Zum hundertsten Geburtstage August Stülers

August Stüler

Bei der Gedenkfeier des „Architekten-Vereins“ zu Berlin und der „Vereinigung Berliner Architekten“ am 29. Januar 1900 vorgetragen von K. E. O. Fritsch.

Hochansehnliche Festversammlung!

Die Feier zum Gedächtnisse August Stülers, zu der wir heute versammelt sind, wird zwar im Hause des „Architekten-Vereins“, doch nicht von ihm allein begangen. Wohl wäre dieser berechtigt gewesen, in erster Linie und mit einer gewissen Ausschliesslichkeit eines Mannes zu gedenken, der einst zu seinen Gründern gehörte und dann Jahrzehnte hindurch sein geistiges Haupt war. Eines Mannes, der durch den Einfluss seines berühmten Namens und seiner Stellung in treuer unermüdlicher Sorge um den ihm ans Herz gewachsenen Verein das Ansehen und die Geltung desselben mehr gefördert hat, als dies jemals einem anderen Mitgliede vergönnt war und auch in Zukunft vergönnt sein dürfte.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Aber die Bedeutung Stülers als schaffender Baukünstler wäre durch eine solche einseitige Vereinsfeier nach aussen hin vielleicht doch nicht ganz zu gebührendem Ausdruck gekommen. Ein volles Vierteljahrhundert ist Stüler der führende Meister der Berliner Architekturschule gewesen.

Er hat als solcher Anspruch auf einen Ehrenplatz nicht nur in der Baugeschichte Berlins, sondern auch in der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. Er hat nicht minder Anspruch auf die Dankbarkeit und Pietät aller derer, die – wenn auch unbewusst – an den Früchten seiner Lebensarbeit Theil haben und auf dem Grunde fortbauen, den er und seine Genossen haben bereiten helfen. So war es ein Gebot unabweislicher Pflicht, dass ihm bei der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages von der gesammten Architektenschaft der Stadt gehuldigt werde, die einst den Mittelpunkt seiner künstlerischen Thätigkeit bildete. Gern und freudig hat darum die „Vereinigung Berliner Architekten“ dem Vorschlage zugestimmt, mit dem „Architekten-Verein“, aus dessen Schooss sie hervorgegangen ist und dessen ältere Ueberlieferungen sie auch als die ihrigen betrachten darf, zu einer gemeinsamen Stülerfeier sich zu verbinden. Und wenn beide Vereine ihre Ziele auch auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln verfolgen, so wird doch jeder Anlass, die Würde der Berliner Fachgenossenschaft zu vertreten, sie hoffentlich stets so einig finden, wie heute. – Das Andenken Stülers der Gegenwart näher zu bringen, ist ein Unternehmen, das um so lohnender erscheinen muss, je weniger die Nachwelt ihm bisher gerecht geworden ist.

Als unser Meister einst vom Tode ereilt wurde, stand er auf einer Höhe des Ruhmes, wie sie von deutschen Baumeistern nur selten erreicht worden ist. Der Verfasser des Nachrufes, der damals von der Zeitschrift für Bauwesen veröffentlicht wurde, machte sich kaum einer Uebertreibung schuldig, wenn er den Verlust Stülers an trauriger Bedeutung für die Architektenwelt demjenigen Schinkels an die Seite stellte und aus der sorgenvollen Stimmung der Allgemeinheit die Frage aufwarf: „Was soll nun werden?“ Denn wie vormals Schinkel, so war auch Stüler der Mittelpunkt und die leitende geistige Kraft der gesammten baukünstlerischen Thätigkeit des preussischen Staates gewesen. Von dem Vertrauen seines Monarchen getragen, von der öffentlichen Meinung des Volkes wie der Fachgenossen als der erste Architekt des Landes anerkannt, waren ihm – gleichsam von selbst – fast alle bedeutenderen Aufträge zugefallen, die Hof und Staat zu vergeben hatten. Daneben hatten zahlreiche Bauherren, insbesondere aus den Kreisen des Grossgrundbesitzes, es sich zur Ehre geschätzt, ihn für die Lösung vornehmer Aufgaben des Privatbaues zu gewinnen. Wiederholt war sein künstlerisches Können auch vom Auslande in Anspruch genommen worden. So waren, wie jener Nachruf mit Recht sagt, durch seinen plötzlichen Hingang tausend Fäden zerschnitten worden, die der unermüdliche Mann in seiner Hand vereinigt hatte. – In der That, der Verlust eines solchen Meisters musste von den Zeitgenossen als ein unersetzlicher betrachtet werden. –

Ach, alle die Lorbeeren, die man damals in dankbarer Bewunderung auf Stülers Grabhügel gehäuft hatte, wie schnell sind sie dahingewelkt! Nicht viel mehr als ein Menschenalter ist seit seinem Tode verflossen und fast könnte es scheinen, als sei er schon der Vergessenheit anheimgefallen. In den Kunstgeschichtswerken wird seine schöpferische Thätigkeit meist mit wenigen Zeilen abgethan und gegenüber derjenigen Schinkels als schwächliches Epigonenthum bezeichnet. An seinen Werken geht die grosse Menge theilnahmlos vorüber. Und wohl die Mehrheit der heutigen Fachgenossenschaft dürfte geneigt sein, inbezug auf die Gesammtheit dieser Bauten das Urtheil zu unterschreiben, das vor 12 Jahren über eine seiner gelungensten Schöpfungen gefällt worden ist: „zahm und nüchtern“.

Ein so erschreckender Wechsel der Anschauungen könnte uns irre machen an der Wahrheit jenes herrlichen Goethe’schen Wortes, dass, wer den Besten seiner Zeit genug gethan, gelebt habe für alle Zeiten. Doch ist die Erklärung jenes Vorganges nicht schwer. Sie ergiebt sich zunächst und in der Hauptsache aus dem beispiellosen Umschwunge, der seit der Erhebung und politischen Neugestaltung Deutschlands in unseren wirthschaftlichen Verhältnissen und auf allen mit diesen zusammenhängenden Gebieten sich vollzogen hat. Ist doch die Entwicklung dieser Verhältnisse eine so gewaltige gewesen, dass wir uns von den vor jenem Ereigniss liegenden Zuständen vielfach weiter entfernt fühlen, als unsere Eltern und Voreltern dies gegenüber den um ein Jahrhundert zurückliegenden Zeiten empfunden haben dürften.

Zu diesen Gebieten gehört in erster Reihe die Baukunst. Auch hier hat, fast unmittelbar nach dem Tode Stülers, eine ungestüme Bewegung eingesetzt, die seither stetige Ausbreitung gewonnen hat. Mit der täglich wachsenden Fülle neuer bedeutsamer Aufgaben, für die immer reichere Mittel zur Verfügung gestellt wurden, mit dem Fortfall der erschwerenden Bedingungen, an welche früher die Ausübung einer selbstständigen baukünstlerischen Thätigkeit geknüpft war, hat sich die Zahl der deutschen Architekten in ungeahnter Weise vermehrt. Aus dem regen Wettstreit dieser mannichfaltigen Kräfte sind neue künstlerische Bestrebungen hervorgegangen. Längst schon sind die Schranken gefallen, welche einst die in verschiedenen Theilen Deutschlands bestehenden, auf verschiedener Grundlage entwickelten Architektur-Schulen von einander trennten. Auch die Fesseln der Unterordnung unter die überlieferten Regeln dieser Schulen hat man abgestreift, – Individualität – und zwar die eigenartige Lösung jeder einzelnen baulichen Aufgabe wie die Ausprägung der persönlichen Eigenart des Architekten – ist das Ziel, nach dem heute eine schaffensfreudige Künstlerschaar ringt.

Wer wollte – trotz aller Auswüchse und Uebertreibungen, welche sie im Gefolge gehabt hat – den berechtigten Kern einer solchen Bewegung verkennen. Und wer darf sich wundern, dass ihren Trägern mit den Brücken zu dem Verständniss der beiseite geschobenen früheren architektonischen Ideale vielfach auch die Möglichkeit abhanden gekommen ist, das Verdienst der aus den alten Schulen hervorgegangenen Künstler zu würdigen. Es kann allerdings mit Sicherheit angenommen werden, dass über kurz oder lang auch hierin Wandel eintreten wird. Man wird zwar schwerlich zu einer einfachen Wiederaufnahme der früheren Kunstweise sich bekehren, wie einzelne „laudatores temporis acti“ noch immer hoffen; aber man wird besser als heute erkennen, was sie an Vorzügen besass und diese Erkenntniss für das eigene Schaffen zu verwerthen suchen. Denn es wäre widersinnig, dauernd in einer Verachtung aller künstlerischen Ueberlieferungen sich gefallen zu wollen. Sind doch dieselben niemals aus willkürlichen Festsetzungen Einzelner entsprungen, sondern stets als ein Niederschlag der Erfahrungen anzusehen, die in der zusammenhängenden Kunstübung ganzer Geschlechter gewonnen wurden.

Doch sind die soeben berührten Verhältnisse nur der Hauptgrund für die bedauerliche Erscheinung, dass die Gegenwart dem Andenken Stülers so gleichgiltig – um nicht zu sagen gern geringschätzig – gegenüber steht. Es sind hierfür noch andere Ursachen vorhanden, und zwar solche, bei denen er selbst von einer Mitschuld nicht ganz frei zu sprechen ist. Freimüthig sei dies gesagt und ohne Furcht, dass ein solches Eingeständniss den Empfindungen der Pietät Eintrag thun könnte, mit der wir heute den Meister feiern. Im Gegentheil. Auch die wärmsten Worte der Anerkennung bleiben ohne Wirkung, wenn sie mit Kritiklosigkeit sich paaren, und nichts hat beispielsweise der Werthschätzung Schinkels mehr geschadet, als der zuweilen unternommene Versuch, bedingungslos auch diejenigen seiner Schöpfungen zu verherrlichen, an denen wohl vieles zu erklären und manches zu entschuldigen, aber wenig zu loben war.

So möge denn von vornherein angedeutet werden, dass die Kunstthätigkeit Stülers und seiner zur Berliner Schule gehörigen Zeitgenossen allerdings von gewissen – übrigens schon oft hervorgehobenen und längst anerkannten – Mängeln nicht frei ist, die zwar keineswegs aus einem ungenügenden Können oder Wollen dieser Künstler entsprungen sind und das, was ihren Werken bleibenden Werth verleiht, kaum beeinträchtigen, aber doch. dazu beigetragen haben, das allgemeine Urtheil übeı jene Werke ungünstig zu beeinflussen. –

Doch es wäre verfrüht, schon jetzt auf derartige Erörterungen einzugehen, während es sich vor allem darum handelt, einen Ueberblick über den Lebens- und Werdegang des Meisters, sowie über den Umfang seines Lebenswerkes zu gewinnen.

