Ueber neuere Bibliotheken IV – Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C.

Arch.: J. L. Smithmeyer u. P. J. Pelz in Washington.

I. Geschichtliches.

Im Jahre 1873 fasste der Vereinigte Staaten-Kongress den Beschluss, zur Veranstaltung eines Wettbewerbes um Entwürfe für ein neues Gebäude für die Kongress-Bibliothek in Washington 5000 Doll. zu bewilligen und drei Preise von 1500, 1000 und 500 Doll. festzusetzen.

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An dem Wettbewerb betheiligten sich 28 amerikanische und fremde Architekten und Architekten-Firmen. Den ersten Preis gewannen die Architekten Smithmeyer und Pelz in Washington mit einem Entwurf, welcher eine ungewöhnliche Raumausnutzung der Grundfläche aufwies, die zumtheil nur dadurch ermöglicht wurde, dass sich das Gebäude über einem Sockelgeschoss in nur einem Hauptgeschoss erhob, welchem nur in dem Mittel- und den Eckbauten ein zweites niedriges Geschoss aufgesetzt war, sodass es möglich wurde, den Mangel an Seitenlicht, welcher bei der weitgehenden Ausnützung bei den inneren Gebäudetheilen eintreten musste, durch ausgiebiges Oberlicht zu ersetzen. Im übrigen war der Entwurf in schlichter Weise in den Formen der italienischen Renaissance gehalten, um mit dem benachbarten Kapitol (s. Lageplan) in harmonische Wechselbeziehung zu treten.

Ansichten aus dem Vestibül
Ansichten aus dem Treppenhause

Der Sieg der Architekten in diesem bedeutenden Wettbewerbe war um so ehrenvoller, als sich an ihm die hervorragendsten der damaligen amerikanischen und englischen Architekten betheiligt hatten, z. B. Thomas U. Walter, der Urheber des Kuppelbaues und der Flügelbauten des Kapitols in Washinton, J. D. Mc. Laughlin in Cincinnati, Samuel Sloan in Philadelphia, F. D. Chandler in Boston, R. S. Spiers und Henry Stevens in London usw. Jedoch mit diesem Siege war den Architekten die Ausübung ihres Planes noch lange nicht gesichert; es beschloss vielmehr das Bibliothek-Komitee im Jahre 1874, zunächst noch weitere Bewerber zuzulassen, sodass Smithmeyer und Pelz ihren Entwurf schliesslich gegen 40 Mitbewerber zu vertheidigen hatten. Auch aus diesem erweiterten Wettbewerb gingen sie siegreich hervor. Nunmehr folgt eine Periode von 13 Jahren, welche unausgesetzt der weiteren Bearbeitung und Verbesserung von 10 Entwürfen gewidmet war. Mit Genugthuung führen die Architekten in einer Denkschrift vom 25. Jan. 1897 das Urtheil unserer „Baukunde des Architekten“ als eine „opinion of the architectural world“ zur Vertheidigung eines früheren Entwurfes an. Im Jahre 1882 erhielt Smithmeyer den Auftrag, die Einrichtungen der hervorragendsten überseeischen Bibliotheken mit besonderer Rücksicht auf Licht, Heizung, Feuerfestigkeit, innere Einrichtungen usw. zu studiren. Zu diesem Zwecke besuchte er eine grosse Anzahl europäischer Städte und machte auch im eigenen Lande umfassende Studien. Endlich, im Jahre 1886, erfolgt ein entscheidender Schritt, indem der Sonderausschuss die Annahme der Pläne von Smithmeyer und Pelz für die neue Bibliothek empfiehlt, die dann auch von beiden gesetzgebenden Körperschaften gut geheissen und vom Präsidenten bestätigt wurde.

Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C.

