Architektonisches aus Nordamerika

Eine Reisestudie von L. Gmelin.

Inzwischen erschienenen anderen Veröffentlichungen über denselben Gegenstand gegenüber und zur Feststellung der Unabhängigkeit von diesen sei bemerkt, dass sich der vorliegende Aufsatz seit über einem halben Jahre in unseren Händen befindet. D. Red.

I. Allgemeine bauliche Physiognomie.

Wenn ich, einer persönlichen Aufforderung seitens der Redaktion d. Bl. folgend, es unternehme, meine gelegentlich der Chicago-Fahrt gewonnenen Eindrücke amerikanischer Bauthätigkeit zu schildern, so geschieht dies zwar mit dem Bewusstsein, nur Lückenhaftes zu bieten; denn es wird, selbst unter Berücksichtigung der infolge des raschen Wachsens sehr gleichartigen Physiognomie aller neueren Städte, keinem Einzelnen ohne längeren Aufenthalt im Lande möglich sein, eine erschöpfende Darstellung des architektonischen Schaffens Nordamerikas zu geben. Aber als ein Beitrag dazu kann das Vorliegende vielleicht dienen.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Die amerikanische Bauweise lässt sich ohne Berücksichtigung der Anlage und des Wachsthums der amerikanischen Städte, ohne gelegentliche Seitenblicke auf die Eigenthums- und Erwerbsverhältnisse nicht verstehen. Schon in der ganzen Anlage der meisten Städte spricht sich ein ganz gewaltiger Gegensatz zwischen der alten und der neuen Welt aus; man kann sich in dieser Hinsicht nicht leicht einen grösseren Gegensatz denken, als z. B. Hildesheim und Chicago. Hier mit verschwindenden Ausnahmen lauter rechtwinklig sich durchschneidende Strassen, die in gleichen Abständen wiederkehren, ohne Rücksicht auf die die Stadt durchziehenden Wasserläufe, welche sich wie Risse in dem Plan ausnehmen, Häuser von 6-20 Geschossen in der City, lauter „moderne“ Gebäude, die man schon als „very old“ bezeichnet, wenn dieselben kaum ein Menschenalter überschritten haben – und in der altdeutschen Stadt winklige Gassen von ungleicher Breite, ungleichen Abständen, niedlichen kleinen Holzhäuschen, krumm und schief – dabei Jahrhunderte alt, – und das alles überragt von den Thürmen altehrwürdiger Kirchen.

Wir haben mit gutem Grunde gerade Hildesheim zum Vergleich herangezogen. Denn der Gegensatz, den die Kultur des Mittelalters mit jener der Neuzeit bildet, kann im architektonischen Städtebild nicht sprechender zum Ausdruck gebracht werden. In einer Zeit, da einerseits der Handelsverkehr auf ein kleines Gebiet beschränkt war und andererseits das geistige Leben fast ganz von der Kirche ausging, bei allem Dichten und Trachten die Forderungen der Kirche im Auge behalten wurden, da war es natürlich, dass auch die dem Gottesdienste geweihten Bauten zu Krystallisations-Mittelpunkten der städtischen Quartiere wurden, dass sie alle anderen Bauten an Grösse und Schönheit übertrafen. Anders heute, zumal in Amerika! Handel und Verkehr, wie überhaupt alle Thätigkeiten, welche im Dienste des Erwerbslebens stehen, haben sich zu einem Umfange entwickelt, für welchen noch zu Beginn unseres Jahrhunderts alle Voraussetzungen fehlten. – Der Drang nach Erwerb herrscht heute mehr u je, am meisten in den Vereinigten Staaten, Darf es uns dann wundern, dass dort die Geschäftshäuser die Stelle der Kirchthürme einnehmen, und dass die Kirchen selbst meist zu ganz nebensächlichen Gebäuden herabgesunken sind? Je nach dem kirchlichen Standpunkt, den man einnimmt, wird man dies mehr oder weniger beklagen; aber die Thatsache lässt sich nicht aus der Welt schaffen, dass der Erwerbstrieb im Denken und Empfinden der Menschen die einflussreichste Stellung errungen hat, eine Stellung, die sich deutlich genug in der Physiognomie der amerikanischen Städte ausprägt.

Auch vom architektonischen Standpunkt aus darf man diesen Wandel beklagen, da gerade die den Idealen geweihten Bauwerke dem Architekten am meisten Gelegenheit boten, Ideales und Vorbildliches zu schaffen. Macht es schon einen unangenehmen Eindruck, Kirchen zu sehen, die mit Häusern in Reih und Glied zusammengebaut sind, so berührt es ein empfindsames Gemüth geradezu jämmerlich, wenn ein Kirchlein – wie z. B. die Collegiat Church neben dem Holland House in NewYork – nur ein Drittel der Höhe des dicht daran anstossenden Hotels besitzt, und wenn kaum die Pyramidenspitze des schlanken Kirchthurms noch das Haus überragt! Ist es nicht, wie wenn die gross, reich und zur Weltdame gewordene Tochter mit verächtlichem Lächeln auf das fromme Mütterlein herabschaute? Dass die Kirchen aus den Geschäftsvierteln der Städte geradezu verdrängt werden, ist unter diesen Verhältnissen umsoweniger auffallend, als zugleich die Zahl der eigentlichen Bewohner eines solchen Viertels abnimmt; die Fälle sind gar nicht so selten, dass Kirchen in der City abgetragen und anderswo wieder aufgerichtet werden. Die Bauplatzpreise der City decken die Kosten einer solchen Verpflanzung mehr wie ausreichend!

Die Mannichfaltigkeit des Städtebildes hat durch diese Verhältnisse allerdings weniger gelitten, als man meinen könnte: ein Blick von der Brooklyn-Brücke oder vom Hafen auf New-York oder vom Masonic-Temple auf Chicago zeigt infolge der ungleichen Höhen der Häuser, der häufigen Thürme an öffentlichen Gebäuden aller Art usw, einen ebenso reichen Wechsel in den Baumassen, wie Städte von mittelalterlichem Charakter.

Wenn man in dem Zurückdrängen des kirchlichen Elementes bei dem architektonischen Bild einer Stadt nur vielleicht ein Kennzeichen der Grosstadt überhaupt erblicken will, in welcher Handel und Industrie in fieberhafter Thätigkeit sind, so kann man dagegen von den Strassenanlagen amerikanischer Städte sagen, dass sie zumeist ein ganz bezeichnendes amerikanisches Gepräge haben. Wo – wie in New-York, Philadelphia, Boston – Stadttheile bestehen, deren Anlagen noch aus älterer Zeit – in amerikanischem Sinne gesprochen – stammen, da finden sich auch noch kurze, krumme, schiefwinklig verlaufende Strassen wie bei uns; aber die Niederlassungen späterer Zeit, namentlich alle Städte im Westen, zeigen durchaus dasselbe rechtwinklige Strassennetz – vielleicht keine nüchterner, d. h, weniger durch Verbreiterungen, Plätze usw, unterbrochen als Chicago. Ein Glück ist noch, dass Rauch, Staub und Wasserdunst verhindern, die bisweilen 20-25 engl. Meilen langen geraden Strassen auch nur zu einem Zehntel zu überblicken.

Was den Schüler beim ersten Bekanntwerden mit einer nordamerikanischen Landkarte so sonderbar anmuthet, die geradlinigen, den Meridianen parallel laufenden Ländergrenzen, das taucht in der Erinnerung wieder auf, wenn man eine amerikanische Spezialkarte z. B. von Wisconsin zu Gesicht bekommt; hier ist das ganze Land in gleicher Weise mit einen quadratischen Liniennetz (Maschenweite = 1 Meile) überzogen, durch welche das Gelände kreuz und quer über alle Wasserläufe und Seen hindurch parzellirt wird. Da diese Austheilung des ganzen Landes auch die Grundlage zur Parzellirung der einzelnen Netzmaschen bildet, so ist es begreiflich, dass die Bauplätze, somit auch die Strassenzüge selbst, sich nach den einmal vorgezeichneten Linien richten; werden dann zur Herstellung diagonaler Verkehrsstrassen einige schräg laufende Linien durchgezogen, so ist der Stadtplan fertig. Es fehlt eben an den bei uns so häufigen, aus früheren Kulturstufen überkommenen, oft sehr krummen Wegen, die durch allmählige, anfangs regellose Besetzung mit menschlichen Wohnstätten vielfach unseren alten städtischen Strassen Lage und Richtung vorgezeichnet haben.

Man sollte meinen, es läge näher, z. B. die natürliche Krümmung der Ufer des Michigan-Sees in Chicago oder des Hudson-River in New-York für die nächststehende Häuserreihe maassgebend sein zu lassen; solche „Zufälligkeiten“ hat man wohl früher berücksichtigt, auch in Städten von weniger raschem Wachsthum sind die Strassen nicht so auf das Dogma eines einzigen rechteckigen Maschennetzes eingeschworen. Aber speziell in New-York und noch mehr in Chicago ist die Macht desselben eine fast uneingeschränkte. Das geht z. B. in Chicago so weit, dass bei Strassen, welche als grosse durchlaufende Verkehrsadern das rechteckige Netz schräg durchschneiden, dennoch die Bauloose den ursprünglichen Netzlinien folgen; daher rührt es, dass dann ganze Häuserreihen nicht in einer Flucht liegen, sondern staffelförmig neben einander zurücktreten!

Von grossen Gesichtspunkten erdachte Platz- oder Strassenanlagen, wie sie so viele kleinere Städte Europas besitzen, sucht man in den meisten Städten Nordamerikas vergebens; eine bedeutsame Ausnahme bildet Washington, das durch den vom Kapitol ausgehenden achtstrahligen Strassenstern und durch die Platzanlagen vor dem Kapitol und dem weissen Hause nach den Städten des Westens zu einer wahren Erholung wird. Zu monumentalen Platzanlagen hat der Amerikaner keinen Raum; ob die Ausstellung in Chicago, welche den Amerikanern im Gegensatz zu den Städten eine Platzanlage geboten hat, wie die Welt keine glanzvollere je gesehen, in dieser Beziehung gute Nachwirkungen zeitigen wird, darf man wohl bezweifeln,

Neue Strassen werden oft meilenweit vor die eigentliche Stadt hinaus auf dem Plan eingezeichnet und numerirt, dann zwischen Feldern und Brachland hindurch mit elektrischen und Pferdebahnen, sowie mit Gangsteigen aus Bohlen versehen und endlich kommen nach und nach die einzelnen Häuschen, draussen klein und weit auseinander stehend, je näher der Stadt immer dichter und grösser werdend, aber alle auf gleich grossem Bauloos das „Lot“ zu 25 Fuss Breite. So prosaisch die Zahlennamen der Strassen sind, so praktisch erweisen sie sich zur Orientirung; in den neuen Stadttheilen Chicagos ist auch die Numerirung der Häuser an den Längsstrassen in einer Weise geregelt, dass man sofort aus dem Plan wenigstens den „Block“ ersehen kann, in welchem das betreffende Haus steht.

Unter „Block“ versteht mau in Amerika jedes von Strassen umschlossene, meist rechteckige Bauquartier, einerlei ob dasselbe ganz, theilweise oder auch noch gar nicht überbaut ist.

Beispielsweise ist in einer Längsstrasse das Haus, welches die Nummer 6335 trägt, in jenem Block zu suchen, welcher zwischen der 63. und 64. Querstrasse liegt; da aber die Zahl der Häuser eines Blocks weit weniger als 100 beträgt, so werden einfach die überschüssigen Nummern übersprungen, so dass die ungerade Nummernreihe in einem Block vielleicht mit 6569 endigt, die im nächsten aber trotzdem mit 6601 beginnt.

In den Aussentheilen der Städte ist der Baugrund noch nicht theuer; die Holzhäuschen sind um Billiges vorräthig zu kaufen, das rasche Wachsen der Städte verspricht einst eine grosse Werthsteigerung des Platzes nach vielleicht 20 Jahren und die zahlreichen, die weite Entfernung von dem Geschäftszentrum der Stadt wesentlich verkürzenden Strassenbahnen haben niedrige Fahrpreise: alles Momente, welche es auch dem mässig Begüterten möglich machen, sich ein eigenes Heim einzurichten. Die leichte Bauart dieser Vorstadt-Häuser, welche als reine Holzbauten typisch für alle ländlichen Gebäude Amerikas ist, macht es begreiflich, dass ein entstehender Brand reichlich Nahrung findet und dann nur schwer zu bekämpfen ist. Dazu kommt, dass man „drüben“ jedes unbequeme Waldstückchen abbrennt, statt dasselbe abzuholzen – was viel zu theure Arbeit kostet; nur zu oft werden dann von dem entfachten Feuer auch die nahestehenden Häuser ergriffen.

Der Gegensatz zwischen Stadt und Land, den wir bei uns schon so tief beklagen, ist in Amerika noch in ganz anderer Weise ausgeprägt; namentlich macht sich dies in der Dichtigkeit der Wohnorte bemerkbar.

Wenn man mit dem Schnellzug fast einen ganzen Tag lang durch Waldungen und über Felder fährt und dabei kaum ein halbes Dutzend Mal an wirklichen Städten vorüber kommt, wobei dem vorbeifahrenden Deutschen sein liebes Vaterland recht eng erscheint, dann begreift man auch, dass diese Städte um so mehr die Krystallisations-Mittelpunkte für Handel und Verkehr sein müssen, je weiter dieselben auseinander liegen. Hier entwickelt sich dann auch eine grossartige Bauthätigkeit.

Ein paar Zahlen über das bauliche Wachsthum von Chicago und New-York mögen diese Verhältnisse verdeutlichen. In Chicago wurden von 1886-92 nicht weniger als 55 907 Neubauten mit einem Kostenaufwand von 251 316 000 Dollars aufgeführt, in demselben Zeitraum in New-York 24 444 Neubauten im Werthe von 431 110 000 Dollars. Der grosse Unterschied in den Baukosten erklärt sich einerseits durch den höheren Preis des Baugrundes in New-York, andererseits durch den Umstand, dass die Bauten in New-York von grösseren Abmessungen und kostbarerer Ausführung sind. Im abgelaufenen Halbjahr 1893 sind (wie das Münchener Patentbureau von G. Dedreux kürzlich mittheilte) in Chicago 4863 Neubauten für 18 235 805 Dollars, in New-York 1552 Neubauten um 43 007 813 Dollars errichtet worden,

Ein höchst bezeichnender Zug in der baulichen Physiognomie amerikanischer Städte ist die Trennung von Geschäfts- und Wohnvierteln. Dies bezieht sich namentlich auf die Ausnahmsstellung, welche die City – das Herz des Verkehrs – einnimmt. Welch ein Gegensatz zwischen den Vorstädten und der City, auch wenn man von dem hier herrschenden Leben ganz absieht und nur die äussere Erscheinung ins Auge fasst! Draussen kleine, niedliche Holzhäuschen mit selten mehr als einem Obergeschoss und einem grünen Fleckchen Land ringsum, – hier drinnen in der City unter äusserster Ausnutzung des Baugrundes himmelanstrebende Geschäftshäuser voll Staub und Russ. Wie weit die Ausnutzung des Baugrundes selbst noch weitab von der City getrieben wird, mag man daraus entnehmen, dass das am 17. August 1892 abgebrannte Metropolitan-Opera-House in New-York zwei siebengeschossige Flügel enthielt, in welchen trotz der bekannten Gefährlichkeit der Theater eine Bank (mit über 2 Millionen Dollars Depositen), eine Restauration und mehre Wohnungen untergebracht waren. Bei dem im Februar 1888 abgebrannten Union Square-Theater in New-York, das in ein Hotel eingebaut war, fanden sich sogar noch über Bühne und Zuschauerraum Fremdenzimmer! Solche Vorkommnisse wären – selbst bei Voraussetzung einer grossen Leichtfertigkeit unbegreiflich, wenn man nicht durch die enorme Höhe der Bauplatzpreise dazu gezwungen würde. Von letzteren einige Proben.

Im Zentrum der City von New-York kostet ein 25 : 100 Fuss grosses Bauloos, auf dem vielleicht ein altes, an sich werthloses Haus steht, die Summe von 825 000 Dollars (1 qm also etwa 19 470 M). Bei entfernterer Lage von der City nehmen die Preise natürlich entsprechend ab; allein noch 7 km von der City entfernt werden in der 5. Avenue, allerdings der vornehmsten Strasse New-Yorks, fabelhafte Preise bezahlt. Ein Platz, auf welchem z. Zt. ein werthloses Spital steht – 200 : 300‘ – ist um 2 400 000 Doll. feil, ein anderer – 75 : 100‘ – um 600 000 Doll.! Cornelius Vanderbilt hat im letzten Sommer sein Nachbarhaus (Ecke der 5. Avenue und Central-Park) angekauft für 375 000 Doll. nur um dasselbe einreissen und auf dem 25 : 100‘ grossen Grund einen Garten anlegen zu lassen! Der Besitzer des „New-York Herald“ zahlt für den Platz, auf welchem sein Geschäftshaus steht – allerdings an bevorzugter Stelle 30 Jahre lang eine von 10 zu 10 Jahren steigende Miethe im Jahresdurchschnitt von 65 000 Doll.; nach dieser Zeit verfällt der Bau dem Eigenthümer des Platzes, wenn der Miether nicht vorzieht, den ganz netten zweigeschossigen Bau, der im Charakter des Pal. della Signoria zu Verona gehalten ist, vorher abtragen zu lassen. Alle diese Zahlenangaben sind authentisch; ich verdanke dieselben einem mit den New-Yorker Verhältnissen sehr genau vertrauten dortigen Anwalt.

II. Baumaterialien und Konstruktionen.

Zwei Dinge sind es namentlich, welche dem europäischen, besonders dem deutschen Architekten beim erstmaligen Betreten amerikanischer Städte in die Augen springen: die gewaltige Höhe der Häuser und die unumschränkte Herrschaft ächten Baumaterials.

Die Aera der thurmhohen Häuser reicht nur auf etwa 20 Jahre zurück. Chicago, dessen Riesenhäuser bei uns zuerst von sich reden machten, ist noch jetzt diejenige Stadt, die sich rühmt, die meiststöckigen Häuser zu besitzen; sie sind aber alle erst geraume Zeit nach dem grossen Brand vom Oktober 1871 entstanden.

Abbildg. 1

In New-York gab es vor dem Bürgerkrieg fast keine fünfgeschossigen Gebäude; die starke Zunahme der Bevölkerung verlangte die Anordnung von mehr als 5 Geschossen bei Wohnhäusern, vulgo Miethkasernen; dies führte zur Einführung der Elevatoren, welche in der Konstruktion und der Bauart der Häuser eine vollständige Umwälzung hervorgerufen haben.

Die Zahl der Geschosse rechnet der Amerikaner von der Geländehöhe an, so dass also das Erdgeschoss mitzählt. Ein Landhaus mit Erd- und einem Obergeschoss wird also z. B. als zweigeschossig bezeichnet. Wir behalten diese Bezeichuungsart bei und werden dort, wo die deutsche Bezeichnungsart angewandt wird, stets von Erd- bezw. Obergeschoss reden.