Friedrich August Stüler entstammt der alten thüringischen Stadt Mühlhausen. Geboren am 28. Jan. 1800 als jüngerer Sohn eines dortigen Predigers und von diesem für den eigenen Beruf bestimmt, erhielt er seine Schulbildung auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, das er im Herbst 1817 mit dem Zeugniss der Reife verliess. Die künstlerische Anregung, die er durch drei ältere, im Landschaftszeichnen geübte Brüder empfing und insbesondere das Beispiel eines dieser Brüder, der zum Baufach übergegangen war, hatten mittlerweile den Entschluss in ihm reifen lassen, gleichfalls Architekt zu werden. Phantasievollen Seelen, die es lieben, die Entwicklung jedes bedeutenden Mannes aus dem Milieu seiner Kinderjahre abzuleiten, mag jedoch anheim gestellt bleiben, ob sie in dieser Berufswahl nicht etwa eine geheimnissvolle Wirkung erkennen wollen, welche der tägliche Anblick der schönen mittelalterlichen Baudenkmale Mühlhausen’s auf das empfängliche Gemüth des Knaben und Jünglings ausgeübt hatte. Es sind schon kühnere Vermuthungen aufgestellt worden.

Um die Laufbahn des preussischen Baubeamten damals und noch auf lange Zeit hinaus der einzig mögliche Weg zur Baukunst – einschlagen zu können, musste man zunächst als Feldmesser ausgebildet und geprüft sein. Stüler erledigte die vorgeschriebene Lehrzeit bei seinem Bruder in Erfurt und begann dann im Herbst 1819 seine Fachstudien in Berlin. Ueber die unglaublichen Verhältnisse, unter denen diese zu jener Zeit betrieben wurden, hat er selbst am 40. Stiftungsfeste des Architektenvereins im Jahre 1864 mit behaglichem Humor berichtet. An der Bauakademie, die als Stiefkind der Kunstakademie ein kümmerliches Leben fristete, waren nur wenige Fächer, und diese sehr unvollständig vertreten. Uebungen im Zeichnen und Entwerfen gab es dort ebenso wenig, wie einen genügenden mathematischen Unterricht. Diesen sowie einige kunstgeschichtliche Vorlesungen besuchte man auf der Universität, an der Stüler sich gleichfalls immatrikuliren liess; gezeichnet wurde an der Kunstakademie, jedoch im wesentlichen nur mit dem Ziele, einige äusserliche Fertigkeiten sich anzueignen. Als weitere Quellen der Belehrung standen noch mehre sehr beliebte Privat-Vorlesungen, sowie die öffentlichen Bibliotheken zur Verfügung, die aber damals noch sehr dürftig ausgestattet waren. Wie es die Studirenden fertig bekamen, unter solchen Umständen genügende Kenntnisse sich anzueignen, insbesondere aber künstlerisch sich auszubilden, ist schwer zu begreifen, zumal in jener stillen und ärmlichen Zeit auch wenig gebaut wurde und ältere leistungsfähige Architekten, denen man etwas hätte absehen können, in Berlin nur spärlich vorhanden waren. Denn Schinkel, der im Jahre 1818 erst die Königswache vollendet und den Bau des Schauspielhauses begonnen hatte, schloss sich nach aussen hin völlig ab und wachte mit eiserner Strenge darüber, dass das, was in seinem Atelier gezeichnet wurde, Geheimniss blieb. Unterricht hat er bekanntlich nie ertheilt. Nicht ohne Stolz auf seine unter so vielen Schwierigkeiten gewonnene selbständige künstlerische Entwicklung lehnte es daher Stüler mit Bestimmtheit ab, als „Schüler Schinkels“ bezeichnet zu werden, wenn es ihm auch sicherlich fern lag, den Einfluss leugnen zu wollen, den seine späteren persönlichen Beziehungen zu dem Meister sowie das Vorbild seiner Werke auf ihn geübt hatten.

Nachdem Stüler inzwischen im Mai 1819 die Prüfung als Feldmesser bestanden und von 1819-20 als Garde-Pionier auch seine Militärpflicht erfüllt hatte, kehrte er im Herbst 1820 in seine Heimathprovinz zurück, um dort zu Naumburg und Schulpforta – während eines Zeitraumes von 3 Jahren als „Kondukteur“ verschiedene kleinere Bauausführungen zu leiten. Der Spätherbst 1823 sah ihn wieder in Berlin, um seine Studien fortzusetzen und der Ausführung der Probearbeiten für die Staatsprüfung als Baumeister sich zu widmen, zu denen er die Aufgaben übrigens schon i. J. 1820 erhalten hatte. Gelegentlich übernahm er auch hier eine vorübergehende Beschäftigung bei Bau-Ausführungen, so bei der Einrichtung des Gebäudes für die medizinisch-chirurgische Friedrich-Wilhelms-Akademie und bei dem Bau des Exerzierhauses für das 2. Garde-Infanterie-Regiment in der Karlstrasse. Die letztere kurz vor seiner Staatsprüfung, die er im März 1827 glänzend bestand. Seine Probearbeiten – im Wasserbau der Entwurf zu einer Schleusenanlage, im Maschinenbau der Entwurf zu einer Vorrichtung für senkrechte Auf- und Niederbewegung durch Lenkestangen als Ersatz von Krummzapfen, im Hochbau der Entwurf zu einer Landkirche für 600 Personen mit Predigerwohnung – wurden als „mit grösstem Fleisse gearbeitet, vorzüglich schön gezeichnet und in jeder Beziehung lobenswerth“ beurtheilt.

Interessant ist für die Gegenwart namentlich der letztgenannte Entwurf, für den in der Aufgabe – also schon 4 Jahre vor Beginn der Werderschen Kirche in Berlin durch Schinkel – die Wahl des Backsteinbaues mit Formziegeln nahe gelegt war; Stüler hatte sich für einen Bau in mittelalterlichen Formen entschieden, dessen innere Gestaltung allerdings noch ganz im Sinne der üblichen Theatergothik erfolgt ist, dessen Fassade aber von selbständiger Beschäftigung mit den Werken des deutschen Mittelalters zeugt und bereits höher steht, als die gothischen Entwürfe Schinkels.

Der Ausfall dieser Prüfung, durch welche festgestellt war, dass Stüler „zu einer königlichen Baubeamtenstelle vorzüglich qualifizirt sei“, war für seine fernere Laufbahn entscheidend. Noch stand Beuth, der in späteren Jahren mit unbeugsamer Hartnäckigkeit darauf hielt, dass jeder Baumeister – mochte seine Begabung ihn auch ausschliesslich auf die künstlerische Seite des Faches hinweisen – zunächst einen Chausseebau ausführen müsse – nicht an der Spitze der Verwaltung. So konnte denn Schinkel, der damals den Umbau des früheren Johanniter-Ordenshauses am Wilhelmsplatz zu einem Palais des Prinzen Karl zu bewirken hatte, zur Leitung dieses Werkes des jungen, vielversprechenden Baumeisters sich versichern. Fast zwei Jahre dauerte diese erste bedeutsame Beschäftigung Stülers – wie es scheint zugleich die einzige Zeit, während der es ihm vergönnt war, mit Schinkel in nähere Berührung zu kommen. Bevor er um eine andere Stellung sich bewarb, drängte es ihn jedoch, seiner künstlerischen Ausbildung durch eine Studienreise nach dem Süden noch den letzten, damals für schlechthin unentbehrlich geltenden Abschluss zu geben. Im April 1829 trat er in Gesellschaft seines nächsten Freundes Eduard Knoblauch diese Reise an, bei der zunächst die Schweiz und ein Theil des südlichen Frankreich, dann aber Italien in ganzer Ausdehnung einschliesslich Siziliens besucht wurden. Die reiche zeichnerische Ausbeute, die er von ihr heimbrachte, scheint vorwiegend in malerischen Stadtbildern und landschaftlichen Ansichten bestanden zu haben, wie dies ähnlich ja auch bei Schinkel, sowie später noch bei vielen unserer jüngeren Italienfahrer der Fall gewesen und für die Richtung der ehemaligen Berliner Schule ungemein bezeichnend ist. In die eigenartige Ausbildung der Einzelheiten ohne Noth sich zu vertiefen, lag nicht im Sinne dieser Schule, der es in erster Linie stets nur auf das gefällige Gesammtbild einer architektonischen Komposition ankam. –

Zum hundertsten Geburtstase August Stülers.

(Fortsetzung)

Schon in den ersten Monaten der Reise war Stüler durch die Nachricht von seiner am 24. Mai 1829 erfolgten Ernennung zum Hofbauinspektor überrascht worden – eine Auszeichnung, die er ohne Zweifel den beim Bau des Prinz Karl-Palais gewonnenen persönlichen Verbindungen zu danken hatte. Zugleich wurde ihm die Vergünstigung gewährt, dass er diese Stelle erst nach der Rückkehr von seiner Reise anzutreten brauche. Es geschah dies im Juli 1830. Noch nicht 1 ½ Jahre später hatte Stüler schon die zweite Staffel im Hofdienst erstiegen; denn im November 1831 rückte er zum Hofbaurath auf und erhielt die durch den Tod des Hofbaurathes Schadow frei gewordene Stelle eines Direktors der Schlossbaukommission in Berlin; dabei wurde sein Gehalt von 900 Thlr. auf 1800 Thlr. erhöht. Man erzählte sich, dass er diese schnelle Beförderung zumtheil dem glücklichen Zufall zu verdanken habe, dass er beim Ausbruch der Cholera mit dem König und dem gesammten Hofstaat im Charlottenburger Schlosse internirt worden war und während der langen Dauer dieses Internates Gelegenheit gefunden habe, durch Ausarbeitung verschiedener Bauentwürfe zur Unterhaltung des gelangweilten Hofes beizutragen und die Aufmerksamkeit des Monarchen auf sich zu lenken. Es soll damals u. a. der Entwurf zu dem Theehause im Schweizerstil entstanden sein, das bald darauf im vordersten Theile des Charlottenburger Schlossparkes, unweit der Spandauerstrasse, errichtet wurde und das demnach vielleicht als der erste selbständige Bau Stülers zu betrachten wäre. Denn in der kurzen Vorrede zu der Veröffentlichung des Neuen Museums bezeichnet dieser selbst das Jahr 1831 als den Beginn seines baukünstlerischen Schaffens. Sichere Nachrichten über jenen Vorgang, der dem Meister nur zur Ehre gereichen könnte, liegen nicht vor. –

Ebenso fehlt es leider an näheren Angaben über, die architektonische Thätigkeit Stülers während der nächsten 9 Jahre. Erst mit dem Jahre 1841 beginnt das von ihm geführte, noch im Besitz der Familie befindliche „Geschäfts-Tagebuch“, in welchem er kurz aber sorgfältig sowohl alle bedeutenderen Entwürfe, an denen er gezeichnet hatte, wie die von ihm unternommenen Reisen vermerkt hat. Immerhin ist eine grössere Anzahl von Arbeiten bekannt, die in jenen Jahren entstanden sind. Nur ein kleiner Theil derselben rührt aus Stülers amtlicher Stellung her, die ihn anscheinend wenig in Anspruch nahm, da der alternde Monarch keine Neigung mehr verspürte, sich auf grössere bauliche Unternehmungen einzulassen. Ein Entwurf zur Anlage einer neuen, in Gusseisen-Konstruktion herzustellenden Treppe in dem damals von der Fürstin Liegnitz, bewohnten Prinzessinnen-Palais ist unausgeführt geblieben, Dagegen gehört die Wiederherstellung des Rittersaales im Berliner Schloss nicht – wie man gewöhnlich annimmt – zu den erst unter König Friedrich Wilhelm IV. unternommenen Arbeiten an den Paradekammern, sondern ist schon i. J. 1837 durch Stüler bewirkt worden. Gemeinsam mit dem Holbaurath Schadow erbaute dieser die auf dem hohen Havelufer bei der Pfaueninsel malerisch gelegene Peter-Pauls-Kirche in Nikolskoé; doch ist zu vermuthen, dass hierbei schon Einflüsse des Kronprinzen mitgewirkt haben.