Der im Jahre 1886 genehmigte Plan stellte sich als eine wesentliche Vereinfachung der ihm vorangegangenen Entwürfe dar und enthielt zugleich eine Verminderung der Abmessungen. Auch er gelangte jedoch noch nicht unverändert zur Ausführung, sondern nach den Erfahrungen, die einmal Shithmeyer auf seiner europäischen und amerikanischen Studienreise in der Richtung seines Arbeitsgebietes – er war vorwiegend Bauingenieur – gesammelt hatte, ferner aufgrund der Studienergebnisse, welche Pelz, der gleichfalls eine europäische Studienreise unternommen hatte, in vorwiegend künstlerischer Hinsicht mit nach Hause brachte, wurde auf der Grundlage des vereinfachten Grundrisses eine wesentliche künstlerische Verbesserung und Bereicherung des Aeusseren versucht und erreicht und der so für die Ausführung gedachte Plan auch 1888-89 vom Kongress genehmigt. Auf Wunsch des Sonderausschusses für das Bibliothek-Gebäude lösten die Architekten die private Geschäftsverbindung auf; Hrn. Smithmeyer gelang es, zum ersten Architekten des Baues ernannt zu werden, während Hr. Pelz, um das Werk nicht zu gefährden, sich mit der Stellung des zweiten Architekten begnügte. Die Ausführung wurde sofort in Angriff genommen, ging aber nur etwa 18 Monate lang ihren regelmässigen Gang. Kaum hatte man mit dem Mauern der Fundamente begonnen, als im Jahre 1888 Smithmeyer, nachdem die zur Leitung des Baues berufene Sonder-Kommission aufgelöst war, durch den Einfluss eines unzufriedenen Lieferanten seiner Stellung enthoben wurde; ihm folgte Pelz. Diese Enthebung erfolgte durch den nunmehr zur Oberleitung des Baues berufenen militärischen Chef des Ingenieur-Korps der Vereinigten Staaten, General T. L. Casey. Da der neue Leiter des Baues infolge seiner lediglich militärischen Ausbildung nicht befähigt war,den Bau auch künstlerisch zu leiten, so berief er wieder Pelz und übertrug ihm die künstlerische Weiterbearbeitung der Pläne aufgrund der bisherigen Entwürfe, im übrigen aber mit unumschränkter Vollmacht. Pelz unterzog nun die von ihm schon vorher entworfenen Pläne einer weiteren strengen Durchsicht und bearbeitete den ganzen äusseren Aufbau und den inneren Ausbau, wie das monumentale Treppenhaus, den Kuppelsaal und andere Lesesäle, die Hofe usw. Nach seinen Einzelplänen wurden auch sämmtliche Eisen- und Marmor-Arbeiten des Inneren ausgeführt. Nachdem Pelz noch die gesammte innere Ausschmückung des Baues entworfen hatte, wurde er am 29. März 1892 ehrenvoll unter dem Vorwande entlassen, dass, nachdem das Gebäude nun sowohl im Aeusseren wie im inneren durch Zeichnungen in technischer und künsterischer Beziehung vollständig festgestellt sei, die Weiterbeschäftigung eines Architekten nun nicht mehr nöthig werde.

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Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Lageplan
Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Konkurrenz-Entwurf

Es bedurfte keines besonderen Scharfblickes, um zu erkennen, dass dieser Grund nur ein leerer Vorwand war, einen Mitarbeiter zu beseitigen, um einem anderen die von ersterem eingenommene Stellung zu öffnen. In die so frei gewordene Stellung berief Casey nach etwa 9 Monaten seinen 25 jährig. Sohn Edward P. Casey, welcher in Paris architektonischen Studien obgelegen hatte. Dieser war nun bis zur Vollendung des Baues im Jahre 1897 an demselben thätig und es gelang ihm nicht nur sich in amerikanischen Zeitschriften wie Harpers Weekly als den eigentlichen Architekten des Baues aufzuspielen, sondern er erreichte auch, dass man auf eine Inschriftentafel am Bibliotheks-Gebäude, welche die Erbauer verewigt, seinen Namen neben die der Architekten Smithmeyer und Pelz setzte. Auch die von der „American Architect and Building News Company“ herausgegebene Monographie über das schöne Bauwerk nennt den jüngeren Casey als Miturheber des Werkes. Gegen diese unberechtigte Theilung des künstlerischen Gewinnes erhoben die Architekten Einsprache zunächst mit dem Erfolg, dass der Präsident Robert Stead und der Sekretär Glenn Brown des Washington Chapter des „American Institute of Architects“ erklärten:

„We are familiar with this building, from the beginning to the present time, and feel that no one can, with propriety or honesty, be entitled to the credit as architects of this building except J. L. Smithmever and Paul J. Pelz. They have devoted the best years of their lives, from 1873 to 1893, in perfecting the plan and designing the exterior and interior of that building“.

(Wir sind vertraut mit diesem Gebäude von seinem Beginn bis heute und fühlen, dass sich Niemand ausser J. L. Smithmeyer und Paul J. Pelz mit Recht und Ehre die Bezeichnung als Architekten dieses Bauwerkes beilegen kann. Sie haben die besten Jahre ihres Lebens, von 1873 bis 1893, der Vervollkommnung des Grundrisses und dem Entwurfe des Aeusseren und Inneren jenes Gebäudes gewidmet).