Vor einem Vierteljahrhundert glaubte man mit siebenstöckigen Häusern das Aeusserste erreicht zu haben – und heute sind zehnstöckige eine häufige, dreizehnstöckige keine seltene Erscheinung und nun plant gar die Zeitung „The Sun“ für ihren eigenen Gebrauch einen Bau von 32 Geschossen! – In letzten Jahre soll in Chicago eine Bauverordnung ergangen sein, wonach die Häuser die Zahl von 16 Geschossen und eine Gesimshöhe von 150 Fuss nicht überschreiten sollen; wir sind aber überzeugt, dass man im Bedarfsfall unschwer die Wege findet, wie diese Verordnung umgangen werden kann. –

Ein sehr wichtiger Faktor bei der Errichtung der Thurmhäuser war auch die Einführung feuerfesten Materials; die oberen Geschosse würden sich sonst – trotzdem sie inbezug auf Luft – Licht günstiger sind – nicht leichter und besser vermiethen lassen als die unteren. Das älteste Haus New-Yorks, bei welchem das Eisen den wesentlichsten Bestandtheil der Bau-Konstruktion ausmacht, das Magazin der bekannten Silberfirma Tiffany & Co. am Union Square, stammt aus dem Ende der Sechziger Jahre. Bis vor wenigen Jahren war es sonst üblich die Mauern selbst als Träger der Decken-Konstruktion zu verwenden und dieselben entsprechend dick zu machen, wodurch in den unteren Geschossen die Mauern oft 1/4 der ganzen Grundfläche einnahmen; dies führte natürlich bei dem theuren Baugrund eine ansehnliche Beeinträchtigung der Rentabilität der unteren Geschosse herbei und damit war auch die Grenze für die Höhe der Häuser gegeben. Seit etwa 4-5 Jahren hat sich aber in der Anwendung der Eisen- und Stahlskelette ein grosser Umschwung vollzogen. Man fertigt jetzt ein vollständiges Metallgerippe, das man aufrichtet wie bei uns einen Fachwerksbau; die Wände stellt man davor und dazwischen. Wir werden in einem späteren Abschnitt, welcher sich eingehender auch mit der architektonischen Erscheinung dieser Riesenbauten befassen wird, darauf zurückkommen.

Die Aechtheit des sichtbaren Baumaterials fordert unser Erstaunen um so mehr heraus, als wir mit dem Begriff „amerikanisch“ bisweilen eine Spur „Humbug“ und „Schwindel“ verbinden – in baulicher Hinsicht sehr mit Unrecht. Nirgends findet man hier, wie bisweilen noch bei uns, Holz in Steinformen, Eisen wie Holz usw. durchgebildet, und gänzlich zu fehlen scheinen die Gesims- und Fassadenbildungen aus Zement und ähnlichem Material. Backsteinmauern an den Fassaden sind eine sehr häufige Erscheinung; aber sie bleiben stets als Feinbau sichtbar, entweder in den natürlichen Farben oder in einer durch Anstrich hervorgerufenen Steigerung derselben. Ausnahmsweise kommt es auch einmal vor, dass der Eine sein Haus ultramarinblau, der Nachbar seines – sonst ganz gleiches zur Unterscheidung grasgrün anstreichen lässt; aber das Material, aus welchem die Fassade errichtet ist, bleibt doch stets noch zu erkennen, Auch da, wo der Backsteinfeinbau seine Formen dem Steinbau entlehnt, verläugnet er doch nicht seine Abstammung von einem weichen, bildsamen Material. Wo je aus irgend einem Grunde Gesimse oder Erkerausbauten aus gepresstem Blech vorkommen, da sind dieselben stets so durchgebildet, dass man über das Material keinen Augenblick im Zweifel bleibt – zwar nicht immer schön, aber doch stets materialgerecht; die Uebereinstimmung der eingepressten Profile mit anstossenden Stockgesimsen beschränkt sich auf das Allernothwendigste. Mehr noch als dies beweisen die Holzbauten, wie wenig man ein Hehl daraus macht, auf das theurere Steinmaterial verzichten zu müssen und sich mit Holz zu begnügen; man bekennt dessen Verwendung ganz offen und ehrlich damit, dass man die Aussenwände mit Brettern verschalt oder mit Schindeln verkleidet.

Diese Gleichberechtigung, die man dort willig jedem Material einräumt, ist ein Spiegelbild der politischen Gleichstellung der Bewohner; jeder wird als vollgiltiger Bürger betrachtet.

Gleiche Anschauungen liegen wohl auch der meist befolgten Absicht zugrunde, Nebenfassaden nicht schlechter zu behandeln, als die Hauptfassade. Was man bei uns so oft wahrnehmen kann, das Sparen durch Anwendung geringeren Materials an den Nebenfassaden zugunsten der Hauptfassade, giebt es hier fast garnicht. Es ist mir wenigstens nur ein Fall begegnet, bei welchem dieser Grundsatz durchbrochen schien, bei dem Geschäftshaus der Unions Trust Co., New-York. Das Haus hat 2 Fassaden an zwei Parallelstrassen; die Hauptfassade am Broadway ist in hellem Granit ausgeführt, die Rückfassade mit ganz ähnlicher Architektur in Terrakotta. Vielleicht war hierfür weniger die billigere Herstellung der Bausteine als die leichtere Ausführung des Baues mit Terrakotten massgebend, was in der immerhin engen Strasse gegen die grossen Granitquader sprach.

An vortrefflichen natürlichen Baumaterialien ist Nordamerika in den von Gebirgen durchzogenen Gegenden, also besonders der Ostküste entlang und im Westen, sehr reich. Die Ausstellung in Chicago legt davon ein schönes Zeugniss ab. Wer etwa jetzt sich über diese Verhältnisse unterrichten will, dem kann ein Besuch des Museum of Natural History in New-York empfohlen werden. Hier finden sich nach den einzelnen Staaten und Territorien geordnet, sämmtliche Bausteine übersichtlich zusammengestellt. Von den Graniten, die in jeder Korngrösse und den verschiedensten Farben – hell- und dunkelroth, grau in allen Abstufungen bis weiss – vorkommen, werden jene aus den Staaten New-York, Massachusetts, Rhode-Island, Connecticut und besonders Maine in den Städten des Ostens wie New-York, Boston usw. mit Vorliebe verwendet. Einen sehr schönen weissen Marmor liefert Maryland, der namentlich in der grössten Stadt dieses Staates – Baltimore – sowie in Philadelphia und Washington (Capitol, Washington-Obelisk) gebraucht wird. Ausser den verschiedenfarbigen Sandsteinen, die für den Deutschen nichts Neues bieten, kommen an besseren Einzelwohnhäusern noch zur Verwendung u. a. salmfarbener Quarzit (Huronenschichten im Seengebiet), feinkörniger Kalkstein ähnlich dem sogen. Veroneser Marmor, hellgrüner Serpentin, der sich neben den ausgebrannten Grasflächen mitunter bedenklich farbig ausnimmt.

In der künstlerischen Behandlung dieses Steinmaterials hat sich, besonders in Zusammenhang mit der romanisirenden Stilrichtung, die rauhe Bossirung am meisten beliebt gemacht; namentlich findet man dieselben bei Granit angewendet, wobei mitunter der an Willkürlichkeit grenzende Wechsel verschiedenfarbigen Steins auftritt.

An der in den Jahren 1881-83 gebauten City-Hall in Albany liess Richardson z. B. die die Fenstergewände einfassenden Quaderketten aus dunkelrothem Sandstein in völlig unregelmässiger Verzahnung in das hellfarbige Granitmauerwerk eingreifen.

Bei der Schichtung wechseln häufig zwei ungleich hohe Schichten regelmässsig ab, wenn nicht überhaupt eine ganz unregelmässige Schichtung oder Cyklopenmauerwerk – das letztere nur an kleinen Bauten – vorgezogen werden. Glatte Spiegelquader, wie sie z. B. die City-Hall in Chicago zeigt, gehören namentlich bei den Bauten der letzten 6-8 Jahre zu den Seltenheiten.

Eine verhältnissmässig viel grössere Rolle als der natürliche Stein spielt der Backstein und zwar schon in den grossen Städten des Ostens. Die langgestreckten, leichtgebauten Holzschuppen, welche man beispielsweise auf der Fahrt den Hudson hinauf am Ufer wahrnimmt, sind nichts als riesige Lagerhäuser für Backsteine, die von hier aus nach dem 30-40 Meilen abwärts liegenden New-York verschifft werden. (Von den zahlreichen Eishäusern lassen jene sich wegen Ihrer luftigen Anlage leicht unterscheiden.) Weit mehr als hier findet der Backsteinbau in den westlichen Staaten der Union Verwendung, wo es an natürlichem Steinmaterial gebricht.

Wie schon oben erwähnt, werden die Aussenmauern nicht verputzt; wo dieselben aus Backstein bestehen, zeigen sie stets Feinbau – und zwar in einer bewunderungswürdigen Ausführung.

Die Sauberkeit, mit welcher die 16-20 stöckigen Fassaden Chicagos etwa mit Ausnahme der Fensterwände nur in Backstein ausgeführt sind, ruft immer wieder unsere Hochachtung vor dieser Technik wach. Die Leistungen, welche die North Western Terracotta Co. (Chicago) und die Hydraulic Press Brick Co. (St. Louis, von wo überhaupt die Trockenpressung der Klinkersteine ihren Ausgang nahm), auf der Ausstellung an scharf und sauber gebrannten Steinen vorführten, machen die vorzügliche Ausführung der damit hergestellten Fassaden begreiflich. Auch Formsteine – z. B. an den elliptischen Bogen des sog. „engl. Hauses“ der Ausstellung – passen scharf und sauber aufeinander. Bei den Verblendsteinen werden die Binder in gleicher Länge wie die Läufer, aber in doppelten Breiten hergestellt, so dass an der Fassade die Steine überall die gleiche Stirnfläche haben.

Auf Wechsel in der Farbe der Backsteinfassaden legt man anscheinend grosses Gewicht. Abgesehen von der verschiedenen Färbung des Rohmaterials und der Fugen, wird durch die verschiedene Herstellung der Steine selbst eine grosse Abwechselung erzielt. Unvollkommene Mischungen ungleich brennender Thone ergeben roth und gelb gefleckte oder geflammte Steine, Beimischungen von Eisenfeilspähnen verleihen denselben eine schwärzliche Punktirung. Vielfach beschränkt sich diese Veränderung der Grundfarbe blos auf eine oder zwei senkrechte Flächen der Steine; dabei werden besondere Farbenwirkungen durch Zusätze von Chemikalien veranlasst (chemical Bricks) oder durch Beguss von feinerem Thon, oder auch durch Bestreuen der Verblendflächen mit weissen Quarzsplittern, Kieselsteinen, Kohlengrus usw. Man kann sagen, dass alle Abstufungen von weiss an durch gelb, roth, blaugrau, braun bis schwarz nach Belieben hergestellt werden. Glasirte Backsteine sind selten; mit Rücksicht auf ihre Helligkeit und Reinlichkeit finden indessen weissglasirte Steine z. B. bei Lichthöfen vortheilhaft Verwendung.

Die Beliebtheit der unregelmässigen Rusticaquader hat dahin geführt, ähnliche Wirkungen auch mit künstlichen Steinen herbeizuführen. So hatten die North Western Terracotta Co. und Fiske, Homes & Co. (Boston) auf der Ausstellung einige Wandstücke ihrer „Rock-face-Bricks“ in verschiedener Farbe ausgestellt, welche ganz aus bossirten Quadern zu bestehen schienen; ein Quadrat von etwa 8 cm Seitenlänge bildet gewissermaassen die Einheit, die Stirnfläche aller anderen Steine, sei sie nun quadratisch oder rechteckig, bildet dann stets ein Vielfaches jenes Grundquadrates. Diese Steine sind zumtheil und in verschiedenen Varianten wirklichen Steinbossen nachgeformt, zumtheil werden sie – wenigstens bei kleinen Flächen – dadurch hergestellt, dass man zwei gleich grosse Steine mit einander formt, indem man in den betreffenden Thonblock eine den gewünschten Quaderkanten entsprechende Einkerbung macht und den Stein dann auseinander schlägt. Stilistisch lässt sich dagegen gewiss nichts einwenden, Dass man bei Entdeckung dieser Täuschung überrascht ist, darf kein Grund für die Verwerfung solcher Thon-Rusticaquader sein.

Die gewöhnlichen Verblendsteine besitzen meist die Grösse 20:10:6 cm; die den dünnen altrömischen Ziegeln nachgeahmten „Roman bricks“ sind in den Maassen 30:10:4 cm gehalten.

Eine grosse Wichtigkeit haben selbstverständlich die feuerfesten Backsteine erlangt. Der Leichtigkeit wegen werden sie nicht nur hohl, sondern durch Beimischung von Sägemehl und Aehnlichem porös hergestellt. Die Verwendungsweise solcher Hohlsteine besonders zu feuersicheren Decken zeigte auf der Ausstellung sehr hübsch die Pioneer Fire Proof Construction Co. (Chicago, III.): ein scheitrechtes Gewölbe von über 2,5 m Spannweite zwischen I-Eisen, die durch 2 Zugstangen verbunden waren. Das Gewölbe hatte eine Stärke von 38 cm und bestand aus 9 Steinen in einer durchschnittlichen Breite von je 30 cm. Wie hier, so liegt auch sonst die Gewölbunterfläche um eben so viel tiefer gegenüber der Unterkante der Eisenbalken, als die Dicke der Wandungen der Hohlsteine beträgt (etwa 16 mm, die Zwischenwände dünner); entsprechende Backsteinstreifen, die mittels eiserner Klammern befestigt werden, maskiren dann die Eisenträger, sodass die Decke eine wagrechte Fläche bildet, deren Verputz um so leichter anzubringen ist, als sie durch ihre Porosität und durch eigens angebrachte Rinnen eine bedeutende Rauhigkeit besitzt. Für die Fälle, in denen Zugstangen nothwendig sind, werden Steine mit eingeknickten Wandungen hergestellt, so dass die Stangen freiliegen, ohne dass klaffende Fugen im Gewölbe entstehen. Bei Flachgewölben genügen selbst bei Spannweiten von 3,5 m und einer Pfeilhöhe von 20 cm Hohlsteine von 15 cm Stärke; zur Abgleichung dienen kleine halbzylindrische Hohlsteine, deren Beton-Hinterfüllung zugleich die schwalbenschwanzförmigen Holzleisten zur Befestigung des Holzbodens aufnimmt. Für Wände hatte die genannte Firma Hohlsteine von 20 cm im Quadrat in Dicken von 2, 3, 4, 5 und 6 Zoll ausgestellt.

Bei der durch die maschinellen Einrichtungen gewährleisteten Genauigkeit der Formsteine ist die weitverbreitete Anwendung derselben begreiflich; ihre relative Billigkeit verleitet freilich auch zu manchem unpassenden Gebrauch. Es kommt z. B. vor, dass an einer Fassade durch mehre Geschosse hindurch die (scheinbaren) Quaderschichten abwechselnd mit einem schmalen (einfachen) und einem breiten (dreifachen) Flechtband in starkem Relief geschmückt sind. – So unbedeutend die feinere Keramik-Technik in Amerika bis jetzt entwickelt ist, so hoch steht die Baukeramik. Die Trockenpressung lässt eben ein viel sichereres Arbeiten zu; es wird nicht nur schon beim formen der Steine eine grössere Schärfe und Gleichmässigkeit erreicht, sondern es werden auch alle durch den Ofenbrand verursachten Veränderungen eingeschränkt. – Einer der hervorragendsten Backsteinbauten New-Yorks ist der Madison Square Garden (erbaut von Me. Kim, Mead & White, eröffnet 1890), ein Vergnügungslokal grössten Stils mit hohem Aussichtsthurm. Mit Ausnahme der granitnen Säulen der Parterrehalle bestehen seine architektonischen Gliederungen wie Gewände, Gesimse, kleine jonische Säulen mit Kanellirungen usw. ganz aus Terracotta von vortrefflicher Modellirung. Neben der Abformung tritt aber auch z. B. an korinthisirenden Kapitellen, Ornamentfriesen usw. die freie Modellirung auf; aus dem künstlerischen Vortrag derselben kann man in vielen Fällen mit einiger Sicherheit schliessen, dass italienische Arbeiter hier ihre Hand im Spiele gehabt haben.

Vergl. hiermit die in No, 39, 40 u. 41 d. Jahrg. enthaltenen Angaben von Maier in Constanz.

Der Schutz des Eisens gegen die Einwirkungen eines etwa ausbrechenden Feuers muss sich natürlich auch auf die senkechten Stützen erstrecken; bei den Umkleidungen derselben bleiben stets zur weiteren Isolirung des Metalls Hohlräume zur Luftzirkulation frei, und die Aussenfläche erhält einen Zementüberzug. In Chicago gilt Geo H. Johnson als Erfinder dieser Schutzsteine; er soll dieselben zum ersten Mal an einem grossen Geschäftshause daselbst angewandt haben. In New-York ist das Potter Building (aus dem Anfang der 80er Jahre) der erste Bau, der nicht allein mit künstlerischen Terrakotten geschmückt, sondern auch mit feuerfesten Schutzsteinen versehen wurde.

Als Dachdeckmaterial sind neben den Schindeln die Metallbedachung und der Holzzement sehr vielfach im Gebrauch; seit etwa 10 Jahren, wohl auch zumtheil imgefolge des romanischen Stils, hat man auch den Dachziegeln mehr Aufmerksamkeit geschenkt – und man muss anerkennen, dass hierin technisch und formal Bedeutendes geleistet wird. Was z. B. die Celadon Terra Cotta Co, in Alfred Centre (N. Y.) in Roofing Tiles an einem kleinen zierlichen Bau vereinigt hatte, war im hohem Grade erfreulich. Die ursprünglich rechteckige Grundform unserer Biberschwänze wird hier in der mannichfachsten Weise variirt: bald mit abgerundeten, abgeschrägten, ausgerundeten Ecken, bald spitzbogig, halbrund, geschweift oder dreipassförmig. Daneben kommen Falzziegel mit rhombischer Grundform vor, wobei die Befestigung an der oberen, durchlochten Spitze mittels Drahtstiftes erfolgt; die untere Ecke wird bald abgestumpft oder zu einer Nase aufgestülpt, bald ausgeschweift oder gerade abgeschnitten. Durch gleichzeitige Anwendung glatter und mit Nase versehener Ziegel lässt sich die Dachfläche leicht mit allerlei Mustern beleben. – Am meisten Bewunderung verdienen die kegelförmigen Ziegeldächer; das von der oben genannten Firma ausgestellte Dach eines runden Thürmchens bestand aus 16 Horizontalreihen mit etwa je 20 Ziegeln, die von Reihe zu Reihe eine engere Nummer aufwiesen. Das Ineinandergreifen der einzelnen Ziegel ist aus nebenstehender Skizze zu ersehen (s. Abbildg. 1). Uebrigens haben glasirte Dachpfannen schon durch Richardson Verwendung gefunden.