Wesentlich umfangreicher, wenn auch mit heutigem Maasstabe gemessen bescheiden genug, war die Wirksamkeit, welche Stüler gleichzeitig als Privat-Architekt entfaltete. Er gehört als solcher neben Knoblauch zu den Bahnbrechern, von denen der Berliner Schule dieses in den vorangegangenen Jahrzehnten fast ganz dem Handwerk anheim gefallene Gebiet wieder erobert ist, und mag an Zahl der Aufträge jenen anfänglich noch übertroffen haben. Von seinen ersten Wohnhausbauten in Berlin stehen, soweit sich das ermitteln liess, nur noch die ehemals Schneider’schen Häuser in der Anhaltstr. 7 u. 8 sowie die Häuser Lennestr. 3 und Bellevuestr. 7. Das alte Ravene’sche Haus in der Wallstrasse und das ehemals Blank’sche Haus in der Leipzigerstrasse (anstelle des Wertheim’schen Kaufhauses) sind erst in den letzten Jahren gefallen; ein für den Tänzer Gasparini ausgeführter Saalbau ist in der Anlage noch als Hauptraum des Englischen Hauses in der Mohrenstrasse erhalten, in seiner Dekoration jedoch inzwischen verändert worden. – Eine noch wichtigere Rolle als diese städtischen Bauten spielen unter den Stüler’schen Schöpfungen jener Zeit die Neu- und Umbauten von Landschlössern, zu welchen ihm die Aufträge wohl durch seine Beziehungen zur Hofgesellschaft zufielen. Die Ausführung an musste natürlich, wie bei jenen, durchweg im Putzbau erfolgen. Unter den Bauherren war neben dem märkischen vorzugsweise der mecklenburgische und der polnische Adel vertreten. Ein vollständiges Verzeichniss dieser Bauten lässt sich nicht mehr herstellen. Hier mögen nur die Schlösser des Grafen v. Zieten in Dechtow, des Grafen von Arnim in Boytzenburg, des Grafen von Schlippenbach in Arendsee, des Grafen von Schwarzenau in Dammern, des Hrn. v. Karstedt in Fretzdorff, des Hrn. v. Byern in Parchen, des Hrn. Ebers in Lobsens (R.-B. Bromberg), des Grafen Voss in Stavenow, des Grafen Hahn in Basedow, des Grafen Potocki in Krzezovice genannt werden. Die grösste dieser Anlagen, welche auf die Neugestaltung einer ganzen Ortschaft sich erstreckte und deren Vollendung erst im Laufe der 40er Jahre erfolgte, dürfte die für Basedow in Mecklenburg entworfene sein. In ihrer architektonischen Fassung lehnen die meisten dieser Schlossbauten an das von Schinkel mit Schloss Babelsberg nach Deutschland übertragene Vorbild der Bauten von Windsor sich an, das damals auch die entsprechenden englischen Anlagen maassgebend beeinflusste, während die gleichzeitigen städtischen Bauten Stülers an der Grundlage der von Schinkel neu belebten antiken Formenwelt festhalten und diese im Geiste einer den modernen Bedürfnissen angepassten hellenischen Renaissance zu entwickeln versuchen. Hiermit war der Arbeitslust und Arbeitskraft des Künstlers jedoch noch keineswegs Genüge gethan. Wie er, wenigstens zu Anfang der 30er Jahre, nach wie vor eifrig an den monatlichen Wettbewerben des Architekten-Vereins sich betheiligte, in denen er so oft siegte, dass ihm nach den bestehenden Satzungen ein Andenken nicht mehr verliehen werden konnte, so liess er wiederholt auch durch öffentliche Preisbewerbungen sich anregen. Dass es nicht öfter geschah, lag wohl lediglich an der Spärlichkeit, in der solche damals veranstaltet wurden. Hätte er in unserer Zeit gelebt, so würde er wohl kaum eine interessante Aufgabe dieser Art sich haben entgehen lassen und vermuthlich einen Record erzielt haben, der mit dem des kampfeslustigsten Architekten von heute sich hätte messen können. An einem 1837 in Russland ausgeschriebenen Wettbewerb um ein Eisenbahn-Stationsgebäude für Petro-Pawlosk und ein mit diesem zu verbindendes Gesellschafts-Lokal betheiligte er sich in Gemeinschaft mit seinem Freunde Strack; ihr preisgekrönter, aber nicht zur Ausführung gebrachter Entwurf, der im „Architektonischen Album“ des Architekten-Vereins veröffentlicht ist, interessirt nicht allein durch die anmuthigen, im Villenstil der Berliner Schule gehaltenen und sehr malerisch gruppirten Bauten des Gesellschafts-Lokals, sondern vor allem auch durch die Anordnung des Stations-Gebäudes, in dessen Aufbau mit sehr einfachen Mitteln die Bestimmung des Baues zum Ausdruck gebracht ist.

Der spätere Architekt des Hamburger Bahnhofes in Berlin hat es sich angelegen sein lassen, dieses dankbare Motiv für sich zu verwerthen. – Ein noch schönerer Erfolg wurde Stüler bei dem i. J. 1839 ausgeschriebenen Wettbewerb um eine neue Börse für Frankfurt a. M. zutheil; sein Entwurf, ein edler Renaissance-Bau von gleichfalls sehr bezeichnendem Gepräge, erhielt nicht nur den ersten Preis, sondern wurde in den nächsten Jahren auch unter seiner Oberleitung zur Ausführung gebracht. Es ist diese Arbeit nicht nur die werthvollste, die Stüler bis dahin geschaffen hatte, sondern sie nimmt auch in der Gesammtreihe seiner Bauten unfraglich einen der ersten Plätze ein.

Eine Nebenthätigkeit hatte sich dem Meister seit d. J. 1834 noch dadurch eröffnet, dass Beuth ihm den Unterricht in der „Stadtbaukunst“ und im „Entwerfen von Gebäuden in höherem Stil“ im Kursus für angehende Bauinspektoren der in eine „Allgemeine Bauschule“ umgewandelten früheren Bauakademie übertrug. Er soll sich dieser Aufgabe mit Eifer und bestem Erfolge unterzogen haben, sah sich jedoch genöthigt, dem Lehramte i. J. 1842 zu entsagen, als seine Kraft durch die ihm obliegenden Arbeiten als schöpferischer Architekt völlig in Anspruch genommen war. Als er später (1849) Mitdirektor der Bauakademie geworden war, übernahm er, mangels einer anderen zur augenblicklichen Verfügung stehenden Persönlichkeit, noch einmal den Unterricht im „Entwerfen öffentlicher Gebäude“, bis ihn i. J. 1854 Strack ablöste.

Als ein wichtiges Ereigniss in Stülers Leben, das gleichfalls in das Jahr 1834 fällt, sei noch seine Verlobung und Verheirathung mit Fräulein Caroline v. Mieg, der Tochter des bayerischen Bundestags-Gesandten in Frankfurt a. M., erwähnt. Das reine Glück, das er in dieser Ehe mit einer ihm an Geist und Charakter ebenbürtigen Gattin fand, hat sicherlich dazu beigetragen, seinen Lebensmuth frisch zu erhalten und ihn den Anstrengungen gewachsen zu machen, die sein Beruf ihm noch auferlegen sollte. Als er in Begleitung seines Freundes Knoblauch zu seiner in Aschaffenburg stattfindenden Hochzeit abreiste, gab ihm der Architekten-Verein das Geleit bis Schöneberg, wo noch ein fröhliches Fest gefeiert wurde, Eine ähnliche Freudenfeier hatte der Verein 3 Jahre vorher bei der unvermutheten Ernennung seines Mitgliedes zum Hofbaurath begangen.

So sehen wir Stüler auf der Höhe seiner körperlichen und geistigen Kräfte – geschult durch ein fast 10jähriges selbständiges künstlerisches Schaffen, erfahren und gewandt in allen Formen der amtlichen Berufsgeschäfte und vertraut mit den eigenartigen Anforderungen des Hofdienstes – eintreten in jenen zweiten Hauptabschnitt seines Lebens, dessen Erfolge für ihn alles bisher Erreichte weit überbieten sollten. –

König Friedrich Wilhelm III. war im Juni 1840 gestorben und es hatte in seinem ältesten Sohn ein Monarch den Hohenzollernthron bestiegen, den es drängte, seine Herrschermacht zur Verwirklichung der Ideale zu verwerthen, die sein hochstrebender, von romantischen Empfindungen durchtränkter Sinn seit langen Jahren gehegt und entwickelt hatte. Die Kunst aber, und insbesondere die Baukunst, war es, für die das Herz des Königs am wärmsten schlug und in deren Pflege er sich vor allem zu bethätigen wünschte – nicht nur als fürstlicher Mäcen, wie seine Ahnherrn, sondern unmittelbar leitend und persönlich eingreifend in alle Unternehmungen, zu denen er den Anstoss gab oder welche die Zeit erheischte. Hierzu aber war ihm – obwohl er selbst als Architekt sich fühlte, die Mitwirkung geschulter Fachleute unentbehrlich.

Wie gern mochte er als Kronprinz davon geträumt haben, auf diesem Felde der Kunst mit Schinkel zusammen zu arbeiten, dessen künstlerische Unterweisung er schon als Jüngling genossen hatte und dem er später – sowohl bei der Einrichtung seiner Wohnräume im Berliner Schlosse, wie bei der Anlage seines Landsitzes Charlottenhof – nahe getreten war. Mit welcher Genugthuung mochte ihn der Gedanke erfüllt haben, die kleinlichen Hindernisse hinweg zu räumen, die das Schaffen des Meisters bisher beengt hatten, und ihm mit Aufgaben, die seines Genies würdig waren, auch die Mittel zur Verfügung stellen zu können, dieselben in grossem Stile zu lösen. Hatte er doch von ihm schon Entwürfe zu einem neuen Dom für Berlin sowie zu einer als Kuppelbau gestalteten Schlosskapelle auf dem Westflügel de Berliner Schlosses sich ausarbeiten lassen.