Und nicht nur um die Wahrung der Rechte des geistigen und künstlerischen Eigenthums sahen sich die Architekten zu kämpfen gezwungen, sondern auch um den materiellen Gewinn. Wiederholte bez. Gesuche wurden bis zu dem Zeitpunkte abgelehnt, zu welchem der Bau so weit vollendet sei, dass der Kongress den Werth desselben zu würdigen imstande sei. Aber auch dann erfolgte die Regelung der Angelegenheit nicht, die nunmehr dem Kongress als letzter Instanz vorliegt. – Das ist die wechselreiche Geschichte eines der stolzesten Bauwerke der Nordamerikanischen Union und seiner Architekten.

Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Ausführungs-Entwurf. 1. Obergeschoss
Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Ausführungs-Entwurf. Erdgeschoss
Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Veränderter Grundriss nach dem Wettbewerbsentwurf

II. Technisches.

Ueber die technische Seite der Plangestaltung der ausgeführten Bibliothek und über die der Ausführung vorangegangenen Vorentwürfe können wir uns unter Hinweis auf das reiche Abbildungsmaterial kurz fassen Der Konkurrenz-Entwurf, welcher unter Benutzung von Oberlicht die äusserst zulässige Raumausnutzung zeigt, wurde aus Gründen der Bevorzugung des Seitenlichtes, einer erhöhten Feuersicherheit durch die Möglichkeit des Abschlusses einzelner Theile der Bestände und aus Gründen der Möglichkeit der Bauausführung imganzen zugunsten des schönen Entwurfes verlassen, welchen wir als untersten der zur Abbildung gebrachten Grundrisse wiedergegeben haben. Die Anlage ist hier eine so klare und übersichtliche, das organische Gefüge ein so folgerichtiges und schlichtes, dass man es nur lebhaft bedauern kann, dass aus finanziellen Gründen nur der im Grundriss unharmonische Torso zur Ausführung gekommen ist, welchen wir auf der gleichen Seite dargestellt haben und welcher kaum mehr die Rechtfertigung für die glückliche Wahl des achteckigen Zentralraumes enthält, die in dem erweiterten Entwurfe so glänzend zutage tritt.

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Das Gebäude war nach diesem für die Aufnahme von rd. 2.300 000 Bänden und für die entsprechende Vermehrung für einen Zeitraum von etwa 100 Jahren berechnet. Es sollte jedoch nach dem Ueberschlag der Architeken für die Ausführung eine Summe von ca. 7 Mill. Dollar beanspruchen, was der Kongress aber weitaus zuviel fand und infolge dessen mit Verfügung vom 2. Okt. 1888 dıe Bausumme auf 4 Mill. Dollar herabminderte. Die hierdurch nothwendige Beschränkung der Maasse und das Ausschneiden edler Theile mag für die Architekten eine sehr schmerzvolle Operation gewesen sein, unter welcher das Werk unzweifelhaft gelitten hat. Es ist zuzugeben, dass man zu diesem Eindrucke erst durch die Gegenüberstellung der beiden Entwürfe gelangt und es ist ohne diese anzuerkennen, dass die Ausführung eine Lösung darstellt, so schlecht und so recht sie immer unter den neuen Verhältnissen und unter Beibehaltung des Hauptgedankens möglich war. Grossartiger sind zweifellos Halle und Treppenhaus geworden. Die intimeren Züge des Vorentwurfes aber sind geschwunden. – Der Ausführung des Entwurfes ging die Studienreise der Architekten in Amerika und nach Europa voran und aufgrund der hier gewonnenen Erfahrungen setzten sie er dass die lichte Breite der Magazinbauten 13,6 m und ihre lichte Höhe (als ein Raum) 19,2 m betragen sollte. Das Oberlicht wurde nach Möglichkeit unterdrückt und seine Verwendung nur für die obersten Theile der Büchermagazine beibehalten; sonst kam allenthalben hohes Seitenlicht zur Verwendung. Die hieraus entspringende realistische Anordnung der Fronten an den nunmehr sehr gross gewordenen Höfen ist aus den Abbildungen ersichtlich. Die Aufnahmefähigkeit des ganzen Gebäudes ist auf etwa 4 Millionen Bände knapp geschätzt, vielleicht gewährt es einer noch grösseren Anzahl Bücher Raum.

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Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C.

