Bergklöster in Griechenland

Von Julius Konstantin von Hoeßlin (Athen).
Die ältesten Mönche

waren Einsiedler im strengsten Sinn des Wortes. Damit sie sich von der Welt völlig abtrennten, zogen sie nach Gegenden und Orten, wohin der menschliche Schritt nicht leicht führen konnte. Die Wüste, das abgelegene Tal oder die Höhlen an unbesteigbaren Felsenwänden waren die Stätten der ersten Mönchniederlassungen.

Das Einsiedlertum dauerte in Griechenland noch bis vor wenigen Jahrzehnten fort. In Athen gibt es noch Menschen, die die Zeit erlebt haben, als ein Asket auf einer der einsam stehenden Säulen des Zeustempels jahrelang lebte und sich mittels eines Seils und eines daran gebundenen Korbes die Speisen, die man ihm zum Almosen gab, an sein enges und hohes Lager auf dem Säulenkapitäl heraufzog. Wer in Nordthessalien durch die Schluchten des Kalabakagebirges geht, gewahrt aus den vielen Höhlen der Sandsteinwände Stücke vermorschter Hängeleitern und Stricke heraushängen; in diesen Felsenhöhlungen liegen wohl noch die Gebeine von Einsiedlern, die bis vor wenigen Jahren hier das Leben fristeten. Aus dergleichen Einsiedeleien sind die ältesten Klöster in Griechenland entstanden. Wo in einer großen Höhle auf steiler Felsenwand Wasser quoll, da finden wir jetzt die stolzesten Burgen des Urchristentums über das Tal hängen.

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„Die allheilige Jungfrau am Felsen“ in Nemea ist das schönstgelegene dieser Klöster; eine lange, in den Felsen hin eingehauene Treppe führt empor, während man die jahrhundertalte schwarze Mauer des Klosters über sich aus dem Felsen herausragen sieht. Sobald man den Klosterhof betreten hat, merkt man, daß man sich in einer Höhle befindet. Ihren Hintergrund nimmt die Kirche ein, in deren Allerinnerstes die Quelle fließt.

Das Kloster Agia Trias

Die Legende knüpft natürlich das Entstehen der Quelle an ein Wunder und schreibt dem Wasser wunderbare Kräfte zu. Daß diese Höhlen, bevor die Klöster in ihnen gebaut wurden, Wohnstätten von Einsiedlern gewesen sind, daß der Zufall oft spätere Asketen an jene Orte führte, wo früher einmal ein

gelebt hatte, sehen wir in der Sage der Entstehung des Klosters Megaspeläon (die große Höhle) auf dem Peloponnes (Abb.), der ältesten Mönchsniederlassung Griechenlands, sich widerspiegeln.

Beförderungsmittel der Bergklöster

Die Sage will wissen, daß schon der Evangelist Lukas in dieser Höhle gelebt hatte, und daß er hier seine Schriften schrieb und die ihm angedichteten Madonnenbilder malte und formte. Nach der Legende gewahrte einmal (im Jahr 360) die Hirtin Euphrosyne, die ihre Ziegen an der Riesenwand unter dem Gipfel des Berges bei Zachloron weidete, daß eins ihrer Tiere sich auf steilem Grat verlief und in der Felsenspalte verschwand. Die Hirtin folgte dem Tier nach und gewahrte in der Tiefe der Berghöhlung eine von Büschen überdeckte Quelle. Neben der Quelle lag ein großes Madonnenbildnis. Die durch die Erzählungen des erschreckten Mädchens neugierig gewordenen Einsiedler der Umgebung kamen nach dieser Stätte hin und glaubten zu entdecken, daß das gefundene Bild wie die später daneben entdeckten Pergamente vom Evangelisten Lukas abstammten. Tatsache ist, daß damals zwei Asketen sich in der Höhle niederließen und den Keim bildeten, aus dem das jetzige stolze Megaspeläon entwuchs. Das Madonnenbildnis nimmt jetzt den Mittelpunkt des Gotteshauses ein, und alljährlich wallfahren Tausende dahin. Erwähnen wollen wir, daß dieses reliefartige Bild der Jungfrau Maria das einzige in plastischer Form von der Orthodoxie geduldete ist; die griechische orthodoxe Kirche verdammt – im Gegensatz zu der römisch · katholischen – alle plastische Wiedergestaltungen der Heiligen und erkennt mit ihre Abbildungen in Gemälden an.

