Hierzu 6 photographische Aufnahmen von Mr. Dubouloz. Inmitten der blühenden Fluren des Departements Orne, jenes Teils der Normandie, der an Fruchtbarkeit der Touraine, dem „Garten Frankreichs“, kaum nachsteht, erhebt sich starr und einsam ein düsteres Gebäude. Der massige, langgestreckte Bau erscheint mit seinen vielen Fenstern fast wie eine Stätte, wo unruhige Arbeit rastlos für den Erwerb wirkt und schafft; aber der hochragende Kirchturm, der sich weithin sichtbar in die Lüfte reckt, ist ein Zeichen, daß die Gäste des Hauses eine andere Sorge haben als die Jagd nach irdischen Gütern. Ringsum in der weiten Ebene herrscht tiefes Schweigen. Nur das dumpfe Brüllen weidender Rinder oder der schwermütige Ton ferner Kirchenglocken unterbrechen die bange Stille.
Hier ist das Reich der Trappistenmönche und das einsame Gebäude ihr Kloster.
Selten betritt ein fremder Fuß das Haus des ewigen Schweigens; selten dringt eine Kunde aus dem geheimnisvollen Staat der Ordensbrüder in die Oeffentlichkeit. Der Lebenswürdigkeit des französischen Forschers Dubouloz verdanken wir es, wenn wir unsere Leser mit dem seltsamen Leben und Wirken der Mönche bekannt machen können. Denn seltsam ist es in der That. Wir treten wie in eine ferne, fremde Welt. Die Errichtung des Trappistenordens geht weit in die Vergangenheit zurück. Ein Zweig des Cistercienserordens, der von der im 12. Jahrhundert begründeten Abtei La Trappe seinen Ausgang nahm, wurde er von Armand Jean le Bouthillier de Rancé gestiftet, der nach dem ausschweifenden Leben eines Pariser Lebemanns 60 Cisterciensermönche der strengsten Richtung nach La Trappe führte.
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Seitdem hat sich der normannische Mönchsorden entwickelt und erweitert und Tochterhäuser in aller Herren Länder gegründet. In Frankreich allein giebt es noch zwanzig andere Trappistenklöster; England, Oesterreich, Italien, Holland und Deutschland haben je drei, Spanien zwei, und die vierzehn anderen Klöster verteilen sich über die ganze Welt. Augenblicklich zählt man über 3400 Trappistenmönche, die weitverstreut in 75 verschiedenen Häusern untergebracht sind. Auf drei eisernen Grundpfeilern ruht das ganze Gebäude dieses strengsten aller Monchsorden. Es sind die Gesetze gemeinschafllichen Lebens, gemeinschaftlicher Arbeit und das unerbittliche Gebot ewigen Schweigens.
Bart und schwer scheint das Leben des Trappisten. Morgens um 2 Uhr beginnt das Tagewerk. Wenn die dumpfe Glocke ruft, erheben sich die Brüder und eilen lautlos in ihren braunen und weißen Kutten durch die langen Gänge nach der Kapelle. Ist die tägliche Andacht verrichtet, so geht jeder an die Arbeit, die ihm zugeteilt ist. Denn die Trappisten führen kein beschauliches Dasein; sie sind thätige Arbeiter, die ihre Arme, ihre körperlichen Kräfte gebrauchen. Ganz auf sich selbst angewiesen, müssen sie alles selbst schaffen, was sie zu ihrem bescheidenen Unterhalt bedürfen.
Die Klosterkirche ist rings mit neuen Gebäuden umgeben, die mit allem modernen Handwerkzeug versehen sind. Die Mönche haben ihre eigene Mühle, ihre Druckerei, eine große Schokoladenfabrik u.s.w.
Aber niemand hat eine bestimmte Beschäftigung. Die Arbeit ist für die Ordensbrüder nicht bloß eine Quelle des Erwerbs, sondern zugleich ein Zuchtmittel, eine ewige Uebung in der schweren Kunst der Entsagung.
Der Trappist darf seine Arbeit nicht wählen, er muß zu jeder Beschäftigung bereit sein. Der Abt befiehlt, und schweigend hat der Mönch zu gehorchen. Wer heute ein schönes Buch kopierte, muß morgen Korn mahlen in der Mühle; wer in der Frühe die Kirchenväter las, muß später den Garten bestellen oder draußen im Wald Holz fällen …
Gemeinsam werden auch die kargen Mahlzeiten eingenommen. Jeder Mönch setzt sich an seinen kleinen Tisch in dem großen Speisesaal. Ein Stück Brot, ein Tropfen Apfelwein, eine Suppe, ein: Gemüse das ist alles, was der Trappist zu sich nimmt. Nur die Kranken dürfen eine Ausnahme machen und Fleisch genießen.