Das durchweg unter Verwendung feuersicherer Materialien ausgeführte Gebäude enthält im Kellergeschoss die Einrichtungen für Heizung, Beleuchtung und Lüftung, für den Betrieb der im Hause vertheilten zahlreichen Fahrstühle, das Paternosterwerk zum Transport der Bücher von den Magazinen zum Lesesaal und den Theil des Tunnels, welcher die Bibliothek mit dem benachbarten Kapitol verbindet (s. Lageplan) nd welcher mit dem Lesesaal durch einen Personenfahrstuhl verbunden ist. Ein gesondert gelegenes Maschinenhaus bereitet den Dampf für die Heizung und die Kraft für die elektrische Beleuchtung. Die Raumvertheilung des Erd- und des Obergeschosses geht aus den Beischriften der Grundrisse mit genügender Deutlichkeit hervor.

Die Kongress- oder Nationalbibliothek in Washington

Auf Einzelheiten der Anlage und der Konstruktion, soweit dieselben nicht aus den Abbildungen hervorgehen, einzugehen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Die architektonische Raumgestaltung und ihre bei der Mittelgruppe zum Ausdruck kommende wohlberechnete Steigerung in der Wirkung geht aus den Schnitten hervor. Das Gebäude ist im Aeusseren aus weissem Granit erstellt worden; über die Formensprache der Einzelheiten unterrichtet unter anderen unsere Kopfabbildung die Leser. Die Hoffassaden sind der Erhöhung der Lichtwirkung wegen mit weiss glasirten Ziegeln bekleidet worden. Im Innern ist viel Marmor zur Verwendung gekommen; er bedeckt als weisses, polirtes Material auch die Gänge der Magazine, um das einfallende Licht möglichst zu sammeln. Unsere Abbildung gewährt einen interessanten Einblick in die Magazine. Von der prunkvollen Ausstattung des Treppenhauses und einzelner Säle, wie z. B. des Senator-Lesesaales im 1. Obergeschoss, legen die Abbildungen Rechenschaft ab. Von den zentralen, achteckigen Lesesaal giebt unsere Abbildung auf leider ein nur ungenügendes Bild, doch wieder vollkommen genug, die gross gedachte Architektur, die Vertheilung der Pulte und die Unterbringung der Bücher erkennen zu lassen.

Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Schnitt durch Treppenhaus und Lesensaal

Und nun noch ein Wort über den künstlerischen Antheil der Urheber und Mitarbeiter des Baues.

Die Architekten der Kongress-Bibliothek in Washington.

Die Wiedergabe eines kurzen Lebensabrisses der Architekten des Gebäudes der Kongress-Bibliothek in Washington dürfte für unsere Leser um so mehr Interesse haben, als das Bauwerk eines der bedeutendsten der neueren Bibliotheks-Gebäude darstellt und von deutschen, bezw. deutsch-österreichischen Architekten, die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein reiches Wirkungsfeld gefunden haben, errichtet wurde.

John L. Smithmeyer (F. A. I. A., Fellow of the American Institute of Architects), wurde in den dreissiger Jahren in Wien geboren und lebt schon seit einem halben Jahrhundert in Amerika. Für Mathematik und geometrische Probleme wie für Kunst hatte er schon in früher Jugend besondere Vorliebe, und nach theoretischen Vorstudien in dieser Richtung auf einer österreichischen Militärschule entschloss er sich, dieser Vorliebe Rechnung tragend, sich ausschliesslich dem Studium der Architektur zu widmen.

Zu jener Zeit lag diese Wissenschaft in Amerika so zu sagen noch in ihrer Kindheit und tüchtige Architekten waren in der neuen Welt damals selten. Er widmete sich mit aller Energie dem vorgesteckten Ziel und wurde von Jahr zu Jahr mit der Bevölkerung der neuen Welt und deren Bedürfnissen in baulicher Beziehung, sowie mit dem Geschäftsgang des Landes im allgemeinen mehr und mehr vertraut. Für einen von berechtigtem Ehrgeiz beseelten jungen Mann, mit Freunden zur Seite, die bereit sind, ihm nöthigenfalls helfend unter die Arme zu greifen, bieten die Vereinigten Staaten wie kein anderes Land die besten Gelegenheiten zum Vorwärtskommen.