Bei solchen Leistungen wird das feuergefährliche Schindeldach bald ganz aus den Städten verschwinden; denn vor dem Feuer hat man in Amerika einen gewaltigen Respekt. Im Hinblick auf die früher noch umfangreiche Verwendung von Holz sagt man in Chicago – nicht ohne einen Beigeschmack von Frivolität und Grossprecherei das grosse Feuer (Oktober 1871) habe eine hölzerne Stadt angetroffen und eine steinerne hinterlassen. In der That baut man seither in der innern Stadt gar nicht mehr aus Holz, und man achtet überhaupt viel mehr auf Feuersicherheit, als früher; aber die Vorschriften sind theils ungenügend, theils werden dieselben umgangen. Ein im letzten Sommer stattgehabter Brand im Senat-Hotel, bei welchem mehre Menschen umkamen, veranlasste den Bauamts-Kommissar Toolen, eine Inspizirung einiger Logirhäuser vorzunehmen, die zu ganz merkwürdigen Ergebnissen führte. Eines derselben – es hatte allein im 4. Geschoss 144 Zimmer – besass zwar an der Vorder- wie an der Rückfassade schmale eiserne Feuertreppen, aber im Innern nur hölzerne Scheidewände und eine einzige Treppe von 4 Fuss Breite. Aehnliche Zustände fanden sich auch an anderen Häusern; in einem derselben waren sogar 100 Zimmer ohne Fenster, obgleich ein Stadtgesetz vorschreibt, „dass jedes Wohnzimmer wenigstens ein nach der Strasse, dem Hof oder einem Lichtschacht hinaus gehendes Fenster haben muss“.

Die Feuertreppen und Balkone aus dünnen Eisenstangen bilden eine in hohem Grade entstellende Beigabe zahlreicher Häuser; eine Nothwendigkeit hierzu liegt dann vor, wenn das Haus viel brennbare Konstruktionstheile und besonders hölzerne Treppen enthält. Alle als „absolutely fire proof“ bezeichneten Häuser, namentlich die grossen Waarenmagazine, Hotels, Banken usw. sind frei von allen brennbaren Konstruktionstheilen und besitzen meist ausserdem in allen Geschossen noch ausgiebige Löschvorrichtungen, die zur Beruhigung der Besucher sichtbar genug angebracht sind.

Dass das Holz dagegen bei Bauten ländlichen Charakters noch eine grosse Rolle als Konstruktionsmaterial spielt, ist selbstverständlich; wir werden später darauf zurückkommen. In neuester Zeit werden einzelne Bautheile im Aeussern aus gepresstem Metall (Kupfer) hergestellt, vielleicht weniger deshalb, weil dieselben der Witterung besonders stark aussetzt sind, als vielmehr wegen der billigen Herstellung. Die Fabrik von W. H. Mullins (Salem, Ohio) liefert z. B. Gesimse von 130 cm Höhe und 70 cm Ausladung um etwa 50 M. für 1 m, einfachere Gesimse schon zu 1 Doll. für 1 engl. Fuss. –

Abbildg. 5 – Gerichtsgebäude in Los Angeles (Südkalifornien) – Nach The Californian illustr. Magazine 1892

III. Stilistisches.

Durch den Unabhängigkeitskrieg hatte Nordamerika wohl die politische Unabhängigkeit von seinem Mutterland England errungen; aber in allem Nichtpolitischen blieb das Land der alten Welt tributpflichtig bis auf den heutigen Tag. Freilich je länger desto weniger; auch in dem Architekturstil lässt sich dies verfolgen.

Die letzten Ausklänge der historischen Stilarten, zugleich der Beginn der Zeit des Eklektizismus, fällt zusammen mit der Jugendzeit der Union; der damals herrschende Stil, den die heutigen Amerikaner „Kolonialstil“ nennen, weil seine Wurzeln noch in die Koiloniezeit zurückreichen, steht dem europäischen Empirestil am nächsten. Das hohe Ansehen, das derselbe heute – namentlich beim inneren Ausbau, dem Mobiliar usw. – geniesst, beruht zumtheil auf der von England ausgegangenen Wiederaufnahme, dieses Stils, zumtheil (und wohl noch mehr) auf der Neigung,der Amerikaner, das, was sie – ihrer Meinung nach – Originales haben, gegenüber dem europäischen als spezifisch amerikanisch herauszukehren, Dass auch grosse geschichtliche Erinnerungen dabei im Spiel sind, beweist der Druck, den man in Chicago auf die Architektur-Jury ausgeübt hat, um das nicht als preiswürdig erkannte Staatengebäude von New-Jersey blos deshalb schon zu prämiiren, weil das demselben zugrunde liegende Original im Winter 1779/80 dem General Washington als Hauptquartier gedient hat; – und doch war das Ganze ein nüchterner Holzbau im Steinstil, mit einer von Holzpfeilern getragenen Vorhalle, hölzernem Gesims usw., kurzum ein Bau, dem man in künstlerischer Hinsicht gar keine Freude haben konnte.

Abbildg. 2 – Entwicklung eines runden Erker-Ausbaus über einer rechtwinkl. Fassadenkante

Zu den besten Bauten aus dieser Frühzeit gehört immerhin noch die 1803-12 erbaute City-Hall in New-York und das in der Hauptsache nicht viel später erbaute Kapitol zu Washington (Vergl. hierüber die Veröffentlichung in der Dtsch. Bztg. 1887, S. 217.); während man z. B. auf dem südlich des New-Yorker Hafens liegenden Staaten-Island eine ganze Anzahl Häuser treffen kann, die jenem Ausstellungsbau von New-Jersey gleichen und ebenso gut auf europäischem Boden in den 20er und 30er Jahren entstanden sein könnten. Dass die Architektur eines Landes, dessen Traditionslosigkeit sprüchwörtlich ist, stilistisch nicht minder haltlos ist als jene in den Ländern der alten Welt, liegt auf der Hand; dass dieselbe aber in ihren einzelnen Phasen bis: vor etwa zwei Dezennien der europäischen parallel lief, ist eine Erscheinung, welche deutlich beweist, wie: sehr die Architektur Nordamerikas bis dahin sich von jener der europäischen Grosstädte gängeln liess. Eine Umschau in New-York giebt von dieser Parallelbewegung ein treffliches Bild.

Abbildg. 3 – Brüstungs-Anschluss (n. Mod. Rom.)

Ausserhalb dieser Parallelbewegung steht das im Jahre 1860 errichtete Stadtgefängniss (The Tombs), ein Granitbau im altägyptischen Stil; im übrigen aber herrschte um diese Zeit im Profan – wie im kirchlichen Bauwesen der gothische Stil (Universität 1832 bis 1835). Die Bauten der 50er und 60er Jahre tragen alle den gleichen Charakter wie die gleichzeitigen Durchschnittsbauten bei uns; als rühmenswerthe Ausnahmen sind indessen zu bezeichnen die Nat. Bank of Commerce (1857), das County-Court-House (Architekten Kellum und Seidlitz, 1861 ff.), das Broadway-Cetral-Hotel (1869), welche in vornehmer italienischer Renaissance bez. schlichten Barock ausgeführt sind. Sonst treffen wir auf Schritt und Tritt die elliptischen oder stichbogigen Fensterstürze mit den von gothischen Motiven abstammenden gebrochenen Fensterverdachungen, die am Kämpfer geknickten Spitzbogenfenster, die ein Geschoss hohen bogentragenden Säulen in endlosen Reihen und gleichmässig durch mehre Geschosse wiederholt, – eine Häufung schwulstiger Konsolen und Schlussteine – nüchtern, ohne jeden Versuch, grosse Massen auch durch grosse Linien zu theilen. Es kommen Bauten mit 8 gleichen Geschossen, andere mit 29 gleichen Axen in diesem „Unstil‘“ vor!

Abbildg. 4, Archivolt-Anfänger (Nach Modern Romanesque)

Das in Jahrg. 1884, S. 466 abgebildete Miethhaus in Washington ist bezeichnend für den Stil dieser Periode.

Erst mit dem grossen Aufschwung, den die Bauthätigkeit in den 70er Jahren genommen, beginnt man, sich von den Fesseln der eben geschilderten Afterkunst zu befreien. Der Zwang, die immer höher aufsteigenden Baumassen mit anderen Mitteln als den bisherigen zu bewältigen, wurde zu mächtig, als dass man sich demselben hätte entziehen können; man fing an, auf den nichtssagenden, vorgeklebten Schmuck zu verzichten und statt dessen von innen heraus ganz dem Bedürfniss und dem Material gemäss die Bedingungen für die künstlerische Erscheinung zu entwickeln. Wohl entstanden noch ab und zu öffentliche Gebäude – wie die Hauptpost in New-York (vollendet 1876), die Post und die City-Hall in Chicago, die City-Hall in Philadelphia (1884 begonnen), welche die Bauformen der Renaissance in geläuterter Weise zur Anwendung brachten; aber das beweist nur, dass die öffentlichen Gebäude auch drüben bei Stilwandlungen den Privatbauten nicht vorangehen; das öffentliche Bauwesen folgt auch dort den Stilwandlungen erst, wenn dieselben eine gewisse Klärung, eine Zeit der Reife erlangt haben.

Ueber Regierungsbauten in den Vereinigten Staaten vergl. den betr. Aufsatz in Jahrg. 1888, S. 977.

Hier muss eingeschaltet werden, dass der gothische Stil, der bei den kirchlichen Bauten in New-York bis in die letzten Jahre der herrschende blieb, sich an anderen Orten, z. B. Philadelphia, auch bei Profanbauten noch heute einer gewissen Beliebtheit erfreut; deshalb hatte der Staat Pennsylvanien sein Gebäude auf der Weltausstellung in diesem Stil gehalten. Ausserdem hat man gelernt, da, wo der Zweck des Baues dies gestattet, ältere Stilweisen in trefflicher Weise nachzuahmen; mit Vorliebe nimmt man dabei berühmte Bauwerke Europas zum Muster. So findet sich in New-York die französische Frührenaissance an einem der Vanderbilt-Häuser und an dem Hause der American fine Arts Society (1889, Arch. J. Hardenbergh) – letzteres eine Nachahmung des Hauses Franz I. in Paris. Im Stil des Dogenpalastes in Venedig ist die National-Academy of Design (Arch. P. B. White – und das weissmarmorne Haus des Metropolitan-Klub (vulgo Millionärsklub) – 800 Mitglieder, Eintrittsgeld 300 Doll., Jahresbeitrag 100 Doll.!!) lehnt sich in den Geschosshöhen, in den Fenster-Umrahmungen, besonders aber im Hauptgesims ganz eng an den Pal. Farnese in Rom an (Erbauer: Mc. Kim, Meat & White). Als letztes dieser Beispiele sei der Thurm des früher erwähnten Madison Square Garden genannt, der sein Aeusseres im wesentlichen von dem Thurm der Kathedrale zu Sevilla geborgt hat.

Während bei uns in den 70er Jahren nach der italienischen die deutsche Renaissance, dann Barock und Rococo in Mode kamen, trat in Amerika ein anderes Element auf den Plan, das bald eine epochemachende Bedeutung erlangte und eine weitere Parallelbewegung der amerikanischen Architektur mit der europäischen ausschloss; abgesehen davon wären aber Barock und Rococo schon deshalb auf amerikanischem Boden nie heimisch geworden (wenigstens im Aeusseren), weil die damit zusammenhängende Ueberhandnahme des Ornaments sich mit den dortigen Arbeitspreisen nicht wohl verträgt.

Dieses neue Element, dessen allmähliches Umsichgreifen zusammenfiel mit der fortschreitenden Lossagung von europäischen Einflüssen, und das wohl deshalb so allseitig mit Begeisterung aufgenommen wurde, weil es als etwas entschieden Neues, Amerikanisches erschien und sich damit in unmittelbaren Gegensatz zu den herrschenden Stilen des „alten Europa“ stellte – vielleicht auch weil es durch seinen entschieden romantisch-malerischen Zug ein erfrischendes Gegenmittel gegen die geschäftsmännische Vernüchterung des Daseins bildet – dieses neue Element war das „Modern Romanesque“, das Henry Richardson (geb. 1839, † 1886) aus romanischen Motiven, hauptsächlich der normännischen und provengalischen Bauten zurechtschweisste.

Vergl. Jahrg. 1892, S. 64 und 1893, S. 283.

Mit der Trinity Church in Boston (1875) ward der Grund gelegt zu einer neuen Architekturschule, die man wohl als eine spezifisch amerikanische Wiedergeburt des romanischen Stils bezeichnen darf; ein Blick auf die Abbildungen dieser Kirche (a. a. O.) lässt es begreifen, dass dieser Bau von den amerikanischen Architekten (1885) einstimmig als der schönste Amerikas gepriesen wurde. So kurz die Thätigkeit Richardson’s währte, so hat sie dennoch genügt, um das amerikanische Privatbauwesen von Grund aus umzugestalten.

Die überwältigende Mehrheit aller Steinbauten, sofern dieselben überhaupt auf Beachtung Anspruch machen, trägt seit Mitte der 80er Jahre den Charakter des normännisch-romanischen Stils, – und selbst reine Backsteinbauten huldigen demselben mehr und mehr; aber das rauhe Bossenquaderwerk ist das bezeichnendste Ausdrucksmittel dieses Stils. Nicht nur die Mauerflächen, sondern vielfach auch Archivolten und Fensterstürze werden aus rauhen Bossenquadern – mit und ohne Farbenwechsel – hergestellt. Grössere Mauerflächen unterbricht man bisweilen durch einfache geometrische Muster (Flechtwerk, Kreuze, Schachbrettmuster). Die Gliederung der Wand beschränkt sich dann auf karge Geschossgesimse und schlanke Bogenfelder mit dünnen Ecksäulchen; erhöhte Bedeutung gewinnen die Bogenfelder, wenn – wie bei den grossen Geschäftshäusern – die Mauerpfeiler auf ein Minimum zusammenschrumpfen, indem sie dann oft kleinere Fenstergruppen zusammenfassen. Die Fenster werden im übrigen entweder rundbogig (auch stark gestelzt, selten als Korbbogen) oder rechteckig gebildet; – im ersteren Fall sind dieselben meist von Säulchen begleitet, im letzten häufig zu Gruppen von 2-5 vereinigt und dann fast ausnahmslos durch steinerne Kämpfer getheilt. – Je mehr das Bossenwerk eingeschränkt wird, um so mehr findet dann jenes Architektursystem, welches die normännischen Kirchen Englands (Norwich, Ely, Romsey, Peterborough) und der Normandie (Eerainville, Etretat) im Innern zeigen, auf das Aeussere Anwendung.

Die Rundbogen werden je nach ihrer Bedeutung durch breite Archivolten gebildet, die besonders bei den Portalen oft eine reiche Gliederung durch Wulste usw. erhalten, dann aber auch von kurzen Säulchen getragen werden, so dass sich für solche Portale stets sehr gedrückte Höhenverhältnisse ergeben. Dem düstern, strengen Charakter solcher Bauwerke, der eigentlich dem amerikanischen Temperament wenig angepasst ist, entsprechen die steilen Dächer mit den steilgiebeligen Dachfenstern und den schmalen Gesimsen. An den Thürmen, mit denen sehr häufig öffentliche Gebäude – Rathhäuser, Schulen, Bahnhöfe, Bibliotheken, Gerichtshöfe usw. – ausgezeichnet werden, mischen sich – besonders bei Ausführung in Backstein – normännische Motive mit italienischen oder spanischen (Salamanca); die hohen schmalen, durch Lisenen getrennten Felder und die kegelförmigen oder pyramidalen Thurmdächer stammen aus dem Süden (vgl. Markusthurm in Venedig), die Kantenthürmchen (dreiviertelzylindrisch) sind mehr nordischen Motiven (Normandie) entnommen.

Dem Ornament ist eine ziemlich bescheidene Rolle zugetheilt; neben den rauhen Quadern und mit Rücksicht auf das Steinmaterial ist das „modern romanesque“ ganz am Platze. Ausser an den Kapitellen, Friesen und anderen mehr selbständigen Bautheilen tritt es überall da auf, wo es etwas zu verdecken oder: zu vermitteln giebt; an den Archivoltanfängen deren äussere Glieder sonst über das Kämpfergesims vortreten würden, an den Verschneidungen zweier Bogen, bei Uebergängen aus dem Rechteck in die Rundung und umgekehrt (s. Abbildg. 2, 3, 4); ebenso wuchert dieses Ornament, in welchem der byzantinisch geschnittene Akanthus eine durchaus vorherrschende Stellung einnimmt, von den Kapitellen der Ecksäulchen aus auf das Quaderwerk hinüber, wie auch umgekehrt das Ornament aus dem rauhen Bossen – anfangs verschwommen, dann immer deutlicher werdend sich herausschält – nie sehr tief, aber doch klar umrissen und dem groben Steinmaterial trefflich angepasst.

Der Einfluss dieser Ornamentrichtung ist so mächtig, dass selbst ausgesprochene Renaissancebauten sich demselben nicht immer ganz entziehen können.

Einen Theil der Verbreitung dieses Ornaments darf man wohl auf Rechnung der billigeren Herstellung desselben setzen; die zierlichen Ornamente der italienischen Renaissance erfordern mehr Arbeitszeit und kostbarere Kräfte als die derben romanischen Formen. Bezeichnend ist daher, dass Ornamente in anderen Stilen selten ganz befriedigen, und dass Figürliches sogar in der Regel – selbst an dem sonst vortrefflichen Vanderbilt-Haus auf recht niederer Stufe steht.

So übertrieben es ist, Richardson einen „zweiten Michelangelo“ zu nennen, wie dies seitens eines englischen Fachgenossen geschehen (Deutsche Bauzeitung 1893, S. 234), so empfindet man doch seinen Bauten gegenüber unwillkürlich den Eindruck, Erzeugnisse einer kraftvollen, selbstbewussten Künstlernatur vor sich zu haben. – Es dämmerte bereits, als ich eines Abends ziellos durch einige ziemlich menschenleere Strassen in der City Chicagos schlenderte; da stand ich plötzlich vor einem Bau, der mich durch seine trotzige Kraft, durch seine majestätische Erscheinung fesselte. Mächtige rothe Granitquader von fast 5 m Länge bei über 90 cm Höhe bildeten den Sockel, kleinere, aber fast durchgängig in rauhen Bossen vortretende Quader thürmten sich bis zur Höhe von sieben Geschossen empor, Fenster und Fenstergruppen von über 4,5 m Breite frei lassend und an den Ecken des Baues sich zu Pfeilern von 5 m Breite verdichtend. Ohne zu wissen, dass ich hier dem nach Richardson’s Entwurf ausgeführten Wholesale Establishinent von Marshall Field & Co. gegenüberstand, hatte ich den Eindruck: so hätte wohl ein Florentiner des XV. Jahrhunderts die Aufgabe gelöst, einen siebenstöckigen Geschäftsbau zu errichten. (Eine Abbildung des betr. Fassadensystems folgt im V. Abschnitt.)

