Auf den Färöer

Die Färöer, jene nordischen Inseln, die mit den Orkaden, den Shetlandinseln und Island die allein noch sichtbaren Zeugen eines versunkenen Kontinents sind, der sich einst von Schottland bis nach Grönland hinstreckte, bieten den Reisenden die eigentümlichsten und grandiosesten Bilder.

Ungeheure Felswände heben sich zu schwindelnder Höhe schroff aus dem Meer auf, das seine Wellen wütend in weißen Sprühwolken empor wirft. Hier und da ist es dem zornigen Element gelungen, die harten Basaltmassen zu zersägen oder zu durchlöchern: Pfeiler und Säulen von seltsamer Gestalt, zuweilen einem von Menschenhand errichteten Denkmal, einer Bildsäule oder einem Postament mit aufgetürmten Obelisken gleichend, sind von dem Felsengestade abgetrennt, und donnernd stürzt sich der weiße Gischt an diesen unbeweglichen, Jahrtausende alten Gebilden hinauf; anderwärts sind die Felsen zu tiefen Grotten ausgehöhlt, und an mehreren Stellen gehen diese Grotten ganz durch den Basalt, so daß man ein Stückchen Himmel und Meer durch den schwarzen Felsen glänzen sieht. An den schroffesten dieser Felsen nisten zu Hunderttausenden und zu Millionen die Seevögel, deren Guano an den senkrechten Wänden große weiße Flächen und Streifen bildet.

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Einige der Gestade steigen vom Meer bis zum höchsten Gipfel senkrecht auf, so daß die Menschen nur an einzelnen günstigen Punkten landen und den Aufstieg wagen können. Die meisten aber ruhen gleichsam auf einer senkrechten Mauer, die von fünf bis hundert und mehr Meter hoch ist. Auf die Mauer folgt eine schräge Halde, mit glänzendgrünem und frischem Gras bewachsen, bis eine neue dunkelbraune Basaltmauer zu einer höheren Terrasse hinaufführt. Und so wechseln braune Basaltmauern mit grünen Wiesenhalden in stetiger Verjüngung vier bis zehnmal ab bis zu dem von schroffen, phantastisch geformten Felszacken gebildeten Gipfel. Nirgends findet sich ein lang hingestreckter Bergrücken, sondern die Inseln sind ganz aus einzelnen pyramidenförmigen Gipfeln zusammengesetzt, und mitunter bilden diese Pyramiden wie mit dem Zirkel gemessene, gleichschenklige Dreiecke.

Erlegte Grindwale im Hafen von Westmanshavn
Alte Strandhäuser in Thorshavn

Einige der Inseln sind gänzlich unbewohnt, da sie nirgends Raum zu einer Ansiedlung bieten, andere haben so wenig nutzbares Gebiet, daß sich nur ein einziger Hof anlegen ließ.

Aber wo immer die Beschaffenheit des Geländes eine Ansiedlung gestattet, haben sich die Färinger festgesetzt. Von weitem erkennt man einen solchen Hof an der frischeren und helleren Farbe des Grases. Selten habe ich eine Gegend gesehen, die sich so sehr zur farbigen Wiedergabe in Lithographie oder Holzschnitt eignet, wie diese entlegenen Inseln. Alles baut sich in breiten farbigen Flächen auf: das bei Sonnenschein blaugrün glänzende, bei trübem Wetter schwarzgrüne Meer, die braunen Bassaltmauern, die hellgrünen Halden, die von grauen Nebelwolken eingehüllten Gipfel, hier und da ein leuchtend weißer Fleck, wo hoch oben ein Rest Schnee in einer Kluft oder Schlucht liegengeblieben ist. Und dieser Eindruck des farbigen Holzschnittes wird beim Näherkommen der Küste noch verstärkt: mitten in dem hellgrünen Wiesenland des Hofes, das von den unbebauten Bergeshalden durch eine Steinmauer getrennt ist, liegen die Häuschen der Anwohner, klein, zierlich, sauber und nett wie Nürnberger Spielwaren. Obgleich es hier so viele Steine und gar kein Holz giebt, denn nirgends ist ein Baum oder auch nur ein Busch zu sehen, sind die Häuser fast ausschließlich aus Holz gebaut. sie haben nur ein einziges Stockwerk, das auf Grundmauern auf braunem Basalt ruht.