Durch fleissiges Studium und gleichzeitig durch einen gesammelten reichen Schatz praktischer Erfahrungen gelang es Smithmeyer in verhältnissmassig kurzer Zeit, in verschiedenen Theilen des Landes mit Entwürfen und Plänen zur Errichtung von Kirchen, Schulhäusern, Gerichts-Gebäuden, Theatern, Hospitälern, Bibliotheken, Gefängnissen, Kauf- und Wohnhäusern usw. betraut zu werden und schon im Jahre 1869 wurde er von der Bundes-Regierung zu einem ihrer Bauleiter (Superintendent) für öffentliche Gebäude ernannt, welches Amt er mehre Jahre bekleidete und dabei neue Erfahrungen sammelte, welche ihm wieder neue Erfolge brachten.

Im Jahre 1873 wurden von der Bundes-Regierung Angebote für den oben beschriebenen Bau einer National- (Congressional) Bibliothek ausgeschrieben und in Verbindung mit seinem damaligen Geschäfts-Theilhaber, Hrn. Architekten Paul J. Pelz (Firma J. L. Smithmeyer & Co,, welche Firma als Smithmeyer & Pelz bis zum Jahre 1886 zurückdatirt) legte er Entwürfe und Pläne für den geplanten Bau vor. Die Architekten hatten die Genugthuung, als preisgekrönte Sieger (I. Preis von 1500 Doll.) unter zahlreichen Mitbewerbern aus dem Wettbewerbe hervorzugehen. Kurz darauf folgten andere Aufträge, wie z. B. Entwürfe für das Jesuiten-Kollegium in Washington und zum Bau desselben, des Armee- und Marine-Hospitals im Staate Arkansas, des grossen Hotels nahe Fort Monroe im Staate Virginia, der Carnegie-Bibliothek in Alleghany, Pa., u. a. m.

Weitere Aufträge monumentaler Art sind die Piedestale der beiden Reiter-Statuen von General Thomas und General McPherson (beide in Washington), Mausoleen usw. Angespornt durch bis dahin erzielte Erfolge versuchte sich Smithmeyer auch auf dem Felde der Vorlesungen. Als Mitglied des amerikanischen Architekten-Verbandes hielt er auf einer der jährlichen Versammlungen dieses Vereins einen allerseits beifällig aufgenommenen Vortrag über das Thema „Unsere Architektur“ und im Jahre 1881 auf Wunsch des amerikanischen Bibliothek-Vereins einen Vortrag über „Die Pläne der geplanten National-Bibliothek“, welche Vorlesung im Auftrage des Vereins in ihrem Jahresberichte erschien. Kurz darauf schrieb er eine Broschüre über den „Queen Anne Stil“ und nach der Rückkehr von einer Studienreise nach Europa über „Bibliothek-Architektur“, einen illustrirten Essay über „Heizung und Ventilation öffentlicher Gebäude“ und schliesslich über das „Konkurrenz-System in Vergebung öffentlicher Bauten“ usw.

Das Lebenswerk Smithmeyers blieb bis heute das in Gemeinschaft mit Arch. P. J. Pelz errichtete Gebäude der Kongress-Bibliothek, auf dessen wechselvolle Geschichte wir in No. 61 näher eingingen. Es scheint aber, als ob die beiderseitigen Antheile an dem Gebäude nicht gleich wären und Pelz das reichere Können zu dem grossen Werke mitgebracht hätte.

Paul J. Pelz (F. A. I. A.) wurde am 18. Nov. 1841 zu Seitendorf, Kreis Waldenburg in Schlesien geboren. Sein Vater, Eduard Pelz, welcher als Schriftsteller auch als Treumund Welp bekannt war, war Buchhändler und Verleger und später Gutsbesitzer, und wurde 1848 in das Frankfurter Parlament erwählt; er musste 1851 wegen seiner politischen Ansichten und freisinnigen Tendenzen flüchten und wählte Nord-Amerika als Zufluchtsort. Sein Sohn blieb mit seiner Mutter in Breslau und besuchte dort erst das Elisabethanum, dann die Realschule zum Heiligen Geist und ging, etwa 16 Jahre alt, als Primaner ab, um seinem Vater nach Amerika zu folgen. Nachdem sein Vater volle 15 Jahre in Amerika verweilt hatte, ging er nach Deutschland zurück und starb daselbst im Jahre 1876, während sein Sohn in Amerika verblieb. Hier trat Pelz, 18 Jahre alt, in das Atelier des seitdem verstorbenen Architekten Detlef Lienau in New-York ein und blieb 7 Jahre lang daselbst zur Ausbildung in der Architektur. Lienau war aus Uetersen in Holstein gebürtig und hatte sich unter Ludwig Schulze in Berlin und später unter Labrouste in Paris ausgebildet; er war nicht nur ein vortrefflicher Lehrmeister für den jungen Pelz, sondern trug auch dafür Sorge, dass derselbe im Jahre 1866 als Mitglied in den amerikanischen Architekten-Verein aufgenommen wurde.