Es ist in der That nicht zu verwundern, dass der Einfluss Richardson’s ein ganz gewaltiger war. Man braucht nur die Bauten der 60er und 70er Jahre durchzugehen und dieselben mit jenen der 80er und den späteren zu vergleichen, um sich davon zu überzeugen, dass die von Richardson eingeschlagene Richtung seit seinem Tod (1886) die herrschende geworden ist – nicht nur in der ganzen Union bis zum pacifischen Ozean hinüber, sondern auch in dem benachbarten Canada.

Vergl. das von Shepley, Rutan & Coolidge (Boston), den Geschäftsnachfolgern Richardsons, erbaute Stationsgebäude im Jahrg. 1888 d. Bl. S. 618 und die Abbildung 5 des Justizgebäudes in Los Angeles (Südcalifornien) 8. 480.

Mit welchem Recht, d. h. ob immer zum Vortheil der Kunst, darüber kann erst die, zukünftige Kunstgeschichte entscheiden; aber dass Richardson mit der Wahl dieses Stils im allgemeinen einen glücklichen Griff gethan, kann schon jetzt nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Gerade die Unabhängigkeit dieses Stils von festen unumstösslichen Regeln, deren Einhaltung ja die antiken Säulenordnungen verlangen, befähigt den romanischen Stil in hohem Grade, sich allen Verhältnissen anzupassen, und. damit sowohl den Bedürfnissen des zweistöckigen Einzelwohnhauses wie des vielstöckigen Geschäftshauses sich unterzuordnen. Gewiss ist da und dort Manches noch nicht genügend ausgereift – manche Frage harrt noch ihrer Lösung – aber das Selbstbewusstsein der amerikanischen Architekten und die Konsequenz, mit der dieselben jenen Stil verfolgen und weiter entwickeln, lässt hoffen, dass auch die unklaren Punkte sich mit der Zeit aufhellen werden.

Der Mangel einer Tradition, der in Amerika in dekorativer Hinsicht vielfach empfindlich berührt, ist bei der Lösung künstlerisch struktiver Aufgaben – die ja den Kern architektonischer Schöpfungen bilden – eher von Vortheil. Naive, ursprüngliche Empfindungen treten hier viel ungescheuter an die Oeffentlichkeit als dort, wo jedem Laien auf dem Gymnasium von antiker Architektur schon so viel eingeimpft worden, dass er geneigt ist, alles andere für Barbarei anzuschauen! Es mag sein, dass ein gründlicher Kenner der amerikanischen Bauten der letzten 15 Jahre – wie der 1893 S. 234 zitirte Montgomery Schuyler – zu anderen Anschauungen kommt; aber andererseits berührt die Ursprünglichkeit und Frische der grossen Mehrzahl dieser Bauten den in alten Ueberlieferungen grossgesäugten europäischen Architekten ungemein wohlthuend, wenn seine Empfindungsfähigkeit für Fremdes noch nicht verkümmert ist. Man bekommt den Eindruck, dass hier die formale Erscheinung mehr in Diensten des Zweckes steht als bei uns, wo nur zu oft Säulenordnungen auf Säulenordnungen vor die Fassade geklebt werden, während dort die künstlerische Phantasie stets von dem sichern Boden der Zweckserfüllung ihren Flug beginnt und nicht umgekehrt, den Zweck ihren Liebhabereien unterordnet.

Dass viele Nachahmer Richardson’s nur gelernt haben, „wie er räuspert und wie er spuckt“, darf nicht dazu verleiten, die Wirkung seiner Thätigkeit eine in den meisten Fällen „tief zu beklagende“ zu nennen. Es war von jeher so, dass grosse Genies, welche auf der breiten Grundlage allseitigen Könnens stehen, am meisten in ihren Schrullen und Launen nachgeahmt werden (man denke an Michelangelo); die Nachtreter verkennen eben zu oft den Zusammenhang zwischen den leitenden Gedanken und ihrer äusseren Form, sie ahmen die letztere nach, ohne durch die gleichen Gedanken dazu gezwungen zu werden.

Wollte man nur die Privathäuser inbetracht ziehen, so könnte man wohl auf Richardson’s Stil verzichten; sobald aber die Thurmhäuser infrage kommen, muss man doch bekennen, dass kaum ein anderer Stil sich so sehr den hier auftretenden Bedürfnissen gefügt hätte. Uebrigens ist auch an den steinernen Familienhäusern der besseren Vorstadtquartiere – seien sie nun im Reihen- oder Cottage-System erbaut – seit den letzten 10 Jahren, der urwüchsige, kernige „Ritterburgenstil“ vorherrschend geworden und gewiss nicht zum Nachtheil des malerischen Reizes, den diese mit Grün durchwachsenen Stadttheile ausüben.

Schon durch das rauhe, unregelmässige Quaderwerk der Mauern erhalten selbst die einfachsten Bauten ein lebhaftes Aeussere; mehr noch wird dies erreicht durch die Gruppirung der Bautheile, welche, so willkürlich dieselbe von aussen oft auch scheinen mag, doch dem inneren Organismus entsprungen ist. Man kann nicht bestreiten, dass dieser letztere manches Gesuchte und Launenhafte an sich trägt; aber dadurch wird fast jedes einzelne Häuschen auch zu einem selbständigen Individuum, das dem Willen des Bauherrn entspricht. Das Launenhafte erklärt sich auch daraus, dass man — wie uns in Chicago erzählt wurde – den Frauen bei Feststellung des Hausplanes einen besonders grossen Einfluss einräumt; die Frau hat dazu nicht allein mehr Musse, sondern sie ist auch mehr bei ihrem Heim interessirt als der Mann, der unter Tags doch in der City seinem Geschäft nachgeht.

Die natürliche Folge dieser Verhältnisse ist, dass eine grosse Mannichfaltigkeit herrscht, und wenn es je vorkommt, dass einmal eine Reihe solcher Häuser nach mehr oder weniger gleichen Grundgedanken ausgeführt wird, da wird doch fast stets dafür gesorgt, dass Giebel oder Erkerthürmchen, Eingänge oder Altane kleine Unterschiede zeigen.

Im Einzelnen wird der europäisch geschulte Architekt an Vielem Anstoss nehmen; er wird nur zu oft kopfschüttelnd ungelösten Kontrasten gegenüberstehen – aber imganzen wird er doch schliesslich diesem romantischen Stil auch bei den Einzelhäusern die Berechtigung zusprechen.

Dass das rasche Wachsen der amerikanischen Städte allerlei Auswüchse imgefolge hat, ist natürlich. Manche Städte, namentlich Chicago, tragen etwas von dem Charakter eines Parvenu an sich; zahlreiche Zustände der Stadt muss man den „Flegeljahren“, in denen sie sich noch befindet, zur Last legen. Andererseits aber zeigt sich neben dem jugendlichen Uebermuth auch die jugendliche Unternehmungslust, der Wagemuth, dem keine Aufgabe unlöslich scheint und der keck an deren Lösung herantritt, um erst. vielleicht durch schlimme Erfahrungen belehrt zu werden. – Das im Jahrg. 1886, S.4 wiedergegebene Urtheil amerikanischerseits über die Architektur New-Yorks (im Vergleich mit jener Berlins) kann im allgemeinen als zutreffend bezeichnet werden – jetzt vielleicht noch mehr als damals; die „Entschiedenheit des Strebens, Struktur und Architektur in Einklang zu bringen“, beherrscht auch heute noch die dortige Bauthätigkeit.

Wir haben es hier mit einer sehr jugendlichen, erst aufblühenden Kultur zu thun, die mit allen Eigenheiten der Jugend, ihren Vorzügen und Mängeln behaftet ist und wir begreifen es daher auch, dass der Geschmack sich nicht selten roh und wild gebärdet. Es ist ein grosser Gährungsprozess, in welchem sich dieser junge Most noch befindet; dieser aber hat allem Anschein nach das Zeug in sich, einmal ein kräftiger Wein zu werden. –

IV. Wohnhäuser.

Bei einer Betrachtung amerikanischer Wohnhäuser darf füglich das Miethhaus (Vergl. Dtsch. Bztg. 1884, S. 461 und 1857, S. 47) ausser Betracht bleiben; denn nicht allein erfährt dasselbe keine so wesentlich andere Einrichtung und Durchbildung wie das unserige, sondern es spielt auch drüben noch eine zu untergeordnete Rolle gegenüber dem Familienhause, das in England so häufig ist, in Deutschland aber zu den Ausnahme-Erscheinungen gehört. Die deutschen Städte sind zu zählen, in welchen dieser Gebrauch so sehr die Regel bildet wie in Bremen, wo es z. B. den plötzlich dorthin versetzten höheren Offizieren schwer fällt, passende Miethswohnungen aufzutreiben. Da aber das Familien-Wohnhaus bei uns in den letzten Jahren mehr und mehr erstrebt wird und die Sehnsucht danach von Jahr zu Jahr zunimmt, so bieten gerade die derartigen Wohnstätten ein besonderes Interesse, – mögen dieselben nun dem absoluten Bedürfniss oder mehr der Reaktion gegen das Zusammenpferchen in der City ihre Entstehung verdanken.

Abbildg. 6 – Blick in eine Wohnstrasse zu Chicago

Wie schon früher bemerkt, kann man in den amerikanischen Grosstädten sehr deutlich Geschäfts- und Wohnquartiere von einander unterscheiden – aber nicht nur inbezug auf City und Vorstädte, sondern nicht selten auch inbezug auf die Strassen selbst. Die Strassen, welche (mittels Elevated, Cable Cars usw.) den Verkehr zu den Vorstädten vermitteln, sind auch Geschäftsstrassen; die parallel damit laufenden Wohnstrassen zeigen eine durchaus andere Physiognomie. Die Abbildung 6 gewährt einen Einblick in eine solche Wohnstrasse; im Gegensatz zu den gepflasterten Verkehrsstrassen sind diese Wohnstrassen meist asphaltirt, sauber gehalten, von baumbepflanztem, wohlgepflegtem Rasen eingefasst und mit soliden Gangsteigen versehen, auf welche die Treppen der einzelnen Häuser münden.

Abbildg. 10 – Mietshaus in New-York

Die Anordnung der Häuser an den Strassen hängt natürlich sehr von den zur Vorfügung stehenden Bauplätzen ab; eine dichte Bauweise wird man stets in der Nähe der City, eine lockere weiter draussen finden. Die erstere führt namentlich bei der Gleichheit der Bauloose sehr häufig dazu, Dutzende von ganz gleichen Häusern nebeneinander zu stellen, wie dies auch bei Londoner Vorstädten Regel ist. Der Eindruck, den man von solchen Strassen erhält, ist kein wohlthuender; wenn dieselben aber gar einiges Gefälle haben – wie z. B. in New-York und Baltimore – so wird man davon ebenso peinlich berührt, wie wenn man die hintereinander stehenden Versatzstücke einer gemalten Theaterdekoration von unrichtiger Augenhöhe aus betrachtet: es scheint Alles umzufallen! Dass man auch bei Einhaltung gleicher Bauflucht und Platzbreite dennoch reiche Abwechselung erzielen kann, beweisen mehre Strassen in Chicago; ja man kann diesen Wechsel der Fassadenbildung sogar nicht selten bei Reihenhäusern von ganz gleicher Grundriss-Anlage beobachten.

Abbildg. 7

Die einfachsten Häuser dieser Art (siehe die Grundrisse Abbildg. 7) besitzen im Erdgeschoss nicht mehr als 2 Zimmer und etwa noch die Küche – wenn letztere nicht mit anderen Wirthschaftsräumen ins Untergeschoss verwiesen ist – im Obergeschoss 3 bis 4 Zimmer; ein Abort ist in der Regel nur in einem Geschoss vorhanden und mit demselben vereint findet sich – was natürlich nur bei den stets vortrefflichen Spül-Apparaten angängig ist – sehr häufig das in keiner amerikanischen Wohnung fehlende Badezimmer. Besonders bezeichnend ist auch die reichliche Anwendung von Wandschränken, welche eine Reihe von Möbeln entbehrlich machen. – Die Bauflucht weicht ziemlich weit vom Gangsteig zurück, es bleibt also genügend Raum zur Anlage einer Freitreppe, welche bei der hohen Lage des Erdgeschosses auch stets weit vortritt; die Treppe selbst und die breiten Schlusspodeste derselben dienen den Hausbewohnern bei Anbruch der Abenddämmerung zum Erholungs-Aufenthalt. Wenn sämmtliche Wirthschaftsräume im Untergeschoss liegen, dann sind dieselben von den am Hause entlang laufenden Lichtgräben aus zugänglich; in diesem Falle nimmt das Speisezimmer den ganzen rückwärtigen Theil des Hauses ein und es besitzt eine Veranda mit einer Treppe zum Gärtchen.

Je grösser das Haus an sich wird, um so grösseren Raum beansprucht vor allen Dingen der Flur (Hall). Schon die Freitreppe endigt dann häufig in einer Loggia und man betritt den Flur von aussen durch eine doppelte Glasthür, deren innere Flügel stets geschlossen sind; bei besseren Privathäusern zieren gestemmte Holztäfelungen Wände und Decken des Flurs. Die Winkel neben und unter der Treppe sind zu lauschigen Plätzchen mit Kaminen und Ruhebänken ausgestattet; denn Flur und Treppe bilden nicht – wie bei den Miethwohnungen – ein nothwendiges Uebel, sondern sie werden vielmehr als Herz und Pulsadern des Heims angesehen (Abbildg. 8). Der übergrosse Reichthum Amerikas an schönen Hölzern veranlasst zu weitgehendster Anwendung derselben und die Fügsamkeit des Holzes gegenüber allen Launen maschineller Bearbeitung führt zu grosser Vielseitigkeit der formalen Gestaltung. Namentlich in gedrechselten Stäben bei Treppengeländern und Gittern (Abb. 9), Stühlen und anderen Möbeln wird eine bis zur Spielerei gehende Mannichfaltigkeit geübt. Gegen den Flur öffnen sich die weiten Thüren zum „Parlor“ (oder „Reception Room“ oder „Drawing Room“) und zum „Dining Room“. Das erstere Zimmer unterscheidet sich von dem bei uns üblichen „Salon“ besonders dadurch, dass es von der Familie auch bewohnt wird; er ist mit dem Speisezimmer durch Schiebethüren verbunden, so dass diese beiden Zimmer gewissermaassen zusammengezogen werden können. Bei der dekorativen Ausstattung dieser Räume, welche in gewissem Sinne als Repräsentationsräume anzusehen sind, spielt der Kamin die Hauptrolle – trotz der Zentralheizung! Die architektonische Durchbildung beschränkt sich etwa auf eine Vertäfelung; sehr selten trifft man Stuckgesimse, – meist sind Wände und Decken tapeziert und die Stelle des Gesimses vertritt ein 0,5 m hoher, zum Wand- und Deckenmuster gehöriger Tapetenfries.

Der äussere Aufbau solcher Häuser weicht von dem der unserigen imganzen wenig ab, nur dass der romaneske Stil hier sich einer ziemlichen Verbreitung erfreut und dass schrullenhafte Einfälle sich häufiger breit machen als bei uns; als Beispiel hierfür mag Abbildg. 10 dienen – eine Fassadenbildung, die sich an zwei nebeneinander stehenden Miethhäusern zu New-York befindet. Um aber auch gleich zu zeigen, welche reizvollen malerischen Lösungen an grösseren Familienhäusern vorkommen, mag das Haus des bekannten Juweliers Tiffany in New-York dienen (Abbild. 11). Der Bau ist von Stanford White (in Firma Mc. Kim, Meat & White) ausgeführt.

Wenn man unvorbereitet diesem Bau gegenübertritt, so könnte man glauben, einen altdeutschen Patriziersitz vor sich zu haben, der in manchen Theilen verändert oder nicht ganz echt rekonstruirt wurde. Sockel und Hochparterre bestehen aus grauem Sandstein, bei dessen Bossirungen die graugelben bis rothbraunen natürlichen Spaltflächen dem ganzen Quaderwerk ein lebhaftes, aber durchaus nicht unruhiges Farbenspiel verleihen. Die längs des langen Balkons etwa 2,5 m zurückliegende Wandfläche der oberen Geschosse ist jetzt dicht mit einer epheuähnlichen Kletterpflanze von frischgrüner Farbe übersponnen, die sich auf die anderen Wände hinüberzieht; das erhöht in Verbindung mit dem hier verwendeten dunkelgelb-braunen Backstein den Eindruck des Alterthümlichen.

Cissus Veitchii; diese rasch wachsende Pflanze trägt sehr viel zum Schmuck der Backsteinhäuser bei und dürfte sich wohl auch bei uns einführen lassen. Die Pflanze soll aus Japan eingeführt sein und wird von den New-Yorker Deutschen „japanischer Epheu“ genannt; botanisch ist die Pflanze indessen vom Epheu wesentlich verschieden.

Ein ganz moderner Zug dagegen ist der obere Balkon, der von einem durch grosse Konsolen unterstützten Eisenbalken getragen wird; nach aussen ist derselbe durch quadratische Terrakotten verkleidet, deren senkrechte Fugen sich etwas sonderbar unkonstruktiv ausnehmen.

Abbildg. 13

Der mächtige Thorbogen wird durch ein Gitter geschlossen, das tagsüber emporgezogen wird und dann fast die ganze obere Bogenhälfte einnimmt; zur Milderung der durch die Fussleiste gebildeten Härte der glatten wagrechten Linie ist die untere Stange mit nussgrossen Kugeln behangen an ungleich grossen, 10-20 cm langen Ketten.

Abbildg. 8 – Treppenaufgang in einem amerikan. Landhause

Am mannichfaltigsten und feinsten entwickelt sich das amerikanische Familienhaus natürlich als eigentliche „Cottage“, als freistehende Villa, die man gerne mit dem hochklingenden Namen „Residence“ belegt. Dem Bedürfniss nach Abwechslung, das als natürliche Reaktion gegen die rechtwinkligen Strassenblocks erscheint, wird durch die willkürlichste Gestaltung der Zimmer nach Kräften Rechnung getragen; es giebt viele Häuser, in denen rechteckige Zimmer gar nicht zu finden sind; Abschrägungen für Kamine, Alkoven, Erker-Ausbauchungen im Vieleck, Halbkreis, Kreissegment usw., sind für die Grundrisse ebenso bezeichnend, wie mächtige steile Dächer, hochstrebende Kamine, rechtwinklige Dachgiebel, runde Thürme mit kegelförmigen oder halbkugeligen Dächern usw. für den Aufbau. Mit Rücksicht auf die sehr heissen Sommermonate sind die Cottages ausnahmslos stets von zahlreichen gedeckten Veranden (Piazza), Terrassen, Balkonen umgeben; sie sind selten mehr als zweigeschossig – ja sehr häufig bestehen sie nur aus Erdgeschoss und Dachgeschoss.