Zur Erfüllung jenes Traumes, die bei den sehr verschieden gearteten Naturen des Herrschers und des Künstlers freilich wohl nicht ganz so sich gestaltet hätte, wie beide hofften, sollte es nicht kommen. Unmittelbar nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. verfiel Schinkel in jene tödtliche Krankheit, der er ein Jahr später erliegen sollte. So war der König genöthigt, an jüngere Kräfte sich zu wenden, und unter diesen stand in erster Reihe Stüler.

Welcher Art die Beziehungen waren, welche schon früher zwischen beiden Männern bestanden hatten, ist nicht bekannt. Doch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass solche Beziehungen vorhanden waren, weil das, was zu jener Zeit von Stülers künstlerischen Leistungen allgemein und öffentlich bekannt war, wohl kaum das Vertrauen erklären würde, dessen ihn der König alsbald würdigte. Es ist zwar vielfach die Meinung verbreitet, dass Stüler diesem gegenüber zunächst an zweiter Stelle gestanden habe und in sein nahes Verhältniss zum Könige erst aufgerückt sei, nachdem Ludwig Persius gestorben war. Dies ist jedoch offenbar ein Irrthum. Persius mag dem Monarchen, der ihn schon beim Bau von Charlottenhof kennen gelernt und seither in seinen Kreis gezogen hatte, persönlich anfangs näher gestanden haben. In ihrer Thätigkeit für den König aber scheint zwischen ihm und Stüler sofort eine Theilung der Arbeit in der Weise erfolgt zu sein, dass diesem die Bauten für Berlin, Persius dagegen diejenigen für Potsdam übertragen wurden. Denn dass letzterer den ersten Entwurf zum Berliner Dom nach den Ideen des Königs, sowie später die kastellartige Fassade des Dammühlen-Gebäudes nach der Kurfürstenbrücke hin zu Papier gebracht, sowie Skizzen für den Bau von Bethanien und des Kroll’schen Etablissements geliefert hat, kann gegenüber der Thatsache nicht inbetracht kommen, dass Stüler von vornherein die weitere Bearbeitung des Dom-Entwurfes, sowie die Aufstellung der Entwürfe zur Erweiterung der Museen, zum Ausbau des Weissen Saales und derSchlosskapelle zugewiesen wurden.

Inbezug auf die amtliche Stellung beider Künstler mag hier sofort erwähnt werden, dass sie i. J. 1842 unter gleichzeitiger Ernennung zu Architekten S. M. des Königs als Oberbauräthe auch in die damalige leitende Baubehörde des preussischen Staates, die Technische Ober-Baudeputation berufen wurden. Es mag hierbei der Wunsch des Königs maassgebend gewesen sein, auf diese Weise einen unmittelbaren Einfluss auch auf diejenigen Bauunternehmungen des Staates zu gewinnen, an denen er Pepanlıeh nicht näher betheiligt war, ohne dabei des Umweges durch die amtlichen Instanzen zu bedürfen. Im Jahre 1846 erfolgte die Ernennung Stülers zum Geheimen Ober-Baurath. Und als später, nach Einsetzung eines Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, diesem die obere Leitung der Bauverwaltung übertragen und die Ober-Baudeputation aufgelöst wurde, trat er im Januar 1850 als vortragender Rath in die Bauabtheilung dieses Ministeriums ein.

Welche ungeheure Arbeitslast damit den Schultern Stülers aufgebürdet wurde, lässt sich leicht ermessen, zumal wenn man erwägt, dass er nicht allein in seinem Hofamte blieb und seit dem Tode von Persius, also seit dem Jahre 1845, der einzige architektonische Rathgeber und Gehilfe des baufreudigen, ständig in neuen Plänen und Entwürfen sich gefallenden Königs war, sondern dass er nach wie vor auch eine immer weıter sich ausbreitende Thätigkeit als Privat-Architekt zu bewältigen und neben seinen Entwurfs-Arbeiten auch die Ausführung zahlreicher Bauten zu überwachen hatte.

Innerhalb der Ober-Baudeputation scheint er von vornherein mit Soller in die Bearbeitung der Kirchen-Entwürfe sich getheilt zu haben. Denn gerade die Gestaltung der Kirchenbauten in den Provinzen war es, die dem Könige besonders am Herzen lag. Auf seine Veranlassung hatte Stüler in Gemeinschaft mit Strack schon im Frühjahr 1842 eine längere Studienreise nach England angetreten, wo damals eine sehr lebhafte Bewegung im Kirchenbau, mit entschiedener Betonung einer möglıchst malerischen, aber mit billigen Mitteln zu erzielenden Erscheinung der Gotteshäuser, sich entwickelt hatte. Die Früchte dieser Reise sind in einem Berichte niedergelegt, der erst 18 Jahre später in der Zeitschrift für Bauwesen zum Abdruck gelangt ist; die daraus geschöpfte Anregung ist aber auch in zahlreichen Bauten Stülers nicht zu verkennen, wenngleich die persönlichen Neigungen des Königs zunächst dahin führten, in den Motiven der Kirchengebäude an italienische Vorbilder sich anzulehnen. Stüler und Soller sind die Hauptverfasser des von der Ober-Baudeputation bearbeiteten, doch erst i. J. 1852 abgeschlossenen Werkes: „Entwürfe zu Kirchen-, Pfarr- und Schulhäusern“, das die damaligen Leistungen und Bestrebungen der Berliner Schule auf diesem Gebiete getreu wiederspiegelt. Als dann i. J. 1853 auch Soller aus dem Leben schied, übernahm Stüler allein die Leitung des gesammten preussischen Kirchenbauwesens und hat sie bis zu seinem Tode mit unermüdlicher Kraft fortgeführt.

Aber auch auf allen anderen baukünstlerisches Schaffen erfordernden Gebieten des preussischen Staatsbauwesens hat er diese Kraft andauernd bethatigt.

Ob ihm die Aufträge hierzu auf Befehl oder Wunsch des Königs oder infolge des Vertrauens der verschiedenen höchsten Amtsstellen ertheilt wurden, lässt sich heute kaum hoch feststellen. Thatsache ist, dass es sich bei allen bedeutenderen Bauten des Staates gleichsam von selbst verstand, den Entwurf oder doch wenigstens die Fassadenzeichnung, wie vordem von Schinkel, so nunmehr von Stüler anfertigen zu lassen. Ja, es hat fast den Anschein, als ob es in sein Belieben gestellt gewesen wäre, an einer staatlichen Bauausführueg sich zu betheiligen oder nicht.

Eine Aufzählung der aus diesem zweiten Lebensabschnitt Stülers stammenden Werke verbietet sich an dieser Stelle natürlich von selbst. Eine bald nach seinem Tode bewirkte, dabei nicht einmal vollständige Zusammenstellung seiner Entwürfe und Bauausführungen, die in der Zeitschrift für Bauwesen veröffentlicht worden ist, umfasst nicht weniger als 4 Spalten. Für den vorliegenden Zweck wird es genügen, diese Arbeiten gruppenweise zusammen zu fassen und nur auf einige wichtigere unter ihnen, namentlich die in Berlin befindlichen kurz einzugehen.

Der Masse nach überwiegen die Kirchenbauten und Entwürfe, von denen jenes Verzeichniss, mit Einbegriff der Arbeiten zur Herstellung und Ergänzung älterer Bauwerke, gegen 300 aufführt. Allerdings ist wohl nur der kleinere Theil der betreffenden Stüler’schen Entwürfe zur Ausführung gelangt und es befindet sich darunter kein Werk, das nach Maasstab und künstlerischer Durchbildung als ersten Ranges bezeichnet werden könnte. Ein solches sollte der neue Dom am Berliner Lustgarten werden, der nach langen Vorarbeiten i. J. 1845 als eine 5schiffige Rundbogen-Basilika altchristlichen Stiles mit 2 Westthürmen begonnen wurde, jedoch nicht viel über die Grundmauern hinaus gelangt ist. Nach Einstellung des Baues hat Stüler, der mit jener ersten Lösung keineswegs zufrieden war, sich aber dem unerbittlichen Willen des Königs hatte fügen müssen, noch 2 Entwürfe für einen veränderten Aufbau des Domes ausgearbeitet, von denen der eine (vom April 1849) einen Zentralbau mit hoher, von 4 Eckthürmen umgebener Kuppel, der andere (vom September 1849) eine Basilika mit 2 Ostthürmen und einem Flachthurm über der Vierung zeigt. Die Wiederaufnahme des Domunternehmens durch König Wilhelm i. J. 1867, die freilich auch noch zu keinem Ziele führen sollte, hat Stüler nicht mehr erlebt. Ausgeführt sind nach seinen Plänen in Berlin die Jacobi-, Matthaei-, Marcus- und Bartholomäus-Kirche, sowie die Kapelle des Domkandidaten-Stiftes und die Ergänzungs-Bauten an der Schinkel’schen Johannes-Kirche in Moabit. Seine zumtheil mehrfachen Entwürfe für einen Neubau der Georgen-Kirche, einer Universitäts-Kirche und der Lucas-Kirche in Berlin sind ebensowenig verwirklicht worden, wie die im Auftrage des Königs aufgestellten Pläne zum Umbau verschiedener älterer Gotteshäuser, insbesondere der Sophien-Kirche und der Heiligen Geist-Kirche in Berlin und Potsdam. Ueber die allgemeine Haltung der Stüler’schen Kirchen ist vorher schon einiges angedeutet worden. Vorwiegend für eine Ausführung im unverputzten Ziegelbau bestimmt und stets auf malerische Wirkung angelegt, schliessen sie theils italienischen, später aber vorwiegend deutschen mittelalterlichen Vorbildern sich an. Die Einzelheiten sind, soweit nicht der gothische Stil zur Anwendung gelangt ist, in der antikisirenden Weise der Berliner Schule gehalten, aber auch vielfach von romanischen Motiven beeinflusst. –

Es darf übrigens nicht unerwähnt bleiben, dass Stüler auch an mehren anderen hervorragenden Kirchenbauten seiner Zeit, die von anderen Architekten entworfen und begonnen worden waren, insofern einen Antheil hat, als er nach dem Tode dieser Meister die Vollendung der betreffenden Werke übernahm. Es sind dies die Friedenskirche in Sanssouci und der Ausbau der Potsdamer Nicolai-Kirche Schinkels von Persius, die St. Michaelskirche in Berlin von Soller und die Grosse Synagoge in der Oranienburgerstrasse zu Berlin von Knoblauch. Stüler fiel bei diesen Bauten vorzugsweise dıe Dekoration der Innenräume zu, die er mit grosser Liebe durchführte; an der Friedenskirche von Sanssouci sind jedoch von ihm sämtliche Nebenbauten einschliesslich der Vorhöfe nach einigem, auf Skizzen des Königs beruhendem Entwurf hinzugefügt worden. –

