Die Fleischversorgung Berlins

Von A. Oskar Klaußmann. Die Spalten der Tageszeitungen wiederhallen von Klagen über die Fleischnot und die außerordentlich gestiegenen Fleischpreise; leidenschaftliche Kontroversen werden geführt über die Ursachen, die diese unleugbare Fleischnot herbeigeführt haben, und die Fleischfrage ist plötzlich aktuell und brennend geworden. Es dürfte daher weite Kreise interessieren, zu erfahren, in welcher Weise sich die Fleischversorgung der Reichshauptstadt vollzieht, deren Bevölkerung in stetigem Wachstum begriffen ist und bald die zweite Million erreicht hat.

Genaue Zahlen über den Fleischkonsum Berlins lassen sich nicht angeben, da aus verschiedenen Gründen eine sichere Kontrolle unmöglich ist, wie sie zum Beispiel in den Städten stattfindet, die Schlacht- und Mahlsteuer haben. Die Tausende von Kilogrammen, die aus dem Inland als Postpakete oder als Eisenbahnkolli eingehen, die tausende Kilogramm von Schinken, Wurst, Speck, von gesalzenem Pökelfleisch werden in Berlin nirgend gezählt und kontrolliert. Auch der Eingang von Wild und Geflügel läßt sich nur schätzungsweise angeben, und ebensowenig weiß man, wie viele tausend Kilogramm Fleisches, das auf dem städtischen Zentralviehhof und Schlachthof entnommen worden ist, in die nähere oder weitere Umgegend Berlins geht. Im Jahr 1900 (es ist dies die neuste erreichbare Statistik) wurden auf dem städtischen Zentralschlachthof verarbeitet: 187 000 Rinder, 857 000 Schweine, 164 000 Kälber und 447 000 Schafe. Dieses Fleisch ist wohl zum allergrößten Teil in Berlin geblieben. Ein Quantum Fleisch, gleich einem Drittel der Menge, die auf dem Zentralschlachthof gewonnen wurde, ist aber außerdem von außerhalb als ausgeschlachtetes Fleisch in Berlin durch Engrosschlächter eingeführt und meist in den Markthallen zum Verkauf gebracht worden. Es werden außerdem jährlich in Berlin etwa 10000 Pferde geschlachtet, 1 000 000 Gänse werden konsumiert, 30 000 000 Kilogramm Fluß- und Seefische, gesalzene und geräucherte Fische verschlingt der Magen Berlin, Wild und Geflügel außerdem in Riesenmengen, und allein in der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz werden jährlich annähernd 150 000 Hasen, 15 000 Stück Hochwild, 150 000 Rebhühner, 12 000 Fasanen, 250 000 Hühner, Wildenten, Bekassinen, Schnepfen, Wachteln und Birkwild verkauft.

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Das auf den Vopf der Bevölkerung kommende jährliche Quantum von Fleisch schwankt zwischen den Grenzen von 75 bis 85 Kilogramm. Der Konsum ist jedoch in den achtziger Jahren schon auf 68,5 gefallen, in den neunziger Jahren auf über neunzig Kilogramm gestiegen. Wahrscheinlich aber sind auch in diesen Zahlen nicht gleichmäßig die Quantitäten Fleisches enthalten, das nicht auf dem städtischen Schlachtviehhof gewonnen worden ist. Annähernd richtig werden wohl die Zahlen sein, die angeben, daß der Berliner Konsum sich zusammensetzt aus 31 Prozent Rindfleisch, 46 Prozent Schweinefleisch, 9 Prozent Kalbfleisch, 6 Prozent Hammelfleisch, 2 Prozent Pferdefleisch und 6 Prozent Wild, Geflügel und Fische.

Schlächtertypen
Vor dem Rinderschlachthaus

Ungefähr 110 000 000 Kilogramm Fleisch, also die weitaus größte Menge, die in Berlin konsumiert wird, kommt von dem Berliner Schlachtviehhof, der mit dem Zentralviehhof vereinigt ist. Mittwoch und Sonnabend finden auf dem Zentralviehhof die Märkte statt, und zwar ist der Mittwochmarkt der wichtigere; er wird vor allem stark mit Rindvieh beschickt, während der Sonnabendmarkt mehr Schweine und Kälber aufweist. Ungefähr 700 Viehhändler verkehren am Markt und bringen am Tage vor dem Markt und in der vorhergehenden Nacht in Extrazügen, die meist vom Osten kommen, das Vieh mit der Eisenbahn heran. Es kommen jährlich ungefähr 34 000 Waggons mit Vieh an, die auf das sorgfältigste gereinigt und desinfiziert werden, bevor sie vom Viehhof wieder in den Eisenbahnverkehr übergehen.