Strassenbild aus Thorshavn
Kap Mögenaes auf den Färöer

Die Holzwände sind dunkelbraun, braunrot oder braungelb gestrichen, und aus diesen dunkeln Flächen heben sich die leuchtend weißen Rahmen der Fenster und der Hausthür ab. Der farbige und freundliche Eindruck eines solchen Häuschens wird noch erhöht durch das Dach, das nur in den größeren Hafenorten und auch da nur sehr selten aus Wellblech, in den allermeisten Fällen aber aus einer starken Rasenschicht besteht, die in viereckigen Stücken aus den Wiesen ausgestochen und auf das vorher mit Birkenrinde gedeckte Dach gelegt wird, wo das Gras lustig weiter grünt und in solchen Fällen, wenn das Dach an eine Halde stößt und somit leicht zu erreichen ist, von Schafen besucht und als Weide benutzt wird.

Ein solches Häuschen besteht aus zwei Räumen und einem kleinen Anbau. Der erste Raum, den man betritt, ist die Küche, wo auf einem großen Herd ein schwaches Torffeuer glimmt, dessen Qualm Wände und Dach geschwärzt hat und dessen Geruch sich mit der Luft in der selten ventilierten Schlafstube und dem Parfum der zum Trocknen aufgehängten Fische zu einem nicht gerade angenehmen Nasenschmaus vereinigt. Aus der Küche, deren Fußboden die festgetretene Erde bildet, führt eine schmale Thür in die Schlafkammer, die überall mit Holz ausgezimmert ist und in ihrer netten Sauberkeit an eine Puppenstube erinnert. Auf der andern Seite der Küche ist der als Vorratshaus dienende Anbau, und außerdem wird die Außenseite des Häuschens zum Aufbewahren von Fisch und Fleisch benutzt. An langen Schnüren hängen unterhalb des niedrigen Daches, so daß man sie bequem mit der Hand ergreifen und herunternehmen könnte, Fische und Fleischstücke, die hier von der frischen Luft getrocknet und konserviert werden.

Färingerin beim Sortieren der Schafswolle
Thorshavn, die Hauptstadt der Färöer

Nur der kleinste Teil der rund 15 000 Bewohner der Färber lebt in den drei Städten Thorshavn, Klaksvig und Trangisvaag und verdient seinen Unterhalt am Hafen. Die drei hauptsächlichsten Erwerbsmittel sind Schafzucht, Fischfang und Vogelstellen. Wenn die beiden letzten Künste wirklich so schlimm wären, wie es das deutsche Sprichwort will: „Fischefangen und Vogelstellen verdarb schon manchen Junggesellen,“ so müßte es mit den Färingern schlecht bestellt sein. Etwas Wahres mag schon an dem Sprichwort sein: erstens kommen außerordentlich viel Färinger bei diesen gefährlichen Beschäftigungen zu einem vorzeitigen Ende, und zweitens scheint mir, daß eine solche regellose Thätigkeit den Hang zur Bummelei sehr fördert. Wenigstens habe ich zu meinem eigenen Erstaunen die Beobachtung gemacht, daß diese rotblonden und blauäugigen Söhne der Wikinger mit keinem andern Volk so richtig verglichen werden können, wie mit den Siesta liebenden Andalusiern und dem Dolce-far-niente verehrenden Neapolitanern. Die Art, wie die Kerle „arbeiten“, ist wunderbar, stundenlang liegen sie am Boden ihres Boots in der Sonne und dusseln so vor sich hin. In Trangisvaag hatte unser Dampfer einen Tag Verspätung, weil es regnete und die wackeren Färinger sich weigerten, bei Regenwetter zu arbeiten und die Ladung in Empfang zu nehmen. In Thorshavn und Klaksvig, wo die Sonne schien, luden sie zwar aus und brachten die für ihre Handelshäuser bestimmten Kisten und Fässer an Land, aber sie thaten das mit so herzerquickender Langsamkeit, wie man sie sonst nur bei den Bewohnern südlich warmer Länder gewohnt ist. Ihrem Aeußern nach sind die Färinger freilich nordisch genug: alle haben rotblonde Haare, rote frische Backen und klare blaue Augen, und die meisten Männer erfreuen sich dichter struppiger Bärte Ihre ganze Kleidung entstammt der weiblichen Hausindustrie: auf dem Kopf eine rot- und blaugestreifte Mütze, der süditalienischen Fischermütze ähnlich; an den Füßen sehr einfache dünne Sandalen, bestehend aus einem Stück Leder, das vorn über den Zehen und hinten an der Ferse zusammengenäht ist und durch Bänder am Fuß festgehalten wird; bei schlechtem Wetter wird der so beschuhte Fuß in einen mit dicken hölzernen Sohlen und Absätzen versehenen, hinten offenen Ueberschuh gesteckt, der den arabischen Babuchas auch insofern gleicht, als er beim Betreten der Zimmer abgestreift und vor der Thür stehen gelassen wird. Ueber der dicken wollenen Unterkleidung tragen die Färinger eine wollene Jacke ohne Kragen, die bis ganz oben zugeknöpft wird und mit großen Messingknöpfen besetzt ist, wollene Kniehosen, die unter dem Knie mit Messingknöpfen zugeknöpft werden, und von einem bunten Strumpfband hochgehaltene wollene Strümpfe. Alle diese Kleidungsstücke sind dunkelbraun oder grau. Am Gürtel trägt ein jeder Färinger, vom achtjährigen Jungen bis zum neunzigjährigen Greis, ein in der Scheide steckendes Messer mit Holzgriff, das an Feiertagen durch ein schönverziertes Messer ersetzt wird. Ein solches Sonntagsmesser ist an Griff und an Scheide mit eingelegten Metallplättchen ausgestattet, die das darstellen, wozu die Messer vorzüglich dienen: Delphine, Harpunen, Ruder und Boote, somit andeutend, daß das Messer beim Fang der Delphine eine wichtige Rolle spielt. An den Frauen habe ich keine besondere Tracht bemerkt: sie tragen wollene Röcke und wollene Tücher um Schultern und Kopf. Indessen scheinen auch sie an Feiertagen mit schöngestickten und verzierten Tüchern, Schürzen und Röcken zu prunken.