Unter den Bauten, die ihm in seiner Stellung als Hofarchitekt anvertraut wurden, stehen der Bau der neuen Berliner Schlosskapelle im Kuppelthurm des Westflügels sowie die Weiterführung und der obere Abschluss der grossen Eosander’schen Prachttreppe und der neue Ausbau des Weissen Saales obenan. Die Arbeiten begannen i. J. 1844 mit dem Ausbau des Weissen Saales, der schon beim Ordensfeste des nächsten Jahres in Benutzung genommen wurde, während die Vollendung der Kapelle sich bis zum Jahre 1854 verzögerte. Ueber die Urheberschaft der betreffenden Werke ist nach dem Tode Stülers eine etwas peinliche Erörterung erfolgt. Während nämlich der Verfasser des oben erwähnten Nachrufes auf Stüler diesen allein als Architekten der Schlosskuppel genannt hatte, sah sich der s. Z. mit der Führung des Baues beauftragt gewesene Architekt, Baurath Wäsemann, veranlasst, öffentlich zu erklären, dass dem ausführenden Meister, Hofbaurath Albert Schadow, ein gleicher Antheil an dem Verdienste der Anlage gebühre und dass beide Männer dahin übereingekommen seien, sich stets als die gemeinschaftlichen Schöpfer der Schlosskapelle zu bezeichnen. Eine Antwort aut diese Erklärung ist von keiner Seite abgegeben worden und so konnte es kaum ausbleiben, dass die öffentliche Meinung der Fachkreise vielfach annahm, dass Schadows Ansprüche auf die Miturheberschaft des Baues hätten unterdrückt werden sollen, ja dass er vermuthlich als der Hauptbetheiligte anzusehen sei. Demgegenüber ist es vielleicht noch heute nicht zu spät, darauf hinzuweisen, dass in einem von Schadow selbst angelegten, hauptsächlich Schriftstücke von ihm enthaltenden Aktenheft der Kgl. Schloss-Baukommission der Wortlaut der Urkunde sich befindet, die s. Z. in der Krone der Schlosskuppel niedergelegt worden ist. In dieser Urkunde heisst es:

(Unter der Verwaltung der Hofmarschälle Hrn. von Meyerink und Grafen v. Keller) „haben die beiden Baumeister Friedrich August Stüler, Geh. Ob.-Brth., und Albert Dietrich Schadow, Hofbrth., den Bau der Kapelle und des Weissen Saales gemeinschaftlich gefördert; insbesondere jedoch hat Ersterer die Pläne nach den Allerhöchsten Bestimmungen Seiner Majestät entworfen und Letzterer die technische Ausführung geleitet.“

Der Antheil beider Künstler ist hiernach vollkommen klargestellt. Die Verdienste Schadows um den ausserordentlich schwierigen und verantwortungsvollen Bau sind gewiss nicht zu unterschätzen und vermuthlich hat derselbe nicht nur die technische Seite der Ausführung im engeren Sinne, sondern auch die Gestaltung der architektonischen Einzelheiten sich angelegen sein lassen. Wenn jedoch der Verfasser jenes Nachrufes vorzugsweise die Erscheinung der Schlosskuppel im Stadtbilde Berlins rühmte, so war er gewiss nıcht ganz im Unrecht, Stüler allein als den Architekten dieses Baues zu bezeichnen. Dabei muss allerdings betont werden, dass dem ausgeführten Entwurf ein älterer Plan Schinkels zugrunde liegt, bei welchem dem Kuppel-Aufbau eine elliptische Form gegeben war, der aber sonst jenem sehr verwandt ist. Der Entwurf des weissen Saales ist dagegen gewiss Stülers eigenste Schöpfung; leider hat dieses vornehme, für seine Zeit und die Berliner Schule ungemein bezeichnende Werk in den letzten Jahren dem gesteigerten Raumbedürfniss bei Hoffestlichkeiten geopfert werden müssen.

Von sonstigen Arbeiten für das Berliner Schloss, die nach Stülers Angaben ausgeführt wurden, sind die weitere Herstellung der Paradekammern, die neue Dekoration des Bunten Ganges und die Anlage der Schlossterrasse zu nennen. Dem Schlosse zu Breslau hat er einen neuen, am Paradeplatz gelegenen Flügel hinzugefügt; im Schlosse zu Königsberg neben anderen Ausbauten den Moskowiter-Saal dekorirt, ebenso eine Reihe von Räumen in den Schlössern Stolzenfels, Koblenz und Liegnitz. Die Schlösser in Erdmannsdorf und Letzlingen sind von ihm umgebaut und vergrössert worden. Als die bedeutendste Leistung Stülers auf diesem Felde ist jedoch der neue Aufbau der Stammburg Hohenzollern zu betrachten – ein mächtiges unter den Werken des Meisters mit in erster Reihe stehendes Werk gothischen Stiles, das erst in seinem Todesjahre zur Vollendung gelangte. –

Auch an den Bauten in Sanssouci hatte Stüler seit dem Tode von Persius einen wesentlichen Antheil, der sich freilich nur auf die ersten Entwurf-Skizzen beschränkte, während die Ausführung der Anlagen – nicht immer zum Vortheil der Sache – anderen Händen selbständig überlassen wurde. Dies gilt namentlich für das grösste der Werke, mit denen König Friedrich Wilhelm IV.die Schöpfung seines grossen Ahnherrn bereichert hat, das Orangerie-Schloss. Die grundlegenden Gedanken der Anlage sowie die Motive der Architektur sind ohne Zweifel von dem Monarchen selbst bestimmt worden.

In das Gebiet der Wirksamkeit Stülers als Hofarchitekt müssen endlich auch wohl die Entwürfe gerechnet werden, die er auf Wunsch des Königs und nach dessen Skizzen für verschiedene bauliche Unternehmungen zur Verschönerung Berlins ausarbeitete, obwohl die Aufgaben, um die es sich dabei handelte, nicht unmittelbar der Krone oblagen, sondern von dieser nur angeregt oder gefördert werden konnten. Vermuthlich ist der Gedanke ihrer Verwirklichung jedoch niemals ernstlich erwogen worden, sondern sie sind lediglich dem niemals zu stillenden Bedürfniss des Königs nach architektonischer Beschäftigung entsprungen. Streng genommen gehören hierher auch die vorher erwähnten Entwürfe zur Umgestaltung einiger Berliner Kirchen des 18. Jahrhunderts. Von anderen Arbeiten dieser Art seien ein Entwurf zum Neubau des Halleschen Thores und ein solcher für eine als Gegenstück des Krollschen Etablissements auf dem Gelände des heutigen Reichstagshauses zu errichtende grössere Baugruppe erwähnt.

Das grösste Werk, das Stüler für den preussischen Staat geschaffen hat – zugleich die bedeutendste künstlerische Leistung nicht nur des Architekten, sondern auch der gesammten von Friedrich Wilhelm IV. ins Leben gerufenen Bauthätigkeit – ist das Neue Museum in Berlin, das i. J. 1841 begonnen und i. J. 1857 vollendet wurde. Hier hat der Meister in der That sein Bestes gegeben und gezeigt, wessen er fähig war und wie hoch sein Streben ging, wenn es ihm vergönnt war, in eine Aufgabe sich zu vertiefen. Die offenbaren Fehler des Baues, durch welche das Urtheil über ihn auch in der Fachwelt zumeist bestimmt wird, sind nicht Fehler des Architekten, sondern nothwendige Folgen des falschen Programms und der unglücklichen Lage des Bauplatzes. Bekanntlich sollte das Gebäude nur ein Theil einer grösseren, auf der Nordspitze der Spreeinsel sich ausbreitenden Anlage sein, zu welcher Stüler den Plan nach den Anweisungen des Königs aufgestellt hatte. Zur Ausführung gelangt sind von diesem Plan nur noch die unmittelbar an das Neue Museum sich anschliessenden Kolonnaden. Schon der Bau der National-Gallerie, zu dem Stüler kurz vor seinem Tode die (später von Strack etwas veränderten) Pläne entworfen hatte, wich von ihm ab; neuerdings ist er ganz aufgegeben und auch das Gelände des ehemaligen Packhofes zur Erweiterung der Museen mit heran gezogen worden. Wie anders wäre Stüler’s Entwurf ausgefallen, wenn man sich bereits damals zu einem solchen Entschluss hätte erheben können, der bei einer weniger kleinen Anschauungsweise wohl schon als künftig geboten hätte vorausgesehen werden können! Jene Bauten auf der Museums-Insel sind übrigens diejenigen Stüler’schen Werke, die wenigstens in ihrem Aeusseren am strengsten hellenisch gehalten sind.

Für die Unterrichts-Verwaltung erbaute der Meister neben dem neuen Universitäts-Gebäude zu Königsberg i. P. – einem von 1857-61 errichteten edlen Terrakottenbau in Renaissance-Formen, der etwas an die von Italienern in Mecklenburg und den Nachbarländern geschaffenen Werke deutscher Renaissance anklingt – eine Anzahl von Stiftsgebäuden, Seminaren, Gymnasien, Pfarr- und Schulhäusern in verschiedenen Provinzen Preussens. Im Auftrage des Kriegsministeriums lieferte er eine, später von Drewitz ausgearbeitete und zur Ausführung gebrachte Skizze für die Fassade des Ministerial-Gebäudes in Berlin, sowie Entwürfe für das General-Kommando in Breslau, die Kommandantur-Gebäude in Köln und Magdeburg, für verschiedene Kasernen und Lazarethe, endlich für sämmtliche Architekturen der Festungswerke in Königsberg, Posen und Lötzen. – Für das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, dem er durch den Umbau eines Privathauses einen würdigen Sitz geschaffen hatte, bearbeitete er die Entwürfe zu den Bahnhofs-Gebäuden in Dirschau und Eydtkuhnen, sowie zu der prächtigen, in gothischem Backsteinbau gehaltenen Architektur der grossen Gitterbrücken bei Dirschau und Marienburg. An den Bauten der Justizverwaltung betheiligte er sich durch eine Anzahl von Fassaden-Entwürfen für Gerichts-Gebäude – insbesondere der beiden westlichen Provinzen.

– Auch zum Bau eines Landtags-Gebäudes und später eines Abgeordnetenhauses hat er Skizzen entworfen, die jedoch nicht weiter verfolgt worden sind.

Zum hundertsten Geburtstage August Stülers.