Pelz trat später als erster Zeichner in das Atelier des Architekten Heinrich Fernbach ein und siedelte im Jahre 1867 nach Washington über, wo er sich seitdem aufgehalten hat. Eine geraume Zeit war er als Zivil-Ingenieur im Vereinigten-Staaten-Leuchthausamte angestellt, wo er eine bedeutende Zahl der grossen Leuchtthürme an der Atlantischen und stillen Meeresküste, sowie an den Golf- und Süsswasserküsten des Inlandes entwarf. Er entwickelte in diesem Sonderfache eine solche Originalität, dass 1873 auf der Wiener Weltausstellung dem Vereinigten Staaten-Leuchthausamte infolge der ausgestellten Entwürfe der erste Preis, das Ehrendiplom, zuerkannt wurde. Als der Ingenieur der Vereinigten Staaten Major George H. Elliot im Jahre 1873 eine Inspetionsreise zum Studium der europäischen Leuchthaus-Anlagen unternahm, wurde Pelz ihm beigegeben. Diese Reise dauerte 5 Monate in welcher Zeit Pelz genug Musse verblieb, auch ein durchgreifendes Studium der grössten und besteingerichteten Bibliotheken der Alten Welt vorzunehmen, da er sich mit dem Gedanken trug, einen vorbildlichen Konkurrenz-Entwurf für das ausgeschriebene in Washington zu errichtende Bibliothek-Gebäude zu liefern.

Nach Washington zurückgekehrt, verfasste Pelz den ersten Entwurf zu diesem jetzt vollendeten Gebäude welcher 1874 den I. Preis unter 29 Entwürfen erhielt. Dieser Sieg gab der Firma Smithmeyer & Pelz die Anwartschaft zur Ausführung, die sie auch durch die Jahre 1874-1886 unter vielen Anfechtungen erfolgreich behauptete, so dass sie allein im Felde blieb, als im letzteren Jahre der vereinigte Staaten-Kongress die zum Beginn des Baues nöthigen Geldbewilligungen machte. Jedoch wie Smithmeyer, so war es auch Pelz bei dem amerikanischen Verlauf der Baugeschichte der Bibliothek nicht beschieden, die Arbeiten bis zu ihrer Vollendung zu leiten, er sah sich vielmehr gezwungen, seine Entlassung zu nehmen und sich als Privat-Architekt in Washington niederzulassen.

Die ausgeführten Gebäude, auf die Pelz mit Stolz blicken kann, sind die grosse Kongress-Bibliothek in Washington, das grosse Georgetown College dortselbst, die Carnegie Bibliothek und Musikhalle in Alleghany Pa., das grosse Chamberlin-Hotel in Old Point Comfort, Virginia, die Ver. Staaten-Hospitalbauten in Hot Springs, Arkansas, und Wohnhäuser und Geschäftshäuser in Charleston S. C., in Virginien und besonders im Washington District of Columbia. Von unausgeführten Entwürfen erregte der zur Grant-Memorial-Brücke über den Potomac-Fluss bei Washington im ganzen Lande Aufsehen und allgemeinen Beifall. Die letzte grössere Arbeit ist ein Entwurf für einen neuen Palast für den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika.

Das Geschick und ein ausserordentliches Talent habe Pelz stets für grosse Unternehmungen ausersehen, welche ihm frei zugewiesen worden sind und die er immer in pflichtgetreuer, liebevoller Weise ausgeführt hat, trotz vielen Missgeschickes und zuweilen unter Verhältnissen, die viel Hingebung und äusserste Geduld erforderten. Des Künstlers Erdenwallen geht eben nicht immer auf Teppichen, sondern nur gar zu oft über die schroffsten Felsenwege.

Dieser Artikel erschien zuerst am 03.08.1898 in der Deutsche Bauzeitung.

