Im Jahr 1851 wurde auf amerikanischem Boden in Rockbridge County im Staat Virginia die Mähmaschine erfunden. Von diesem Tag datiert der phänomenale Aufschwung der amerikanischen Landwirtschaft.
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Freilich war die erste Mähmaschine noch ein recht unvollkommenes Werkzeug. Sie schnitt zwar den Weizen, doch war immerhin noch ein Mann nötig, der die Weizenschwaden in Garben band. Trotzdem leistete sie die Arbeit von einem halben Dutzend Mähern und setzte die Farmer instand, eine bedeutend größere Fläche mit Weizen zu bebauen und zu ernten als vordem. 1870 folgte die Erfindung des automatischen Selbstbinders (Abb.) der das Getreide schneidet und bindet, und der heute für den Farmer in den westlichen Präriestaaten ebenso unentbehrlich ist wie einst Pulver und Blei für den Pionier. Aber die Erfinder blieben dabei nicht stehn.
Heute werden z. B. im San Joaquintal in Kalifornien Erntemaschinen benutzt, die gleichzeitig den Weizen mähen, dreschen, reinigen und in Säcke füllen, wahre Ungetüme, zu deren Betrieb eine mächtige Lokomobile oder ein halbes hundert Zugtiere notwendig sind.
Der ganze Entwicklungsgang der amerikanischen Landwirtschaft ist in diesen paar Zeilen gekennzeichnet.
Es ist die Maschine im Dienst des Landwirts, die es dem letzteren ermöglicht, trotz der Leutenot seine Riesenernten einzubringen und die ganze Welt mit Brotkorn zu versorgen. Wohin wir im Betrieb einer amerikanischen Farm unsern Blick wenden, überall sehen wir Maschinen, die die Arbeit erleichtern und vereinfachen und die Menschenkraft ersetzen. Riesenfarmen wie die Elk Valley, die Dalrymple- und die Grandonfarm in Norddakota oder die Bonanzafarmen im San Joaquintal wären ohne diese Maschinen eine Unmöglichkeit. Auch die kleineren Farmer in den westlichen Staaten, die heute die Getreidekammer der Welt bilden, könnten bei dem Mangel an Arbeitskräften, der drüben vielleicht noch stärker herrscht als bei uns, nicht daran denken, mehr Getreide zu bauen, als sie für ihren Bedarf brauchen.
Werfen wir einen Blick in den Betrieb einer der Riesenfarmen, z. B. der Elk Valleyfarm im Herzen des Sommerweizendistrikts des berühmten Red Rivertales. 15 000 Morgen werden dort in der Regel mit Weizen bestellt, von andern Getreidearten, Mais und Hafer, nur so viel, wie für die Hunderte von Zugtieren notwendig ist. Im Winter hausen auf der Farm nur die Menschen, die zur Bedienung der Tiere erforderlich sind.
Auch die Bestellung wird mit verhältnismäßig wenigen Hilfskräften ausgeführt. Dann ist wieder Ruhe bis zum August, wenn der Weizen reift. Jetzt stellt sich eine Armee von Exutearbeitern ein, ein bunt zusammengewürfeltes Heer aus aller Herren Ländern, Deutsche, Skandinavier, Polen, Irländer, Amerikaner usw., unter ihnen manche gescheiterte Existenz. Alljährlich zieht diese Armee zur Weizenernte aus. Zum Teil kommen ihre Mannschaften aus dem Süden, wo sie bei der Baumwoll- und Zuckerernte geholfen haben, zum Teil aus den Holzfällerlagern des Nordens, der größte Teil aber aus den Winterquartieren in den Städten.
Frühmorgens, wenn der Tau noch auf den goldenen Weizenhalmen glitzert und funkelt, ziehen die Mähmaschinen, jede von zwei Mann bedient und mit vier bis sechs Pferden oder Maultieren bespannt, hinaus ins Feld. Wie eine Batterie, die zur Aktion vorgeht, wird die lange Reihe an das Weizenfeld angelegt, und dann tönt das Klipp und Klapp der Schneidemesser mit nur kurzen Pausen den ganzen Tag (Abb.). Nebenher reitet der Aufseher, und hinter ihnen folgt eine Schar von Männern, die die Garben zusammenstellen.
Da das Stroh in diesen weit von den Industriestädten entlegenen Gegenden nur geringen oder gar keinen Wert hat und der jungfräuliche Boden noch keiner Düngung bedarf, läßt man eine sehr lange Stoppel stehen oder schneidet überhaupt nur die Aehren ab. In diesem Fall fährt neben jeder Maschine ein Wagen her, auf den die Aehren durch ein endloses Band hinaufbefördert werden. Mit der vollen Ladung geht es dann zu den Dreschmaschinen. An jeder Seite der Dreschmaschinen hält ein Wagen, und unaufhörlich wandern die Aehren in die Trommel, und unaufhörlich fliegen aus den langen Zylindern (Abb.) Spreu und Stroh und türmen sich zu hohen Haufen, während auf der andern Seite die gereinigten Weizenkörner in die Säcke wandern. Da Holz und Kohle teuer sind und ungereinigtes Petroleum in den Dakotas nicht so billig zu haben ist wie in Kalifornien werden die Lokomobilen oft mit dem übrig bleibenden Stroh geheizt. Mäh- und Dreschmaschinen sind auf den großen Farmen häufig auf einem Feld zu gleicher Zeit in Tätigkeit.