(Schluss)

Fast nicht minder zahlreich und zumtheil nicht minder bedeutend sind die Werke, die Stüler in diesen letzten 24 Jahren seines Lebens als Privat-Architekt geschaffen hat. Denn die Aufträge, die er als solcher erhielt, beschränkten sich nun nicht mehr auf Schlösser und städtische Wohngebäude, sondern betrafen vielfach auch öffentliche Bauten monumentaler Art und von grösserem Umfange. In erster Reihe stehen hier zwei im Auslande errichtete Werke: das i. J. 1848 entworfene, in den 50er Jahren unter Stülers Oberleitung ausgeführte Nationalmuseum zu Stockholm und die i. J. 1861 im engeren Wettbewerb mit Heinrich Ferstel und einigen ungarischen Architekten entworfene Akademie der Wissenschaften zu Budapest – zwei sehr ansehnliche Renaissance-Bauten, deren Motive bei jenem der Frührenaissance, bei dieser der Hochrenaissance entlehnt sind, während die Einzelheiten natürlich der Uebung der Berliner Schule entsprechen. Ganz im Sinne der letzteren sind das i. J. 1846 als neuer Flügelanbau an das ehem. kurfürstliche Schloss von Düsseldorf errichtete alte Ständehaus, sowie ein nicht zur Ausführung gelangter, in seinen Motiven mit der älteren Frankfurter Börse des Meisters verwandter Entwurf zum Neubau eines Börsengebäudes für Berlin (auf der alten Stelle neben dem Camposanto) gehalten, während das Museum in Köln, das Johannis-Kloster in Stettin und das Stadthaus in Breslau gothische Stilformen zeigen. Für die Städte Perleberg und Anklam hat Stüler neue Rathhäuser, für letztere auch ein Armenhaus, für die Stadt Oppeln einen neuen Rathhausthurm entworfen.

Sehr zahlreich sind die von Stüler zu jener Zeit ausgeführten bezw. entworfenen Schlossbauten. Als schönste Aufgabe dieses Gebietes, die ihn von 1851-57 andauernd beschäftigte, war ihm nach Demmlers Enthebung von seinen Aemtern die Vollendung des Grossherzoglichen Schlosses in Schwerin zugefallen, für das er vor Beginn des Baues schon einige interessante Fassaden-Skizzen angefertigt hatte. Jetzt hatte er neben einigen Ergänzungen am Aeusseren des Baues, die jedoch kaum glücklich zu nennen sind, den gesammten inneren Ausbau des prachtvollen Fürstensitzes zu bewirken. In vollster Hingebung an diese, seiner Begabung und seinen Neigungen so ganz entsprechende Arbeit hat er hier ein Werk geschaffen, das auch heute noch mit vollen Ehren sich behauptet, unter den deutschen Ausführungen der damaligen Zeit aber nur in dem Neuen Museum Stülers seines Gleichen hatte und mit diesem als die Blüthe dessen betrachtet werden muss, was die Nachschinkel’sche Schule in architektonischer Dekoration zu leisten imstande war. – Als weitere Schlossbauten des Meisters mögen erwähnt werden diejenigen für den Fürsten v. Hohenzollern in Löwenberg, für die Grafen Zieten in Ramstedt, v. Arnim in Blumberg, von Finkenstein in Ziebingen, v. Alvensleben in Wetheritz, v. Lottum in Puttbus, für die Hrn. v. Seckendorff in Brook, v. Below in Putzau, v. Schierstädt in Laesgen, für den Fürsten v. Oginski in Retow und die Grafen v. Mycielski in Kobylopole, v. Radolinski in Jarogin. Andere Schloss-Entwürfe für den Fürsten v. Wittgenstein zu Worki in Litthauen, für den Marquis von Wielopolski bei Krakau, für die Grafen Branicki in der Ukraine, Luckner in Neuhaus, Pourtalés in Bentschen, für die Hrn, v. Bethmann-Hollweg in Runowo und v. Barnekow in Ralswiek sind eben so wenig zur Ausführung gelangt, wie die Pläne zum Neubau des Schlosses Altenstein für den Herzog v. Meiningen, für den Umbau des grossherzogl. Palais in Neustrelitz, für eine grossherzogl. Villa in Heiligendamm und für die herzoglichen Marstall-Anlagen in Meiningen und Altenburg. Die architektonische Haltung dieser Schlossbauten ist noch überwiegend dem Windsor-Stile angenähert; doch ist neben ihm auch mehrfach eine Art florentinischer Rundbogen-Architektur zur Anwendung gelangt. Die ausgesprochenen Formen der Berliner hellenischen Renaissance zeigt dagegen der Entwurf für Worki.

Weniger zahlreich sind die von Stüler seit 1841 ausgeführten städischen Wohnhaus-Bauten. Von denselben sind, soweit dies bekannt ist, in Berlin noch das ehem. Godefroy’sche Haus an der Ecke der Leipziger und Wilhelmstrasse, das Haus zwischen Anhalter Bahnhof und Schöneberger Strasse, die ehemals Sommer’schen Häuser und das Carl’sche Haus am Pariser Platz und das Friedeberg’sche Haus Unter den Linden erhalten – sämmtlich stattliche Fassaden, wenn auch nach heutigen Begriffen von ziemlich einfacher Haltung. Es berührt seltsam, zu hören, wie der kleine runde Blumenerker am Godefroy’schen Hause den Berliner Architekten von 1841 als eine so unerhörte und kühne Neuerung erschien, dass sie zur Besichtigung desselben förmliche Wallfahrten veranstalteten. Die in englisch-gothischen Formen gehaltene Villa Lepsius in der Bendeler Strasse hat längst Miethshäusern weichen müssen; das Kranzler’sche Haus Unter den Linden ist stark verändert. Ueber einige auswärtige Wohnhausbauten Stülers in Posen, Rohrbach, seiner Vaterstadt Mühlhausen und in Carrara liegen keine näheren Nachrichten vor.

Als ein besonderes Gebiet, auf welchem dem Künstler eine ausgedehnte Wirksamkeit beschieden war, sind endlich seine Entwürfe zu Grabkapellen und Denkmälern zu erwähnen. Zu den ersten gehören die Grabkapellen für die Grafen Brandenburg, Lehndorff, Hahn, Bismarck-Bohlen, Arnim-Boytzenburg, für die Gräfinnen Henkel zu Wolfsburg in Kärnthen und Branicka zu Krzezovice, sowie für den Fürsten Sulkowski in Raisen. An den unter seinem Namen gehenden Denkmälern hat, soweit dieselben geschichtlichen Persönlichkeiten und Erinnerungen gelten, König Friedrich Wilhelm IV., der die ersten Skizzen dazu lieferte, wohl den grösseren Antheil; es bilden aber gerade diese Schöpfungen nicht die stärkste Seite der künstlerischen Thätigkeit der Zeit. Höher stehen die im wesentlichen architektonisch gehaltenen Grabdenkmäler Stülers für Ravene und Wilhelm Stier, sowie verschiedene denkmalartig behandelte Brunnen-Anlagen.

Die Aufgabe eines Denkmal-Entwurfes für Kaiser Franz I., welche die Stadt Prag ausgeschrieben: hatte, gab Stüler Gelegenheit, zum letzten Male und wiederum mit Erfolg an einem öffentlichen Wettbewerbe sich zu betheiligen; es sei denn, dass die in seinem Nachlasse befindliche Entwurf-Skizze zum Neubau des Winterpalais in St. Petersburg gleichfalls einem ähnlichen Anlass ihre Entstehung verdankt. Den grossen, die deutsche Architektenwelt in Bewegung setzenden Wettbewerben um die Nicolai-Kirche und das Rathhaus in Hamburg, die Votivkirche in Wien usw. hat Stüler dagegen keine Beachtung mehr geschenkt. Wie hätte er in seiner bis an die Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit gehenden Arbeit auch Zeit dazu finden sollen! Aeussere Ereignisse von besonderer Wichtigkeit aus Stülers Leben sind kaum noch zu erwähnen. Dass mit dem Steigen seines Ruhmes auch die Orden auf seiner Brust sich mehrten, dass er nicht nur zum Mitgliede und bald darauf zum Senatsmitgliede der Berliner Akademie der Künste, sondern auch zum Mitgliede oder Ehrenmitgliede fast aller künstlerischen Körperschaften des In- und Auslandes gewählt wurde, dass ihn die Universität Königsberg bei Einweihung ihres Neubaues zum doctor h. c. promovirte, dürfte auf ihn nicht allzu grossen Eindruck gemacht haben und kann heute wenig mehr interessiren. Eine willkommene Unterbrechung seiner Berufsthätigkeit gewährten ihm die Reisen, die er alljährlich theils aus dienstlicher Veranlassung und im Interesse seiner Privatbauten, theils zu seiner Erholung unternahm und die ihn in fast alle Theile Deutschlands, wiederholt aber auch ins Ausland führten. Im Winter 1846/47 wusste er es zu ermöglichen, Italien ein zweites Mal zu besuchen und dort über 4 Monate zu verweilen.

Das in sein Leben am tiefsten eingreifende Ereigniss war die im Herbst 1857 eintretende Erkrankung und der 3 Jahre später erfolgende Tod seines königlichen Gönners, dessen Verhältniss zu ihm allmählich fast freundschaftliche Formen angenommen hatte. Stüler hat während dieser Leidenszeit Gelegenheit gehabt, dem Königs für dessen Zuneigung sich dankbar zu erweisen; er blieb – soweit er von Geschäften sich frei machen konnte – ihm ein Freund und aufopfernder Gesellschafter, dessen Stimme in den schwersten Stunden oft schon ausreichte, um die Leiden des Kranken zu erleichtern. Als dieser im Winter 1858/59 von den Aerzten noch einmal nach Italien geschickt wurde, gehörte auch Stüler zu seinem Gefolge und verweilte mit ihm in Rom und Neapel.

Wenig mehr als 5 Jahre hat der Architekt Friedrich Wilhelms IV. seinen König überlebt. Seine Kraft und Frische erschienen zwar ungebrochen. Noch arbeitete er mit derselben Leichtigkeit an einer Reihe von Entwürfen; noch nahm er an allen Sitzungen der Körperschaften Theil, deren Mitglied er war; noch hatte er am 13. März als erster Vorsitzender des Architekten-Vereins das Schinkelfest desselben geleitet und dabei in gewohnter Weise gesprochen. Da traf ihn am Abend des 18. März 1865, als er sich zu einer Sitzung des Senates der Kunstakademie begeben wollte, im Gebäude derselben ein Herzschlag, der binnen wenigen Minuten seinen Tod zurfolge hatte. Am 23. März wurde er nach einer würdevollen, vom Architekten-Verein veranstalteten Leichenfeier vom Uhrsaal der Kunstakademie aus bestattet.