Nicht das gesamte auf dem Berliner Zentralviehhof eingehende Vieh ist für den Konsum Berlins bestimmt. Es findet durch 150 Exporteure vielmehr eine ziemlich starke Ausfuhr nach Norden und Westen statt, und bis zum Rhein erstreckt sich die Viehversorgung von dem Berliner Zentralviehhof aus. Im Jahr 1890 wurden vom Berliner Viehhof exportiert: 75 000 Rinder, 163 000 Schweine, 32 000 Kälber und 153 000 Schafe.

Im Schweinebrühhaus

Ungefähr 900 Berliner Schlächter und 200 Schlächter aus den Vororten und Nachbarstädten Berlins vermitteln den Uebergang des auf dem Viehhof erschlachteten Fleisches an das Publikum. Auch das Berliner Proviantamt tritt als Käufer auf, um die für die Verpflegung der aus 16 000 Köpfen bestehenden Garnison notwendigen Fleischmassen direkt vom Schlachthof zu beschaffen. Unser Bild zeigt uns die Mannschaften der verschiedenen Berliner Regimenter beim Empfang von Schweinefleisch das von einem bestimmten Unternehmer in vorschriftsmäßiger Qualität geliefert werden muß und dessen Uebergabe an die Truppenteile von Beamten des Proviantamts überwacht wird.

Im Aufbruchraum (Schweineschlachthaus)

In den einundzwanzig Jahren, in denen der Zentralviehhof samt dem mit ihm verbundenen großen Schlachthof besteht, hat sich eine eigentümliche Arbeitsteilung und ein ganz bestimmtes Unternehmertum in der Praxis herausgebildet. Der Berliner Ladenschlächter, der Detaillist von Fleisch, der Verfertiger und Verkäufer von Fleisch- und Wurstwaren, schlachtet nur in den seltensten Fällen auf dem Viehhof; er entnimmt vielmehr das Fleisch ausgeschlachtet von den Engrosschlächtern. Der sogenannte „Kram“, bestehend aus Lungen, Lebern, Magen, Kälberfüßen und -köpfen, Ochsenfüßen und Ochsenschwänzen, wird von den Engrosschlächtern an die Kramhändler gegeben und erst von diesen fertig gemacht und an die Ladenschlächter verkauft. Man schätzt diesen „Kram“ auf ungefähr fünf Millionen Kilogramm jährlich. In Unternehmerhänden befinden sich: die Albuminfabrik, die dem Blut der geschlachteten Tiere das Eiweiß entzieht und für die Industrie und Landwirtschaft verarbeitet; die Talgschmelze, die Borstenzurichterei u. s. w. selbst bei dem Viehauftrieb handelt es sich um verschiedene, einander in die Hände arbeitende Unternehmer. Der Viehkommissionär, der den Verkauf und die Geldgeschäfte zwischen dem Viehproduzenten und dem Engrosschlächter vermittelt, hat seine Oertreiber, die selbständige Unternehmer sind. Unter den Obertreibern arbeiten wieder besondere Viehtreiber als Unternehmer, die mit eigenen engagierten Leuten das Ausladen und Wiederverladen des Viehs, den Transport innerhalb des großen Areals des Zentralviehhofs, die Fütterung und Abwartung der Tiere besorgen.

