Diese Mischung wird dann wie beim Cocktail kräftig geschüttelt, entweder mit der Hand oder in einer Maschine, die diese Arbeit noch kräftiger und gründlicher besorgt.
Zum Schluß wird oben auf die Milchhaube noch etwas Muskatnuß gerieben.
Das Getränk wird aus dem Glas, in dem es gemischt worden ist, mit Strohhalmen getrunken. Man kann den Milkshake auch ohne Zusatz von Spirituosen herstellen, und dann ist er in der Tat ein sehr empfehlenswertes Getränk. In diesem Fall gibt man ihm durch Zusatz von etwas Fruchtsaft Geschmack.
Es gibt der amerikanischen Mixed drinks so viele, daß ein langjähriges Studium und ein ziemlicher Geldbeutel dazu gehört, sie alle kennen zu lernen. Ihrer aller Namen zu wissen, kann man von einem gewöhnlichen Sterblichen nicht verlangen. Schon allein der Cocktails gibt es eine Legion, und ein Manhattancocktail ist von dem gewöhnlichen so verschieden im Geschmack und in der Art der Zusammensetzung wie eine „kalte Ente“ von einer Waldmeisterbowle. Neben dem Cocktail ist wohl der Toddy das gewöhnlichste Getränk, das nichts weiter als ein kalter Grog ist, und der Whiskey Sour. Für letzteren wird in einem Glas eine Zitronenscheibe mit dem Stampfer ausgequetscht, etwas Zucker hinzugefügt und ein Schuß Whiskey zugegeben. Diese beiden Getränke kann sich jeder und noch dazu bedeutend billiger selbst bereiten. Dann kommen die Fizz, als da sind: Ginfizz, Silberfizz, Goldenfizz usw., verschiedenartig aus Milche, Ei und Geneverschnaps gemischte Getränke, in die aus einem Siphon Selterwasser gespritzt wird, so daß es schäumt und zischt. Daher der Name.
Ein mit Recht beliebtes Getränk sind die Juleps, deren charakterissischer Bestandteil die Krauseminze ist. Entweder werden einige Stengel davon in das aus Whiskey, etwas Zucker und natürlich zerkleinertem Eis hergestellte Getränk getan, so daß dieses nicht nur leicht den Geschmack annimmt, oder einige Stengel werden in dem Glas zerdrückt, so daß der Julep kräftig nach der Minze schmeckt. Man trinkt die „Juleps“ aus Strohhalmen, ebenso die „Cobblers“, die aus Rotwein, etwas Whiskey, Zucker oder Sirup gemischt werden, ferner den aus Whiskey, Ei und Zucker hergestellten „Flip“, den aus Whiskey, Wein, Zucker und einigen Früchten hergestellten „Sangaree“, den „Shrab“, der aus Brandy, Zitronen- oder Orangensaft, Zucker und Mineralwasser gemacht wird, usw. usw.
Häufig fügt man den Cocktails noch etwas Champagner bei, und dann ist er nach Ansicht vieler Kenner erst das Wahre, das Idealgetränk Wenn diese Getränke dann in verständnisvoller Weise gemischt sind und man nicht zu viel davon trinkt, bekommen sie auch gut. Das Zuviel sowohl bei der Mischung wie beim Genuß ist vom Uebel, und es gibt keinen schlimmeren Katzenjammer als nach einem Cocktailrausch, eine Warnung für alle, die auf eine andere Grundlage zum Schluß noch einige American Drink setzen wollen. F. E. O.
Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.