Wahrlich, ein schöner und beneidenswerther Abschluss eines Künsılerlebens, das von Mühe und Arbeit erfüllt, aber auch reich an Schaffensfreude und Erfolgen gewesen ist und – alles in allem – wohl das Leben eines Glücklichen genannt werden kann! Wenn wir uns nunmehr fragen: Was hat Stülers künstlerische Thätigkeit für den Fortschritt der Baukunst geleistet? Was hat nach den seither vergangenen 35 Jahren von seinem Lebenswerke noch frisch sich erhalten? Und was dürfte von demselben als dauernder Besitz auf die Zukunft übergehen? so können wir unmittelbar anknüpfen an jene vorausgeschickte Erörterung der Gründe, welche die Werthschätzung des Meisters in der Gegenwart beeinträchtigt und sein Andenken in den Hintergrund haben treten lassen.

Es sind diese Gründe zunächst allgemeine und beziehen sich nicht allein auf Stüler, sondern auf die Kunstthätigkeit der ganzen gleichzeitigen Architektenschaft, als deren vornehmster Vertreter er von der Kunstgeschichte betrachtet werden muss. Wir hatten betont, dass das architektonische Schaffen jener Zeit dem heutigen Streben nach Individvalität nicht mehr genügt und thatsächlich auch nicht genügen kann. Aber man thut dem damaligen Architektengeschlecht bitteres Unrecht, wenn man ihm persönlich zur Last legt, was doch aus den Verhältnissen entsprang, unter denen es sich entwickelt hatte und schaffen musste. An ursprünglicher Begabung, an ernster Auffassung ihres Berufes, an Fleiss, an Streben nach künstlerischer Vollendung haben diese Männer und hat insbesondere Stüler gewiss hinter keinem unserer heutigen Meister zurück gestanden. Aber aufgewachsen ohne ausreichende Unterweisung, bar fast aller Studienmittel, welche den Jüngern der Baukunst gegenwärtig nicht nur in einer reichen Fachlitteratur, in photographischen Aufnahmen und der Erleichterung des Reisens, sondern auch in den seither entstandenen Werken älterer Fachgenossen zur Verfügung stehen, waren sie genöthigt, ihr Heil im wesentlichen als Autodidakten zu versuchen und begnügten sich, wenn sie einen kleinen Vorrath von Formen und Motiven zu beherrschen gelernt hatten, mit dem sich für den Hausgebrauch um so leichter auskommen liess, als die knappen, für Bauzwecke zur Verfügung gestellten Mittel von selbst zur äussersten Einfachheit zwangen und der Anwendung von Surrogatstoffen Vorschub leisteten. Damals hat sich jener, nach strengster Auffassung an Dilettantismus streifende, der Berliner Schule bis in die neueste Zeit anhaftende Zug entwickelt, in erster Linie auf die Gesammt-Komposition des Bauwerkes und seine gefällige Erscheinung Werth zu legen, die als Nebensache geltende Ausbildung der Einzelheiten aber in mehr oder weniger konventioneller Weise zu behandeln. Wenn andere gleichzeitige deutsche Architekten, namentlich Semper, ın dieser Beziehung ihren Berliner Fachgenossen überlegen sich zeigten, so hatten sie dies dem glücklichen Umstande zu verdanken, dass sie aus dem Born der lebendigen Ueberlieferungen einer alten Kunstschule hatten schöpfen können und an Orten bauten, wo noch eine gesundere Technik sich erhalten hatte.

Auch Stülers Werke sind von jenem Zuge nicht ganz frei geblieben. Und doch kann man bei einem Blicke auf deren fortschreitende Entwicklung nicht wohl verkennen, dass er – gleich den Besten seiner Mitstrebenden – sich redlich bemüht hat, ihn abzustreifen. Nicht sehr erfreulich sind insbesondere seine im Putzbau ausgeführten älteren gothischen Schlossbauten. Ueberhaupt ist er in seinen gothischen Werken nur selten über eine zur Hauptsache dekorative Verwendung der mittelalterlichen Formen und Motiven hinaus gelangt, die uns heute – nachdem wir Echteres und Besseres kennen gelernt haben nicht mehr recht munden will, die aber im Vergleich zu der englischen Vorbildern folgenden maasstablosen Gothik Schinkels immerhin als eine höhere Stufe erscheint und bei den von ihm ausgeführten Backsteinbauten allmählich zu immer grösserer Strenge reifte. Er hat damit der Einführung der wirklichen Gothik die Wege gebahnt. Wie bescheiden er in dieser Beziehung über sich selbst dachte, bezeugt übrigens die Thatsache, dass er für den Bau des gothischen Chores an der Kirche des Schweriner Schlosses Zwirner heran zog. Glücklicher war er in der Verwendung romanischer Motive, die mit antikisirenden Formen verbunden mehrfach Architekturen ergaben, die an die Backsteinbauten der italienischen Frührenaissance erinnern, aber doch eine so selbständige, in sich harmonische Haltung zeigen, dass Dr. August Reichensperger für diese Bauweise den Namen „Berliner Geheimraths-Stil“ erfinden zu müssen glaubte. Schöne Beispiele derselben sind die Marcuskirche – überhaupt einer der eigenartigsten und gelungensten Bauten Stülers – , das Domkandidaten-Stift und der Entwurf zu einer Universitäts-Kirche in Berlin; ihre reifste Gestalt hätte sie vermuthlich erlangt, wenn der i. J. 1858 wieder aufgenommene Kuppel-Entwurf für den Berliner Dom zur Ausführung gelangt wäre, was wir indess aus anderen Gründen nicht beklagen wollen. Zu bedauern ist dagegen, dass diese durch Stüler und Soller gegebene Anregung nicht auf empfänglicheren Boden gefallen ist. Sie wird z. Z. nur noch von einem einzigen Meister verfolgt.

Stülers beste und anmuthigsten Werke sind aber doch diejenigen, die er in Fortsetzung der Schinkel’schen Ueberlieferungen und in Anpassung derselben an die Bedürfnisse einer vielgestaltigeren Bauweise in Renaissance-Formen geschaffen hat. Er gehört mit Knoblauch, Strack und Hitzig zu den Begründern der für die Berliner Schule der Zeit von 1840-1870 typischen hellenischen Renaissance und hat sein volles Theil zur harmonischen Ausbildung derselben beigetragen. Mehrfach hat er allerdings ihren Formenkreis durch Aufnahme von italienischen Renaissance-Motiven erweitert. Als würdiger Nachfolger Schinkels auf dem Wege, den dieser mit dem Bau der Bauakademie eingeschlagen, hat sich Stüler auch durch seine Versuche erwiesen, die hellenischen Formen für moderne Konstruktionen zu verwerthen. Die aus einer sichtbar gemachten und mit Kunstformen bekleideten Verbindung von Gewölben mit eisernen Ankern und Trägern hergestellten Decken des Neuen Museums verdienen zwar nicht ganz das enthusiastische Lob, das ihnen Carl Boetticher einst gespendet hat, da jene Kunstformen meist nur als dekorative Zuthaten sich darstellen, sind aber trotzalledem eine That, die dem Architekten zur höchsten Ehre gereicht. – Dass dieser seın Talent am schlagendsten in seinen Dekorationen zum Ausdruck gebracht hat, ist schon bei Erwähnung einzelner seiner Werke hervorgehoben worden.

Berücksichugen wir ferner, dass Stüler – namentlich bei seinen zahlreichen Schlossbauten – auch die Ausgestaltung der in den Schinkel’schen Entwürfen noch etwas stiefmütterlich behandelten Grundrisslösung mit Glück sich hat angelegen sein lassen, so darf man wohl sagen, dass er trotz seines Antheiles an den Mängeln der Berliner Schule durch sein eigenes Schaffen und dıe Macht seines Beispieles die Baukunst seiner Zeit nicht unbeträchtlich gefördert hat.

An diesem Ergebniss können auch diejenigen Schwächen seiner Werke nichts ändern, die weniger den allgemeinen Zeitverhältnissen als den besonderen Umständen entsprungen sind, unter denen jene geschaffen wurden. Stüler ist nicht ganz von der Verantwortung frei zu sprechen, wenn auch sicher zu entschuldigen, dass er den architektonischen Liebhabereien und Launen seines königlichen Bauherren einen grösseren Einfluss auf sein Schaffen eingeräumt hat, als gut war – und zwar nicht allein inbezug auf die Entwürfe und Bauten, die er für den König selbst auszuführen hatte, sondern allmählich und bis zu einem gewissen Grade auch auf sein künstlerisches Denken und Empfinden überhaupt. Wenn er in seiner dem Andenken Friedrich Wilhelms IV. gewidmeten Schinkelfestrede vom Jahre 1861 versichert, „dass die Gedanken des Königs jederzeit geistvoll, eigenthümlich und des Verfolgens im hohen Grade werth gewesen seien“ – wenn er in. der Vorrede zu der Veröffentlichung des Neuen Museums von dem Glücke spricht, „das ihm nicht selten gestattet habe, die von seinem gnädigsten Bauherrn erfundenen Anordnungen zu Papier zu bringen“ – wenn endlich in der ohne Zweifel von ihm verfassten Vorrede zu den Entwürfen für er Pfarr- und Schulhäuser gesagt wird, dass „die Entwürfe zu Kirchengebäuden dem von S. M. dem Könige im allgemeinen und bei einzelnen Veranlassungen Allerhöchst geäusserten Willen entsprächen“, so waren dies nach dem ganzen Charakter Stülers keine Byzantinismen, sondern der Ausdruck innigster Ueberzeugung von der Richtigkeit sowohl der Absichten und der künstlerischen Anschauungen des Königs, wie auch der Art, in welcher dieser auf die Kunstübung des Landes einzuwirken suchte. Dieser Ueberzeugung aber sind wir nach den Ergebnisse der Bauthätigkeit Friedrich Wilhelms IV. beizupflichten nicht imstande. Wir würdigen voll die edlen Absichten, von denen der König sich leiten liess, und seine aufrichtige Liebe zur Kunst; wir verkennen durchaus nicht, dass er mehrfach sehr glückliche architektonische Gedanken gehabt hat. Aber wır können unmöglich eine Kunstpflege als gesund betrachten, bei der ständig ein Entwurf den anderen jagte, bei der aus persönlicher Liebhaberei fremde, zu den geschichtlichen Ueberlieferungen und der natürlichen Bauweise des Landes nicht passende Motive willkürlich herangezogen wurden, bei der endlich Architekten vom Range eines Persius und Stüler genöthigt wurden, einen namhaften Theil ihrer kostbaren Kraft unter der Leitung eines Dilettanten an ungezählten, von vornherein aussichtslosen Plänen zu verzetteln, anstatt sie in Selbständigkeit und Musse zur Lösung grosser Aufgaben zu verwenden. Persius ist unter dem geistigen und physischen Drucke seiner Stellung in verhältnıssmässig jungen Jahren zugrunde gegangen; Stülers grössere Elastizität und die beispiellose Leichtigkeit seiner Erfindungsgabe haben ibn den noch grösseren Anstrengungen, die ihm zugemuthet wurden, erfolgreichen Widerstand leisten lassen. Aber sein Schaffen wäre sicherlich ein nach innerem Werthe noch ergiebigeres und für ihn selbst befriedigenderes gewesen, er hätte so manche kleinliche, öfter nur als Nothbehelf sich darstellende Lösung vermieden, hätte er seine Entwürfe können ausreifen lassen und wäre er nicht gezwüngen gewesen, die meisten derselben noch im Zustande der Skizze zur Ausführung durch fremde minderwertbige Kräfte aus der Hand zu geben. Den besten Beleg hierfür liefern wohl seine Dom-Entwürfe, die – soweit dies in dem unabänderlich festgelegten Rahmen überhaupt möglich war – mit jeder Bearbeitung reifer und besser geworden sind, während es der Künstler jedenfalls als ein Unglück angesehen hätte, wenn sein erster, ın der Ausführung unterbrochener Plan zur Verwirklichung gelangt wäre.