Das Kloster Megaspelänon auf dem Peloponnes, älteste Mönchsniederlassung in Griechenland

Wenn man vom Dorf Zachloron, wo man die Zahnradbahn verläßt, den steilen Weg am Bergabhang hinaufgeht, gewahrt man bald auf der Höhe an der Felsenwand das vielstöckige alte Megaspeläon. Die Höhle ist heute von außen sicht mehr sichtbar. Vor ihr erhebt sich jetzt das große, hohe Gebäude, wo die Mönchswohnungen sind. Die Höhle bildet nur den innersten Raum des Klosters, in dem die Kirche steht. Am Fuß der Felsenwand sind Terrassen gebaut, und hier stehen Gärten. Die Reicheren unter den Mönchen haben an den benachbarten Abhängen kleinere Landhäuser errichtet, in denen sie den Sommer über wohnen; in den Gärten auf den Terrassen reifen Trauben und Feigen und Orangen, und viele Zypressen und Rosen dienen zum Schmuck. Die Zeiten der Kasteiung sind vorüber. Das Innere des Klosters durchziehen lange Gänge. Jeder Mönch ist im Besitz eines Gemachs und mehrerer kleiner Nebenräume, die mit allen Komfort ausgestattet sind, mit weichen Betten und schönen Arbeitstischen und großen Kaminen für den Winter. Die einzige Pflicht der Mönche ist der Gottesdienst. Man versammelt sich zweimal am Tag in der vor Gold prangenden Kirche und feiert durch ernste archaische Zeremonien Gott den Herrn. Das Leben der Mönche ist „idiorhythmisch“, das heißt, die Mönche leben nicht mehr nach der antiken Klosterordnung, die das Eigentum des einzelnen verbot, und die ein kommunistisches Zusammenleben aller forderte, sondern jeder Mönch empfängt von der Klosterverwaltung Brot, Wein und Oel und eine bestimmte Summe Geldes alljährlich, für die er sich alles, wessen er bedarf, und was er wünscht anschaffen kann. Ein jeder Mönch lebt und speist in seinen Gemächern für sich; außer den Gottesdienststunden steht es seinem Wunsch frei, ob er mit seinen Mitbrüdern gesellig verkehren will. Megaspeläon ist das einzige unter den alten Klöstern, das noch wirtschaftlich blüht und über hundert Mönche zählt.

Gesamtansicht auf die Meteora, die sieben Bergklöster in Thessalien

Die meisten der alten Klöster sind jetzt entweder ausgestorben, oder sie dauern zwar fort, aber die Zahl der Mönche darin ist auf ein Minimum zusammengeschrumpft auf einen Abt, ein paar Priester und einige Novizen

Diesem Zustand begegnen wir z. B. in den sieben Klöstern am oberen Peneios in Thessalien, die den Namen „Meteora“, die schwebenden Klöster, führen; sie hängen auf hohen, säulenartig sich erhebenden Felsen, die jäh gegen den Himmel emporragen, daß kein Pfad hinaufführen kann. Wie die ersten Einsiedler hinaufgelangt sind, wie die Bauten, die über ein Jahrtausend alt sind, errichtet worden sind, wissen wir nicht.

Die Klöster aber dauern als unlösbare Rätsel fort, und eine Hängeleiter und an Stricken gebundene Körbe sind es, durch die der Mensch zu den schwebenden Wohnstätten wahrer Einsiedler hinaufgelangen kann.

Das Kloster Warlami

Auf unserm Bild sehen wir das Kloster „Warlami“, auf dem nächsten Bild „Agia Trias“. Beide Aufnahmen lassen die säulenartige Form der von der Bergmasse abgetrennten Sandsteinfelsen erkennen, an denen kein Weg hinaufführen kann. Auf einem Bild sehen wir das Beförderungsmittel eines „schwebenden“ Klosters: das Ende eines herunterhängenden Seils mit dem Korb daran, in dem ein Mönch sitzt. Das Bild stellt die Gesamtaussicht auf die Meteora dar.

Die Bauart der Meteora deutet auf ihr sehr hohes Alter hin. Sie stammen aus der Zeit, da es noch keine Glocken gab, denn hier wird noch wie zu den Zeiten des Urchristentums mittels Semantren, d. h. großen Holztrommeln, auf die man mit Hämmern schlägt, zum Gottesdienst geläutet. Die Zahl der anwesenden Mönche in den Meteoraklöstern ist gering. Die meisten, die man hier antrifft, sind Laien, Verwandte von Mönchen, die ihre Ferien hier verbringen, oder Reisende, die die Neugierde treibt, diese wunderlichen Bauten zu sehen, die aus einer Zeit stammen, als die absolute Weltflucht noch ein starkes Bedürfnis der Frommen war.

Dieser Artikel erschien zuerst 1904 in Die Woche.