Die übermächtige Rolle, welche das Holz in der Union als Baumaterial spielt, drängt sich jedem unwillkürlich auf – und zwar durch nichts mehr als durch die Cottages; weitaus der grösste Theil derselben besteht über dem nur 6-7 Stufen hohen Steinsockel durchweg nur aus Holz. Lessing beschreibt den Bau eines solchen Holzhauses sehr treffend folgendermaassen (Nat.-Ztg. 1893 No. 465): „Es giebt für uns kaum etwas merkwürdigeres, als ein amerikanisches Haus bauen zu sehen. Es werden einige Fuhren Bretter und einige Säcke mit Nägeln angefahren und dann geht es los. Auf Balken lässt man sich am liebsten gar nicht ein, sondern man bildet die nöthigen Stützen aus einer Schicht von Brettern, die man zusammen nagelt, die Querbalken, welche ebenfalls aus drei oder vier Brettern bestehen, schieben sich mit denselben einfach dazwischen. An Ort und Stelle passt man die Bretter zusammen, schneidet die Stücke, die man nicht braucht, mit einer kurzen, erstaunlich schnell geführten Handsäge ab unter gröblichster Verwüstung von Material und nagelt mit ganz unglaublicher Behendigkeit eine unendliche Menge von Nägeln, die man in einem Schurz und im Munde bereit hält, in das Holz hinein. In wenigen Stunden sind die Hauptlinien des Hauses hergestellt und nun fügt man je nach Bedürfniss wiederum Bretter in zwei, drei oder vier Stärken ein, um die Abschnitte für Thüren und Fenster zu gewinnen. Das ganze wird innen und aussen wiederum mit Brettern verschalt und das Haus ist fertig.“ Abbildg. 12 zeigt ein solches im Bau begriffenes Holzhaus; es sei dabei besonders auf die Pfosten des Erkers aufmerksam gemacht. Dieselben bestehen je aus 2 durch Zwischenräume getrennten Bohlenstücken.

Abbildg. 7 Treppengeländer in amerikan. Wohnhäusern

Diese Konstruktionsweise erklärt Vieles, vor Allem die Unabhängigkeit des Grundrisses des Obergeschosses von dem des Erdgeschosses; nicht selten weichen diese so sehr von einander ab, dass man sie kaum als zusammengehörig ansieht. Oft genug erhebt sich z. B. über dem Dach der „Piazza“ ein langer Vorbau, der für unser Gefühl in der Luft zu schweben scheint. Ueberhaupt zeigt sich vielfach die für den Holzbau ja bezeichnende Auskragung des oberen Stockwerks über dem unteren, aber allerdings selten in befriedigender Weise; die hässlichsten Verschneidungen, bes. mit den Dachflächen sind hier an der Tagesordnung. Es ist auch gar nichts Seltenes, dass über einem runden oder vieleckigen Erker eine Giebelwand steht, deren Ecken in der Luft hängen! Umgekehrt kommt es vor, dass der Erkerausbau des Erdgeschosses wie eine ausgezogene Schieblade aussieht – dass also an demselben ebenso wenig oben eine Dachbildung wie unten ein Träger vorhanden ist.

Abbildg. 11 – Wohnhaus von Louis Tiffany-New York. Material unten grauer Sandst., oben hellgrauer Backst., glas. Dachziegel

Aber auch bei Steinbauten treten die (ästhetisch) gewagtesten Dinge auf; Axen- und Fluchtverschiebungen, wie den in Abb. 13 dargestellten, begegnet man auf Schritt und Tritt. Ein andermal geht die Veränderung der Mauerflucht z. B. vom Rechteck in die Kreislinie mehr allmählich vor sich. Ein breiter, aber wenig ausladender Vorbau ist z. B. im Erdgeschoss auf der einen Seite durch ein flachgebogenes Mauerstück begrenzt; im I. Obergeschoss nimmt auch die andere Seite dieselbe Begrenzung an, sodass im II. Obergeschoss über der Stockgurte eine unmerkliche Annäherung des ganzen Ausbaues an einen einheitlichen Segmentbogen erfolgen kann. Ueber dem Hauptgesims, das in der Mitte noch immer ein beträchtliches geradliniges Stück zeigt, wird nun mittels einer Kehle aus Blech und der darüber befindlichen Säulenstellung eine weitere Veränderung der Grundrisslinie vollzogen, so dass über dem in das Mansardendach des Hauptbaues einschneidenden oberen Gesims des Oberbaues sich ein Kegeldach auf kreisförmiger Grundlinie erhebt. Das sind Dinge, mit denen sich ein geläuterter Geschmack nie vertragen wird, wenn solche Verenkungen auch so geschickt gemacht sind, dass sie der flüchtige Beschauer kaum beachtet. —

Abbildg. 12 – Im Bau begriffenes Holzhaus (Milwaukee)

Zum Grundriss der meist wenig unterkellerten kleineren Cottages ist nur weniges zu sagen. Um den Flur, der selbst oft die Stelle des Reception-Room’s vertritt, gruppiren sich in der Regel mindestens zwei Zimmer, Parlor und Dining-Room, zu welchen bei grösseren Anlagen etwa noch eine Bibliothek und ein weiteres Wohnzimmer kommen; die Küche ist stets neben dem Speisezimmer, höchstens durch eine kleine Anrichte getrennt. Die Haupträume, einschliesslich Flur, sind meist durch breite Schiebethüren mit einander verbunden, wenn man es nicht vorzieht, auf verschliessbare Thüren überhaupt zu verzichten und somit ganz offene Durchgänge zwischen den einzelnen Räumen zu schaffen. Das Obergeschoss enthält die Schlafzimmer und das Bad; dass letztes stets mit dem einzigen Abort im Hause in einem Kämmerchen untergebracht ist, gehört jedenfalls nicht zu den nachahmenswerthen Einrichtungen! Bezeichnend ist, dass benachbarte Schlafzimmer in der Regel nicht miteinander in Verbindung stehen; sie öffnen sich nur nach dem Flur und allenfalls nach dem Badezimmer. So wenig wie bei der Küche die Speisekammer und die Veranda, so wenig fehlt bei dem Schlafzimmer der Wandschrank (Closet); man macht lieber das Zimmer um so viel kürzer, als der Wandschrank an Tiefe beansprucht, als dass man auf diesen verzichtet. Das Geschirr und das Tischzeug des Speisezimmers wird entweder in dem meist in einer Nische stehenden Buffet (Sideboard) oder (häufiger) auch in besonderem Wandschrank untergebracht, der zugleich Raum bietet für ein Waschgestell oder zur Aufbewahrung kleiner Klapptische usw. Nur jene Räume, welche mehr oder weniger Repräsentationszwecken dienen – Parlor, Reception-Room, Drawing-Room und wie sie alle heissen mögen – bleiben frei von Wandschränken, Die beigegebenen Abbildg. 14-34 enthalten für das Gesagte zahlreiche Belege; da es uns indessen zu weit führen würde, dieselben einzeln zu besprechen, so beschränken wir uns darauf, sie dem aufmerksamen Studium der Fachgenossen zu empfehlen, Es sind durchweg Holzbauten und sowohl als solche, wie als amerikanische Familienhäuser bezeichnend; mit Ausnahme jener aus Bensonhurst sind die Abbildungen alle aus den unten genannten Heften „Our New Designs“ entnommen.

Abbildg. 13 – 34

In gesundheitlicher Beziehung steht man im allgemeinen auf ganz modernem Standpunkt; die Schubfenster gestatten ein bequemes Lüften und das Licht wird am Eindringen in die Wohnräume weniger durch Vorhänge behindert als bei uns. Bunte Bleiverglasungen, und zwar in oft sehr reizvollen Zussammenstellungen, kommen allerdings nicht selten vor, aber nur da, wo man etwas Licht entbehren kann, Meist findet man dieselben an den zum Flur führenden Glasthüren, in Oberlichtern, oder auch bei der Treppe. Dass die amerikanische Glasmalerei – wenn man die mehr mosaicirende Zusammensetzungsweise so nennen darf – auf sehr hoher Stufe steht, hat die Ausstellung mehrfach bewiesen, insbesondere durch die Arbeiten der Tiffany glass & Decorating Co., New-York.

Welche Ausbreitung der Cottagenbau in Amerika gewonnen hat und wie sehr derselbe sogar gewissermassen einen Artikel des Grosshandels bildet, geht deutlich aus den zahlreichen Veröffentlichungen hervor, welche einzelne Architektur-Firmen veranstalten und in welchen dieselben nicht nur Grundrisse und perspektivische Skizzen, sondern auch die annähernden Kosten der betreffenden Bauten bringen; ein solches Buch oder Heft nimmt sich nicht anders aus als ein Preisverzeichniss eines Möbelfabrikanten. In Anbetracht der erhöhten Bedeutung, welche das Einzelwohnhaus in Deutschland gewinnt, ist es wohl gestattet, einzelne dieser sehr zahlreichen Veröffentlichungen hier anzuführen, „Homes in City and Country (2 Doll.; Ch. Seribner’s sons, New-York 1893) enthalten 100 Abbildungen von 6 Autoren mit Aufsätzen über die Erwerbung eigener Heimstätten. – Arch. Josiah L. Rice in Clinton (Jowa) versendet gegen 50 Cts. 25 Zeichnungen zu „praktischen modernen Häusern, die Resultate 20jähriger Erfahrungen“, Arch. E. S. Child, New-York (62. New-Street) hat im Selbstverlag eine ganze Reihe ähnlicher Sammlungen mit Grundrissen, perspekt. Ansichten und Beschreibungen veröffentlicht und zwar: „Colonial Houses“, Bauten in dem „unnachahmlichen und niemals langweiligen (?) Kolonialstil“ (2 Doll.); dann 3 Bände (je 1 Doll.): „Sensible Low Cost Houses“, deren Häuser und Häuschen sich in den Preislagen von 400-1800, 1800-3000, 3000-9000 Doll. bewegen; ein weiteres Heft „Artistic one Story Houses“ (2 Doll.) enthält nur eingeschossige Häuser für 300-3000 Doll.; bei Bestellung von 2 solcher Bücher erhält man 6 Sepia-Reproduktionen von neuen Häusern gratis! Die „Modern Homes“ (1 Doll.) von Arch, W. R, Johnston (Chicago, III.; 610 the Temple Women’s Temperance Building) enthalten 40 Zeichnungen zu Häuschen im Preise von 8000-700 Doll. Die „neuesten und besten Ideen“ bringt Frank P. Allen (180 Old Houseman Block Grand Rapids, Mich.) in seinem „New One for 1893“, 60 Entwürfe für 1 Doll.; D. S. Hopkins (74 ½ Monroe Str., Gran Rapids) hat bereits 9 solche Hefte herausgegeben mit je 20 bis 60 Entwürfen für Bauten von 250-10 000 Doll. das Heft zu ½ oder ¼ Doll. Je 25 Entwürfe sammt Beschreibung und Kostenberechnung (600-7500 Doll.) finden sich in den Heften 1 Doll.) von R. W. Shoppell, New-York (63 Broadway).

Die meisten dieser Architektur-Geschäfte versenden ihre Opera nur gegen vorherige Posteinzahlung; die „Artistic Homes“, ein kleines handliches Büchlein mit ganz netten Zeichnungen und allerlei interessanten konstruktiven Angaben, versenden ihre Verfasser (Geo F. Barber & Co., Knoxville, Tenn.) gegen Einsendung von 50 Cts, in Briefmarken. – Ziemlich viel bieten die Vierteljahreshefte „Our New Designs of modern Homes“ von The Saving & sensible Architectural Bureau in Cleveland; jedes Heft (Pr. 25 Cts.) enthält Grundrisse, Perspektiven, einige konstruktive Details und Beschreibungen von etwa 20 Bauten, meistens Cottages. Dazu sei bemerkt, dass gerade in Cleveland (wie in New-Port in Rhode-Island) das Cottage-System sehr stark entwickelt ist. (Vergl. auch den Artikel über amerikanische Landhäuser in Dtsch. Bztg. 1887, S. 337, 869 und 433.)

Dis ausserordentliche Mannichfaltigkeit, welche in diesen Hunderten von Entwürfen zutage tritt, ist ein Beweis für die Variationsäühigkeit desselben baulichen Grundgedankens des freistehenden Familienwohnhauses. Bei Betrachtung desselben wird man sehr häufig seine künstlerischen Bedenken nicht unterdrücken können; aber man besinnt sich dabei doch auch wieder darauf, dass in der äusseren Erscheinung der Baumasse sich deren innerer Organismus wiederspiegeln soll und dass die künstlerische Phantasie in der Gestaltung und Gruppirung der Räume ein viel dankbareres Feld der Bethätigung findet, als in der Variirung des äusseren Aufputzes.

V. Die vielstöckigen Geschäftshäuser.

Neben den Cottages erregen die riesigen Geschäftshäuser aus erklärlichen Gründen die besondere Aufmerksamkeit des europäischen Architekten; denn wenn auch vereinzelt in Europa Aehnliches vorkommt, z. B. in London, so bilden die Riesenhäuser doch eine Sonderheit Nordamerikas. Ausnahmslos dienen dieselben von unten bis oben dem Geschäft in seinen mannichfachsten Gestaltungen.

Bei der grossen gesellschaftlichen Bedeutung, welche in Amerika wie auch in England den verschiedenen Klubs zukommt, wäre es wohl interessant, auch die oft sehr reich ausgestatteten Häuser derselben einer Besprechung zu unterziehen; aber einerseits gehört hierzu ein reiches Illustrationsmaterial, das uns nicht zur Verfügung steht, andererseits würde dies ein viel genaueres Eingehen auf die Gepflogenheiten der einzelnen Klubs nöthig machen, als es der Rahmen einer Fachzeitschrift gestattet. Abbildungen und kurze Charakerisirung der Zwecke solcher Klubhäuser bei King, New-York, City (1893) S. 543 ff.

Abbildg. 35 – Geschäftshaus der Union Trust Co. in New York. Architekt B. Post

Alle grossen Aktien-Unternehmungen, Versicherungs-Gesellschaften, Zeitungen, Banken usw. setzen ihren Ehrgeiz darein, eigene grosse Häuser in der City zu besitzen; denn mit der Grösse und Pracht ihres Hauses wächst auch ihr Ansehen. Aehnliches gilt auch von den Riesenhotels und den Börsengebäuden, Da aber in der City das Bedürfniss nach „Offices“ aller Art ein ausserordentlich grosses, immer mehr steigendes ist, also auch Riesenhäuser mit vermiethbaren Büreaus Gelegenheit zu vortheilhafter Kapitalsanlage bieten, so werden derartige Bauten auch oft lediglich als Miethskasernen für Agenten, Advokaten, Geschäftsleute aller Art eingerichtet – höchstens, dass etwa die zwei untersten Geschosse als Verkaufsmagazine und Aehnliches dienen.

Man bezahlt für 1 Quadratfuss etwa 3-4 Doll. Jahresmiethe, also etwa 130-170 Mk. für 1 qm.

Diese Bauweise gestattet natürlich eine viel gedrängtere Konzentration der gesammten Geschäftsthätigkeit einer Stadt. Die Strassenbahnen mit ihrem Einminuten-Betrieb haben nun zwar die Horizontal-Entfernungen wesentlich vermindert; anderseits aber sorgen in den Thurmhäusern die beständig (bis zu 20 Stück) auf- und absteigenden Personen-Aufzüge („Elevators“) dafür, dass man sich ebenso rasch, ja rascher in der senkrechten, als in der wagrechten Richtung fortbewegen kann.

Aufzugsgeschwindigkeit bis zu 3 m in 1 Sekunde.

Dazu kommt, dass in der City Neubauten, welche aus irgend welchem Grunde anstelle von älteren Häusern treten müssen, nur dann rentabel gemacht werden können, wenn dieselben durch Steigerung der Höhe die ungeheuren Kosten des Baugrundes ausgleichen; die zehn- und sechzehngeschossigen Bauten sind dadurch ebenso unvermeidlich geworden, wie die Unterkellerung des Trottoirs.. Ob die Brandversicherungs-Gesellschaften mit ihrer Drohung, keine Häuser über 120 Fuss Höhe (Deutsche Bauzeitung 1892, S. 174) versichern zu wollen, viel dagegen ausrichten, scheint mir bei dem jugendlichen Leichtsinn und dem kecken Wagen der Amerikaner mindestens fraglich.

Abbildg. 36 – Morris Building in New-York. Material unten rother Sandst. v. II. Ob.-Geschoss an Terrakotta
Abbildg. 37 – Geschäftshaus d. Metropoltian Life Insurance Co. in New-York. Arch. Napoleon Le Brun & Sons. Mater. Weisser Marmor
Abbildg. 38 – Imperial-Hotel in New-York. Mater. unten Granit, vom II. Ob.-Geschoss an Terrakotta

Die Aera der Riesenhäuser, die in Amerika mit dem Jahre 1873 begonnen haben soll (Deutsche Bauzeitung 1892, S. 29 ff.), ist zwar in deutschen Landen noch nicht angebrochen, und es ist zu wünschen, dass deren Eintritt sich noch recht lange hinaus zieht; nichts desto weniger wird es von Interesse sein zu beobachten, wie Aufgaben architektonisch gelöst werden, die eben den amerikanischen Architekten gestellt werden. Was bisher bei uns bekannt geworden, hat mehr Abscheu als Gefallen hervorgerufen, und man kann auch bei aller Achtung vor den relativ tüchtigen Leistungen selten mit ungetheilter Befriedigung von diesen Häuserkolossen reden; verhältnissmässig gut bleiben noch manche derselben, wenn sie nicht über 10 Geschosse gehen und dabei auch eine namhafte Breiten-Ausdehnung besitzen. Was ausserhalb dieses Rahmens liegt, ist in der Regel künstlerisch ungeniessbar.

Und doch erscheinen auch derartige Häuser in Wirklichkeit besser als ihr Ruf. In einfacher geometrischer Darstellung, ohne die Wirkung des Materials und der Farbe machen auch die besseren derselben keinen recht erfreulichen Eindruck.

Man vergleiche die zweierlei Darstellungen des Union Trust Co.-Baues in New-York, die Naturaufnahme Abbildg. 35 mit der geometrischen Umrisszeichnung auf S. 564. Jahrg. 1892 d. Bl.

Wenn man aber das prächtige Material und die solide Technik in Natura vor Augen hat, wenn man sieht, wie durch verschiedene Behandlung des Quaderwerks, durch Anwendung verschiedenfarbiger Natursteine und Ziegel reizvolle Abwechselung in die kolossalen Baumassen gebracht wird, wie in den vergleichsweise engen Strassen die Höhen durch Verkürzung ermässigt erscheinen, wie selbst durch herabgelassene Marquisen und halbgeöffnete Schiebfester das Einerlei der gleichen Fenster freundlich belebt wird, dann urtheilt man minder hart über das Aussehen dieser dem ehernen „Muss“entsprungenen Nutzbauten, und man zollt den Architekten gerne seine Achtung darüber, wie sie die ungeheuren Baumassen künstlerisch zu bewältigen gesucht haben.

Uebrigens werden die Riesenhäuser in Amerika selbst bespöttelt, man nennt sie bekanntlich Sky-Skrapers und erzählt sich dazu in Chicago folgende Geschichte: Eines Tages bemerkte der Herr der Welt ein Menschenkind, das ihm nicht in den Himmel zu gehören schien; er wandte sich deshalb an den heiligen Petrus um Auskunft. Dieser aber erwiderte, er habe den Menschen auch schon bemerkt, könne aber nichts gegen denselben ausrichten; er sei ein Kaminkehrer von Chicago, der soeben die Schornsteine eines der Riesenhäuser reinige!