Schlachthalle für Kälber und Schafe

Es giebt zwei voneinander getrennte Schlachthöfe: den Schweineschlachthof und den Schlachthof für Rinder, Kälber und Schafe. In der Hauptsache bestehen diese Schlachthöfe aus gewaltigen Hallen, die zum schlachten der Tiere und zum Verarbeiten des Fleisches bestimmt und mit allen Bequemlichkeiten für die Engrosschlächter versehen sind. In der Nähe dieser Schlachthallen befinden sich die Stallungen, in denen die auf dem Zentralviehhof aufgekauften Tiere bis zur Schlachtung untergebracht werden. Geschlachtet wird allenthalben ohne Schlachtmaske. Rinder und Schweine werden durch Schläge mit dem Hammer oder einer eisernen Keule vor den Kopf betäubt und dann durch den Herzstich vollkommen getötet. Es ist auf dem Schlachthof eine besondere „Schlagschule“ vorhanden, in der die Schlächterlehrlinge unter Leitung eines Oberaufsehers auf Kosten der Verwaltung unentgeltlich Uebung im Schlagen erhalten, indem sie ihre Kräfte an Apparaten üben, die mit Kraftmessern ausgestattet sind. Die Rinderschlachthäuser, 135 bis 145 Meter lang und 30 Meter breit, weichen in ihrer Einrichtung von der anderer Schlachthöfe ab. Die Engrosschlächter schlachten in sogenannten Kammern und geben das Fleisch direkt an die anderen Schlächter oder bringen es in der Engrosmarkthalle am Alexanderplatz in den frühesten Morgenstunden zum Verkauf. Auf dem Schlachthof für Rinder, Kälber und Schafe arbeitet das städtische Fleischbeschauamt, bestehend aus einem Obertierarzt mit 23 Tierärzten und 25 Stemplern, während auf dem Schweineschlachthof außerdem noch die mikroskopische Untersuchung bei einer Abteilung stattfindet, die mit 9 Vorstehern, 270 Mikroskopikern (darunter nicht weniger als 105 Damen) und 70 Probenehmern arbeitet. Kälber und Schafe werden auf dem Schlachthof in kleineren Schlachthäusern, die von den Ställen für Kleinvieh umgeben sind, getötet.

Den größten Betrieb hat der Schweineschlachthof, der sich ebenfalls in seinen Einrichtungen von denen anderer großer Schlachthöfe unterscheidet. Die Schweine gelangen zunächst in Buchten, in denen sie totgeschlagen und abgestochen werden. Dann kommen sie in den Brühraum, werden hier gebrüht und enthaart und nach dem nächsten Raum geschafft, in dem das Aufbrechen der Tiere stattfindet. Der Transport von Halle zu Halle und durch die verschiedenen Abteilungen des Schweineschlachthofs erfolgt meist dadurch, daß die Schweine mit den Hinterfüßen an Haken befestigt sind, die sich an einer eisernen Rolle befinden. Letztere läuft auf einer Schiene, die an der Decke der Halle angebracht ist und in verschiedenen Parallelleitungen durch alle Räume bis zu den Fleischkammern führt. Im Aufbruchraum werden die Eingeweide aus den Schweinen herausgenommen, nach einer besonderen „Kuttelei“ gebracht und erst hier entleert. Es geschieht dies, um die Aufbruchhalle besonders reinlich erhalten zu können. Von dem Aufbruchraum kommen die Schweine nach der Kühlhalle und gehen dann entweder nach den Fleischkammern oder werden durch Transportwagen an die Abnehmer in der Stadt verfahren.

Fleischempfang der Berliner Garnison

Der Schlachthof bringt einen jährlichen Ueberschuß, trotzdem die Schlachtgebühren überaus niedrig angesetzt sind. sie betragen für ein Rind 1,50, für ein Schwein 0,80, für ein Kalb 0,50, für ein Schaf 0,30 Mark. Dazu kommen noch die Fleischbeschaugebühren. Für die Schlachtgebühren liefert die Stadt warmes und kaltes Wasser, Gas, Kellerräumlichkeiten, Dampf u. s. w., ohne einen Pfennig Entschädigung dafür zu nehmen. Die Kontrolle über die Gesundheit der zu schlachtenden Tiere und über die Tadellosigkeit der ausgeschlachteten Teile ist außerordentlich streng. Die Ventilationseinrichtungen sind z. B. so vortrefflich, daß sich Fliegen in den Schlachthäusern gar nicht zeigen.

Das Futter für das Vieh, das bis zur Schlachtung auf dem Viehhof stehen bleibt oder hier Station macht, bevor es exportiert wird, liefert die städtische Verwaltung, und es werden jährlich etwa 80 000 Zentner Heu, 40 000 Zentner Stroh, 30 000 Zentner Gerste und Schrot und 7000 Zentner Roggenkleie, sowie einige tausend Zentner Hafer, Erbsen und Kartoffeln verbraucht, Die jungen Mastkälber werden durch besonders eingeübte Leute abgewartet und zum Teil mit der Flasche getränkt.

Die Jahresrechnung balanziert in Einnahme und Ausgabe für den Zentralviehhof und Schlachthof mit ungefähr 4½, Millionen Mark.

Dieser Artikel erschien zuerst am 18.10.1902 in Die Woche.