Berliner Salons – Bei der Gräfin Gröben

Wenn in Berlin von Salons im großen Stil gesprochen werden kann, so gehört dazu vor allem jener, in dem die kunstsinnige Gräfin von der Gröben ihre Gäste empfängt.

Durch ganz Deutschland ist der Name der Gräfin, die die Wohlthätigkeitsveranstaltungen der Berliner Hofgesellschaft seit Jahren mit ebensoviel Geschick wie Erfolg leitet, als der einer gütigen, hilfreichen Beschützerin der Armen und der Bedrängten wohlbekannt. Daß aber diese Frau in ihrem prächtigen und reichgeschmückten Heim in der Bismarckstraße 3 gesellschaftlichen und insbesondere dem musikalischen Leben Berlins einen Vereinigungspunkt von erlesenstem Geschmack geschaffen hat, ist eigentlich nur den wenigen bekannt, denen es gestattet war, an den Empfängen der Gräfin teilzunehmen.

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Gräfin Luise von der Gröben, geb. v. Eschwege für ihr langjähriges, unermüdliches Wirken im werkthätiger Menschenliebe kürzlich erst der Luisenorden verliehen wurde, war in erster Ehe mit dem Grafen Erhard von Wedel verheiratet. Nach dem Tode ihres ersten Gatten reichte sie die Hand zum Ehebund dem Generalleutnant Grafen Günther von der Gröben, Majoratsherrn auf Neudörfchen in Westpreußen. Das große westpreußische Rittergut ist seit zwei Jahrhunderten als Majorat im Besitz der gräflichen Familie. Graf von der Gröben hat so wohl durch seine hohe militärische Stellung wie auch als Landwirt und kundiger Freund aller schönen Künste seinem Namen hohes persönliches Ansehen verschafft. Die Gräfin aber gilt mit Recht als eine der feinsinnigsten und musikverständigsten Damen in der Berliner Gesellschaft. Und so giebt auch die Uebung und Pflege der Musik den Hauptinhalt des vornehmen geselligen Lebens in den Salons der Gräfin. Die Empfänge finden Sonntags zwischen 4 und ½ 7 Uhr nachmittags statt. In den geräumigen Zimmern des gastlichen Hauses werden den Gästen alle jene kleinen Erfrischungen und Leckerbissen serviert, die für derlei five o’-clocks üblich sind. Man begrüßt einander, plaudert ungezwungen, aber das große Interesse der Gesellschaft konzentriert sich auf den Musiksalon und die Kunstgenüsse, die dort geboten werden.

Die Künstler beim Vortrag (Frl. Irene v. Brennerberg, Frl. Kutscherra, Herr F. Fuhrmester)
Staatsminister Graf zu Eulenburg, Gräfin zu Eulenburg, Mrs. White, Gattin des amerik. Botschafters, Fürstin Radziwill
Die Künstler beim Vortrag (Frau Professor Schmidt-Köhne, Professor Felix Schmidt, Graf Günther von der Gröben)

Es war eine in ihrer Zusammensetzung einzige, durch Geburt und Talent geadelte Gesellschaft, die wir bei einem Empfangstage der Gräfin antrafen: den als Komponisten wie als Cellospieler gleich hervorragenden und hochbegabten Prinzen Joachim Albrecht von Preußen, zweiten Sohn des Prinzregenten von Braunschweig, der zur Zeit in als Hauptmann im Augustaregiment steht; dann sämmtliche in Berlin beglaubigte Botschafter mit ihren Gemahlinnen ferner die Damen aus der nächsten Umgebung der Kaiserin, die Fürstin Radziwill, die Familie des Staats-Ministers von Thielen, den kommandierenden General des dritten Armeekorps von Lignitz mit seiner jugendschönen Gattin, die als tüchtige Malerin geschätzte Enkelin Bettina von Arnims, Frau Baronin Heyking mit ihrer liebreizenden Tochter, die kunstverständige Frau Staatsminister von Delbrück, die Damen der englischen Botschaft, darunter die Schwester des Botschafters Lady Cavendish-Lascelles und die gefeierte Londoner Schönheit Mrs. Canergie, die talentvolle Familie der Baronin Mutzenbecher, den schöngeistigen braunschweigischen Gesandten Freiherrn von Cramm-Burgdorff, der selbst einige erfolgreiche Lustspiele verfaßt hat, den bekannten Komponisten Viktor v. Woikowsky Biedau u. v. a. Mit der bezauberndsten Liebenswürdigkeit halfen die Komtessen Elisabeth und Marie v. Schlieffen, Töchter unseres Generalstabschefs, und die jungen Damen von Zedtwitz dem gastfreien Hausherrn und der gräflichen Wirtin die Honneurs machen.

Im Salon der Gräfin Gröben – Die Gesellschaft an einem Empfangstag
Empfang bei der Gräfin Gröben – Im Musiksalon
Empfang bei der Gräfin Gröben – Im Musiksalon

Prinz Joachim Albrecht, dessen melodiöse und musikalisch fein gegliederte Tonschöpfungen bereits in weiteren Kreisen anerkennende Beachtung gefunden haben, spielte auf dem Cello mit energischem, kräftigem Strich einige seiner schwermütigen, ergreifenden Kompositionen in künstlerischer Vollendung und wurde dazu auf dem Klavier von seinem früheren Lehrmeister, Herrn Ludemann, begleitet. Hierauf erfreute die bekannte Oper- und Liedersängerin Elyse de Nys-Kutscherra die Zuhörer durch eine Reihe trefflicher Gesangvorträge. Fräulein Irene v. Brennerberg, die Tochter eines österreichischen Offiziers aus Siebenbürgen, trug auf der Geige die ungarischen Tänze von Meister Johannes Brahms in vollendeter Weise vor. Der ausgezeichnete Barytonist und Vorsitzende des akademischen Gesangvereins Professor Felix Schmidt sang mit seelenvoller Wiedergabe eine Reihe Schubertscher Lieder, und Herr Robert Weiß trug ernste und heitere Kompositionen von Viktor von Woikowsky-Biedau mit feinster Nuancierung vor.

Gräfin Günther von der Gröben in ihrem Salon

In ähnlicher Weise verlaufen die Stunden an jedem Winter- und Frühjahrssonntag im gräflich Gröbenschen Salon in der Freude und im Genuß an der Musik wie im angeregten Gespräch; junge Talente werden gefördert, weitere Pläne zu humanitären Veranstaltungen werden von der hoch herzigen Wirtin in die Erörterung geworfen oder mit edelstem Eifer aufgenommen, und dem geistigen Leben der Reichshauptstadt wird vielfache Anregung geboten. So bleibt jeder Empfangstag der Gräfin Gröben, der immer eine erlesene Gesellschaft in den prächtigen Räumen versammelt, Gästen in unvergeßlich dankbarer Erinnerung.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.