Abends um 7 Uhr ist das Tagewerk beendet.
In langen Reihen schreiten die stummen Mönche dem gemeinsamen Schlafsaal zu. Der Raum ist groß und kahl. Keine Thür verschließt die einzelnen Verschläge der Brüder. Als Lager dient ein Feldbett, ein Kopfkissen, mit Stroh gefüllt, und eine einfache Decke. Sieben Stunden sind den Trappisten zugemessen. Angekleidet muß er auf seinen harten Lager ruhen. Und wenn die Glocke ihn ruft, mitten in der Nacht, so erhebt er sich still und schweigend, um von neuem sein langes, schweres Tagewerk zu beginnen.
So ist der Trappist niemals allein und doch immer allein. Denn er kann sich nicht mitteilen, seine Zunge ist gebunden, ewiges Schweigen hat er gelobt. Wie fürchterlich muß dies Schweigen sein, denn die Brüder sind stets beisammen, von morgens bis abends, bei der Andacht, beim Gebet, in den Werkstätten und draußen bei der Arbeit, in Feld und Wald; niemals sind die Trappisten sich selbst überlassen, immer sind sie beieinander. In einzelnen Gruppen gehen sie an die ihnen zugeteilte Arbeit. Wenn die Morgenandacht vollendet ist, treten die stummen Gestalten aus dem Kloster und begeben sich schweigend an ihr Tagewerk. Seite an Seite, Schulter an Schulter schaffen sie, jahraus, jahrein, einen Tag und alle Tage, Sommer und Winter, in Wetter und Wind, in Regen und Sonnenschein; sie leben zusammen von morgens bis abends wie Brüder arbeiten sie an einem gemeinsamen Werk, von demselben Gedanken beseelt, atmen dieselbe Luft, bewohnen dieselbe Räume, teilen dieselben Freuden und Leiden und keiner kennt den andern, keiner weiß, was den andern bewegt, keiner kann fühlen mit seinem Nächsten.
Das Innenleben des Einzelnen bleibt ein ewiges Geheimnis allen andern. Wer weiß, was diese Menschen trieb, sich aus der Welt zu flüchten in diesen stillen Hafen, den des Lebens Wogen nicht mehr berühren, wo alle Stürme schweigen! Wer weiß, woher sie kamen, warum sie kamen, den Frieden zu suchen, den ewigen Frieden…!
Nie kommt ein Wort über ihre Lippen. Man hört keine Stimme, keine Unterhaltung. Wenn es den Menschen drängt, sich mit zuteilen in Freud und Leid – der Trappist muß schweigen; wenn der Mund sich aufthun mochte vor der Schönheit der Welt, vor den Wundern der Natur, vor Licht und Sonne – der Trappist muß schweigen; wenn das Herz sich zusammenkrampfen will in Weh und Leid – der Trappist muß schweigen.
Nur seinem Abt und seinem Prior gegenüber darf er das Schweigen brechen; will er mit einem Bruder sprechen, muß er um Erlaubnis bitten, und diese wird so selten gewährt, daß sie fast niemals erbeten wird.
Und wie das Leben, so das Sterben. Auch im Tod legt der Trappist sein Gewand nicht ab. Wenn die letzte Stunde eines Ordensbruders schlägt, streut man Asche auf Stroh und bettet den Sterbenden darauf: das ist das Totenbett des Trappisten.
So führt man den Brüdern das Ende vor Augen, und sie ertragen schweigend den Tod, wie sie das Leben ertrugen. Alle Mönche sind um den sterbenden Bruder versammelt, immer schweigend, immer im Gebet.
Und wenn die schwere Stunde vorüber ist, so senkt man den Toten in die Erde, das Gesicht unbedeckt, in den Kleidern, die der Lebende tagtäglich trug. Kein Sarg nimmt die Leiche auf. Nur kleine weiße Kreuze bezeichnen die ewige Ruhestätte der schweigenden Mönche.
Wahrlich, für diese Menschen muß der Tod seine Schrecken verloren haben! In dem Augenblick, da sie den Fuß über die Schwelle des grabesstillen Hauses setzten, versank das Leben hinter ihnen mit allen seinen Freuden und Reizen, und der Tod breitete seine dunklen Schatten über ihren Weg. Für das Leben starben sie, lange bevor sie den letzten Atemzug thaten, als das erlösende Wort, in das der Mensch sein ganzes Fühlen und Denken, seine Leiden und Freuden kleidet, für ewig von ihren Lippen wich. Wie grausam muß das Schicksal in viele dieser Menschenleben eingegriffen haben, daß sie sich vor der Zeit lebendig begruben in ewiges Schweigen!
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.