Musaffer ed-din, der persische Herrscher, der seit dem Jahr 1896 das sagenreiche Land beherrscht, wo einst ein Cyrus waltete, thut es seinem Vorgänger gleich und beehrt zur Zeit die europäischen Staaten mit seinem Besuch.
Die Visiten persischer Schahs in unsern zivilisierten Landen hatten von jeher einen kleinen pikanten Beigeschmack. Da kam ein fremder fürstlicher Gast in unsere Mauern, der, seiner Stellung entsprechend, wie ein Fürst geehrt werden mußte und geehrt wurde und der sich doch so gar nicht wie ein Fürst gebärdete, wenigstens nicht nach dem Begriff, den wir Europäer uns davon machen.
Da wurden, als Naßr ed-din, Musaffers inzwischen von Mörderhand gefallener Vorgänger, Europas Lande bereiste, die abenteuerlichsten Erzählungen von ihm aufgetischt, und neben der Freude, den interessanten exotischen Fürsten zu schauen, machte sich auf seiten der Gastgeber stets die bange Furcht geltend, der Mächtige könnte seinen heimischen Gewohnheiten treu bleiben und auch in Europa sich zu Thaten veranlaßt fühlen, die sich bei uns für Fürsten ebensowenig wie fur Unterthanen geziemen.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Mit einer kleinen Verspätung – eine leichte Erkrankung hatte sie verschuldet – leuchtete die „Sonne des Weltalls“, wie der Schah in seiner Heimat genannt wird, in der ersten Woche dieses Monats in Warschau, seiner ersten europäischen Station, auf, wo ein militärisches Aufgebot von nicht weniger als 44 Bataillonen, 15 Schwadronen und 10 Batterien beim Empfang zur Stelle war und vom Bahnhof bis zum Lustschloß Belvedere, dem Absteigequartier des Schahs, Spalier bildete. In Rußland, dessen Sitten und Gebräuche mit dem zunehmenden russischen Einfluß in Persien längst zum großen Teil auch die des persischen Landes geworden sind, wird sich der Schah kaum noch als Fremder fühlen es sei denn, daß die Schlösser, die man ihm anweist, in ihm die Sehnsucht nach dem heimischen Lustschloß Aeschrehabad wachrufen, die, so stolz sie in den modernen Großstädten Europas auch sein mögen, kaum mit dem idyllischen Villenkomplex am spiegelnden See, dem hohen, turmähnlichen „Herrenhaus“ und seinen kleinen verschwiegenen Frauentempeln werden rivalisieren können.
Aber man genießt nun einmal die Freuden des Reisens nicht, ohne manche der liebgewordenen heimischen dafür aufgeben zu müssen. Später wird dann der Schah die Kur im französischen Badeort Contrexeville gebrauchen, von ihren Erfolgen vielleicht manchen bei einem Abstecher nach Paris und seinen anstrengenden Ausstellungsfreuden wieder einbüßen und schließlich auch in Berlin am preußischen Hof zu Gast sein. Ein Geschenk des Schahs an den Deutschen Kaiser traf in Gestalt von zwei prächtigen persischen Hengsten bereits vor einiger Zeit in Berlin ein, nachdem Kaiser Wilhelm auch seinerseits den persischen Monarchen durch Uebersendung zweier kostbarer Vasen aus der königlichen Porzellanmanufaktur mit seinem Porträt in der Uniform der Gardeducorps geehrt hatte.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.