Von Landwirtschaft ist auf den Färoeer kaum die Rede. Bei den Häusern findet man kleine Gemüsegärten mit Kartoffeln, Kohl und weißen Rüben, und besonders in der Hauptstadt Thorshayn haben sich viele Leute einen richtigen Garten mit Sträuchern und kleinen Bäumen angelegt. Die Hauptsache ist das von niedrigen Mauern eingeschlossene Wiesenland, dessen saftiges Grün anzeigt, daß es zum Unterschied von dem jenseits der Mauern gelegenen Gelände gepflegt und gedüngt wird. Dieses mit dichtem grünem Gras bewachsene Land sieht mit seinen zahlreichen Butterblumen und Gänseblümchen sehr hübsch aus, und die kleinen Rinnsale, die von den Bauern gegraben werden, um das überschüssige Wasser abzuleiten, geben ebenfalls vielen bunten Blumen Gelegenheit zum Fortkommen. Die Wiesenkultur hat die größte Bedeutung für die Färinger, weil von ihr die Schafzucht abhängt. Im Sommer werden die Schafe auf die Berge getrieben, wo sie leicht ihre Nahrung finden; im Winter aber, wenn alles mit Schnee bedeckt ist, müssen sie im Stall gehalten und mit Heu gefüttert werden. Hat dann der Bauer nicht vorgesorgt und genügend Heu gemacht, so kann ihm darüber seine Schafherde, d. h. sein kostbarster Besitz, zu Grunde gehen.

Am Hafen in Thorshavn
Ein Wintertag auf den Färöer

Außer Schafen giebt es auch Rinder und kleine Pferde, welch letztere als Last- und Reittiere wichtig sind. Die Schafe werden im Frühjahr, ehe man sie auf die Berge treibt und frei weiden läßt, mit einem Zeichen am Ohr versehen, woran sie der Besitzer im Herbst wiedererkennt.

Geschoren werden sie nicht, sondern in der natürlichen Abfallszeit, wo die Tiere ohnehin die Wolle verlieren würden, zupft man die äußere lose Schicht ab, läßt aber den unteren Nachwuchs sitzen.

Nächst der Schafzucht verdanken die Färinger ihren Unterhalt dem Fischfang. Ihre Spezialität aber ist der Grindwal, eine Delphinart, die vornehmlich im September in großen Schwärmen die Insel aufsucht und hier von den Einwohnern zu Tausenden erlegt wird. Die Fischer treiben mit ihren Booten die Schwärme in eine Bucht und harpunieren und töten die hilflosen Tiere in so großen Mengen, daß das Blut das Meer rot färbt.

Endlich muß noch des dritten Erwerbszweiges der Färinger gedacht werden. An den senkrechten Felswänden der Küsten nisten Millionen von Seepapageien, Lummen, Möwen, Sturmvögeln, Tauchern u. s. w. Um hinaufzugelangen, schlägt der geschickteste Vogeljäger spitze Eisen in die Felswand und klimmt so zur Höhe, indem er immer das unterste dieser Steigeisen herauszieht und höher oben wieder einschlägt, dann läßt er ein Seil hinab und zieht seine Kameraden herauf, worauf die Ausbeutung der Nester beginnt.

Dieser Artikel von Mark Eugen Schmidt erschien zuerst am 23.08.1902 in Die Woche.