Bilder von St. Helena

Das Gerücht, daß England noch einmal einen bezwungenen Feind nach St. Helena senden wollte, hat die Aufmerksamkeit der ganzen Welt wieder auf jenen einsamen Felsen in Ozean gelenkt, wo im Anfang unseres Jahrhunderts eins der größten Genies der Weltgeschichte den Rest seiner Tage verbrachte.

Damals atmete Europa auf wie von einem Alpdruck befreit, und die ganze Grausamkeit des Schicksals wurde erst einem späteren Geschlechte offenbar, als der Nationalfeind vor der imponierenden Größe in den Hintergrund trat. Der Mann, dem die Erde zu klein war für seine ehrgeizigen Pläne, verbannt auf ein Eiland, im Kreise weniger Getreuer, am Strande des Ozeans, das teure Frankreich mit der Seele suchend, wird immer eins der tragischsten Momente bleiben, die die Weltgeschichte bisher zu verzeichnen hat.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Eine Entfernung von 1863 Kilometern liegt zwischen der Insel und der Westküste Afrikas. Die senkrechten Basaltwände der Ufer erheben sich 180 – 300 Meter hoch aus den bis 4000 Meter Tiefe hinabreichenden Fluten des Atlantischen Ozeans, und nur wenige, leicht kontrollierbare Straßen führen zu der Hafenstadt Jamestown, die den einzigen Landungsplatz für das sonst voll ständig unzugängliche Felseneiland bietet.

Hafen von Jamestown
Jamestown, Hauptstadt von St. Helena

Unsere Bilder zeigen den von zwei Forts geschützten Hafen der Hauptstadt von St. Helena und diese Hauptstadt selbst mit ihrer neuen Straße, die am Nordrand der Insel in eine enge Felsenschlucht eingezwängt ist. Für die Negerbevölkerung, die den überwiegend größten Teil der Einwohner ausmacht, ist es zu umständlich, die Schlangenlinien der Fahrstraße abzulaufen, die den Verkehr der Stadt mit dem Hochplateau des Insellandes vermittelt; sie steigen deshalb auf künstlichen Aufzügen, wie unser Bild zeigt, zur Höhe oder vom Hochland zum Hafen.

Die Jakobsleiter auf St. Helena

Das Klima der Insel ist, obwohl sie zwischen 15 – 16 Grad südlicher Breite in der Tropenzone liegt, für Weiße der gemäßigten Zone nicht ungesund. Erhebt sich doch das Plateau im Innern bis zu 600 Meter über dem Meer, und diese Hochebene von Longwood war die Wohnstätte Napoleons und seiner Begleiter. Noch zeigt man dort den wenigen Fremden, die auf St. Helena kurzen Aufenthalt nehmen, die von uns im Bilde wiedergegebene Wohnstätte Napoleons und sein Grabdenkmal. Beide sind Erinnerungszeichen von fragwürdigem Wert. Der Sarg VNapoleons ruht bekanntlich im Invalidendom in Paris, und auch das Wohnhaus des großen Korsen wurde im Jahre 1857 als Geschenk der Königin Viktoria mit der ganzen Einrichtung nach Paris geschafft, nachdem man vorher an Ort und Stelle eine getreue Kopie des Hauses hergerichtet hatte. Immerhin ist es der Ort, wo England seinen Feind begrub, der ihm damals nicht so gefährlich wurde, da ganz Europa auf Seiten der Briten stand, wie es in unseren Tagen die Buren gegen das isolierte England hätten werden können, wenn der Sieg ihren Fahnen bis zum Ende treu geblieben wäre.

Napoleons Grabstätte auf St. Helena

Einen Schatz von historischen Erinnerungen birgt dies Eiland, der aber nicht über die Langeweile des Aufenthalts auf der Insel hinweghelfen kann. Schon Napoleon klagte, daß ihm das einzige Vergnügen, das dem Gefangenen gestattet war, die Jagt, fast unmöglich wurde, da kein jagdbares Wild mehr zu finden war. Die Wälder, die einst das Hochplateau deckten, sind vollständig verschwunden. Auf weitgedehnten Gütern wird die Viehzucht und Viehmastung und die Kultur von Nutzpflanzen betrieben. Die eingeborne Bevölkerung der Neger, deren kleine Bauernwirtschaften von dem Großgrundbesitzer aufgesogen wurden, wandert stetig fort, so daß sich die Einwohnerzahl seit 1860 von 6800 auf 3000 verringert hat.

Napoleons Wohnhaus auf St. Helena

Noch eine wehmütige Erinnerung drängt sich dem Besucher gerade jetzt auf. Die Insel gehörte 1600 bis 1650 den Holländern, die sie damals der Englisch-Ostindischen-Kompagnie abtraten, die dafür Kapstadt und die Kapkolonie den Holländern überließen. Und heute sitzt der englische Gouverneur in Kapstadt, und Englands Heere erwürgen die holländischen Republiken Südafrikas!

Dies Felseneiland, dessen Wände sich hochragend aus der unendlichen Wasserwüste des Ozeans erheben, ist wohl das mächtigste Denkmal der britischen Welteroberungspolitik, deren eherne Faust jetzt Südafrika gepackt hat, um es nie wieder frei zu lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.