In den Erörterungen über die Weiterentwicklung der Baustile, bzw. über die Ausbildung eines neuen Stils ist wiederholt ausgesprochen worden, dass das Eisen berufen zu sein scheine, einen maassgebenden Einfluss dabei zu üben. Ist dieser Einfluss nach der dekorativen Seite hin – an welcher die meisten zunächst gedacht haben mögen – bis jetzt wenigstens kaum bemerkbar gewesen, so hat dagegen die Verwendung des Eisens als Konstruktionsmittel manche Aenderung bewirkt, bezw. Neubildungen hervorgerufen. Zu den bemerkenswerthesten gehören die Thurmhäuser. Schon ihr ganzes Dasein wäre ohne die eisernen Gerippe undenkbar, und das Vorhandensein jenes Gerippes musste naturgemäss auf die äussere Erscheinung, auf den Stil von nachhaltigster Wirkung sein. Erscheint bei dem reinen Steinbau das Dünnerwerden der Mauern nach oben, somit auch das Zurücktreten der oberen Wandfluchten als eine struktive Nothwendigkeit, so wird dies nicht nur bei der geringfügigen Verjüngung der Eisenstützen nach oben sehr erschwert, sondern sogar theilweise überflüssig gemacht. Denn da das Eisengerüst nun die ganze Last der Decke und Zwischenwände auf seine Schultern nimmt, die Aussenmauern also nur sich selbst zu tragen haben (Selbst das bisweilen nur theilweise; häufig sind die euer Aussenpfeiler durch Horizontal-Eisenbalken verbunden, welche je ein Geschoss der Aussenmauer tragen.), so fällt auch bei sehr hohen Häusern der Zwang weg, die Mauerpfeiler des Erdgeschosses wesentlich stärker zu halten, als jene der Obergeschosse; die Pfeilerbreiten sind oft im Erdceschoss genau dieselben, wie im 10. Stock – ein sehr bezeichnender Zug für diese Gattung von Bauwerken!

Abbildg. 39 – Blick in die Broad-Street, New-York. Rechts Mills Building

Auf die Konstruktion dieser Häuser, die mehr Sache des Ingenieurs als des Architekten ist, können wir uns hier nicht näher einlassen; nur sei darauf hingewiesen, dass der Fundamentirung der Pfeiler grosse Sorgfalt zugewendet wird.

Vgl. d. Bztg. 1892 S. 29, Amerikanische Thurmhäuser u. 1894 S. 241 ff. Einen sehr lesenswerthen Bericht über die bei denselben gebräuchlichen Eisenkonstruktionen mit zahlreichen Abbildungen hat Reg.-Bmstr, in „Stahl und Eisen“, 1894, Heft 6 und 7, erstattet.

In Chicago, das einen sehr ungünstigen Baugrund besitzt, wird z. B. nicht allein fast der ganze Bauplatz mit einer etwa 40 cm dicken Betonschicht bedeckt, sondern es werden mitunter wichtige Punkte schon vorher durch mannsdicke Pfähle gesichert, welche bei einer Länge von 12 m dicht nebeneinander eingerammt werden. Des weiteren erhalten die Stahlpfeiler (über der Betonschicht) einen quadratischen Schienen-Rost, dessen I-Eisen etwa 40 cm hoch sind und gerade so weit auseinandergelegt werden, dass der in die Zwischenräume gebrachte Beton noch leicht festgestampft werden kann. Quer über die untere Schienenlage kommt eine zweite, schmälere usw. – bis zu 4 Terassen – und zu oberst der gusseiserne Schuh der Pfeiler, welcher die Grundform einer abgestumpften Pyramide mit rechteckiger Basis hat, (Grösse der unteren Fläche dieses Schuhes bis zu 2,5 m/1,5 m; Höhe des Schuhes bis 1 m) wobei jedoch die Pyramidenflächen und Kanten nur durch breite Rippen markirt sind, deren dreieckige Seitenflächen senkrecht stehen. Das ganze Eisengerüst ist meist vollständig aufgestellt, bevor die Umfassungsmauern recht über das Erdgeschoss hinausgekommen sind; die dünnen Eisenskelette starren dann wochenlang unheimlich in die Luft. (Bei Abbildg. 41 ist im Hintergrund ein solches Eisengerippe zu sehen.) Trotz der sorgfältigen Ausführung der Einzeltheile eines solchen Eisengerippes ist indessen nicht anzunehmen, dass die in diesen Blättern (Jhrg. 1882 S. 74 – oder 1891 S. 564) ausgesprochene Behauptung, dass ein solches Haus nicht einstürze, sondern nur umkippen könne, zutrifft, auch wenn dort nur das Gerippe selbst gemeint war; einem Erdbeben – von dessen Verheerungen das Land bisher verschont blieb – würde, auch wenn dasselbe im Vergleich mit dem letzten auf Ischia sehr schwach wäre, kaum eines der Thurmhäuser Stand zu halten vermögen.

In einem vom Oberingenieur H. Steger im polytechn. Verein zu München gehaltenen Vortrag, von dessen Inhalt ich erst nach Niederschrift des obigen Kenntniss erhielt (Bayer. Ind.- u. Gewerbeblatt 1894, No. 20, S. 275) wird über diesen Punkt gesagt, dass solche Bauten inbezug auf Erschütterung gegenüber Massivbauten viel widerstandfähiger seien. „Dies haben die Fachwerksbauten im Süden von Nordamerika gelegentlich der Erdbeben glänzend bewiesen; während Massivbauten einstürzten, blieben die Fachbauten ungestört stehen“. – Ob unter letzteren sich auch „Thurmhäuser“ befanden, ist aus betr. Notiz nicht zu entnehmen.

Die äussere Erscheinung, also die architektonische Durchbildung dieser Häuser ist natürlich eine sehr mannichfaltige; obgleich dabei nur 2 Stile ernsthaft inbetracht kommen – die Renaissance, welche bei den Backstein- und Marmorfassaden, der romanische Stil, welcher bei den Granitfassaden überwiegt – so hat doch eine systematische Vorführung dieser Materie so grosse Schwierigkeiten, dass die folgende Besprechung nur als ein Versuch dazu aufgefasst werden darf.

Einige der hervorragendsten New-Yorker Renaissance-Bauten in Backstein sind die Produkten-Börse, das Waldorf-Hotel (Abbildg. im Artikel VI.), die Washington-, Mills- und Morris-Building (Abbildg. 36), die Mercantile Library, Hotel Imperial (Abbildg. 38); auch wo der feinkörnige Indiana-Kalkstein (Hotel Savoy, Abbildg. im Artikel VI, Hauptbau der Mutual Life Insur. Co.), oder gar Marmor (Metropolit. Life Insur. Co., Abbildg. 37) in Anwendung kommen, ist die Renaissance beliebt.

Bei der fast ungeschmälerten Gleichwerthigkeit der Stockwerke (die Höhe derselben geht meist nur im Erdgeschoss viel über das Durchschnittsmaass von 3,5 m hinaus) eines solchen Thurmhauses fehlt von vornherein ein wichtiges Moment für die Fassadenbildung. Wohl könnten die grossen Läden in den Kaufhäusern und die Speisesäle in den Hotels auch im Aeusseren sich Geltung verschaffen; aber sie sind weder durch ihre Lage in den unteren Geschossen, noch durch ihre, im Vergleich mit der 10 Geschosse hohen Fassade, geringe Höhe von einem Geschoss geeignet, der Fassade als dominirendes Motiv zu dienen. Dazu kommt, dass eine Gliederung der Baumasse durch Vorspringen einzelner, durch Zurücktreten anderer Fassadentheile schon durch die Bauplatzpreise so gut wie ausgeschlossen ist; Loggien und Balkone eignen sich allenfalls für Hotels, schwerer für eigentliche Geschäftshäuser. Wo man ein Zurücktreten eines Fassadentheils auf 1-2 Axenbreiten trifft, da liegen fast immer praktische Rücksichten (Lichtzuführung) zugrunde.(z. B. beim Millis Building in New-York (Abbildg. 39) und bei Wouman’s Temple in Chicago.) Der Architekt sieht sich deshalb vor die Aufgabe gestellt, in einer rechteckigen ungebrochenen Fassadenfläche die Oeffnungen so zu gestalten und zu gruppiren, sowie die Horizontal- und Vertikal-Gliederung so zu treffen, dass das Eintönige der gleichen Geschosshöhen und der gleichen Fenster möglichst dem Bewusstsein entrückt wird. Dies geschieht durch entsprechende Vertheilung der Stockgurten, so dass mehre Geschosse als ein Ganzes zusammengefasst werden – und durch Zerlegung der langen Fensterreihen in Gruppen zu 2, 3 und 4. In den oberen Fassadenschluss bringt man Abwechselung dadurch, dass man die oberen Geschosse hinter steilen Mansardendächern mit hochgiebligen Fenstern, Attiken oder Giebeln verbirgt, oder die erkerartigen Ausbauchungen der Fassaden oben in Thürmchen endigen lässt. Wo – wie bei einer Reihe von Häusern in Chicago die Zahl der gleichartigen Geschosse eine zu grosse ist, um eine Gliederung der Fassade zu ermöglichen, da erreicht man durch möglichst schlichte, aber durchaus gleiche Ausbildung der Fenster usw. wenigstens eine gewisse einheitliche Wirkung der ganzen riesigen Baumassen,

Abbildg. 41 – Geschäftshaus der Times in New-York. Architekt George P. Post

Es handelt sich also bei der Durchbildung der hohen Fassaden hauptsächlich um die architektonische Gliederung einer rechteckigen Fläche; je nach den Grössenverhältnissen der Rechtecksseiten hat man es deshalb mit thurmartigen Bauten zu thun, oder mit solchen, die eine namhafte Breitenentwicklung besitzen. Die letzten können, da das Verhältniss ihrer Gesammtbreite zur Gesammthöhe nicht wesentlich von der unseren abweicht, auch aus ähnlichen Gesichtspunkten beurtheilt werden wie diese; an die thurmartigen Fassaden muss dagegen ein ganz anderer Maasstab der Beurtheilung gelegt werden. Eines der schmalsten Gebäude dieser Art ist wohl das Haus der Zeitung „Mail and Express“ in New-York (von Carrére & Hastings); seine Breite beträgt 25 Fuss, seine Höhe bis zum Gesims etwa 150 Fuss. Von einem solchen Haus kann an nicht erwarten, dass es bei der Eintheilung in 11 Geschosse von gleicher Höhe und ähnlichen Fensterweiten einen wohlthuenden Eindruck hervorrufe; dennoch ist seine dreiaxige Fassade (Spät-Renaissance) besser und interessanter als die dreizehnstöckige, fünfaxige eines anderen Zeitungsbaues – des „World“ -, die sich gleichfalls der Renaissanceformen bedient hat. Bei solchen schmalen und hohen Fassaden werden – wie im letzten Fall – etwa die zwei mittleren Viertel als Mittelpartie in Fenstergruppen aufgelöst, während man die beiden äusseren Viertel als massivere Risalite (mit einer Fensteraxe) ausbildet und zuweilen thurmartig endigen lässt.

Imganzen bieten jene Fassaden ein weit grösseres Interesse, welche durch ihre Breite eine glücklichere Gliederung ermöglichen. So ein 10stöckiger Bau kann in seiner Gesammterscheinung einem viergeschossigen ähnlich werden, mit dem Unterschied, dass eben zwischen je zwei Stockgurten nicht eine, sondern 2 oder 3 Fensterreihen übereinander angeordnet sind. (Mills Building, Abbildg. 39). – So langweilig eine gleichmässige Theilung der Fassade nach ihren 10 Geschossen aussähe, so wenig kann doch die Zahl der zwischen zwei Stockgurten angeordneten Fensterreihen maassgebend sein für die Beurtheilung des ästhetischen Werthes eines solchen Baues. Was ausser der gleichmässigen Fenstertheilung oft so unangenehm wirkt, ist weniger die Höhe an sich, als das ungünstige Verhältniss der Axweite zur Höhe des Hauses. An allen besseren Häusern dieser Gattung suchen deshalb die Architekten möglichst grosse Axweiten zu erzielen, indem sie, wo es immer angeht, Gruppen von zwei und mehr Fenstern bilden, die von einander durch breite Pfeiler getrennt sind. Beispielsweise ist an dem 8stöckigen Kaufhaus Siegel, Cooper & Co. in Chicago die Fassade, welche etwa drei mal so lang wie hoch ist, durch breite Pfeiler in 9 Felder getheilt, welche im 1. Stock je zwei breite Ladenfenster, im 2. Stock je zwei Doppelfenster enthalten; die durch letztere vorbereitete Viertheilung eines solchen Feldes setzt sich über der Stockgurte fort bis zum 8. Stock, wo anstelle der zwei Doppelfenster zwei dreifache treten. Zwischen den Fenstern stehen schlanke Säulen, welche durch je 3 (oben zumtheil nur durch 2) Geschosse reichen; gegenüber diesem stark betonten Vertikalismus wirkt die breite, glatte, in der Hauptsache mit den Hauptpfeilern bündig laufende Stockgurte zwischen dem 5. und 6. Stock sehr wohlthuend. – Eine ähnliche Längsgruppirung weist die 11stöckige Corn Exchange in New-York auf; jede der drei Hauptabtheilungen enthält im 1. Stock 2 weite Rundbogenfenster, im 2. Stock 2 Doppelfenster, in den übrigen Geschossen je 4 Fenster, wobei das 3.-6., das 7.-9. und das 10.-11. durchlaufende Säulen besitzen.

Abbildg. 40, 42 und 43

Eines der wichtigsten und gebräuchlichsten Motive zur Belebung und Gliederung dieser Fassaden ist das halbrunde Bogenfeld, welches mindestens durch 3 Geschosse hindurchgreift. Dasselbe erscheint wie eine Monumentalisirung der Kämpfertheilung eines Fensters; die zu Stein gewordenen Kämpfer dienen dazu, die Stockgebälke zu maskiren, deren Dicke sie nach oben und unten nur soviel zu überragen pflegen, als praktische Rücksichten dies verlangen; sie bleiben deshalb auch gegenüber der weiter vortretenden Umrahmung des Bogenfeldes immer von untergeordneter Bedeutung. Der Breite nach umfasst der Bogen 2-4 Fenster; die oberste, in dem Halbrund liegende Fenstergruppe wird meist nach dem Vorbild der römischen Thermen – dreitheilig gebildet.

In Fällen, wo man mit dem Platz geizt, gleicht man den durch das Eınspringen der Bogennische entstandenen Verlust an Bodenfläche wieder dadurch aus, dass man in die Bogennische einen erkerartigen Ausbau setzt, der in der Höhe des Bogenansatzes in einem Balkon endigt. Besonders in Chicago sind derartige erkerartige Ausbauten (die am Masonic-Temple durch 13 Geschosse gehen) sehr häufig; sie bilden z. B. das einzige belebende Element an einer 16 geschossigen Fassade, die im übrigen nur wie eine riesige glatte Backsteinmauer erscheint, aus der man gleichmässige rechteckige Löcher ausgeschnitten hat.

Die Bogenfelder sind bald dicht neben einander angeordnet (s. d. Abbildg. 40 des Auditorium-Hotels in Chicago), bald durch breite Mauerpfeiler – mit oder ohne Fenster getrennt. (S. d. Abbildg. d. Hotel Imperial 38 u. d. Metropolit.-Life Ins. Co. in New-York 37).

Das Zusammenfassen mehrer Geschosse durch Bögen, so nothwendig zu einer halbwergs befriedigenden Wirkung, gestaltet sich am günstigsten, wenn diese Zusammenfassungen das Haupt-Fassadenmotiv bilden und dabei entschieden dominiren, besonders wenn dabei die darunter liegenden Theile mehr einen sockelartigen, die darüber liegenden mehr einen friesartigen Charakter tragen (die soeben genannten Abbildungen sowie jene des Times -Building (41) und der Union Trust Abbildg. 35 bilden Belege hierfür).

Die Wirkung dieses Zusammenfassens wird natürlich grösstentheils aufgehoben, wenn die betreffenden Bogenfelder ein allzu schlankes Verhältniss erhalten; bei einer Zahl von 12 Doppelfenstern in den Bogenfeldern des Masonic-Temple zu Chicago kommt nur das senkrechte Pfeilersystem zur Wirkung.

Dem romanischen Stil fügt sich das Bogenmotiv besonders gut ein. Ob Richardson dasselbe eingeführt hat,ist uns unbekannt. In den Gliederungen seines Marshall Field-Baues in Chicago (Abbildg. 42) hat er dasselbe sehr glücklich verwerthet. An zahlreichen Bauten in diesem Stil spielt es die Hauptrolle und selbst an Bauten in ausgesprochenen Renaissanceformen hat es Bürgerrecht erlangt; rechteckiges Rahmenwerk erreicht nie diese zusammenfassende Wirkung (vergl. d. Abbildg. v. Wells Building). – Ein vielstöckiges Haus in romanisirendem Stil gliedert sich dabei etwa folgendermaassen, Die unteren 3, 4 manchmal auch 6 Geschosse bilden gewissermaassen den Sockel des Ganzen, der meist in rauhen Granitbossen ausgeführt ist und wenigstens im 1. und 2. Stock weite Lichtöffnungen enthält. Das oberste Geschoss dieses Sockels bildet infolge grösserer Geschlossenheit eine geeignete Basis für die darauf folgenden, 3-6 Geschosse in sich greifenden Bogenfelder; im letzten Geschoss unter dem Hauptgesims werden die Axweiten halbirt und die dadurch entstehende gleichmässige Fensterreihe bildet dann den friesartigen Abschluss der Fassade. Dass über dem Hauptgesims oft noch 2 Geschosse stehen, kommt bei den geringen Strassenbreiten für die Wirkung der Fassade meist gar nicht inbetracht, ausser wenn sie absichtlich, etwa durch hochgiebelige Mansardenfenster, hervorgehoben werden. – Was den Pfeilern der unteren Geschosse an Breite fehlt, sucht man durch die Wucht der Quaderung zu ersetzen; Fenstergewände, für welche die nöthige Breite nur auf Kosten des Quaderwerks zu gewinnen wäre, bleiben daher weg (vergl. d. Auditorium-Hotel in Chicago). Der beabsichtigten Kraftwirkung widerspricht es allerdings, dass an den Kanten dieser Pfeiler immer sehr schmale Quader auftreten (Abbildg. 41 und 43); dieselben erklären sich indessen leicht durch die Aufgabe der Pfeiler, die stählernen Fassadenpfeiler zu maskiren und zu umfassen. (Manchmal bilden stämmige, bis 1 m dicke Granitsäulen die Pfeiler.) Das ungünstige, schon oben hervorgehobene Verhältniss, in welchem die Axweiten zur Höhe stehen, ist wohl mit Ursache, die Axen bisweilen nicht durch die ganze Höhe des Baues durchzuführen, sondern dieselben – soweit dies die Eisenstützen gestatten – zu verschieben; was bei zweigeschossigen Landhäuschen als willkürliche Schrulle erscheint, wird bei den hohen Geschäftshäusern zum Bedürfniss.