Bezeichnende Beispiele einer kleinlichen und künstlerisch unreifen Lösung finden sich namentlich unter den von Friedrich Wilhelm IV. errichteten Denkmälern. Es sei nur an das Denkmal auf Schildhorn erinnert. Kleinlich und aus spielender Laune hervorgegangen erscheinen aber auch viele der unter seinem Einflusse entstandenen Kirchen, bei denen – ganz abgesehen von dem fremdartigen Gepräge derselben – zugunsten einer möglichst malerischen Wirkung, aber zum Schaden ihrer monumentalen Würde – die Baumassen in unzulässiger Weise zersplittert, die Thürme beinahe auf Bleistiftform eingeschränkt sind. Man wird allerdings milder über diese Bauten denken, wenn man sie nicht den aus natürlichem Boden erwachsenen Schöpfungen der alten Meister und den besten Leistungen der Neuzeit gegenüber stellt, sondern den Kirchengebäuden, die zur Zeit Friedrich Wilhelms III. und Schinkels in den kleineren Provinzialstädten und den Dörfern Preussens entstanden sind. Auch ist anzuerkennen, dass jenes Streben nach gruppirten Anlagen in geeigneten Fällen thatsächlich sehr glückliche Lösungen zurfolge gehabt hat. Ein reizvolles Beispiel hierfür liefert in Berlin die durch Stüler geschaffene Bauprappe, deren Kern die St. Johannis-Kirche Schinkels in Moabit bildet.

Man wird ebenso willig zugeben müssen, dass diese auf König Friedrich Wilhelm IV. zurückzuführende stärkere Betonung des malerischen Elementes in der Baukunst von Persius und Stüler nicht nur in ihren unmittelbar für jenen gelieferten Entwürfen, sondern auch in ihren selbständigen Bauten in einer Weise entwickelt worden ist, die bisher kaum übertroffen wurde und noch auf lange Zeit ihre anregende Kraft bewahren wird, Dies gilt ebenso für Kirchen wie für Landhäuser und sonstige Freibauten. Wie Stüler es verstanden hat, dieselben der landschaftlichen Umgebung anzupassen und mit verhältnissmässig einfachen Mitteln eine grosse Wirkung zu erzielen, beweisen unter anderen seine Portalbauten und Pfeilerthürme an der alten Dirschauer und Marienburger Eisenbahnbrücke.

Wenn dies einerseits als ein weiteres Verdienst des Meisters um das Bauwesen seiner Zeit anzusehen ist, so ist damit andererseits auch schon theilweise Antwort auf unsere Frage gegeben, was von seinen Errungenschaften besonderen und bleibenden Werth auch für die Gegenwart und Zukunft hat und haben wird. Noch wichtiger erscheint in dieser Beziehung allerdings ein anderer Gesichtspunkt, der gewissermaassen die Kehrseite jenes wider die ältere Berliner Schule erhobenen Vorwurfes bildet, dass sie der Vertiefung in die Einzelheiten ihrer Bauten die Rücksicht auf die Gesammterscheinung derselben voran stellte. Indem sie dieses that, hat sie und an ihrer Spitze Stüler – die Momente, welche für jenes Gesammtbild entscheidend sind, die Verhältnisse des Baues und die Wahl des Maasstabes zu einer Feinheit ausgebildet und mit einer Sicherheit handhaben gelernt, die geradezu bewunderungswürdig ist. Stüler hat ın dieser Beziehung niemals etwas Unschönes, vielfach aber geradezu Mustergiltiges geschaffen. Ein klassisches Beispiel hierfür war unter seinen Werken die Fassade des alten Düsseldorfer Ständehauses. Aber auch in verhältnissmässig untergeordneten Bauten zeigt sich jene reife Sicherheit. Man vergleiche unbefangenen Sinnes die von Stüler in dürftigem Putzbau hergestellte Fassade des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten in der Vossstrasse nach Maasstab und Verhältnissen mit dem an sie angeschlossenen, in aufwändiger Werkstein-Architektur hergestellten Neubau und man wird nicht zweifelhaft darüber bleiben, welche von beiden Fassaden in ästhetischem Sinne monumentaler wirkt. Der Vergleich würde für den älteren Architekten noch günstiger ausfallen, wenn er ebenso unmittelbar auch auf die an der Leipziger Strasse errichtete neue Fassade desselben Ministerial-Gebäudes erstreckt werden könnte.

Es war dies ein Besitz der früheren Berliner Architektur-Schule, durch den ein Theil der ihrem Schaffen anhaftenden Mängel ausgeglichen wurde. Ihm vor allem hatten es ihre Angehörigen wohl zu verdanken, dass sie auch in der Folgezeit – insbesondere bei den grossen Wettbewerben der 70er Jahre – gegen die übrigen deutschen Schulen mit Ehren und meist sogar siegreich sich behaupten konnten. Möchte jene Sicherheit als das kostbarste Erbe Stülers und seiner Zeitgenossen auch von der heutigen Architektenschaft nach seinem wahren Werthe gewürdigt und sorgfältig gehütet werden! Es dürfte Keinen geben, der auf diesem Gebiete von Stüler nicht noch etwas lernen könnte. Dagegen fehlt es uns nicht an Künstlern, die mit genialem Schaffensdrange in phantasievollen und eigenartigen Einzelbildungen schwelgend auf die Schönheit der Verhältnisse und die Richtigkeit des Maasstabes ihrer Bauten so wenig Gewicht legen, dass man beinahe versucht wäre, sie ausdrücklich auf jenen Lehrer hinzuweisen.

Soweit über Stüler als schaffenden Baukünstler.

Als Fach-Schriftsteller ist er in weiser Beachtung der alten Mahnung: „Bilde, Künstler, rede nicht!“, niemals hervor getreten. Die klar und sachlich gehaltenen Erläuterungen zu den Veröffentlichungen seiner Werke, jene Gedächtnissrede auf Friedrich Wilhelm IV., der Bericht über seine Studienreise zur Besichtigung der neueren englischen Kirchen, sowie ein anderer Reisebericht über die Kirchenbauten im Reg.-Bez. Breslau sind die einzigen schriftlichen Aeusserungen, die er hat drucken lassen. Die letztgenannten beiden Berichte sind amtlichen Akten entnommen, die wohl noch manches andere Schriftstück vom ihm enthalten mögen.

Dass er als Lehrer im architektonischen Entwerfen Treffliches geleistet hat, ist wohl zu glauben. Als Beamten wird ihm eine unermüdliche Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit nachgerühmt, die jedoch von jeder Engherzigkeit sich freizuhalten wusste. Niemals hat er als Beamter den Künstler verleugnet. Dafür zeugt ein Gutachten, das er i. J. 1846 in der Ober-Baudeputation über die Reform der Bauschule abgab und in welchem er schärfere Trennung der Architektur vom Ingenieurwesen, sowie eine Bevorzugung des auf Ausübung der Kunstfertigkeit abzielenden Unterrichtes gegenüber den theoretischen Unterweisungen forderte. Desgleichen eine im Manuskript erhaltene, anscheinend aus den Jahren 1848 oder 1849 stammende Denkschrift über eine zweckmässigere Einrichtung des preussischen Staatsbauwesens, in welcher die Einrichtung einer aus zwei Abtheilungen zusammen gesetzten obersten Baubehörde (Oberbauamt) in Berlin angeregt wird, zu deren Sitzungen auch die Bauräthe der Provinzial-Behörden behufs Vertretung der von ihnen bearbeiteten Angelegenheiten, sowie die Urheber grösserer Baupläne zuzuziehen wären. Zur Gewinnung der letzteren sollte bei allen wichtigeren Bauwerken eine öffentliche Preisbewerbung unter sämmtlichen für den Staatsdienst geprüften Baumeistern veranstaltet werden.

Uneingeschränktes Lob zollen alle diejenigen, die zu Stüler in näherer persönlicher Beziehung gestanden haben – und deren sind noch viele vorhanden – seinen menschlichen Eigenschaften: der sonnigen Heiterkeit seines Gemüthes, der ungeheuchelten Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit seines Herzens, der Zuverlässigkeit seines Charakters. Streng nur gegen sich selbst, mild im Urtheil über Andere und duldsam gegen jede von der einigen abweichende Ansicht, theilnehmend und hilfreich gegen Alle, die seiner Hilfe bedurften, war er der Inbegriff einer edlen und liebenswürdigen Persönlichkeit.

Er war ein zärtlicher Gatte und Familienvater, er war ein treuer Freund. Er war aber auch – und es ist Pflicht, dies gerade hier zu betonen – ein Muster fachgenossenschaftlicher Gesinnung. Nicht auf einsamer Höhe wie Schinkel, sondern ein Architekt unter Architekten, liebte er es bis zum Ende seines Lebens, in unbefangenster Weise unter den Angehörigen seines Berufes zu weilen. Neben seinem Freunde Knoblauch ist er es gewesen, der am meisten dazu beigetragen hat, dem Berliner Architektenverein etwas vom Gepräge einer Familie zu geben und im Verkehr seiner Mitglieder den Ton einer achtungsvollen Kameradschaftlichkeit einzubürgern. Wenn unter der Berliner Architektenschaft noch bis heute ein Geist neidloser Kameradschaftlichkeit sich erhalten hat, um den die Fachgenossen mancher anderen Städte uns beneiden dürfen, so zehren wir auch in dieser Beziehung von dem Erbe, das Stüler uns hinterlassen hat. Lassen Sie uns sein Andenken in Ehren halten!

Dieser Artikel erschien zuerst am 03., 07. & 10.02.1900 in der Deutsche Bauzeitung. Der Originalartikel war nicht bebildert, das Bild stammt aus dem Centralblatt der Bauverwaltung 1900.