III. Künstlerisches.

Nicht ohne lange Schwankungen und anderweitige Versuche, die zum grössten Theil auf die Anregung der Mitglieder des Bibliothek-Komitees zurückzuführen sind, haben sich die Architekten zu dem Stile entschlossen, in welchem das Gebäude schliesslich ausgeführt wurde. Der Konkurrenzentwurf war in dem Stile einer modernen Renaissance gehalten; aber schon im Jahre 1875 wurde auf einer ganz neuen Basis und mit veränderten Abmessungen des Grundrisses ein gothischer Entwurf aufgestellt, welchem im Jahre 1877 ein Entwurf im Stile der französischen Renaissance folgte. Jedoch auch damit waren die Wünsche des Komitees noch nicht befriedigt; dasselbe trug den Architekten auf, einen Entwurf in der romanischen Formensprache aufzustellen und ihm folgte im Jahre 1879 ein Entwurf im Stile der deutschen Renaissance. Alle Entwürfe fanden nicht den Beifall des Komitees, sodass sich die Architekten schliesslich im Jahre 1880 entschlossen, auf die italienische Renaissance zurückzugreifen und einen Entwurf auf der Grundlage des Konkurrenzentwurfes, jedoch in weitgehender Vereinfachung anzufertigen, der, wie schon früher erwähnt, nunmehr 1886 vom Kongress angenommen und dessen Annahme 1889 bestätigt wurde. Die Bestätigung wurde indessen nicht gewährt, ohne dass die Architekten zu dem Versuche aufgefordert wurden, den gothischen Entwurf einer nochmaligen Durcharbeitung zu unterziehen. Doch blieb es bei der Wahl des Stiles der italienischen Renaissance.

Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Aussenansicht der Büchermagazine
Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Innenansicht des zentralen Lesesaals
Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C. – Innenansicht der Büchermagazine

Zahlreiche, zumtheil nicht auf Rechnung der Architekten zu setzende Umarbeitungen einzelner Theile haben noch stattgefunden, bis das Bauwerk die endgiltige Gestaltung annahm, welche es nunmehr in der Ausführung zeigt. Am treffendsten wird der Umfang dieser Umarbeitungen durch den schon berührten Umstand beleuchtet, dass der Entwurf, welchen die Architekten als den Ausführungs-Entwurf anfertigten, zu seiner Verwirklichung etwa 7 Mill. Doll. erfordert hätte, während mit einer Verfügung vom 2. Okt. 1888 der inzwischen sparsam gewordene Kongress bestimmte, dass unter der Oberleitung des Chefs der Ingenieure der Armee die neuen Pläne nach der Maassgabe aufgestellt werden sollten, dass die Bausumme „shall not exceed four millions“. Sie wurde schliesslich mit 4,5 Mill. Doll. angenommen und es Pelz, dem nunmehrigen alleinigen Bearbeiter der Pläne überlassen, zu retten, was zu retten war. Er fand sich mit ausserordentlichem Geschick in die neuen Verhältnisse und indem er die Grundriss-Anlage in der Weise in den Abmessungen verminderte und in der Gruppirung der Räume vereinfachte, wie es ein Vergleich der Grundrisse auf ergiebt, gelang es ihm nicht nur, alle Bedürfnisse zu befriedigen sondern auch für die künstlerische Ausstattung erhöhte Aufwendungen zu machen. Interessant ist, dass die neuen Pläne unter dem Namen des Chefingenieurs der Vereinigten Staaten-Armee, General Thomas Lincoln Casey gingen und dass sich der verstorbene Präsident des Institutes der Amerikanischen Architekten, Richard Morris Hunt, zu der Erklärung veranlasst sah:

Kamin aus der Kongress-Bibiothek in Washington
Treppenhaus aus der Kongress-Bibiothek in Washington

„It is the Smithmeyer and Pelz design, leaving out a wing running across each court and reducing the length of the fronts; with that exception it is the exact design.“
(Es ist der Entwurf von Smithmeyer & Pelz unter Auslassung eines durch jeden Hof laufenden Flügels und unter Verminderung der Längen der Fronten. Mit dieser Ausnahme ist es genau der Entwurf.)

Am 2. März 1889 ergeht nochmals eine Aeusserung des Kongresses, welche Einfluss auf die Pläne nimmt, dann aber nimmt der Bau seinen Fortgang.