Das untere Bild, das uns auf eine Bonanzafarm im San Fernandinotal in Kalifornien versetzt, veranschaulicht dies in deutlicher Weise. In diesen kalifornischen Tälern, wo im Spätsommer kein den Grund aufweichender Regen fällt, und wo ein völlig ebener Boden unabsehbar sich hinzieht, sind auf den Riesenfarmen Erntemaschinen in Gebrauch, die selbst den Durchschnittsamerikaner überraschen, die kombinierten Mäh – und Dreschmaschinen. Es gibt zwei Arten, die kleineren, die von 24 bis 36 Pferden gezogen werden, sechs in einer Reihe (Abb. obenst.) und die größeren, vor die ein Lokomobil von 60 Pferdekräften und mehr gespannt wird. Ein solches Ungetüm schneidet einen Schwaden von 10 bis 12 Meter Breite und leistet täglich gegen 40 Hektar. Der geschnittene Weizen wird während der Fahrt gedroschen, gereinigt und in Säcke gefüllt, die durch eine besondere Vorrichtung auch gleich zugenäht werden. Sind zwölf Säcke gefüllt, so läßt man sie zu Boden gleiten. So verpackt wandert der Weizen nach den Anlagestellen der Dampfer am Flußufer und dann weiter nach San Francisco oder einem andern Hafenplatz. In den Dakotas dagegen und den übrigen Weizenstaaten wird der meiste Weizen lose nach den „Elevatoren“, den Silos an den Eisenbahnlinien, geschafft, von wo aus er dann ebenfalls lose nach den großen Mühlen in Minneapolis und Daluth oder nach der atlantischen Küste befördert wird.
Wenn wir in Europa von amerikanischer Landwirtschaft sprechen, so denken wir immer nur an den Weizenfarmer. Und doch bringt der Weizen dem Amerikaner nicht so viel ein wie Mais und Heu. Der Wert der Heuernte betrug im Jahr 1900 nicht weniger als 550 000 000 Dollars. Ein großer Teil des Heus kommt von den Prärien, der größte aber von den reichen Wiesen in Kalifornien, wo z. B. auf der Riesenfarm des verstorbenen Leland Stanford in Mayfield, heute Besitz der von ihm gegründeten Universität Palo Alto, in der Schnittzeit Dutzende von Mähmaschinen tätig sind (Abb. rechtsst.), und ferner von den durch Bewässerung gewonnenen Klee- und Alfalfafeldern Arizonas und Neumexikos. Hier finden auch die Dampfpflüge Verwendung (Abb.) die, ganz verschieden von den in Europa gebräuchlichen, Pflug und Walze in sich vereinigen. In diesen heißen Gegenden wird der eigentliche Getreidebau nur in geringem Maß gepflegt. Dafür zieht man neben Futterpflanzen die herrlichsten Gemüse und Obstsorten. Auch in der Umgegend von Los Angeles in Kalifornien, wo zwar Apfelsinen, Zitronen, Wein und Obst in üppiger Fülle gedeihen, aber kein Weizen, baut man auf weiten Strecken Hülsenfrüchte, speziell die weiße Navybohne, und auch hier muß die Maschine eingreifen (Abb.), um die Bohne zu ernten und marktfähig zu machen. Die Dreschmaschine mit ihrem hohen Gerüst zum Aufstacken des Bohnenstrohs weicht von den sonst üblichen ab.
Die engste Fühlung mit der Technik hat die amerikanische Landwirtschaft groß gemacht. Von der Aussaat bis zur Ernte bedient sie sich der Maschine. DerE Boden wird mit dem Dampfpflug gepflügt oder mit dem spezifisch amerikanischen Reitpflug. Drill- und Sämaschinen besorgen die Aussaat, und an Stelle der Hacke tritt der Kultivator. Mähmaschinen, Winden und Pressen behandeln das Heu, Selbstbinder und die kombinierte Mäh- und Dreschmaschine das Getreide. So spart sich der amerikanische Farmer jede unnötige Handarbeit, er sät und erntet billig und rasch und kann mit dem Ueberfluß, den ihm der unendlich fruchtbare Boden gewährt, die ganze Welt versorgen.
Dieser Artikel von E. Osthaus erschien zuerst 1905 in Die Woche.