An öffentlichen Bauten im romanischen Stil kommt der Fall sehr oft vor, dass über den 3 Bogen eines unteren Geschosses 4 oder 5 Fenster eines oberen Geschosses stehen, z. B. an der City Hall in Albany von Richardson, am County Court House zu Pittsburgh, an der Boardman Hall der Universität zu Ithakt (New-York).

Einfachere Beispiele dieser Art sind schon die friesartig, in gleichen Abständen, unbekümmert um die sonstige Axtheilung angeordneten Fensterreihen unter dem Hauptgesimse (Abbildg. 37 u. 38) auch die über einem Fenster des Erdgeschosses angeordnete Vermehrung der Axenzahl und die Verkleinerung der Fenster in den oberen Geschossen, wie sie Richardson im Marshall-Field-Building so schön durchgeführt hat, gehören hierher. – Namentlich bei Fassaden von grosser Längenausdehnung wird eine solche Axenvermehrung meist mit gutem Erfolg angewendet. An dem Gebäude des bekannten humoristischen Blattes „Puck“ in New-York werden das I. und II. Geschoss durch weite Bogen gebildet, die (nach dem Thermenmotiv) dreigetheilt und durch breite Pfeiler von einander getrennt sind; – darüber folgen im III. und IV. Geschoss je 2, im V., VI. und VII. Geschoss je 3 Bogenfelder mit den Fenstern der betreffenden Geschosse. Die Hauptfassade besitzt 11 solcher Axen. Eine eigenartige Anwendung von dieser Axenvermehrung haben Adler und Sullivan am Auditorium-Hotel gemacht, wo die l4axige Seitenfassade durch Verschmelzung der Axenpaare wenigstens im Erdgeschoss rhytmisches Leben erhält; es wiederholt sich hier das Eckmotiv der Hauptfassade (Abbildg. 40) viermal, abwechselnd mit je einem grossen Rundbogen, – ähnlich jenem an der Vorderfassade. – Ein besonders glückliches Beispiel von Axenwechsel und Baumassen-Vertheilung bietet die National Shoe and Leather Bank in New-York. Die 2 untersten Geschosse werden (über einem hohen Sockelgeschoss) von fünf weiten Bogen gegliedert; im 3. und 4. Geschoss sind über den mittleren drei Bogen – aber enger zusammengerückt – drei Gruppen von je 3 Fenstern angeordnet. Ueber diesen erheben sich vom 5.-8. Geschoss grosse Bogenfelder, deren Kämpfer die durchlaufende Fensterbrüstung des 8. Geschosses bildet, während die nur durch je 2 Fenster (vom 3.-8. Geschoss) unterbrochenen Eckpartien wirksame risalitähnliche Einfassungen abgeben, die sich oben zu niederen Thürmen auswachsen. Im 9. und 10, Geschoss sind in den Eckpartien dreifach gekuppelte Fenster angeordnet, während der Mittelbau etwas zurücktritt und in eine sechsaxige Halbsäulenstellung mit zwischenliegenden Fenstern aufgelöst ist, wobei das Gesims zugleich das Hauptgesims des Mittelbaues bildet; die Thürme enthalten noch ein 11. und 12. Geschoss, ersteres (mehr sockelartig) mit nur einem rechteckigen Fenster, letzteres mit drei eng gestellten Rundbogenfenstern.

Die auf den Seiten 532 u. 533 dargestellten Fassadenbildungen geben einige bessere Beispiele der verschiedenen Typen an neueren Bauten; die Anzahl dieser Typen ist damit selbstverständlich keineswegs erschöpft. Im folgenden (Schluss-Artikel), der von einigen New-Yorker Hotels handelt, werden wir noch einige weitere Beispiele kennen lernen.

Ueber die innere Ausstattung der grossen Geschäftshäuser müssen wir uns sehr kurz fassen. Im allgemeinen kann man wenigstens von den neueren Bauten sagen, dass ihr Inneres an Vornehmheit der Ausstattung dem Aeusseren nicht nachsteht; die Amerikaner wissen zu gut, welche Rückschlüsse der Besucher einer Bank oder einer Versicherungs-Anstalt aus der Erscheinung der von ihm betretenen Räume zieht, um nicht am rechten Fleck auch den rechten Luxus zu zeigen. Darum trifft man bei solchen Anstalten am Eingang bronzene Thürflügel (Metropol. Life Insur. Co., New-York.) im Vestibül Wandverkleidungen aus sogen. mexikanischem Onyx (Aragonit), Böden aus Steinmosaik, marmorne Kassettendecken (Ebenda) usw.; die eigentlichen Bureaus sind in weiten Hallen von bisweilen hochkünstlerischer Ausstattung (Bes. bei d. Equitahle-Life Insur.-Co., New-York.) untergebracht, in welchen die einzelnen Bureaugelasse aus kostbaren Holzarten in Verbindung mit Bronze eingebaut sind. Die Sicherheits-Vorkehrungen gegen Einbruch usw., welche in den Geldinstituten vorgesehen sind, werden technisch und administrativ wohl nirgends übertroffen: klingt es nicht wie ein Märchen aus 1001 Nacht, wenn man hört, dass der geringste ungewöhnliche Vorgang in den die Depots enthaltenden Kellergewölben der Equitable-Life Ins. Co. sofort durch ein selbstthätiges elektrisches Läutewerk nicht nur bei dem Hauswächter, sondern auch bei der Polizei angemeldet wird?

Ob jemals – wie im Jahrg. 1892 S. 30 angenommen ist – sanitäre Rücksichten die Amerikaner auf die reihenweise Anordnung solcher Thurmhäuser verzichten lassen werden, scheint immerhin fraglich; vielmehr Wahrscheinlichkeit hat es nach unserer Anschauung, dass die Amerikaner Wege einschlagen, durch welche die sanitären Verhältnisse trotz der Zusammendrängung der Menschen in den Riesenhäusern günstig gestaltet werden. Man darf dabei nicht vergessen, dass diese Thurmhäuser nur während der Arbeitszeit von Menschen besetzt sind und dass eine der Hauptquellen der Luftverschlechterung, das Leuchtgas, durch die Elektrizität verstopft wurde. Bei der Findigkeit der Amerikaner ist es wohl möglich, dass dieselben auch darauf kommen, diese Geschäftsräumlichkeiten sammt Lichthöfen usw. ohne Gefahr für die Sicherheit während der Nachtzeit gründlich zu lüften.

In der That lief mehre Monate nach Niederschrift des Obigen etwa im August d. J. – eine Notiz durch die Tagespresse, laut welcher bereits ein Ingenieur dem Gedanken näher getreten sei, die Häuser der City von New-York von einer Zentrale aus mit frischer Luft zu versorgen.

Einstweilen stellt man noch lustig einen Hauskoloss neben den anderen und überlässt die Sorge für die Gesundheit dem zukünftigen Geschlecht.

VI. Neue Hotels in New-York.

Das grosse Ereigniss, das sich im Sommer 1893 am Michigansee abspielte, hatte überall dahin seine Schlagschatten vorausgeworfen, wo man an demselben in irgend einer Weise interessirt war. Kann man auch von den neuen grossen Hotels in New-York nicht sagen, dass deren Bau durch die in Aussicht stehende Ausstellung veranlasst worden sei, so ist es doch gewiss kein zufälliges Zusammentreffen, dass die zwei bedeutendsten gerade im Ausstellungsjahr eröffnet wurden. Die Stadt New-York zählt z. Zt. (Nach King, New-York City) etwa 100 Gasthöfe ersten, 250 zweiten und dritten Ranges, imganzen aber etwa 1000; die in denselben angelegten Kapitalien werden auf 150 Millionen Dollars angegeben.

Abbildg. 44 – Hotel Waldorf in New-York. Architekt H. J. Hardenbergh

Was den Reichthum an Ausstattung und Bequemlichkeit betrifft, den man in den besseren amerikanischen Hotels vorfindet, so lässt derselbe das, was man in Deutschland zu treffen gewohnt ist, ein gutes Stück hinter sich. Zweifellos treibt man es drüben vielfach weiter, als sich mit einer nennenswerthen Verzinsung des Anlagekapitals – zunächst wenigstens – verträgt; aber selbst, wenn man das Ueberflüssige abstreift, so bleibt immerhin noch genug übrig, was der Beachtung werth ist. Allerdings wird man dabei berücksichtigen müssen, dass mehre der bequemsten Einrichtungen die amerikanischen Lebens- und Verkehrsverhältnisse zur unbedingten Voraussetzung haben, wie z. B. der Verkauf von Eisenbahn-Billets und die Abfertigung des Gepäcks innerhalb des Hotels; ausser Telephon und Telegraph und den Aufzügen für Menschen und Lasten, trifft man in grösseren Hotels u. a. Rohrleitungen mit pneumatischem Betrieb für die Beförderung von Briefen, Zimmerschlüsseln usw. von und zum Hauptbüreau, in den Schreibzimmern ausser dem sonstigen Schreibzeug eine Schreibmaschine und einen Stenographen, in vielen Zimmern elektrische Uhren, deren Zeiger von einer Zentrale aus bewegt werden, an. Die Elektrizität, welche das ganze Haus mit einem Uebermaass von Licht erfüllt, wird auch benutzt, um Bestellungen aus den Zimmern in die Küche zu machen. Auf einer runden Scheibe an der Wand sind die häufiger vorkommenden Speisen und Getränke verzeichnet, und es genügt das Einstellen des Zeigers und ein Druck des Fingers, um nach wenigen Minuten – ein „Tischchen deck’ dich“ – mit dem Gewünschten bedient zu sein.

Abbildg. 45 und 46 – Hotel Waldorf in New-York. Architekt H. J. Hardenbergh (Grundriss)

Der Maschinenbetrieb eines solchen Hotels ist ein sehr ausgedehnter(Näheres hierüber ist aus Prof. Riedler’s Berichten in d. Zeitschr. d. Deutscher Ingenieure 1893. S. 499 ff, zu entnehmen.); das Hotel Waldorf z. B. verfügt über 16 Dampfmaschinen mit zusammen 3000 Pferdekräften! Der Maschinentrieb, für den natürlich eigene Ingenieure angestellt sind, liefert die Kraft für den Betrieb der Aufzüge, der Eismaschinen, Waschmaschinen; ebenso umfasst er Heizung und Beleuchtung, Ventilation und Pumpwerke. (Die unter Dach liegenden Reservoirs können wegen ihrer hohen Lage nicht mehr unmittelbar durch die Wasserleitung gespeist werden.) Die Wasserversorgung erfolgt im grossartigsten Maasstabe, wobei der Reinigung des Wassers von organischen Beimengungen grosse Sorgfalt zugewendet wird; mit der Zuleitung kalten und warmen Wassers ist jedes der zahlreichen Badezimmer selbstverständlich so gut versehen, wie Küche und Wäscherei. Ebenso wenig wird bei den Water-Closets daran gespart und ein grosses Reservoir unter dem Dach ermöglicht es, bei einem etwa, trotz des „fire-proof“‚ausbrechenden Brand, eine wahre Sintfluth herabzubeschwören. (Die Leitungen im Netherland-Hotel sollen 12000 Gallonen (über 400 l) in 1 Minute liefern.) Die Dampfmaschinen sind stets in den untersten Räumen aufgestellt; die Wirthschaftsräume liegen entweder gleichfalls unter Strassensohle oder unmittelbar unter dem Dach.

Was bei diesen Hotels zunächst auffällt, ist die allgemeine Zugänglichkeit; unbehindert kann man das in weitem Bogen nach der Strasse zu geöffnete Vestibül betreten – kein Mensch belästigt einen mit der Frage, was man da zu schaffen habe. Ueberhaupt wird dem Besucher das Verweilen in diesen „Halls“ so lockend als möglich gemacht: bequeme Sessel aus kostbarem Holz in prächtiger Ausstattung stehen an den Wänden herum; diese selbst sind aufs reichste mit polirtem, weiss und rostbraun gewolktem Aragonit („Onyx“ aus Mexiko und Florida) verkleidet, die Oberlichtfenster, die den Flur beleuchten, sind mit bunten Bleiverglasungen von prickelndem Farbenreiz geschmückt; wo wegen der Tiefe des Raums die Tageshelle nicht hindurchdringt, da verbreitet das elektrische Glühlicht, halb maskirt durch die wundersamsten gläsernen Beleuchtungskörper, ein magisches Licht.

Abbildg. 52 – Hotels New-Netherland (Ach. William H. Hume) und Savoy (Arch. Ralph Townsend)in New-York

Das Hauptbüreau (die „Office“) des Hotels ist stets in diesem Flur so untergebracht, dass dasselbe schon beim Eintritt durch das Portal in die Augen fällt; hier erhält man durch die Beamten jegliche Auskunft, und da die Office mit allen Theilen des Hauses elektrisch verbunden ist, so erspart man sich zahlreiche Laufereien. Nicht weit davon. findet man das Schreibzimmer, das Lesezimmer, die Telegraphistin, etwa auch einen Zeitungsstand, und Buchladen, sowie das Ticket- und das Gepäckbüreau, wenn letztere nicht im Kellergeschoss liegen. Der „Ground-Floor“ enthält ferner den Speisesaal (vor welchem stets eine Garderobenablage ist), einen Frühstücksaal, bisweilen noch ein Damenzimmer, einen Ballsaal und ähnliche Gesellschaftsräume, Meist sind letztere indessen im ersten Obergeschoss untergebracht, das man auf breiten Marmortreppen erreichen kann; in diesem „Parlor-Floor“ sind zahlreiche zusammenhängende Räume geschaffen, die nicht selten offene Thüren und Fenster gegen das Treppenhaus besitzen, so dass dieselben hübsche Durchblicke in das Vestbül, auf die Treppe oder auf ein über der Office angebrachtes Wandgemälde gewähren. Es ist bezeichnend, dass bei diesen Parlors mit Absicht ganz bestimmte Stilarten zum Muster genommen werden: Maurisch und Persisch, Louis XIV. bis XVI., oder Marie Antoinette und Empire, Romanisch oder Renaissance.(Letztere imganzen selten und dann meist italienisch.) Doch nimmt man es mit der Stilreinheit nicht allzu genau; es kommt vor, dass im gleichen Zimmer neben einem romanischen Kaminmantel aus Mahagoni weisslackirtes und vergoldetes Rococo-Mobiliar steht. – Zu den schon im I. Obergeschoss beginnenden Fremdenzimmern ist zunächst zu bemerken, dass jeder als Schlafzimmer gedachte Raum (mit Ausnahme der allerbilligsten) einen unmittelbaren Zugang zu einem immer mit Water-Closet ausgestatteten Badezimmerchen besitzt.

Eine von weiten Gesichtspunkten ausgehende Grundrissdisposition darf man nur bei den allen Gästen offenstehenden Theilen des Hotels erwarten, also im Erdgeschoss und im Parlor Floor; in den übrigen Geschossen reihen sich die Zimmer in oft sehr verschiedenartiger Gruppirung an die Korridore.

Abbildg. 56 – Hotel San Remo in New-York. Arch. C. L. Angell

Das vorhandene eiserne Baugerippe begünstigt die möglichste Unabhängigkeit der einzelnen Geschoss-Grundrisse von einander; das Verfahren, welches man bei uns beobachtet, wenn man in grossen, von Eisensäulen getragenen Hallen beliebige Säle und Zimmer für vorübergehende Gelegenheiten (Kunstausstellungen usw.) einbaut, wird hier auf die Monumentalbauten mit Eisengerippe übertragen, und da man bei guter Ventilation und der Einrichtung des elektrischen Lichtes auch an die Anordnung der Fenster wenig gebunden ist, so kommt es vor, dass z. B. der Hauptkorridor in einem Geschosse gegen den darunter liegenden um die halbe Breite verschoben wird. Die durchgehenden Eisenpfeiler, Luftkamine, Elevatorenschächte usw. verursachen hierin allerdings manche Schwierigkeiten; andererseits aber können sie leicht bei der Anlage der Badezimmerchen, Wandschränke (oder Kammern) usw. versteckt werden, – oder sie geben sogar Veranlassung zu malerischen Nischen in den Zimmern.

Nicht selten enthält auch das Kellergeschoss noch Räume, welche der allgemeinen Benutzung zugänglich sind, namentlich dann, wenn zwei Kellergeschosse angeordnet sind, deren unteres dann grösstentheils für die Maschinen, Wein- und Eiskeller reservirt bleibt. Im oberen Kellergeschoss (Basement) findet man dann ein Café-Lokal, ein Billardzimmer, eine Barbierstube und eine grössere Abortanlage. Die letztere ist in den amerikanischen Städten eine Nothwendigkeit; denn da öffentliche Abortanlagen in den Strassen verabscheut werden, so nimmt man im Bedarfsfall allgemein seine Zuflucht zum nächstbesten Hotel.

Das Hotel Waldorf (an der Ecke der 5. Avenue der 39. Strasse) nimmt hinsichtlich Ausstattung und Betrieb unter den vornehmen Hotels New-Yorks – wenn nicht die erste – dann sicher die zweite Stelle ein; aber auch nach seiner äusseren architektonischen Erscheinung darf dasselbe als eine treffliche Leistung bezeichnet werden, obgleich dasselbe theilweise 12 Geschosse besitzt, – bei einer Breite von 30,5 m, einer Länge von 76 m und einer Höhe von 55m (Abbildg. 44-46). Der Architekt H. J. Hardenbergh hat es verstanden, durch Zurücksetzen einzelner Fassadentheile und durch Ueberhöhung anderer, sowie durch geschickte Anwendung von Thürmen, Giebeln und Nischen die grosse Masse im ganzen wirksam zu gliedern, und aus den immerhin noch ausgedehnten Mauerflächen durch malerische Vertheilung von Loggien und Balkonen, durch Wechsel in den Fenstergrössen und Axenweiten jede Spur von Eintönigkeit zu verbannen. Der gewählte Stil – eine Art deutscher Renaissance – will in sinniger Weise die Beziehungen der Familie des Besitzers (William Waldorf Astor) zur Stadt Heidelberg zum Ausdrucke bringen; bei einigem guten Willen wird man leicht finden, dass dieser Bau in seiner Zusammenwirkung eine gewisse Aehnlichkeit mit deutschen Schlossbauten des 16. Jhrhts. aufweist.

Der Grossvater des Besitzers war Joh. Jak. Astor, der 1763 in Waldorf bei Heidelberg geboren und 1788 in New-York eingewandert war, wo er 1848 starb. Eines der halbrunden Oberlichter der den Gartensaal vom Vestibul trennenden Glasthüren stellt das Dorf Waldorf in trefflicher Bleiverglasung dar.

Erdgeschoss und I. O.-G. sind mit rothem Sandstein verkleidet; aus demselben Material besteht die Loggien-Architektur über dem Hauptportal, während alles übrige Mauerwerk in scharf gebranntem Backstein unter reichlicher Anwendung von Formsteinen ausgeführt ist. Abgesehen von einigen amerikanischen Besonderheiten (z. B. der Entwicklung des runden Thurms über der scharfkantigen Ecke) zeugt der ganze Bau von hohem Verständniss der deutschen Renaissance, und die ornamentalen Reliefs verrathen stellenweise, z. B. an den Loggienpfeilern, die Mitarbeit künstlerisch geschulter Kräfte.