unbeschriftet

Bei der künstlerischen Beurtheilung der Ausführung wird es gut sein, sich zu erinnern, dass Pelz am 29. März 1892 unter der Begründung entlassen wurde, dass seine Dienste nicht mehr nöthig fallen, „as you have now entirely completed the designs of the architectural characteristies and features of the building for the library of Congress, both of the exterior and interior.“ Bei dem Streite um die Verzeichnung des Namens des Sohnes des Generals Casey, des Architekten Eduard P. Casey auf der Tafel am Gebäude, welche die Architekten verewigt, im weiteren Sinne um den Antheil der künstlerischen Verdienste bei der Vollendung des Baues ist selbstverständlich auch der Antheil des jüngeren Casey lebhaft erörtert worden. Ein Bericht des Bibliothek-Komitees von Morrill verfasst, nimmt sich seiner lebhaft an, erklärt die Zeichnungen von Pelz nicht der Ausführung für würdig (wir haben dieselben wiedergegeben, sodass die Leser in der Lage sind, sich ein eigenes Urtheil zu bilden), den jungen Casey aber für einen „born artist of rare talent,“ welcher durch die Schule der New-Yorker Architekten Mc. Kim, Mead & White ging und sich an der Ecole des Beaux-Arts in Paris zahlreiche Preise eroberte. Es liegt kein Grund vor, an der künstlerischen Begabung Casey’s zu zweifeln, andererseits aber erscheint der künstlerische Antheil von Pelz durch die von uns wiedergegebenen Zeichnungen so genügend festgestellt, dass, wenn Casey von Smithmeyer & Pelz vielleicht in etwas übertriebener aber erklärlicher Gegnerschaft nur als „a sort of manager of decoration“ bezeichnet wird, auch hierdurch auf den Schwerpunkt seiner Arbeiten hingewiesen wird. Wir erfahren aus einem eigenen Berichte Caseys über seine Thätigkeit am Baue während der Zeit von November 1892 bis März 1897, wie weit die Arbeiten durch Pelz gefördert waren. Im Jahre 1892 hatten die Umfassungsmauern beinahe die Höhe des Hauptgesimses erreicht; das Eisenwerk der Kuppel war nahezu vollendet. Die Granitbekleidung des Aeusseren war vollständig gezeichnet und vertragsmässig in Arbeit gegeben. In gleicher Weise vergeben und vorbereitet waren die Marmorarbeiten des Haupttreppenhauses, des Kuppelsaales, der Korridore usw. Daraus erhellt, dass der ganze Bau in seiner architektonischen Gliederung von Pelz herrührt, während die künstlerische Ausschmückung durch Bildwerke, Malereien, Mosaiks usw. Casey anvertraut war. In der That ist nicht zu verkennen, dass durch die künstlerische Haltung des Inneren ein leichter französischer Zug geht, welcher, wie die Verhältnisse liegen, nur auf Casey zurückgeführt werden kann. Am anschaulichsten tritt das in den Abbildungen zutage. Aus dem ausführlichen Berichte Caseys geht hervor, dass er während einer mehr als 4 jährigen Thätigkeit am Baue wohl zahlreiche und auch künstlerisch bemerkenswerthe Arbeiten ausführte, dass die Art und Bedeutung derselben aber keineswegs die Berechtigung einschliesst, als geistiger Miturheber des Baues genannt zu werden. Casey war Mitarbeiter, aber nicht Miturheber. – Was im übrigen die künstlerische Haltung des Baues und seiner kostbaren Materialien anbelangt, so geht dieselbe aus unseren zahlreichen Abbildungen so genügend deutlich hervor, dass wir ein Wort dazu nicht mehr zu sagen brauchen.

Die Kongress-Bibliothek in Washington behauptet sich ehrenvoll unter den Monumentalbauten des Ausganges des Jahrhunderts.

Dieser Artikel erschien zuerst am 30.07. & 06.08.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „H.“.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie:

1. Teil, Beschreibung der Universitäts-Bibliothek in Basel, als Teil einer Serie, die Ende des 19. Jahrhunderts erschien: Ueber neuere Bibliotheken I – Die neue Universitäts-Bibliothek in Basel.

2. Teil, als Teil der Serie über moderne Bibliotheken beschreibt dieser Artikel 1898 die Carnegie Free Library in den USA: Ueber neuere Bibliotheken – II. Die Carnegie Free Library in Alleghany, Pa.

3. Teil, 1898 wurde in diesem Text die Stadtbibliothek in Bremen beschrieben, welche 1894-96 neu entstanden ist: Ueber neuere Bibliotheken III – Die Stadtbibliothek in Bremen.

4. Teil, in diesem Teil der Serie über enuere Bibliotheken wird die Kongress-Bibliothek in Washington vorgestellt: Ueber neuere Bibliotheken IV – Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C.
5. Teil, zum 3. mal innerhalb von 30 Jahren musste 1894-98 in Köln ein neues Bibliotheksgebäude gebaut werden. Dieser Artikel erschien damals dazu: Ueber neuere Bibliotheken V – Das neue Bibliothek- und Archiv-Gebäude der Stadt Köln a. Rh.