Der Besuch des Königs von Italien

Der Besuch des Königs von Italien in Potsdam und Berlin legt hinter uns, er hat einen für alle Teile mehr als befriedigenden Verlauf genommen.

Viktor Emanuel hat es verstanden, die Sympathien, die man ihm als dem Sohn des Königs Humbert von vornherein entgegenbrachte für seine Person neu zu erwerben und zu festigen. Ein liebenswürdiger, besonnener und in der Politik wohl bewanderter Herr, so lautet das allgemeine Urteil über den jungen Monarchen, der mit den andern Herrschern auf Europas Thronen seine vornehmste Aufgabe darin erblickt, seinen Volk und der Welt den Frieden zu erhalten. Am Mittwoch, dem 22. August, traf König Viktor Emanuel gegen Abend mit einem Sonderzug auf der Station Wildpark ein und wurde vom Kaiser und seinem Gefolge überaus herzlich begrüßt. Als bald ging es nach dem Neuen Palais in Potsdam, wo die Kaiserin ihres Gemahls und seines Gastes harrte.

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Hier fanden die beiden Monarchen zwischen den vielen offiziellen Veranstaltungen Gelegenheit, sich in Ruhe miteinander auszusprechen und einander persönlich näherzutreten. Noch am ersten Abend fand eine Familientafel statt, bei der der König, wie man im bürgerlichen Leben sagen wurde, der Tischherr unserer Kaiserin war. Ueberhaupt erhielt der Besuch Viktor Emanuels dadurch ein gewisses intimes Gepräge daß neben den Galafesten auch eine größere Anzahl familiärer Zusammenkünfte, teils beim Kaiserpaar, teils beim Prinzen Friedrich Leopold und seiner Gemahlin, vorgesehen waren.

Von der Berliner Herbstparade vor dem König von Italien – 1. Das Kaiserpaar und der König von Italien begeben sich vom Bahnhof Großgörschenstraße zur Parade – 2. Der Kaiser und der König auf dem Paradefeld

Nach Berlin kamen die Majestäten am Donnerstagvormittag. Ihr Weg führte sie vom Potsdamer Bahnhof nach dem Königlichen Schloß über festlich geschmückte Straßen durch eine nach vielen Tausenden zählende, begeisterte Volkmenge, geschützt durch ein glänzendes Spalier von Militär, Innungen und Kriegervereinen. Vor dem Brandenburger Thor, dem Wahrzeichen preußischer Siegesfreuden, begrüßte Oberbürgermeister Kirschner den italienischen König mit einer deutschen Ansprache, die dieser, da er sich des Deutschen nicht vollkommen Herr fühlte, in freundlichster Weise französisch erwiderte.

Der Einzug des Königs von Italien in Berlin – Ansprache des Oberbürgermeisters Kirchner
Von der Fahnenweihe in der Ruhmeshalle – Der Festakt im Lichthof

Dann ging es weiter nach dem Zeughaus zu feierlichem, militärischem Akt. In der Ruhmeshalle fand die Nagelung von einundvierzig neuen Fahnen für das III. und V. Armecorps statt; indem König Viktor Emanuel nach dem Kaiser auch je einen Nagel einschlug, kam die deutsch italienische Waffengemeinschaft symbolisch zum Ausdruck. Unmittelbar daran schloß sich die Weihe der neuen Feldzeichen im Lichthof des Zeughauses. Bei der folgenden Galatafel im Königlichen Schloß brachte der Kaiser einen herzlich schwungvollen Trinkspruch auf seinen Gast aus, den dieser mit gleicher Wärme in italienischer Sprache erwiderte. Nachdem der König im Lauf des Tages allein mehrere Besuche gemacht und Empfänge abgehalten hatte, führte ihn die Festvorstellung im Opernhaus wieder mit seinem kaiserlichen Gastgeber zusammen. Den Freitag verbrachten die beiden Monarchen ganz in Potsdam und Umgebung. Am Sonnabend kamen sie wieder nach Berlin, wo sie sich vom Bahnhof Großgörschenstraße aus unmittelbar zu Pferd nach dem Tempelhoferfeld zur großen Herbstparade begaben. Am Sonntag trat Viktor Emanuel die Rückreise über Frankfurt a. M. nach Italien an. Sein Besuch wird Früchte tragen. Wußte man auch, daß die guten deutsch-italienischen Beziehungen durch die Erneuerung des Dreibundes bereits gefestigt waren, so hat sich doch durch den Verkehr der beiden Monarchen vor aller Augen ihre Freundschaft in die Seele des Volkes geschrieben.

Von der Fahnenweihe in der Ruhmeshalle – Ankunft des Königs von Italien und des Kaisers
König Viktor Emanuel von Italien und Kaiser Wilhelm vor dem Neuen Palais in Potsdam

Dem König Viktor Emanuel aber wird man nicht vergessen, daß er pietätvoll in den Mausoleen zu Charlottenburg und Potsdam an den Gräbern unserer beiden ersten, Kaiser Kränze niederlegte und daß er mit offener Hand eine größere Summe zum Besten der Berliner und Potsdamer Armen spendete.

Dieser Artikel erschien zuerst am 05.09.1902 in Die Woche in der Rubrik unsere Bilder.