Das durchaus feuersichere Hotel wurde im November 1890 begonnen und am 15. März 1893 eröffnet; die Baukosten sollen etwa 5 Millionen Doll. betragen haben, darunter die der Maschinenanlage und der dazu gehörigen Leitungen allein eine halbe Million, die des Mobiliars über 700 000 Doll. Es enthält imganzen 530 Zimmer, darunter etwa 100 Salons und 350 Zimmer mit besonderem Bad; die übrigen Badezimmer sind meist von 2 getrennten Schlafzimmern aus zugänglich. Dass die Bade- und Toilette-Zimmerchen fast ausnahmslos Fenster gegen Hof oder Strasse besitzen, darf jedenfalls als ein besonderer Vorzug bezeichnet werden; an der Strassenfassade hat der Architekt diesen Umstand vortheilhaft zur Vermeidung der gleichmässigen Fensteranordnung zu benutzen verstanden. – Jedes Geschoss besitzt ein eigenes Schreibzimmer mit allem Nöthigen: die Briefe können unmittelbar von hier aus nach dem im Erdgeschoss befindlichen Briefschalter befördert werden. – Gas, elektrisches Licht (imganzen etwa 100 000 Glühlichter), Läutewerke befinden sich überall.

Eine grosse Treppe, 3 kleine Diensttreppen und 6 Aufzüge vermitteln den Verkehr zwischen den Geschossen; die Bureaus der einzelnen Geschosse erhalten die Speisen usw. durch Aufzüge unmittelbar aus der Küche und sind mit einer vollständigen Auswahl an Geschirr, Gläsern, Silber usw. versehen. Ebenso befinden sich hier Wärm- und Kühlapparat. – Wegen der verdächtigen Beschaffenheit des New-Yorker Trinkwassers ist dafür gesorgt, dass alles in das Hotel eintretende Wasser, um es trinkbar zu machen, erst destillirt und mit Luft versehen wird, ehe es in die Reservoirs gelangt; die Abkühlung erfolgt mittels besonderer Kühlapparate. – Zur Heizung des Hotels wird der Auspuffdampf der Maschinen benutzt; nur bei grosser Kälte muss für die Heizung die Dampfmenge vermehrt werden.

Der an der Aussenseite angeschlagene Ton deutscher Renaissance klingt innen nur in dem Frühstückssaal nach, – von der schön geschnitzten Vertäfelung und den Lüsterweibchen bis zu den Steinpappefüllungen der Kasettendecke und den – horribile dictu – gemalten Landsknechten! Die Haupträume des Erdgeschosses – besonders der Speisesaal, der Ballsaal wie der ganze Korridor – nähern sich sowohl nach Architektur wie nach Möblirung dem Empirestil; der Marie-Antoinette-Salon und der Turkish-Salon kennzeichnen sich schon durch ihre Namen. Als eine Besonderheit dieses Hotels, die sonst nicht leicht wieder angetroffen wird, ist der sog. „Gartenhof“ zu bezeichnen, der durch seine Lage gegenüber dem Haupteingang und durch seine Ausstattung mit allerlei kostbaren Vasen usw. (zumtheil hochfeine japanische Arbeiten) und prächtigen Pflanzen den räumlichen, gesellschaftlichen und künstlerischen Mittelpunkt des Ganzen bildet.

Abbildg. 45 und 46 – Hotel Waldorf in New-York. Architekt H. J. Hardenbergh (Grundriss)

Die Eintheilung der Geschosse ist aus den beigegebenen Grundrissen zu ersehen; von konstruktivem Interesse ist dabei die Rückwärtsverlegung des Hauptkorridors im 8. Flur um etwa ¾ seiner Breite, wodurch eine der kurzen Hoffassaden sich ein Hinausschieben um etwa 2,5 m gefallen lassen musste.

Mit der Ausstattung im einzelnen können wir uns nicht aufhalten; aber eine besondere Betrachtung verdienen wenigstens die Räume des I. Obergeschosses, weil sie darthun, wie weit hier der Luxus an Hotelwohnungen getrieben wird. In diesem Geschoss befinden sich u. a. die State departements oder Royal Rooms, so genannt, weil sie auf den Besuch von Königen eingerichtet sind. Es sind Zimmer verschiedener Grösse, abwechselnd in einem der Luxusstile des 18. Jahrhunderts gehalten; die ornamentalen Malereien an Wänden und Decken sind meist recht mangelhaft, – daneben aber trifft man grosse figürliche Deckenmalereien u. ähnl., deren Verfertiger der Kellner mit demselben Stolz nennt wie den dafür bezahlten Preis. Beispielsweise soll ein auf Goldgrund gemalter Steinway-Flügel (Louis XVI.) 10 000 Doll. gekostet haben! – Dazu kommen andere Räume in Renaissance, die zumtheil mit wirklich alten Stücken von ziemlichem Werth ausgestattet sind: Gobelins, Kästchen, Tischdecken, ein Himmelbett, Majoliken und Silbersachen. Bei dieser Sachlage erstaunt man nicht mehr, dass dann Preise von 100-200 Doll. verlangt werden! Wer zahlt dies ausser den Dollar-Millionären? Welche Zeche hätte wohl der deutsche Kaiser, dessen Besuch die Amerikaner so standhaft erwartet haben, für sich und sein Gefolge zu zahlen gehabt, wenn er – was ja kaum zu umgehen gewesen wäre – hier logirt hätte?

Wnn eines der New-Yorker Hotels dem eben beschriebenen hinsichtlich der Ausstattung den Rang als allererstes streitig machen könnte, so käme dafür nur das Hotel New Netherland inbetracht. Schon durch seine Lage an der Ecke des 2,5:0,5 Meilen (engl.) grossen Zentral-Parks, weitab von dem Lärm der City, ist dasselbe bevorzugt; von dem Dach der Terrasse des 234 Fuss hohen und an sich schon hochgelegenen Baues geniesst man in der That eine herrliche Aussicht über den Park und die Stadt mit dem Hafen. Das Hotel wurde erst im Juni 1893 eröffnet und ist ebenso wie das vorgenannte eine zunächst gar nicht oder schlecht verzinsliche Kapitals-Anlage der Familie Astor (der erste Pächter ist bereits in den ersten Monaten des Jahres 1894 verkracht!); die Baukosten werden auf 2,3 Millionen Doll. angegeben, wovon der 100:126 Fuss grosse Bauplatz allein eine halbe Million verschlungen hat. (Abbildg. 47-52).

Das Riesenhaus, dessen Entwurf von Arch. William H. Hume herrührt, ist zugleich ein bezeichnendes Beispiel des romanesken Stils. Die vier unteren Geschosse bilden gewissermaassen den Sockel, die folgenden den Haupttheil der Fassade, wobei die 2 obersten die Stelle des Frieses einnehmen; über dem Gesims wird die schon vorher vorbereitete Auflösung der Fassade in Thürme und Giebel zur Thatsache. Im übrigen enthebt uns die beigegebene Abbildung einer näheren Beschreibung der Fassade; man beachte dabei, wie sich der runde Eckthurm allmählich aus der Baumasse herausschält! – Die Fassade zeigt an den Sockelgeschossen rauhbossirte rothe Sandsteinquader; ebenso bestehen alle Gliederungen und die Bogen der oberen Geschosse aus diesem Material, während im übrigen Backstein zur Anwendung gekommen ist, dessen dunkelgelbe Farbe gut mit jener des Sandsteins zusammengestimmt ist.

Der Bau besitzt ein doppeltes Kellergeschoss; die Trottoirs, welche an der Schmalseite des Baues eine Breite von über 20 Fuss besitzen, sind vollständig unterkellert. Das untere Kellergeschoss ist zu 2/5 von den Maschinenräumen und was dazu gehört, eingenommen, im übrigen für Wein- und Speisekeller sowie für eine Kegelbahn reservirt; letztere ist unmittelbar von dem darüberliegenden Café aus zugänglich. Das obere Kellergeschoss („Basement“) enthält meist Wirthschaftsräume Bäckerei, Küche, Buchhandlung, Gepäckraum usw. – sowie Café, Billardsaal, Barbierstube und eine sehr umfangreiche Abortanlage mit Waschgelegenheit. Als besondere Vorzüge nennt der Prospekt noch: Schreibmaschine (Remington) mit Bedienung, Theaterbillet-Bureau, Telephon in jedem Raum (auf Wunsch auch telephonische Verbindung nach ausserhalb), gesonderte Sicherheitsdepots in der Office für jeden einzelnen Gast! – Imganzen hat der Bau, vom unteren Kellergeschoss an gerechnet, 19 Fussböden übereinander; die Zahl der vom I. Stock an nummerirten Zimmer beträgt 722. In dem obersten der vier Dachgeschosse, dem „Laundry floor“, sind die Waschmaschine, Trockenräume, Leinwandkammer usw. untergebracht.

Die Anlage des Erdgeschosses („Office floor“) und des I. Obergeschosses („Parlor floor“) ist aus den beigegebenen Grundrissen zu ersehen; der Speisesaal hat eine Länge von 120 Fuss, der Office-Raum geht durch 2 Geschosse durch und ist durch Oberlicht erhellt. Um demselben möglichst reiches Tageslicht zu spenden, ist der über dem Office-Raum aufsteigende Lichtschacht aus weissglasirten Backsteinen hergestellt. Die Ausstattung der gemeinsamen Räume ist, wie immer, in verschiedenartigen Stilen gehalten; auch ein deutsches Zimmer mit Butzenscheiben ist zu sehen und ein venezianisches mit einer gut geschnitzten Kopie eines der schönen Marmorkamine des Dogenpalastes.

Ueber die Eintheilung der Fremdenzimmer geben die Grundrisse genügenden Aufschluss; im Gegensatz zu dem Waldorf-Hotel besitzen die Toilettezimmerchen nur ausnahmsweise Fenster, sie sind fast nur elektrisch beleuchtet und künstlich ventilirt. Glühlampen besitzen auch sämmtliche Wandkästen der Fremdenzimmer. Von der schon im Hotel Waldorf beobachteten Verschiebung der Korridorwände ist – wie ein Vergleich der Grundrisse ergiebt – bei den oberen Geschossen umfassender Gebrauch gemacht.

Abbildg. 47-51 und 54-55

Nur ein Jahr älter als das Hotel New-Netherland, aber von diesem inbezug auf Raffinirtheit der Betriebs-Einrichtungen schon überholt ist das gegenüber liegende Hotel The Savoy, Arch. Ralph S. Townsend (Abb. 53 u. 54). Dasselbe nimmt eine Grundfläche von 75:150 Fuss ein – ungerechnet ein nach rückwärts gehender Flügel und der erst im Herbst 1893 begonnene Anbau an der Schmalfront. Es ist ein elfgeschossiger Bau, in den Detailformen der besten Venezianischen Renaissancebauten (bes. Pal. Vendramin) gehalten und wie jene in einem feinkörnigen Kalkstein (Indiana-Stein) sauber ausgeführt; aber die Gegenüberstellung des Hotel Savoy zum Netherland-Hötel fordert unwillkürlich zum architektonischen Vergleich heraus, der nicht zugunsten des ersteren ausfällt. Wenn irgendwo, so kann an an diesen beiden Bauten so recht deutlich wahrnehmen, welche Vorzüge die grossen Bogenfelder und die rauhbossirten Quadermauern des romanesken Stils vor der Renaissance voraus haben; denn weder die Zusammenfassung der 3. und 4., wie der 8. und 9. Fensterreihe mittels des Vendramin-Fensters zwischen schlanken Pilastern, noch die Eckthürme und Erker mit ihren nüchternen gleichförmigen Fenstern vermögen den Eindruck der Eintönigkeit zu beseitigen.

Die Grundrisse der verschiedenen Geschosse – wenigstens vom 2. Obergeschoss an – erleiden nicht die willkürlichen Wandlungen, wie besonders im Netherland-Hotel; die in letztem sehr häufigen Verschiebungen von Zwischenwänden sind im Hotel Savoy selten. (Vgl. die beigegebenen Grundrisse). Das Erdgeschoss, dessen Grundriss leider nicht zu bekommen war, enthält an der Schmalseite (an der Westfront) eine Vorhalle als Eingang, dann folgt ein ziemlich langer Flur mit Treppenhaus, der sein Licht von rechts erhält und in dessen südöstlichem Winkel die Office untergebracht ist. Ausser dem fast das ganze östliche Drittel umfassenden Haupt-Speisesaal befinden sich hier noch kleinere Speisezimmer und andere gemeinsame Räume, im Kellergeschoss eine Bar mit Billard im pompejanischen bez. griechischen Stil. Das 1. Obergeschoss ist grösstentheils den verschiedenen Parlors vorbehalten, darunter eines, von welchem behauptet wird, es sei eine „exact reproductions of Marie Antoinette’s Boudoir in the Trianon Palace at Versailles“; ausserdem befinden sich daselbst noch ein Frühstückssaal und ein Speisesaal für Kinder. – Die Fremdenzimmer sind auch hier reichlich von Badezimmern begleitet. Inbezug auf Ventilation, Heizung, Beleuchtung (5000 elektr. Glühlampen) steht Hotel Savoy den vorgenannten nicht nach, wenn auch im übrigen der maschinelle Betrieb weniger bedeutend ist.

Inbezug auf künstlerische Ausstattung kann sich indessen das Savoy-Hotel sehr wohl mit den erstgenannten messen; in mancher Hinsicht – z. B. in der Verwendung kostbarer Marmorarten und reizvoller Beleuchtungskörper – überragt es dieselben sogar. Beispielsweise beruht die feine Farbenstimmung des Haupt-Speisesaales, der den Charakter einer griechischen Renaissance erstrebt, im wesentlichen auf den trefflich gewählten Materialien: gelblicher und röthlicher Siena-Marmor, weisser und grüner Killarney-Marmor für Sockel, Säulen, Pilaster, – Atlasholz mit Einlagen aus Stechpalmenholz, Perlmutter und Metall für die Vertäfelungen. Nicht minder fein, auf grünlichem Grundton zusammengestimmt, ist der im englischen Stil gehaltene Frühstückssaal im Parlor floor: die Stühle grün gepolstert, das Eichenholz zart grünlich gebeizt, das Licht der elektr. Glühlampen durch grünliche Bogenscheiben gebrochen.

Zur Ergänzung der hier besprochenen Hotel-Einrichtungen sei hier auf die Beschreibung des Auditorium-Hotels in Chicago hingewiesen, welche Prof. Riedler in der Zeitschr. d. Ver. dtsch, Ingenieure, 18938, S. 786 gegeben hat.

Schon im Hotel Savoy sind manche Fremdenzimmer so gruppirt, dass sie auch als Familien-Wohnungen mit eigenem Korridor eingerichtet werden können. Jahraus jahrein im Hotel zu wohnen und dadurch den Sorgen des Haushalts zu entgehen, ist nirgends mehr am Platz als in Amerika, wo die Dienstbotenfrage noch so viel schwieriger sich lösen lässt, als in unseren deutschen Grosstädten. Von einer grossen Miethskaserne unterscheidet sich ein solches Family-Hotel durch die hier gemeinsame Versorgung mit Licht, Heizung, Speisung, Bedienung, also auch durch die Abwesenheit von Küche und Speisezimmer innerhalb der Einzelwohnungen; dagegen wird die Möblirung der Wohnungen theilweise von den Miethern besorgt. Hotels, bei welchen der Grundsatz dieser Familien-Wohnungen festgehalten wurde, sind deshalb ziemlich zahlreich. Als Beispiel eines solchen mag das Hotel San Remo dienen. (Abb. 55 u. 56) Es wurde 1891 nach den Plänen des Architekten C. L. Angell in romaneskem Stil erbaut und enthält imganzen 95 Wohnungen zu 2-9 Zimmern. In den meisten der 9-10 Geschosse befinden sich 11-12 Wohnungen zu 2-5 Zimmern: 1-3 Schlafzimmer, 1 Parlor und manchmal 1 Musikzimmer; bei keiner derselben – und wenn sie nur aus 2 Zimmern besteht – fehlt weder der eigene Korridor (Private Hall), noch das Badezimmer mit Abort; dabei hat jedes Zimmer (selbst das Badezimmer) unmittelbares Licht, wenn auch meist nur aus schmalen Lichthöfen.

Der ganze, im Grundriss etwa 100:150 Fuss grosse Bau zerfällt in 3 Baukörper, die durch Brandmauern bez. schmale Lichthöfe getrennt sind. Einer derselben (rechts) bildet den Eckflügel an 2 Strassen; die beiden anderen sind beträchtlich breiter und in Grundriss und Aufriss völlig symmetrisch zu einander; jeder einzelne derselben besteht für sich gleichfalls aus zwei symmetrischen Hälften. Jede dieser Hälften enthält je 2 Wohnungen, die von den in der Mitte des Baukörpers befindlichen und durch je 2 Lichthöfe erhellten Treppen bezw. durch die ebenda liegenden Aufzüge zugänglich sind; zu den 3 Wohnungen im Eckflügel gelangt man mittels Gang von dem anstossenden Baukörper aus. Im Erdgeschoss liegen ausser der Office noch ein grosser Speisesaal und mehre gesonderte Speisezimmer, Billardsaal, Barbierstube usw. Von und nach der Office gehen elektrische Läutewerke und in in alle Wohnungen; elektrisches Licht und Gas wie Dampfheizung sind im ganzen Hause zu finden. Die Wäsche besorgt die eigene Dampfwäscherei. – Die Ausstattung der Räume ist weniger luxuriös, als in den vorher beschriebenen Hotels; aber in der Eingangshalle und bei der Office konnte man doch nicht auf den unvermeidlichen Onyx verzichten, während man sich bei den übrigen Korridoren und den sämmtlichen 97 Baderäumen mit französischen Fliesen begnügte.

Mag dem europäischen Architekten in Nordamerika vieles fremd, manches sonderbar, nicht weniges sogar willkürlich erscheinen, so steht es doch fest, dass ein eingehendes Studium der Architektur von grossem Interesse ist und höchst anregend wirken kann. Wohl hat sich gar vieles noch nicht geklärt; es gährt noch gewaltig in dem jungen Most! Aber wenn wir denselben auch nicht, wie andere Amerikafahrer, schon für einen fertigen Wein halten können, so unterliegt es doch keinem Zweifel mehr, dass eine Geschichte der Architektur des 19. Jahrhunderts nicht mehr die amerikanischen Bauwerke seit dem Bürgerkrieg der 60er Jahre unberücksichtigt lassen kann. Zu einer Zeit, da Amerika künstlerisch nur der empfangende Theil war, konnte man seine Leistungen auf architektonischem Gebiete mehr oder weniger ausseracht lassen; seit es sich aber in der Architektur mehr und mehr selbständig entwickelt, verdienen die Leistungen der Architekten aufmerksame Beachtung, nicht nur in konstruktiver und praktischer, sondern auch in künstlerischer Beziehung.

Dieser Text erschien zuerst 1894 als Artikelserie in der Deutschen Bauzeitung.